Urteilskopf

96 IV 39

9. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 10. April 1970 i.S. Staatsanwaltschaft Oberwallis gegen Georgen
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 39

BGE 96 IV 39 S. 39

A.- Am 1. April 1968 um 20 Uhr fuhr Karl Wyssen mit einem Traktor mit Anhänger auf der 7,6 m breiten, mit Leitlinien versehenen Rhonetalstrasse von Turtmann gegen Agarn. Auf dem Anhänger, der 33 cm breiter als der Traktor war und hinten links ein rot gestrichenes, dreieckiges und nur schwach rückstrahlendes Blech von 19 cm Seitenlänge aufwies, befand sich der Mitfahrer Anselm Dirren. Dieser leuchtete mit einer in der Hand gehaltenen Taschenlampe nach rückwärts. Hinter dem Traktor folgte Yvon Georgen mit einem Lieferwagen. Seine Geschwindigkeit betrug mindestens 90-100 km/Std. Wegen des Gegenverkehrs fuhr er mit abgeblendeten Scheinwerfern. Infolge des Abblendlichts und der ungenügenden Kennzeichnung des Traktoranhängers erblickte Yvon Georgen das vor ihm fahrende Gefährt zu spät. Beim Versuch, im letzten Moment nach links auszuweichen, prallte er mit der rechten Vorderfront seines Lieferwagens gegen den Anhänger. Der Traktorzug geriet ins Schleudern und kam quer auf der Strasse zum Stillstand. Der Lieferwagen konnte kurz nach dem Aufprall auf der
BGE 96 IV 39 S. 40

rechten Fahrbahnhälfte zum Stehen gebracht werden. Durch die Wucht des Anpralls wurde der Mitfahrer Georgens, Giovanni Niro, so schwer verletzt, dass er am folgenden Tag starb. Die übrigen in den Unfall verwickelten Personen wurden leichter verletzt.
B.- Mit Urteil vom 28. Februar 1969 verurteilte das Kreisgericht Oberwallis (Leuk): Yvon Georgen wegen fahrlässiger Tötung (Art. 117
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 117 - Wer fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
StGB) und grober Verletzung von Verkehrsregeln (Art. 90 Ziff. 2
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 90 - 1 Mit Busse wird bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt.
SVG) zu einer bedingt aufgeschobenen Gefängnisstrafe von 20 Tagen; Karl Wyssen wegen fahrlässiger Tötung, Führens eines nichtbetriebssicheren Fahrzeugs und Fahrens ohne Fahrzeugausweis zu einer Busse von Fr. 300.--; Markus Ammann, Eigentümer des Traktorenanhängers, wegen Gebrauchenlassens eines nichtbetriebssicheren Fahrzeuges und fahrlässiger Tötung zu einer Busse von Fr. 80.-.
C.- Auf Berufung des Yvon Georgen erklärte ihn das Kantonsgericht des Kantons Wallis am 3. Februar 1970 lediglich der fahrlässigen Tötung schuldig und verurteilte ihn zu einer nach einer Probezeit von 2 Jahren vorzeitig löschbaren Busse von Fr. 500.--.
D.- Gegen dieses Urteil führt die Staatsanwaltschaft Oberwallis Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, es sei aufzuheben und die Sache zur Bestrafung des Yvon Georgen wegen grobfahrlässiger Tötung sowie wegen grober Verletzung von Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90 Ziff. 2 Abs. 1
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 90 - 1 Mit Busse wird bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt.
SVG an die Vorinstanz zurückzuweisen. Yvon Georgen beantragt Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen

Der Kassationshof zieht in Erwägung:

2. Im Gegensatz zum Antrag auf Schuldigerklärung wegen grobfahrlässiger Tötung ist das Begehren, der Beschwerdegegner sei ausser der fahrlässigen Tötung auch der groben Verletzung von Verkehrsregeln gemäss Art. 90 Ziff. 2 Abs. 1
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 90 - 1 Mit Busse wird bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt.
SVG schuldig zu erklären, begründet. Wohl kommt eine Verurteilung nach Art. 90
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 90 - 1 Mit Busse wird bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt.
SVG neben derjenigen wegen fahrlässiger Tötung insoweit nicht in Betracht, als der Unfall Giovanni Niros in Frage steht. In dieser Hinsicht werden sowohl die Verstösse des Beschwerdegegners gegen
BGE 96 IV 39 S. 41

Art. 31 Abs. 1
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 31 - 1 Der Führer muss das Fahrzeug ständig so beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann.
und 32 Abs. 1
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 32 - 1 Die Geschwindigkeit ist stets den Umständen anzupassen, namentlich den Besonderheiten von Fahrzeug und Ladung, sowie den Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen. Wo das Fahrzeug den Verkehr stören könnte, ist langsam zu fahren und nötigenfalls anzuhalten, namentlich vor unübersichtlichen Stellen, vor nicht frei überblickbaren Strassenverzweigungen sowie vor Bahnübergängen.
SVG wie die allgemeine Verkehrsgefährdung und die konkrete Gefährdung Niros im Sinne von Art. 90
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 90 - 1 Mit Busse wird bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt.
SVG durch die Bestrafung wegen fahrlässiger Tötung vollumfänglich abgegolten (BGE 91 IV 32 E 3 und 213) Für die dem Karl Wyssen und dem Anselm Dirren zugefügten einfachen Körperverletzungen ist der Beschwerdegegner nicht zur Rechenschaft gezogen worden, weil beide auf einen Strafantrag verzichtet haben. Es stellt sich die Frage, ob in einem solchen Fall der Täter nicht wegen der konkreten Gefährdung der Verletzten zur Verantwortung gezogen werden soll. Die Vorinstanz verneint sie mit der Begründung, es würde sonst derselbe allgemeine und konkrete Gefährdungstatbestand zweimal bestraft. Dem kann nicht beigepflichtet werden. Hätten Wyssen und Dirren Strafantrag gestellt, so wäre der Beschwerdegegner der fahrlässigen Tötung und zudem der fahrlässigen Körperverletzung schuldig befunden worden. Damit wäre die Gefährdung der allgemeinen Verkehrssicherheit und die konkrete Gefährdung der verletzten Personen abgegolten gewesen (BGE 91 IV 32 und 213). Im vorliegenden Fall konnte mangels Strafantrags keine Abgeltung der Gefährdung Wyssens und Dirrens stattfinden. Diese hat deshalb nach Art. 90
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 90 - 1 Mit Busse wird bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt.
SVG zu erfolgen, denn die Gefahr hat sich voll ausgewirkt (ebenso HAEFLIGER, ZStR 1965 S. 264). Würde anders entschieden, dann müsste der Täter, welcher durch Übertretung von Verkehrsvorschriften eine einzige Person fahrlässig verletzt oder tötet, im selben Strafrahmen von Art. 125 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 125 - 1 Wer fahrlässig einen Menschen am Körper oder an der Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe183 bestraft.
1    Wer fahrlässig einen Menschen am Körper oder an der Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe183 bestraft.
2    Ist die Schädigung schwer, so wird der Täter von Amtes wegen verfolgt.
oder 117 StGB bestraft werden wie der andere Täter, der ausser dem Tod einer Person auch noch die Verletzung zweier weiterer Menschen auf dem Gewissen hat, sofern er für diese Körperverletzungen mangels Strafantrags nicht verurteilt werden kann; für die konkrete Gefährdung von zwei weitern Personen, die nach Art. 90 Ziff. 2
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 90 - 1 Mit Busse wird bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt.
SVG ein Delikt ist, bliebe der Täter also straflos.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 96 IV 39
Datum : 10. April 1970
Publiziert : 31. Dezember 1970
Quelle : Bundesgericht
Status : 96 IV 39
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : Art. 90 SVG, Art. 117 und 125 StGB. Durch die Strafe wegen fahrlässiger Tötung einer Person wird die konkrete Gefährdung


Gesetzesregister
SVG: 31 
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 31 - 1 Der Führer muss das Fahrzeug ständig so beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann.
32 
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 32 - 1 Die Geschwindigkeit ist stets den Umständen anzupassen, namentlich den Besonderheiten von Fahrzeug und Ladung, sowie den Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen. Wo das Fahrzeug den Verkehr stören könnte, ist langsam zu fahren und nötigenfalls anzuhalten, namentlich vor unübersichtlichen Stellen, vor nicht frei überblickbaren Strassenverzweigungen sowie vor Bahnübergängen.
90
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 90 - 1 Mit Busse wird bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt.
StGB: 117 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 117 - Wer fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
125
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 125 - 1 Wer fahrlässig einen Menschen am Körper oder an der Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe183 bestraft.
1    Wer fahrlässig einen Menschen am Körper oder an der Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe183 bestraft.
2    Ist die Schädigung schwer, so wird der Täter von Amtes wegen verfolgt.
BGE Register
91-IV-30 • 96-IV-39
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
strafantrag • beschwerdegegner • traktor • busse • verurteilter • kassationshof • vorinstanz • frage • tag • begründung des entscheids • probezeit • gegenverkehr • verkehrssicherheit • tod • fahrender • wallis • weiler • uhr • kantonsgericht • betrug
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