96 I 110
21. Urteil vom 3. Juni 1970 i.S. Hummel gegen Statthalteramt des Bezirkes Uster und Obergericht des Kantons Zürich
Regeste (de):
- Kantonale Nichtigkeitsbeschwerde, Anforderungen an die Begründung. Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
- Die Anforderungen an die Begründung einer kantonalen Nichtigkeitsbeschwerde werden, gleich wie bei übertriebener Formenstrenge, in einer gegen Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
Regeste (fr):
- Recours en nullité cantonal, exigences quant à la motivation. Art. 4 Cst.
- En déclarant irrecevable un recours en nullité cantonal qui invoque de manière évidente, encore que sous une forme malhabile et incohérente, un moyen susceptible d'être présenté à l'appui d'un tel recours, l'autorité applique avec une sévérité exagérée, contraire à l'art. 4 Cst. - comme l'est un excès de formalisme - les exigences posées par la loi en matière de motivation du recours.
Regesto (it):
- Ricorso cantonale per cassazione, requisiti inerenti alla motivazione. Art. 4 CF.
- Dichiarando irricevibile un ricorso cantonale per cassazione che invoca in modo evidente, anche se con una forma maldestra e incoerente, una censura suscettibile d'essere fatta valere in un siffatto ricorso, l'autorità applica con una severità esagerata, contraria all'art. 4 CF - como lo è l'eccesso di formalismo - i requisiti posti dalla legge per la motivazione del ricorso.
Sachverhalt ab Seite 111
BGE 96 I 110 S. 111
A.- Mit Beschluss der II. Zivilkammer des Obergerichtes des Kantons Zürich vom 24. April 1968 wurde der Meliorationsgenossenschaft Maur, vertreten durch ihren Präsidenten Hermann Hummel, verboten, nach Ablauf von zehn Tagen von der Zustellung des Entscheides an gerechnet "Wasser aus der Liegenschaft des Hoteliers Manz, Forchstrasse 775, Scheuren-Forch, in ihre entlang des Genossenschaftsweges unterhalb der Liegenschaft Manz verlaufende Drainage, die schliesslich unter dem Flurweg durch in das Grundstück des Klägers (Forchstrasse 745) und in dessen Sickerleitung führt, aufzunehmen, solange nicht für eine direkte Ableitung des betreffenden Wassers in die Kanalisation gesorgt ist. " Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen dieses Verbot wurde die Überweisung der verantwortlichen Organe der Meliorationsgenossenschaft an den Strafrichter zur Bestrafung mit Haft oder Busse wegen Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung (Art. 292
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 292 - Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, wird mit Busse bestraft. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 292 - Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, wird mit Busse bestraft. |
BGE 96 I 110 S. 112
B.- Gegen dieses Urteil erhob Hummel beim Obergericht des Kantons Zürich gestützt auf § 430 Abs. 1 Ziff. 6 der zürcherischen Strafprozessordnung (StPO) Nichtigkeitsbeschwerde wegen Verletzung materieller Gesetzesvorschriften. Die I. Strafkammer des Obergerichtes trat mit Entscheid vom 23. Februar 1970 nicht auf die Beschwerde ein, im wesentlichen mit folgender Begründung: Unter "Gesetzesvorschriften" im Sinne des § 430 Abs. 1 Ziff. 6 StPO seien alle allgemein verbindlichen Rechtssätze zu verstehen. Keine Rechtsnorm dieser Art sei jedoch eine für den einzelnen Fall getroffene Anordnung, da es sich bei einer solchen nicht um einen generell-abstrakten Rechtssatz handle. Auf die Beschwerde könnte daher nur eingetreten werden, wenn z.B. gerügt würde, der Einzelrichter habe Art. 292
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 292 - Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, wird mit Busse bestraft. |
C.- Gegen den Entscheid der I. Strafkammer des Obergerichtes hat Hummel gestützt auf Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
D.- Die I. Strafkammer des Obergerichtes des Kantons Zürich beantragt Abweisung der Beschwerde; das Statthalteramt Uster hat auf eine Stellungnahme verzichtet.
Erwägungen
Das Bundesgesicht zieht in Erwägung:
1. (Eintretensfrage).
2. Nach Art. 292
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 292 - Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, wird mit Busse bestraft. |
BGE 96 I 110 S. 113
ausführt, muss der Beschwerdeführer zudem angeben, inwiefern und weshalb die Gesetzesvorschrift verletzt sein soll. Der Beschwerdeführer stützte seine Nichtigkeitsbeschwerde auf § 430 Abs. 1 Ziff. 6 StPO und machte ausdrücklich geltend, das angefochtene Urteil verletze materielle Gesetzesvorschriften. Er brachte unter anderem folgendes vor: "Die Meliorationsgenossenschaft Maur ist somit dem obergerichtlichen Befehl nachgekommen. Sie hat nichts versäumt, was ihr rechtens befohlen wurde. Es gebricht somit am objektiven Tatbestand des Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung. Zudem liegt kein rechtlich relevantes Verschulden des Beschwerdeführers und der übrigen Organe der Meliorationsgenossenschaft vor, da sie ja das diffuse Eindringen von Wasser in die Leitung nicht zu verhindern vermochten, es sei denn durch eine Massnahme, welche eindeutig ausserhalb des obergerichtlichen Befehls lag. Auf jeden Fall aber durften die Organe der Meliorationsgenossenschaft nach den Umständen ohne Verschulden den obergerichtlichen Befehl in dem oben dargelegten Sinne verstehen. Der Beschwerdeführer beruft sich daher eventualiter auf Rechtsirrtum im Sinne von Art. 20
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 20 - Besteht ernsthafter Anlass, an der Schuldfähigkeit des Täters zu zweifeln, so ordnet die Untersuchungsbehörde oder das Gericht die sachverständige Begutachtung durch einen Sachverständigen an. |
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BGE 96 I 110 S. 114
angegriffen. Ob diese Auffassung unhaltbar und somit der daraus gezogene Schluss, angesichts der Unmöglichkeit einer Überprüfung der Auslegung des Verbotes durch den Einzelrichter könne das Gericht auf die Nichtigkeitsbeschwerde nicht eintreten, willkürlich ist, kann offen bleiben, da der angefochtene Entscheid aus einem andern Grund vor Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
BGE 96 I 110 S. 115
Tätigkeit vorgeworfen werden könne. Da Ungehorsam gegen amtliche Verfügungen ein Vorsatzdelikt ist, musste bei dieser Sachlage angenommen werden, der Beschwerdeführer habe - zumindest auch - die Verletzung materieller Gesetzesvorschriften, nämlich des Art. 292
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 292 - Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, wird mit Busse bestraft. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 18 - 1 Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben. |
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1 | Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben. |
2 | War dem Täter nicht zuzumuten, das gefährdete Gut preiszugeben, so handelt er nicht schuldhaft. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |