BGE-96-IV-9
Urteilskopf
96 IV 9
3. Urteil des Kassationshofes vom 23. Februar 1970 i.S. X. gegen Jugendamt des Kantons Zürich.
Regeste (de):
- Art. 91, 92 StGB.
- Verhältnis dieser Bestimmungen zu Art. 95
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 95 - 1 Das Gericht und die Strafvollzugsbehörde können vor ihrem Entscheid über Bewährungshilfe und Weisungen einen Bericht der Behörde einholen, die für die Bewährungshilfe, die Kontrolle der Weisungen oder den Vollzug der Tätigkeitsverbote oder der Kontakt- und Rayonverbote zuständig ist.138 Die betroffene Person kann zum Bericht Stellung nehmen. Abweichende Stellungnahmen sind im Bericht festzuhalten.
- Sind die Voraussetzungen zur Einweisung des Jugendlichen in eine Erziehungsanstalt i.S. von Art. 91 Ziff. 1 erfüllt, ist diese Massnahme anzuordnen; an deren Stelle darf nicht eine Strafe ausgesprochen werden.
Regeste (fr):
- Art. 91 et 92 CP.
- Rapport de ces dispositions avec l'art. 95 CP.
- Lorsque les conditions auxquelles l'art. 91 ch. 1 subordonne le renvoi de l'adolescent dans une maison d'éducation sont réalisées, on ordonnera cette mesure; on ne peut la remplacer par une peine.
Regesto (it):
- Art. 91 e 92 CP.
- Relazione di queste disposizioni con l'art. 95 CP.
- Se i presupposti di cui all'art. 91 cpv. num. 1 per il collocamento di un adolescente in un istituto di educazione sono adempiuti, questa misura deve essere ordinata; non può essere sostituita da una pena.
Sachverhalt ab Seite 10
BGE 96 IV 9 S. 10
A.- Der heute siebzehnjährige X., der infolge erheblicher Schwierigkeiten in der Schule und Entweichens aus dem Elternhaus seit 1962 wiederholt in Heimen untergebracht war, wurde am 21. September 1967 wegen Diebstahls verurteilt und der eigenen Familie zur Erziehung überlassen. Da sich diese Massnahme nicht bewährte - X. wurde wieder straffällig -, verfügte die Jugendanwaltschaft des Bezirkes Zürich am 11. Juni 1968 vorsorglich die Einweisung des Jugendlichen in die Beobachtungsstation Enggistein zur psychiatrischen Begutachtung. Am 21. November 1968 wurde X. vom Jugendgericht des Bezirksgerichtes Zürich wegen wiederholten vollendeten und versuchten Diebstahls, wiederholter Störung des öffentlichen Verkehrs, wiederholten Hausfriedensbruches, Sachbeschädigung und einer Reihe von Widerhandlungen gegen das Strassenverkehrsgesetz in eine Erziehungsanstalt für Jugendliche eingewiesen, weil bei ihm Anzeichen einer schweren Verwahrlosung in Erscheinung getreten waren und die eigene Familie der Erziehungsaufgabe nicht mehr zu genügen vermochte. X. wurde zuerst im Pestalozziheim "Neuhof" untergebracht, aus dem er indessen wiederholt entwich, weshalb er am 20. Mai 1969 in die Aufnahmestation des Basler Jugendheims versetzt wurde. Nachdem er mehrmals erfolglos versucht hatte, auch aus dieser Anstalt zu entweichen, tat er sich mit anderen Insassen zusammen, um einen Aufseher niederzuschlagen und diesem die Schlüssel abzunehmen, welches Vorhaben teilweise ausgeführt wurde. Wegen dieses Vorfalles wurde X. Ende Juli 1969 in die Erziehungsanstalt Aarburg versetzt, aus der er erneut entwich.
B.- Während der kurzen Aufenthalte ausserhalb der verschiedenen Anstalten beging X. zahlreiche strafbare Handlungen. Am 27. März 1969 wurde er deshalb vom Jugendgericht des Bezirksgerichtes Zürich der wiederholten vollendeten und
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versuchten Entwendung von Motorfahrzeugen, des wiederholten Führens eines Motorfahrzeuges ohne Führerausweis, der Widerhandlung gegen Art. 36 Abs. 4

SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG) SVG Art. 36 - 1 Wer nach rechts abbiegen will, hat sich an den rechten Strassenrand, wer nach links abbiegen will, gegen die Strassenmitte zu halten. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 95 - 1 Das Gericht und die Strafvollzugsbehörde können vor ihrem Entscheid über Bewährungshilfe und Weisungen einen Bericht der Behörde einholen, die für die Bewährungshilfe, die Kontrolle der Weisungen oder den Vollzug der Tätigkeitsverbote oder der Kontakt- und Rayonverbote zuständig ist.138 Die betroffene Person kann zum Bericht Stellung nehmen. Abweichende Stellungnahmen sind im Bericht festzuhalten. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 95 - 1 Das Gericht und die Strafvollzugsbehörde können vor ihrem Entscheid über Bewährungshilfe und Weisungen einen Bericht der Behörde einholen, die für die Bewährungshilfe, die Kontrolle der Weisungen oder den Vollzug der Tätigkeitsverbote oder der Kontakt- und Rayonverbote zuständig ist.138 Die betroffene Person kann zum Bericht Stellung nehmen. Abweichende Stellungnahmen sind im Bericht festzuhalten. |
C.- X. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie ihn einer vertrauenswürdigen Familie zur Erziehung übergebe.
D.- Die Jugendstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich beantragt Abweisung der Beschwerde, eventuell Rückweisung der Sache zur Anordnung der Anstaltsversorgung.
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Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. Wie der Kassationshof in seinem Urteil BGE 94 IV 19 dargelegt hat, kommt Art. 95

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 95 - 1 Das Gericht und die Strafvollzugsbehörde können vor ihrem Entscheid über Bewährungshilfe und Weisungen einen Bericht der Behörde einholen, die für die Bewährungshilfe, die Kontrolle der Weisungen oder den Vollzug der Tätigkeitsverbote oder der Kontakt- und Rayonverbote zuständig ist.138 Die betroffene Person kann zum Bericht Stellung nehmen. Abweichende Stellungnahmen sind im Bericht festzuhalten. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 91 - 1 Gegen Gefangene und Eingewiesene, welche in schuldhafter Weise gegen Strafvollzugsvorschriften oder den Vollzugsplan verstossen, können Disziplinarsanktionen verhängt werden. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 92 - Der Vollzug von Strafen und Massnahmen darf aus wichtigen Gründen unterbrochen werden. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 95 - 1 Das Gericht und die Strafvollzugsbehörde können vor ihrem Entscheid über Bewährungshilfe und Weisungen einen Bericht der Behörde einholen, die für die Bewährungshilfe, die Kontrolle der Weisungen oder den Vollzug der Tätigkeitsverbote oder der Kontakt- und Rayonverbote zuständig ist.138 Die betroffene Person kann zum Bericht Stellung nehmen. Abweichende Stellungnahmen sind im Bericht festzuhalten. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 82 - Dem Gefangenen ist bei Eignung nach Möglichkeit Gelegenheit zu einer seinen Fähigkeiten entsprechenden Aus- und Weiterbildung zu geben. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 100 - Die Verjährung beginnt mit dem Tag, an dem das Urteil rechtlich vollstreckbar wird. Bei der bedingten Strafe oder beim vorausgehenden Vollzug einer Massnahme beginnt sie mit dem Tag, an dem der Vollzug der Strafe angeordnet wird. |
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dass - wie die Staatsanwaltschaft geltend macht - Art. 95

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 95 - 1 Das Gericht und die Strafvollzugsbehörde können vor ihrem Entscheid über Bewährungshilfe und Weisungen einen Bericht der Behörde einholen, die für die Bewährungshilfe, die Kontrolle der Weisungen oder den Vollzug der Tätigkeitsverbote oder der Kontakt- und Rayonverbote zuständig ist.138 Die betroffene Person kann zum Bericht Stellung nehmen. Abweichende Stellungnahmen sind im Bericht festzuhalten. |
2. Nach der Aktenlage hat man es im vorliegenden Fall beim Beschwerdeführer mit einem teils stark milieugeschädigten, teils neurotisierten Jugendlichen zu tun, dem es offensichtlich an Geborgenheit fehlt. Dass er sittlich verwahrlost ist, wird von der Vorinstanz verbindlich festgestellt. Demzufolge ist der Jugendliche erziehungsbedürftig. Daraus folgt, dass für die Anwendbarkeit des Art. 95

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 95 - 1 Das Gericht und die Strafvollzugsbehörde können vor ihrem Entscheid über Bewährungshilfe und Weisungen einen Bericht der Behörde einholen, die für die Bewährungshilfe, die Kontrolle der Weisungen oder den Vollzug der Tätigkeitsverbote oder der Kontakt- und Rayonverbote zuständig ist.138 Die betroffene Person kann zum Bericht Stellung nehmen. Abweichende Stellungnahmen sind im Bericht festzuhalten. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 91 - 1 Gegen Gefangene und Eingewiesene, welche in schuldhafter Weise gegen Strafvollzugsvorschriften oder den Vollzugsplan verstossen, können Disziplinarsanktionen verhängt werden. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 92 - Der Vollzug von Strafen und Massnahmen darf aus wichtigen Gründen unterbrochen werden. |
3. Welche der in Art. 91

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 91 - 1 Gegen Gefangene und Eingewiesene, welche in schuldhafter Weise gegen Strafvollzugsvorschriften oder den Vollzugsplan verstossen, können Disziplinarsanktionen verhängt werden. |
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nicht, wenn sie das Begehren des Beschwerdeführers auf Erziehung in einer vertrauenswürdigen Familie abwies. Soweit das Obergericht dabei die laufende Anstaltsversorgung bloss vergleichsweise zur Bewertung der Erfolgsaussichten einer Familienerziehung herangezogen hat, ist der angefochtene Entscheid nicht zu beanstanden. b) Dagegen hält dieser sachlich in dem Masse nicht stand, als darin die erneute Einweisung des Beschwerdeführers in eine Erziehungsanstalt als sinnlos abgelehnt wird, weil die gleiche Massnahme früher schon erfolglos verfügt worden sei und ihre nochmalige Anordnung beim Fehlbaren die Überlegung aufdrängen müsste, auch weitere strafrechtliche Verfehlungen blieben ungeahndet. Diese Auffassung verkennt, dass im Jugendstrafrecht der Sühnegedanke gegenüber den erzieherischen Bedürfnissen des Fehlbaren zurückzutreten hat. Sie geht aber auch an der Erfahrungstatsache vorbei, dass bei sittlich verwahrlosten oder verdorbenen Jugendlichen, die Gefahr laufen, ins Gewohnheitsverbrechertum abzugleiten, regelmässig eine lange erzieherische Betreuung notwendig ist und dass die Wirksamkeit der Massnahme gerade in solchen Fällen häufig von der Beharrlichkeit abhängt, mit der sie durchgeführt wird (BBl 1965 I 590). Dem hat übrigens der Gesetzgeber ebenfalls Rechnung getragen, indem er einerseits in Art. 91 Ziff. 1 Abs. 2

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 91 - 1 Gegen Gefangene und Eingewiesene, welche in schuldhafter Weise gegen Strafvollzugsvorschriften oder den Vollzugsplan verstossen, können Disziplinarsanktionen verhängt werden. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 93 - 1 Mit der Bewährungshilfe sollen die betreuten Personen vor Rückfälligkeit bewahrt und sozial integriert werden. Die für die Bewährungshilfe zuständige Behörde leistet und vermittelt die hierfür erforderliche Sozial- und Fachhilfe. |
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mit Erreichen des 18. Altersjahres die Versetzung in eine Strafanstalt zu gewärtigen (BGE 91 IV 180, BGE 85 IV 16). Da im vorliegenden Fall dieses Erziehungsmittel für die Zukunft noch zur Verfügung steht, ist unter Vorbehalt von Art. 92

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 92 - Der Vollzug von Strafen und Massnahmen darf aus wichtigen Gründen unterbrochen werden. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 92 - Der Vollzug von Strafen und Massnahmen darf aus wichtigen Gründen unterbrochen werden. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 91 - 1 Gegen Gefangene und Eingewiesene, welche in schuldhafter Weise gegen Strafvollzugsvorschriften oder den Vollzugsplan verstossen, können Disziplinarsanktionen verhängt werden. |
4. Die Frage, ob X. einer besonderen Behandlung gemäss Art. 92

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 92 - Der Vollzug von Strafen und Massnahmen darf aus wichtigen Gründen unterbrochen werden. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 90 - 1 Eine Person, die sich im Vollzug einer Massnahme nach den Artikeln 59-61 befindet, darf nur dann ununterbrochen von den andern Eingewiesenen getrennt untergebracht werden, wenn dies unerlässlich ist: |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 91 - 1 Gegen Gefangene und Eingewiesene, welche in schuldhafter Weise gegen Strafvollzugsvorschriften oder den Vollzugsplan verstossen, können Disziplinarsanktionen verhängt werden. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 92 - Der Vollzug von Strafen und Massnahmen darf aus wichtigen Gründen unterbrochen werden. |
BGE 96 IV 9 S. 16
ausschliesst, so käme nur Art. 92

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 92 - Der Vollzug von Strafen und Massnahmen darf aus wichtigen Gründen unterbrochen werden. |
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich - I. Strafkammer - vom 16. Oktober 1969 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.