98 II 96
13. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 24. Mai 1972 i.S. Böhi gegen Bindschedler & Co.
Regeste (de):
- Aktienkauf, Willensmängel, Genehmigung, Rechtsmissbrauch.
- Art. 31
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 31 - 1 Wenn der durch Irrtum, Täuschung oder Furcht beeinflusste Teil binnen Jahresfrist weder dem anderen eröffnet, dass er den Vertrag nicht halte, noch eine schon erfolgte Leistung zurückfordert, so gilt der Vertrag als genehmigt.
1 Wenn der durch Irrtum, Täuschung oder Furcht beeinflusste Teil binnen Jahresfrist weder dem anderen eröffnet, dass er den Vertrag nicht halte, noch eine schon erfolgte Leistung zurückfordert, so gilt der Vertrag als genehmigt. 2 Die Frist beginnt in den Fällen des Irrtums und der Täuschung mit der Entdeckung, in den Fällen der Furcht mit deren Beseitigung. 3 Die Genehmigung eines wegen Täuschung oder Furcht unverbindlichen Vertrages schliesst den Anspruch auf Schadenersatz nicht ohne weiteres aus. - Art. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln.
1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. 2 Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz.
Regeste (fr):
- Vente d'actions, vices de la volonté, ratification, abus de droit.
- Art. 31 CO. Ratification d'un contrat de vente qui a été attaqué? Question laissée ouverte (consid. 3).
- Art. 2 CC. L'actionnaire qui profite du litige sur l'inefficacité de la vente pour obtenir avec ses voix minoritaires une augmentation du capital social agit contre les règles de la bonne foi (consid. 4).
Regesto (it):
- Vendita di azioni, vizi di volontà, ratifica, abuso di diritto.
- Art. 31 CO. Ratifica d'un contratto di vendita già stato contestato? Quetione rimasta aperta (consid. 3).
- Art. 2 CC. L'azionista minoritario che approfitta della lite sull'inefficacia della vendita per ottenere con i suoi voti un aumento del capitale sociale agisce contro le regole della buona fede (consid. 4).
Sachverhalt ab Seite 96
BGE 98 II 96 S. 96
A.- Die W. Bindschedler & Co., Kommanditgesellschaft für Getreide- und Futtermittel in Zürich, schloss am 15. Mai 1961 mit der Aktiengesellschaft Böhi, Mühle Bürglen/Thurgau, vertreten durch Hans Ulrich Böhi, eine Vereinbarung über die Gründung der "Futtermühle Bürglen AG" mit Sitz in Bürglen. Die Gesellschaft wurde am 18. Mai 1961 gegründet. Das Aktienkapital betrug Fr. 300'000.-- und war eingeteilt in 60 Inhaber-Aktien zu je Fr. 5000.--. Die W. Bindschedler & Co. übernahm 40, Böhi 20 Aktien. Am 6. April 1965 stellte der Verwaltungsrat, dessen Präsident Böhi war, auf Ende 1964 einen Verlust von Fr. 53'000.-- fest. Die Bindschedler & Co. wünschte, sich aus dem Geschäft mit der Gesellschaft zurückzuziehen. Sie bot Böhi ihre 40 Inhaberaktien zum Kauf an, der sie aufgrund einer Vereinbarung vom 15. September 1965 für
BGE 98 II 96 S. 97
Fr. 200'000.-- erwarb. Die Parteien legten damals ausserdem fest, dass das Böhi mit Vereinbarung vom 18. März 1963 gewährte Darlehen frühestens auf den 30. September 1966 unter Einhaltung einer dreimonatigen Frist zur Rückzahlung gekündigt werden könne. Mit Schreiben vom 25. März 1966 ersuchte Böhi die Bindschedler & Co., die Vereinbarung vom 15. September 1965 abzuändern, und behielt sich gleichzeitig die Anfechtung des Aktienkaufes vor. Die Bindschedler & Co. verwarf am 6. April 1966 den Standpunkt Böhis. Dieser focht mit Schreiben vom 25. Mai 1966 den Aktienkauf wegen Irrtums an und lehnte weitere Zahlungen ab. Am 13. Juni 1966 kündigte die Bindschedler & Co. das Darlehen auf den 30. September 1966 zur Rückzahlung. Böhi lehnte die Rückzahlung und weitere Verzinsung des Darlehens ab, weil dieses angeblich zur Finanzierung der Futtermühle Bürglen AG gewährt worden sei. Am 9. August 1966 forderte er von der W. Bindschedler & Co. die am 17. September 1965 vertragsgemäss geleistete Anzahlung für die Aktien von Fr. 40'000.-- zurück.
B.- Am 9. Dezember 1966 klagte die Bindschedler & Co. gegen Böhi auf Zahlung von Fr. 100'000.-- nebst Zins zu 43/4% seit 18. Dezember 1965 aus Darlehen und Fr. 160'000.-- nebst Zins zu 5% seit 1. Oktober 1965 aus Aktienkauf (Restforderung). Der Beklagte verlangte widerklageweise die geleistete Anzahlung von Fr. 40'000.-- zurück, nebst Zins zu 5% seit 17. September 1965. Das Bezirksgericht Zürich hiess die Klage gut und wies die Widerklage ab. Es verwarf gestützt auf das durchgeführte Beweisverfahren die Behauptung des Beklagten, das Darlehen sei in Wirklichkeit der Futtermühle Bürglen AG gewährt worden, und verneinte in Bezug auf den Aktienkauf einen Grundlagenirrtum. Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte am 23. September 1971 das erstinstanzliche Urteil.
C.- Der Beklagte beantragt mit der Berufung das Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur materiellen Beurteilung des behaupteten Grundlagenirrtums an die Vorinstanz zurückzuweisen. Die Klägerin verlangt Abweisung der Berufung.
BGE 98 II 96 S. 98
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1./2. - ...
3. Das Obergericht hat offen gelassen, ob sich der Beklagte zu Recht auf einseitige Unverbindlichkeit des Kaufvertrages berufen habe. Es ist der Auffassung, er habe durch die am 28. März 1969 beschlossene Kapitalerhöhung der Futtermühle Bürglen AG von Fr. 300'000.-- auf Fr. 600'000.-- durch Ausgabe von 60 voll einbezahlten Inhaberaktien zu Fr. 5000.-- den rechtlichen Charakter und die wirtschaftliche Substanz der 40 Aktien (die vor der Kapitalerhöhung eine 2/3-Mehrheit darstellten) wesentlich verändert, dadurch den Kaufvertrag genehmigt und die anfänglich allenfalls begründete Anfechtung unwirksam gemacht. Der Beklagte bestreitet, den Kaufvertrag genehmigt zu haben. Wer einen Vertrag unter dem Einfluss eines wesentlichen Irrtums oder absichtlicher Täuschung abschliesst, ist nicht gebunden (Art. 23
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SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 23 - Der Vertrag ist für denjenigen unverbindlich, der sich beim Abschluss in einem wesentlichen Irrtum befunden hat. |
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SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 28 - 1 Ist ein Vertragschliessender durch absichtliche Täuschung seitens des andern zu dem Vertragsabschlusse verleitet worden, so ist der Vertrag für ihn auch dann nicht verbindlich, wenn der erregte Irrtum kein wesentlicher war. |
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1 | Ist ein Vertragschliessender durch absichtliche Täuschung seitens des andern zu dem Vertragsabschlusse verleitet worden, so ist der Vertrag für ihn auch dann nicht verbindlich, wenn der erregte Irrtum kein wesentlicher war. |
2 | Die von einem Dritten verübte absichtliche Täuschung hindert die Verbindlichkeit für den Getäuschten nur, wenn der andere zur Zeit des Vertragsabschlusses die Täuschung gekannt hat oder hätte kennen sollen. |
4. Zu prüfen ist, ob die Berufung auf den angeblichen Irrtum Treu und Glauben widerspricht.
BGE 98 II 96 S. 99
a) Nach Art. 703
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SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 703 - 1 Die Generalversammlung fasst ihre Beschlüsse und vollzieht ihre Wahlen, soweit das Gesetz oder die Statuten es nicht anders bestimmen, mit der Mehrheit der vertretenen Aktienstimmen. |
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1 | Die Generalversammlung fasst ihre Beschlüsse und vollzieht ihre Wahlen, soweit das Gesetz oder die Statuten es nicht anders bestimmen, mit der Mehrheit der vertretenen Aktienstimmen. |
2 | Die Statuten können für den Fall von Stimmengleichheit vorsehen, dass der Vorsitzende den Stichentscheid hat. |
BGE 98 II 96 S. 100
der Klägerin das Grundkapital erhöhte, nützte er den Streit um die Unverbindlichkeit des Kaufes gegen Treu und Glauben aus. c) Der Beklagte behauptet, er habe das Anfechtungsrecht nicht dadurch verwirkt, dass der Wert der Aktien durch die Kapitalerhöhung verändert worden sei. Er beruft sich auf BGE 97 II 48. In diesem Entscheid führt das Bundesgericht aus, die Berufung auf einen wesentlichen Irrtum setze nicht voraus, dass die Leistung, die der Irrende erhalten hat, bei der Rückgabe mindestens gleichviel wert sei wie beim Empfang. Dieser Vergleich hält nicht stand, weil in jenem Falle die Rückerstattung des gesamten Aktienpakets in Frage stand, der Verkäufer somit als Alleinaktionär die Möglichkeit behielt, den sich auf Irrtum berufenden Käufer auf Schadenersatz zu belangen, falls er über Aktiven der Gesellschaft verfügt haben sollte. Im vorliegenden Fall erhielte die Klägerin bei der Rückerstattung der gegenseitig empfangenen Leistungen mit den 40 Aktien nur noch einen Drittel des gesamten Aktienpaketes, während dem Beklagten zwei Drittel verbleiben würden.
Freilich hat der Aktionär kein wohlerworbenes Recht, dass sich die relative Grösse seiner Beteiligung nicht vermindere (JÄGGI, Zum Verfahren bei der Erhöhung des Aktienkapitals, in Festschrift Bürgi, S. 198). Dieser Grundsatz trifft hier indessen nicht zu, da sich die Klägerin durch Teilnahme an der Generalversammlung mit ihrem Standpunkt in Widerspruch gesetzt hätte. Nach den Feststellungen des Bezirksgerichts, auf die das Obergericht verweist, soll W. Bindschedler dem Beklagten beim Abschluss des Kaufvertrages erklärt haben, die Klägerin wolle kein Geld mehr in die Gesellschaft stecken, sondern diese entweder liquidieren oder die Aktien ihm verkaufen. Daraus ist zu schliessen, dass der Beklagte die Klägerin mit der Zeichnung neuer Aktien veranlassen wollte, die Anfechtung des Kaufvertrages stillschweigend anzuerkennen und der finanzschwachen Gesellschaft neue Mittel zur Verfügung zu stellen. Das war rechtsmissbräuchlich. Die weitere Behauptung des Beklagten, es sei ihm nicht zuzumuten gewesen, die Kapitalerhöhung der Gesellschaft wegen eines ihn persönlich betreffenden Streites auf Jahre hinauszuschieben, ändert daran nichts. Wohl trifft zu, dass der Beklagte als Verwaltungsratspräsident nach Art. 725 Abs. 3
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SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 725 - 1 Der Verwaltungsrat überwacht die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft. |
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1 | Der Verwaltungsrat überwacht die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft. |
2 | Droht die Gesellschaft zahlungsunfähig zu werden, so ergreift der Verwaltungsrat Massnahmen zur Sicherstellung der Zahlungsfähigkeit. Er trifft, soweit erforderlich, weitere Massnahmen zur Sanierung der Gesellschaft oder beantragt der Generalversammlung solche, soweit sie in deren Zuständigkeit fallen. Er reicht nötigenfalls ein Gesuch um Nachlassstundung ein. |
3 | Der Verwaltungsrat handelt mit der gebotenen Eile. |
BGE 98 II 96 S. 101
einzuberufen und sie von der Sachlage zu unterrichten, wenn nach der letzten Jahresbilanz die Hälfte des Grundkapitals nicht mehr gedeckt war. Die Kapitalerhöhung war indessen nicht die einzige Möglichkeit, die Gesellschaft vor dem Konkurs zu bewahren. War der Beklagte in der Lage, das Aktienkapital um Fr. 300'000.-- zu erhöhen, so konnte er der Futtermühle Bürglen AG diesen Betrag ebensogut schenkungsweise überlassen, ihre Schulden tilgen oder übernehmen. Solche Sanierungsmassnahmen hätten zwar den inneren Wert der Aktien (der eigenen und der zugekauften) erhöht, das Stimmrechtsverhältnis aber nicht verändert. Die Klägerin hätte bei Aufhebung des Vertrages den Mehrwert der Aktien nach den Grundsätzen des Bereicherungsrechts ausgleichen müssen (BGE 97 II 48). d) Endlich wendet der Beklagte ein, die aktienrechtlichen Folgen wären für die Klägerin die gleichen gewesen, wenn er die Aktien einem Dritten veräussert und dieser die Kapitalerhöhung durchgeführt hätte. Das ist an sich richtig. Doch kann sich der Beklagte bei den gegebenen Umständen nicht auf solche Hypothesen berufen. Er hat übrigens weder behauptet noch dafür Beweis angeboten, dass im Zeitpunkt des Vertragsschlusses mit der Klägerin ein Dritter die Aktien ebenfalls übernommen und die Kapitalerhöhung durchgeführt hätte. Müsste der Einwand des Beklagten in dem Sinne verstanden werden, dass er die Kapitalerhöhung durch einen Strohmann hätte besorgen können, so wäre ein solches Verhalten rechtmissbräuchlich gewesen. Hat somit der Beklagte das Anfechtungsrecht verwirkt, so kann mit der Vorinstanz offen bleiben, ob er sich in einem Grundlagenirrtum befunden habe.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen und das Urteil des Obergerichts (I. Zivilkammer) des Kantons Zürich vom 23. September 1971 bestätigt.