98 Ib 81
12. Urteil vom 10. März 1972 i.S. Eidg. Justiz- und Polizeidepartement gegen X. und Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt.
Regeste (de):
- Erwerb des Bürgerrechts von Gesetzes wegen; analoge Anwendung des Art. 5 Abs. 1
SR 141.0 Bundesgesetz vom 20. Juni 2014 über das Schweizer Bürgerrecht (Bürgerrechtsgesetz, BüG) - Bürgerrechtsgesetz
BüG Art. 5 Verlust durch Aufhebung des Kindesverhältnisses - Wird das Kindesverhältnis zum Elternteil, der dem Kind das Schweizer Bürgerrecht vermittelt hat, aufgehoben, so verliert das Kind das Schweizer Bürgerrecht, sofern es dadurch nicht staatenlos wird.
- Das eheliche Kind eines ausländischen Vaters und einer schweizerischen Mutter erwirbt - obschon die objektiven Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1
SR 141.0 Bundesgesetz vom 20. Juni 2014 über das Schweizer Bürgerrecht (Bürgerrechtsgesetz, BüG) - Bürgerrechtsgesetz
BüG Art. 5 Verlust durch Aufhebung des Kindesverhältnisses - Wird das Kindesverhältnis zum Elternteil, der dem Kind das Schweizer Bürgerrecht vermittelt hat, aufgehoben, so verliert das Kind das Schweizer Bürgerrecht, sofern es dadurch nicht staatenlos wird.
Regeste (fr):
- Acquisition de la nationalité de par la loi; application par analogie de l'art. 5 al. 1 LN.
- L'enfant légitime d'un père étranger et d'une mère suisse acquiert - bien que les conditions objectives de l'art. 5 al. 1 LN ne soient pas remplies - dès la naissance le droit de cité cantonal et communal de la mère et partant la nationalité suisse, lorsque sa situation équivaut à celle d'un enfant qui ne peut acquérir dès la naissance une autre nationalité.
Regesto (it):
- Acquisto della cittadinanza per legge; applicazione analogetica dell'art. 5 cpv. 1 LCit.
- Il figlio legittimo di un padre straniero e di una madre svizzera acquista - sebbene i requisiti oggettivi dell'art. 5 cpv. 1 LCit. non siano adempiuti - già dalla nascita la cittadinanza cantonale e comunale della madre, e quindi la cittadinanza svizzera, allorchè la situazione equivale a quella di un figlio che non può acquisire dalla nascita un'altra cittadinanza.
Sachverhalt ab Seite 81
BGE 98 Ib 81 S. 81
A.- X. wurde 1931 in Polen als polnischer Staatsangehöriger geboren. Im August 1956 reiste er nach Schweden. Er gab dort seinen polnischen Pass ab und es wurde ihm auf sein Begehren politisches Asyl gewährt. 1958 kam er nach Zürich, beendete dort seine Studien und heiratete im August 1965 Y., Bürgerin von Basel und Appenzell. Die Ehefrau hat das Schweizerbürgerrecht gemäss Art. 9
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SR 141.0 Bundesgesetz vom 20. Juni 2014 über das Schweizer Bürgerrecht (Bürgerrechtsgesetz, BüG) - Bürgerrechtsgesetz BüG Art. 9 Formelle Voraussetzungen - 1 Der Bund erteilt die Einbürgerungsbewilligung nur, wenn die Bewerberin oder der Bewerber: |
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1 | Der Bund erteilt die Einbürgerungsbewilligung nur, wenn die Bewerberin oder der Bewerber: |
a | bei der Gesuchstellung eine Niederlassungsbewilligung besitzt; und |
b | bei der Gesuchstellung einen Aufenthalt von insgesamt zehn Jahren in der Schweiz nachweist, wovon drei in den letzten fünf Jahren vor Einreichung des Gesuchs. |
2 | Für die Berechnung der Aufenthaltsdauer nach Absatz 1 Buchstabe b wird die Zeit, während welcher die Bewerberin oder der Bewerber zwischen dem vollendeten 8. und 18. Lebensjahr in der Schweiz gelebt hat, doppelt gerechnet. Der tatsächliche Aufenthalt hat jedoch mindestens sechs Jahre zu betragen. |
BGE 98 Ib 81 S. 82
als Schweizerbürgerin einzutragen. Das Amt vertrat die Auffassung, die Voraussetzungen von Art. 5
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SR 141.0 Bundesgesetz vom 20. Juni 2014 über das Schweizer Bürgerrecht (Bürgerrechtsgesetz, BüG) - Bürgerrechtsgesetz BüG Art. 5 Verlust durch Aufhebung des Kindesverhältnisses - Wird das Kindesverhältnis zum Elternteil, der dem Kind das Schweizer Bürgerrecht vermittelt hat, aufgehoben, so verliert das Kind das Schweizer Bürgerrecht, sofern es dadurch nicht staatenlos wird. |
B.- Der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt hiess die gegen den Entscheid des Justizdepartements eingereichte Beschwerde gut und stellte fest, die Tochter Z. besitze das Schweizerbürgerrecht.
C.- Das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement reicht gegen den Beschluss des Regierungsrates gemäss Art. 50 Ziff. 2 lit. c
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SR 141.0 Bundesgesetz vom 20. Juni 2014 über das Schweizer Bürgerrecht (Bürgerrechtsgesetz, BüG) - Bürgerrechtsgesetz BüG Art. 50 Nichtrückwirkung - 1 Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts richten sich nach dem Recht, das bei Eintritt des massgebenden Tatbestandes in Kraft steht. |
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1 | Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts richten sich nach dem Recht, das bei Eintritt des massgebenden Tatbestandes in Kraft steht. |
2 | Vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eingereichte Gesuche werden bis zum Entscheid über das Gesuch nach den Bestimmungen des bisherigen Rechts behandelt. |
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SR 141.0 Bundesgesetz vom 20. Juni 2014 über das Schweizer Bürgerrecht (Bürgerrechtsgesetz, BüG) - Bürgerrechtsgesetz BüG Art. 52 - 1 Dieses Gesetz untersteht dem fakultativen Referendum. |
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1 | Dieses Gesetz untersteht dem fakultativen Referendum. |
2 | Der Bundesrat bestimmt das Inkrafttreten. |
D.- Der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt sowie X. und seine Frau beantragen die Abweisung der Beschwerde des Eidg. Justiz- und Polizeidepartementes.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. (Eintretensfrage).
2. Art. 5 Abs. 1
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SR 141.0 Bundesgesetz vom 20. Juni 2014 über das Schweizer Bürgerrecht (Bürgerrechtsgesetz, BüG) - Bürgerrechtsgesetz BüG Art. 5 Verlust durch Aufhebung des Kindesverhältnisses - Wird das Kindesverhältnis zum Elternteil, der dem Kind das Schweizer Bürgerrecht vermittelt hat, aufgehoben, so verliert das Kind das Schweizer Bürgerrecht, sofern es dadurch nicht staatenlos wird. |
BGE 98 Ib 81 S. 83
Mutter und damit das Schweizerbürgerrecht erwirbt, "wenn es nicht von Geburt an eine andere Staatsangehörigkeit erwerben kann". Bei der Schaffung des neuen Bürgerrechtsgesetzes wurde darüber diskutiert, ob die Bestimmungen, welche wie der zitierte Art. 5 Abs. 1 die Staatenlosigkeit vermeiden wollen, nur anzuwenden seien, wenn eine rechtliche Staatenlosigkeit eintritt oder ob auch die tatsächliche Staatenlosigkeit - so bei Schriftenlosigkeit oder bei Abbruch der Beziehungen mit dem frühern Heimatstaat ohne formelle Ausbürgerung - entsprechende Rechtswirkungen in unserer Ordnung des Bürgerrechts haben soll. Der Vorschlag der Expertenkommission wollte auch die tatsächliche Staatenlosigkeit berücksichtigen; der Bundesrat hatte dagegen Bedenken, weil sich wohl kaum je eindeutig umschreiben lasse, was unter tatsächlicher Staatenlosigkeit verstanden werde (Botschaft des Bundesrates zum BüG vom 9. August 1951, BBl 1951 II 677). Das Parlament stimmte der bundesrätlichen Zurückhaltung zu. Favre führte als Referent im Nationalrat aus: "Il serait absolument inconcevable de faire dépendre l'acquisition de la nationalité suisse, qui demande sécurité et stabilité, de faits aussi incertains. Nous estimons donc qu'il y a lieu de s'en tenir à la notion juridique de l'apatridie telle qu'elle a été admise jusqu'à ce jour et de laisser aux tribunaux, dans les cas théoriquement douteux mais dans ces cas seulement, le soin d'apprécier libéralement cette notion" (StenBull NR 1951, S. 765). Dass das Abstellen auf die formale Rechtslage im konkreten Fall zu Härten führen kann, kommt auch in der Botschaft des Bundesrates zum BüG zum Ausdruck. Die strikte rechtliche Ausgangsposition wird durch folgenden Passus deutlich abgeschwächt: "Das hat unseres Erachtens nicht notwendigerweise zu bedeuten, dass im Einzelfall nach rein formaljuristischen Erwägungen entschieden werden müsse. Man denke beispielsweise daran, dass in der jüngern Vergangenheit einzelne Staaten bestimmte Personen, die formell die Staatsangehörigkeit noch besassen, zwar in jeder Hinsicht nicht mehr als eigene Staatsangehörige behandelten, ihnen aber trotzdem nicht die in solchen Fällen oft als Wohltat empfundene Erklärung über den Entzug der Staatsangehörigkeit abgaben. Bundesgericht und Bundesrat werden in solchen Fällen jemanden als staatenlos im Sinne der Bestimmungen des Entwurfes betrachten dürfen. Dies schiene
BGE 98 Ib 81 S. 84
uns einer vertretbaren, vernünftigen Rechtsanwendung zu entsprechen und würde gleichzeitig gestatten, besonders stossende Einzelfälle angemessen zu ordnen" (a.a.O. S. 677). Diesen Äusserungen ist zu entnehmen, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung des BüG gegen irgendeine gesetzliche Anerkennung der schwer definierbaren "tatsächlichen Staatenlosigkeit" Bedenken hatte und daher prinzipiell an der rechtlichen Staatenlosigkeit festhalten wollte, aber doch von der Praxis eine gewisse Grosszügigkeit bei der Feststellung des Vorhandenseins oder Fehlens einer Staatsangehörigkeit erwartete.
3. Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass eine eigentliche Ausbürgerung von X. nicht nachgewiesen ist. Ein einseitiger Verzicht auf das Bürgerrecht ist nach der polnischen Gesetzgebung nicht möglich. Einem Polen, der sich im Ausland aufhält, kann die Staatsbürgerschaft u.a. entzogen werden, sofern er "1. seine Treuepflicht gegenüber der Polnischen Volksrepublik verletzt hat, 2. zum Nachteil lebenswichtiger Interessen der Polnischen Volksrepublik gehandelt hat, 3. nach dem 9. Mai 1945 das Gebiet der Polnischen Volksrepublik illegal verlassen hat, 4. auf eine diesbezügliche Aufforderung des zuständigen Staatsorgans die Rückkehr nach Polen verweigert hat, 5. sich der durch polnisches Recht vorgeschriebenen Erfüllung der Militärdienstpflicht entzieht, ..." Nachdem X. vor 15 Jahren aus Polen flüchtete, später an einer Exilzeitschrift und am Sender "Freies Europa" mitarbeitete, ist anzunehmen, dass die Voraussetzungen einer Ausbürgerung erfüllt wären. Trotzdem ist es nicht ausgeschlossen, dass Polen X. nie ausgebürgert hat und sein Kind die polnische Staatsangehörigkeit erwerben kann beziehungsweise erworben hat. Wiewohl daraus erhellt, dass bei einer derartigen Sachlage die objektiven Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1
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SR 141.0 Bundesgesetz vom 20. Juni 2014 über das Schweizer Bürgerrecht (Bürgerrechtsgesetz, BüG) - Bürgerrechtsgesetz BüG Art. 5 Verlust durch Aufhebung des Kindesverhältnisses - Wird das Kindesverhältnis zum Elternteil, der dem Kind das Schweizer Bürgerrecht vermittelt hat, aufgehoben, so verliert das Kind das Schweizer Bürgerrecht, sofern es dadurch nicht staatenlos wird. |
BGE 98 Ib 81 S. 85
dieser Bestimmung (vgl. Erw. 2) - analog anzuwenden. Das Kind Z. erwirbt demnach die Kantons- und Gemeindebürgerrechte seiner Mutter und damit das Schweizerbürgerrecht. Sollte es vor der Mündigkeit die fragliche Staatsangehörigkeit seines Vaters besitzen, verliert es das Schweizerbürgerrecht (Art. 5 Abs. 2
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SR 141.0 Bundesgesetz vom 20. Juni 2014 über das Schweizer Bürgerrecht (Bürgerrechtsgesetz, BüG) - Bürgerrechtsgesetz BüG Art. 5 Verlust durch Aufhebung des Kindesverhältnisses - Wird das Kindesverhältnis zum Elternteil, der dem Kind das Schweizer Bürgerrecht vermittelt hat, aufgehoben, so verliert das Kind das Schweizer Bürgerrecht, sofern es dadurch nicht staatenlos wird. |
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.