95 I 414
60. Urteil vom 8. Oktober 1969 i.S. Schachtler gegen Obergericht des Kantons Luzern
Regeste (de):
- Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege für die Klage aufgrund von Art. 271 Ziff. 5
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 271 - 1 Der Gläubiger kann für eine fällige Forderung, soweit diese nicht durch ein Pfand gedeckt ist, Vermögensstücke des Schuldners, die sich in der Schweiz befinden, mit Arrest belegen lassen:476
1 Der Gläubiger kann für eine fällige Forderung, soweit diese nicht durch ein Pfand gedeckt ist, Vermögensstücke des Schuldners, die sich in der Schweiz befinden, mit Arrest belegen lassen:476 1 wenn der Schuldner keinen festen Wohnsitz hat; 2 wenn der Schuldner in der Absicht, sich der Erfüllung seiner Verbindlichkeiten zu entziehen, Vermögensgegenstände beiseite schafft, sich flüchtig macht oder Anstalten zur Flucht trifft; 3 wenn der Schuldner auf der Durchreise begriffen ist oder zu den Personen gehört, welche Messen und Märkte besuchen, für Forderungen, die ihrer Natur nach sofort zu erfüllen sind; 4 wenn der Schuldner nicht in der Schweiz wohnt, kein anderer Arrestgrund gegeben ist, die Forderung aber einen genügenden Bezug zur Schweiz aufweist oder auf einer Schuldanerkennung im Sinne von Artikel 82 Absatz 1 beruht; 5 wenn der Gläubiger gegen den Schuldner einen provisorischen oder einen definitiven Verlustschein besitzt; 6 wenn der Gläubiger gegen den Schuldner einen definitiven Rechtsöffnungstitel besitzt. 2 In den unter den Ziffern 1 und 2 genannten Fällen kann der Arrest auch für eine nicht verfallene Forderung verlangt werden; derselbe bewirkt gegenüber dem Schuldner die Fälligkeit der Forderung. 3 Im unter Absatz 1 Ziffer 6 genannten Fall entscheidet das Gericht bei ausländischen Entscheiden, die nach dem Übereinkommen vom 30. Oktober 2007480 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen zu vollstrecken sind, auch über deren Vollstreckbarkeit.481 - Die unentgeltliche Rechtspflege darf dem Kläger nicht verweigert werden, wenn die Betreibung, in welcher der provisorische Verlustschein ausgestellt wurde, im Zeitpunkt der Arrestnahme bereits erloschen war.
Regeste (fr):
- Droit à l'assistance judiciaire gratuite pour l'action en contestation du cas de séquestre, lorsque ce dernier a été requis en application de l'art. 271 ch. 5 LP.
- L'assistance judiciaire ne peut être refusée au débiteur lorsque la poursuite au cours de laquelle un acte de défaut de biens provisoire a été délivré était éteinte au moment du séquestre.
Regesto (it):
- Diritto all'assistenza giudiziaria gratuita per l'azione di rivocazione di un sequestro chiesto sulla base dell'art. 271 num. 5 LEF.
- L'assistenza giudiziaria non può essere rifiutata al debitore quando l'esecuzione in cui è stato rilasciato un attestato provvisorio di carenza di beni era estinta al momento del sequestro.
Erwägungen ab Seite 414
BGE 95 I 414 S. 414
1. In der Betreibung Nr. 9719 des Betreibungsamtes Luzern wurde der Gläubigerin, Atlas Bank in Zürich, am 23. Februar 1967 ein provisorischer Verlustschein ausgestellt. Gestützt darauf erwirkte die Gläubigerin gegen den Schuldner am 21. Februar 1969 einen Arrest. Schachtler erhob Arrestaufhebungsklage,
BGE 95 I 414 S. 415
die er damit begründete, dass die zugrunde liegende Betreibung Nr. 9719 des Betreibungsamtes Luzern mangels Stellung des Verwertungsbegehrens erloschen sei. Der Amtsgerichtspräsident I Luzern-Stadt wies das mit der Klage verbundene Gesuch um Gewährung des Armenrechts wegen Aussichtslosigkeit ab, ebenso das Obergericht des Kantons Luzern den dagegen erhobenen Rekurs. Hiegegen richtet sich die staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, den Rekursentscheid aufzuheben und die Sache zur Weiterbehandlung und zur Gewährung des Armenrechts an das Obergericht zurückzuweisen. Es wird eine Verletzung von Art. 4
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SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
2. Nach den vom Bundesgericht zu Art. 4
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SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
3. Es ist streitig, ob die Arrestaufhebungsklage aussichtslos ist. Wie es sich damit verhält, hängt zunächst davon ab, ob das Arrestbegehren nur solange gestellt werden kann, als die dem provisorischen Verlustschein zugrunde liegende Betreibung noch gültig ist und fortgesetzt werden kann, oder ob er auch nach Hinfall der Betreibung einen Arrestgrund darstellt. Die kantonalen Instanzen nehmen das letztere an. Das Obergericht erklärt unter Hinweis auf LEEMANN, (Der schweiz. Verlustschein, S. 34 ff.), die Literatur sei von jeher überwiegend auf diesem Boden gestanden. Auch das Urteil des Bundesgerichtes in BGE 88 III 67 Erw. 5 könne nur dahin verstanden werden, dass ein Gläubiger gestützt auf einen provisorischen
BGE 95 I 414 S. 416
Verlustschein in jedem Fall die Möglichkeit habe, einen Arrest zu erwirken. FRITZSCHE (Schuldbetreibung, Konkurs und Sanierung, Bd I 269, Bd II 207) pflichte dieser Auffassung des Bundesgerichtes bei. Der Beschwerdeführer vermöge nicht darzutun, weshalb diese Praxis zu Misständen oder zu Rechtsunsicherheit Anlass gäbe.
4. Nach Art. 115
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SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) SchKG Art. 115 - 1 War kein pfändbares Vermögen vorhanden, so bildet die Pfändungsurkunde den Verlustschein im Sinne des Artikels 149. |
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1 | War kein pfändbares Vermögen vorhanden, so bildet die Pfändungsurkunde den Verlustschein im Sinne des Artikels 149. |
2 | War nach der Schätzung des Beamten nicht genügendes Vermögen vorhanden, so dient die Pfändungsurkunde dem Gläubiger als provisorischer Verlustschein und äussert als solcher die in den Artikeln 271 Ziffer 5 und 285 bezeichneten Rechtswirkungen. |
3 | Der provisorische Verlustschein verleiht dem Gläubiger ferner das Recht, innert der Jahresfrist nach Artikel 88 Absatz 2 die Pfändung neu entdeckter Vermögensgegenstände zu verlangen. Die Bestimmungen über den Pfändungsanschluss (Art. 110 und 111) sind anwendbar.245 |
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SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) SchKG Art. 271 - 1 Der Gläubiger kann für eine fällige Forderung, soweit diese nicht durch ein Pfand gedeckt ist, Vermögensstücke des Schuldners, die sich in der Schweiz befinden, mit Arrest belegen lassen:476 |
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1 | Der Gläubiger kann für eine fällige Forderung, soweit diese nicht durch ein Pfand gedeckt ist, Vermögensstücke des Schuldners, die sich in der Schweiz befinden, mit Arrest belegen lassen:476 |
1 | wenn der Schuldner keinen festen Wohnsitz hat; |
2 | wenn der Schuldner in der Absicht, sich der Erfüllung seiner Verbindlichkeiten zu entziehen, Vermögensgegenstände beiseite schafft, sich flüchtig macht oder Anstalten zur Flucht trifft; |
3 | wenn der Schuldner auf der Durchreise begriffen ist oder zu den Personen gehört, welche Messen und Märkte besuchen, für Forderungen, die ihrer Natur nach sofort zu erfüllen sind; |
4 | wenn der Schuldner nicht in der Schweiz wohnt, kein anderer Arrestgrund gegeben ist, die Forderung aber einen genügenden Bezug zur Schweiz aufweist oder auf einer Schuldanerkennung im Sinne von Artikel 82 Absatz 1 beruht; |
5 | wenn der Gläubiger gegen den Schuldner einen provisorischen oder einen definitiven Verlustschein besitzt; |
6 | wenn der Gläubiger gegen den Schuldner einen definitiven Rechtsöffnungstitel besitzt. |
2 | In den unter den Ziffern 1 und 2 genannten Fällen kann der Arrest auch für eine nicht verfallene Forderung verlangt werden; derselbe bewirkt gegenüber dem Schuldner die Fälligkeit der Forderung. |
3 | Im unter Absatz 1 Ziffer 6 genannten Fall entscheidet das Gericht bei ausländischen Entscheiden, die nach dem Übereinkommen vom 30. Oktober 2007480 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen zu vollstrecken sind, auch über deren Vollstreckbarkeit.481 |
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SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) SchKG Art. 285 - 1 Mit der Anfechtung sollen Vermögenswerte der Zwangsvollstreckung zugeführt werden, die ihr durch eine Rechtshandlung nach den Artikeln 286-288 entzogen worden sind.506 |
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1 | Mit der Anfechtung sollen Vermögenswerte der Zwangsvollstreckung zugeführt werden, die ihr durch eine Rechtshandlung nach den Artikeln 286-288 entzogen worden sind.506 |
2 | Zur Anfechtung sind berechtigt:507 |
1 | jeder Gläubiger, der einen provisorischen oder definitiven Pfändungsverlustschein erhalten hat; |
2 | die Konkursverwaltung oder, nach Massgabe der Artikel 260 und 269 Absatz 3, jeder einzelne Konkursgläubiger. |
3 | Nicht anfechtbar sind Rechtshandlungen, die während einer Nachlassstundung stattgefunden haben, sofern sie von einem Nachlassgericht509 oder von einem Gläubigerausschuss (Art. 295a) genehmigt worden sind.510 |
4 | Nicht anfechtbar sind ferner andere Verbindlichkeiten, die mit Zustimmung des Sachwalters während der Stundung eingegangen wurden.511 |
5. Nach Art. 149
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SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) SchKG Art. 149 - 1 Jeder Gläubiger, der an der Pfändung teilgenommen hat, erhält für den ungedeckten Betrag seiner Forderung einen Verlustschein. Der Schuldner erhält ein Doppel des Verlustscheins.296 |
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1 | Jeder Gläubiger, der an der Pfändung teilgenommen hat, erhält für den ungedeckten Betrag seiner Forderung einen Verlustschein. Der Schuldner erhält ein Doppel des Verlustscheins.296 |
1bis | Das Betreibungsamt stellt den Verlustschein aus, sobald die Höhe des Verlustes feststeht.297 |
2 | Der Verlustschein gilt als Schuldanerkennung im Sinne des Artikels 82 und gewährt dem Gläubiger die in den Artikeln 271 Ziffer 5 und 285 erwähnten Rechte. |
3 | Der Gläubiger kann während sechs Monaten nach Zustellung des Verlustscheines ohne neuen Zahlungsbefehl die Betreibung fortsetzen. |
4 | Der Schuldner hat für die durch den Verlustschein verurkundete Forderung keine Zinsen zu zahlen. Mitschuldner, Bürgen und sonstige Rückgriffsberechtigte, welche an Schuldners Statt Zinsen bezahlen müssen, können ihn nicht zum Ersatze derselben anhalten. |
5 | ...298 |
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SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) SchKG Art. 88 - 1 Ist die Betreibung nicht durch Rechtsvorschlag oder durch gerichtlichen Entscheid eingestellt worden, so kann der Gläubiger frühestens 20 Tage nach der Zustellung des Zahlungsbefehls das Fortsetzungsbegehren stellen. |
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1 | Ist die Betreibung nicht durch Rechtsvorschlag oder durch gerichtlichen Entscheid eingestellt worden, so kann der Gläubiger frühestens 20 Tage nach der Zustellung des Zahlungsbefehls das Fortsetzungsbegehren stellen. |
2 | Dieses Recht erlischt ein Jahr nach der Zustellung des Zahlungsbefehls. Ist Rechtsvorschlag erhoben worden, so steht diese Frist zwischen der Einleitung und der Erledigung eines dadurch veranlassten Gerichts- oder Verwaltungsverfahrens still. |
3 | Der Eingang des Fortsetzungsbegehrens wird dem Gläubiger auf Verlangen gebührenfrei bescheinigt. |
4 | Eine Forderungssumme in fremder Währung kann auf Begehren des Gläubigers nach dem Kurs am Tage des Fortsetzungsbegehrens erneut in die Landeswährung umgerechnet werden. |
BGE 95 I 414 S. 417
Verlustscheinen lässt sich wohl kaum rechtfertigen, sie bezüglich des Arrestes gleichzustellen, wenn die Betreibung, die zum provisorischen Verlustschein geführt hat, nicht fortgesetzt wird. Es liegt näher anzunehmen, die Wirkung des provisorischen Verlustscheins beschränke sich auf die Dauer des angehobenen Betreibungsverfahrens, und mit dem Erlöschen der Betreibung falle die Wirkung der vorgenommenen Pfändung dahin. Wenn dem aber so ist, könnte der provisorische Verlustschein nach dem Erlöschen der Betreibung nicht mehr als Grundlage für einen Arrest dienen (so für die Anfechtungsklage JAEGER, Schuldbetreibungs- und Konkurspraxis 1911-1945 zu Art. 285 Note 3). Entsprechendes sollte für den Arrest gelten. Auch die Lehre scheint hiervon auszugehen.
Nach BLUMENSTEIN (Handbuch des schweiz. Schuldbetreibungsrechtes S. 498) bleibt der provisorische Verlustschein solange in Kraft, bis die Betreibung vollständig durchgeführt ist und ein definitiver Verlustschein ausgestellt wird. Inzwischen, nicht auch nachher, äussert er gewisse Wirkungen, die dem definitiven Verlustschein zukommen. Nach JAEGER (zu Art. 115 Note 3) berechtigt der provisorische Verlustschein den Gläubiger, solange die eingeleitete Betreibung ihren Fortgang nimmt, zur Arrestnahme. OVERBECK (Schuldbetreibung und Konkurs, S. 125) führt aus, der provisorische Verlustschein bleibe solange in Kraft, bis das Betreibungsverfahren vollständig, d.h. bis zur Verwertung durchgeführt ist. LEEMANN vertritt keine andere Auffassung. Auch das Bundesgericht hat in BGE 88 III 59 nicht erklärt, der provisorische Verlustschein berechtige zur Arrestnahme. In diesem Entscheid ging es um die Zulässigkeit einer zweiten Betreibung. Das Bundesgericht anerkennt darin, dass vom allgemeinen Verbot, zwei oder mehrere Betreibungen nebeneinander zu führen, bei der Arrestprosequierung eine Ausnahme gelte. Für den Fall, dass die erste Betreibung erloschen ist, wird damit über die Zulässigkeit des Arrestes auf Grund eines provisorischen Verlustscheins nichts ausgesagt. FRITZSCHE (S. 207) und KUMMER (ZbJV 99, 455) nehmen keinen andern Standpunkt ein. Nach diesem muss der Gläubiger den Arrest gestützt auf den provisorischen Verlustschein allerdings prosequieren, und folglich "allenfalls noch vor Erledigung der ersten Betreibung für die nämliche Forderung eine zweite anheben".
BGE 95 I 414 S. 418
6. Es ist nicht streitig, dass die dem provisorischen Verlustschein zugrunde liegende Betreibung gegen den Beschwerdeführer erloschen ist. Die Auffassung des angefochtenen Entscheides, der Verlustschein berechtige trotzdem zur Stellung des Arrestgesuches, erscheint daher als zweifelhaft. Jedenfalls könnte nicht gesagt werden, Gewinnaussichten und Verlustgefahren der Arrestaufhebungsklage hielten sich nicht die Waage und diese sei aussichtslos. Die unentgeltliche Rechtspflege durfte dafür nicht verweigert werden.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Obergerichts des Kantons Luzern vom 31. Juli 1969 aufgehoben.