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2. Auszug aus dem Urteil vom 10. Februar 1971 i.S. Neracher gegen Schweizerische Kranken- und Unfallkasse Krankenfürsorge und Versicherungsgericht des Kantons Zürich
Regeste (de):
- Art. 12 Abs. 2 Ziff. 2 und 19bis KUVG: Pflichtleistungen der Kasse bei Aufenthalt des Versicherten in der allgemeinen Abteilung einer Vertragsheilanstalt.
- Ist im Vertrag zwischen Krankenkasse und Heilanstalt eine die Kosten für Unterkunft und Verpflegung umfassende Tagespauschale vereinbart, so darf dem in der Abteilung Krankenpflege versicherten Mitglied ein Verpflegungskostenabzug für den Aufenthalt in der allgemeinen Abteilung jedenfalls dann nicht belastet werden, wenn im Vertrag kein solcher ausgeschieden ist.
- Art. 6bis KUVG: Verhältnis zwischen Pflichtleistungen und regionalen Prämienabstufungen.
- Die von zahlreichen Kassen befolgte Praxis, Prämienabstufungen mit Rücksicht auf die regional unterschiedlich hohen Spitaltaxenauf dem Umwege über obligatorisch erklärte Spitalzusatzversicherungen vorzunehmen, ist unzulässig.
Regeste (fr):
- Art. 12 al. 2 chi. 2 et 19bis LAMA: Prestations obligatoires en cas de séjour de l'assuré en division commune d'un établissement hospitalier lié à la caisse par une convention.
- Si le contrat passé entre la caisse et l'établissement hospitalier fixe un forfait journalier comprenant les frais de logement et de pension, l'assuré séjournant en division commune ne peut être tenu de supporter de tels frais, dans le cadre de l'assurance des soins médicaux et pharmaceutiques, du moins lorsque la convention ne les indique pas séparément.
- Art. 6bis LAMA: Prestations obligatoires et graduation des cotisations "ratione loci".
- L'échelonnement des cotisations d'après les différences régionales dans les taxes hospitalières ne peut se faire par le détour, pratiqué par mainte caisse, d'une assurance complémentaire d'hospitalisation déclarée obligatoire.
Regesto (it):
- Art. 12 cpv. 2 cifra 2 e 19bis LAMI: Prestazioni obbligatorie in caso di soggiorno dell'assicurato nella sezione comune di uno stabilimento di cura convenzionalmente legato alla cassa.
- Se la convenzione stipulata fra lo stabilimento di cura e la cassa fissa una prestazione globale giornaliera includente le spese di vitto e d'alloggio, è illecito accollare quest'ultime, nell'ambito dell'assicurazione per le cure mediche e farmaceutiche, all'assicurato degente in camera comune, almeno laddove tali spese non siano indicate separatamente nella convenzione.
- Art. 6bis LAMI: Prestazioni obbligatorie e graduazione delle quote "ratione loci".
- La graduazione delle quote secondo le differenze regionali delle tariffe ospedaliere non può essere attuata per la via indiretta di un'assicurazione completiva di ospedalizzazione dichiarata obbligatoria.
Erwägungen ab Seite 4
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Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:
1. Streitig ist die Frage, ob die Schweizerische Kranken- und Unfallkasse Krankenfürsorge, Winterthur, (KFW) berechtigt sei, der Versicherten Erna Neracher einen Verpflegungskostenbeitrag von 6 Franken im Tag ab 1. April 1969 bis zu ihrem Austritt aus dem Kantonsspital Winterthur zu belasten. Die Überprüfungsbefugnis des Eidg. Versicherungsgerichts richtet sich, da Versicherungsleistungen im Streite liegen, nach Art. 132 OG. Es ist danach an die Feststellung des Sachverhaltes nicht gebunden, kann die angefochtene Verfügung auch auf Unangemessenheit überprüfen und ist befugt, über die
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Begehren der Parteien zu deren Gunsten oder Ungunsten hinauszugehen.
2. Die vom Bunde anerkannten Krankenkassen sind verpflichtet, ihren Versicherten die statutarischen Leistungen, mindestens aber die gesetzlichen Pflichtleistungen für den Fall der Krankheit auszurichten (Art. 1 und 33 KUVG, Art. 14 Abs. 1 Vo III). Im Bereiche der Krankenpflegeversicherung ist die minimale Leistung nur ihrer Art nach, nicht aber kostenmässig begrenzt. So bestimmt Art. 12 Abs. 2 Ziff. 2 KUVG, die Mindestleistung aus der Krankenpflegeversicherung habe bei Aufenthalt in einer Heilanstalt mindestens zu umfassen: "Die zwischen dieser und der Kasse vertraglich festgelegten Leistungen, mindestens aber die ärztliche Behandlung, einschliesslich der wissenschaftlich anerkannten Heilanwendungen, der Arzneimittel und Analysen nach den Taxen der allgemeinen Abteilung sowie einen täglichen Mindestbeitrag an die übrigen Kosten der Krankenpflege." Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass die preismässige Fixierung der zu gewährenden Mindestleistung im Regelfall durch Vertrag zwischen Heilanstalt und Krankenkasse erfolgen solle, und gleichzeitig festgelegt, welche Punkte dieser, falls er die Pflichtleistungen der Kasse gültig umschreiben will, mindestens zu beschlagen habe. Die solchermassen festgelegte Pflichtleistung betrifft gemäss Art. 19bis KUVG alle im Einzugsgebiet des Vertragsspitals wohnhaften Versicherten, unbekümmert darum, ob sie sich in dieses oder in ein anderes begeben. Ein gewisser Vorrang kommt dabei unter bestimmten Voraussetzungen den Taxen der von den Kantonsregierungen bezeichneten öffentlichen Heilanstalten zu. Kommt ein Vertrag nicht zustande, so setzen die Kantonsregierungen die Tarife der Arzt- und Arzneikosten fest (Art. 22 quater Abs. 3 KUVG), während die Höhe des Mindestbeitrages für die übrigen Kosten der Pflege ohnehin vom Bundesrat fixiert ist (Art. 24 Abs. 1 Vo III). Den Kantonsregierungen obliegt auch die Prüfung und Genehmigung der Verträge zwischen Heilanstalten und Krankenkassen (Art. 22 quater Abs. 5 KUVG).
3. Der zwischen der Direktion des Gesundheitswesens des Kantons Zürich und den zürcherischen Krankenkassen am 6. Juni 1966 abgeschlossene Vertrag über die Taxen der Kantonsspitäler Zürich und Winterthur bestimmte in Art. 7 Abs. 1 folgendes:
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"Die Kassen verpflichten sich, für die den Spitälern bezahlten Tagestaxen auch ihren Mitgliedern gegenüber aus der normalen Krankenpflegeversicherung voll aufzukommen. Spitalzusatzversicherungen dürfen nur dazu beansprucht werden, falls sie nach den Statuten der betreffenden Kasse allgemein obligatorisch sind." Der Vertrag vom 14. April 1969 enthält keine derartige Bestimmung. Daraus zog der Verband der Krankenkassen im Kanton Zürich in einem Rundschreiben vom 31. März 1969 an die Verbandsmitglieder den Schluss, es bestehe nur noch den Spitälern gegenüber volle Garantiepflicht; die Abrechnung zwischen Kasse und Mitglied erfolge hingegen auf Grund der statutarischen Bestimmungen. Das Bundesamt für Sozialversicherung lässt die Frage, ob diese Auffassung haltbar sei, ausdrücklich offen. Angesichts der in Erwägung 2 dargelegten gesetzlichen Ordnung ist die vom Verband vertretene Auslegung jedoch ohne jeden Zweifel nicht angängig. Die vertraglich für die allgemeine Abteilung festgelegte Tagespauschale, umfasse sie nun auch die Gewährung von Unterkunft und Verpflegung oder nicht, entspricht vielmehr eindeutig gleichzeitig der von der Kasse ihrem für Krankenpflege versicherten Mitglied zu gewährenden Mindestleistung. Die Auffassung des Verbandes wäre nur dann zutreffend, wenn im Vertrage selber die Ausscheidung zwischen der Pauschale für die Mindestleistungen gemäss Art. 12 Abs. 2 Ziff. 2 KUVG und den übrigen Kosten getroffen worden wäre. Mit Recht weist auch das Bundesamt für Sozialversicherung in Ziff. 1 lit. a seines Zirkulars 153 a vom 21. Juli 1970 daraufhin, dass die Kassen dann, wenn sie sich im Vertrag mit der Heilanstalt zur Zahlung der Vollpauschale verpflichtet haben, die Mitglieder nicht zur Beteiligung an den Kosten heranziehen dürfen. Was die in lit. b loc.cit. vertretene Auffassung des Bundesamtes für Sozialversicherung anbetrifft, es sei den Kassen freigestellt, den Kostenanteil der Mitglieder dann in den Statuten pauschal festzulegen, wenn im Vertrag mit der Heilanstalt der Rückgriff auf die Versicherten für Unterkunft, Verköstigung und allenfalls für Pflege vorbehalten sei, so ist zu bemerken, dass in einer solchen Vertragsklausel keinesfalls eine Ermächtigung erblickt werden dürfte, die Ansätze für Unterkunft und Verpflegung willkürlich festzusetzen. Da nach dem unmissverständlichen Wortlaut des im vorliegenden Falle massgebenden Vertrages vom 14. April 1969 den
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Kassen ein Rückgriffsrecht auf ihre Mitglieder für einen bestimmten Kostenanteil nicht zuerkannt und schon gar nicht dessen Höhe festgelegt worden ist, entspricht die vereinbarte Tagespauschale von 32 Franken der von der KFW der Versicherten in jedem Falle aus der Krankenpflegeversicherung zu erbringenden Pflichtleistung.
4. Im Ergebnis zur gleichen Lösung führt die Auslegung der Statuten der KFW in der hier massgebenden Fassung. Laut deren Art. 54 Ziff. 2 lit. a richtet die Kasse unter dem Titel Krankenpflege bei Aufenthalt in Heilanstalten die in Art. 12 Abs. 2 Ziff. 2 KUVG umschriebenen Leistungen bis zur Höhe der vertraglichen Taxen der dem Wohnort der Mitglieder nächstgelegenen Heilanstalt des gleichen Kantons aus. Unter lit. d Abs. 1 ist ein Maximalansatz von 20 Franken vorgesehen, der jedoch gemäss Abs. 2 von lit. d der Übernahme der nach lit. a berechneten höheren Kosten nicht entgegensteht. Das Korrelat dieser Bestimmung findet sich in lit. g, wonach die Kasse berechtigt ist, Spitalkostenzusatz oder Spitalbehandlungskosten dann, wenn besondere kantonale oder regionale Verhältnisse vorliegen, wie z.B. vertragliche oder gesetzliche Verpflichtungen zu grösseren Leistungen, als sie statutarisch festgelegt sind, bei den betroffenen Mitgliedern in der Höhe des Bedürfnisses gegen entsprechende Beitragserhebung in die Krankenpflegeversicherung einzubauen. Aus dieser Regelung ergibt sich, dass die KFW ihren Mitgliedern in jedem Falle die Pflichtleistungen gemäss der in Erwägung 2 dargelegten gesetzlichen Ordnung garantiert, dass sie sich aber vorbehält, die dafür zu entrichtenden Prämien je nach den örtlichen Gegebenheiten verschieden zu bemessen. In diesem Sinne versteht die KFW auch selber ihre statutarischen Bestimmungen, führt sie doch in der Beantwortung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde aus, infolge der kantonal recht unterschiedlichen Spitalverträge habe sie es vorgezogen, die Spitalleistungen auf eine Grundpauschale von 20 Franken im Tag festzusetzen, um dann je nach Spitalvertrag nötigenfalls die fehlenden Beträge durch einen obligatorischen Spitalzusatz in die Krankenpflegeversicherung einzubauen. Derartige Zusatzversicherungen seien ein integrierender Bestandteil der Versicherungsabteilung A. Diese von der KFW wie anscheinend auch von zahlreichen weiteren Krankenkassen befolgte Praxis, welche darin besteht, die risikogerechte Prämienabstufung auf dem Umwege über obligatorisch erklärte
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Zusatzversicherungen vorzunehmen, ist vom Bundesamt für Sozialversicherung in seinem Zirkular Nr. 153 vom 22. September 1969 mit Recht als unzulässig bezeichnet worden. Die Heranziehung von dem Grundsatze nach für andere Versicherungsabteilungen bestimmten Prämien für die Grundversicherung ist zumindest geeignet, die Kassenmitglieder über die Höhe der ihnen zustehenden Leistungen in Unklarheit zu versetzen. Dass das Bundesamt für Sozialversicherung diese Praxis des Prämienbezuges zunächst tolerierte und den Kassen alsdann eine Frist zur Anpassung ihrer Statuten bis Ende 1970 einräumte, vermag im vorliegenden Fall am Anspruch der Beschwerdeführerin nichts zu ändern. Die Duldung hat bloss zur Folge, dass die KFW die Prämien für die Spitalzusatzversicherung bis zur Höhe des obligatorisch erklärten Betrages für die Bezahlung der Grundleistung heranziehen darf. Nach den eindeutigen statutarischen Bestimmungen, die einen Rückbehalt für Verpflegungskosten nicht ausdrücklich vorsehen, hat die KFW die vertragliche Tagespauschale in voller Höhe aus der Krankenpflegeversicherung zu übernehmen, unbekümmert um die Form, in welcher die Versicherten die Prämien für diese Abteilung zu entrichten haben.
5. Wie vorzugehen wäre, falls ein in den Statuten nicht vorgesehener Verpflegungskostenabzug im Vertrag mit der Heilanstalt ausdrücklich vereinbart würde, braucht im vorliegenden Falle nicht untersucht zu werden. Ebenfalls kann offenbleiben, ob die KFW befugt sei, der Beschwerdeführerin für die ihr ab 1. April 1969 zustehende frankenmässig höhere Leistung rückwirkend auch eine höhere Prämie für die Abteilung Krankenpflege zu belasten. Zu bemerken ist bloss, dass jedenfalls zunächst untersucht werden müsste, ob eine solche Anpassung dem Gebote der rechtsgleichen Behandlung aller Mitglieder standzuhalten vermöchte. Was die Meinung des kantonalen Richters anbetrifft, angesichts der zwar unzulässigen, einstweilen aber noch tolerierten Praxis der Kassen würde eine Gutheissung der Beschwerde zu Rechtsungleichheit führen, so ist nach dem Gesagten klar, dass diese Auffassung schon allein darum nicht Stich hält, weil die Duldung sich nur auf die Art des Prämienbezuges, nicht aber auf den Leistungsanspruch der Versicherten bezieht. Selbst wenn aber letzteres der Fall wäre, dann dürfte dies der Richter doch nicht hinnehmen. Es würde vielmehr der Kasse obliegen,
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durch eine generelle Änderung ihrer Praxis dem Gebote der Rechtsgleichheit Genüge zu tun. Keinen Einfluss darauf hätte auch eine allfällige Genehmigung gesetzwidriger Statuten durch das Bundesamt für Sozialversicherung (vgl. EVGE 1968 S. 171 f.).