95 I 206
31. Urteil vom 7. Mai 1969 i.S. Nordmann AG gegen Einwohnergemeinde der Stadt Solothurn und Regierungsrat des Kantons Solothurn.
Regeste (de):
- Kleinhandel mit geistigen Getränken. Bedürfnisklausel.
- Anwendung der Bedürfnisklausel auf die Übertragung eines Kleinhandelspatentes auf einen andern Inhaber und auf eine andere Liegenschaft. Ermessen der kantonalen Behörde und Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts. Bedeutung des Umstandes, dass das Patent von einem kleinen Ladengeschäft auf ein bedeutendes Warenhaus übertragen werden soll.
Regeste (fr):
- Commerce de détail des boissons alcooliques. Clause du besoin.
- Application de la clause du besoin en cas de transfert, à un autre titulaire et dans un autre immeuble, d'une patente pour commerce de détail. Pouvoir d'appréciation de l'autorité cantonale et pouvoir d'examen du Tribunal fédéral. Importance du fait que la patente doit être transférée d'un petit commerce à un grand magasin.
Regesto (it):
- Commercio al dettaglio di bevande alcooliche. Clausola di bisogno.
- Applicazione della clausola di bisogno in caso di trasferimento, ad un altro titolare e in un altro immobile, d'una patente per commercio al dettaglio. Potere d'apprezzamento dell'autorità cantonale e potere d'esame del Tribunale federale. Importanza del fatto che la patente deve essere trasferita da un piccolo commercio ad un grande magazzino.
Sachverhalt ab Seite 206
BGE 95 I 206 S. 206
A.- Nach dem solothurn. Wirtschaftsgesetz vom 6. Dezember 1964 (WG) ist für den Kleinhandel mit geistigen Getränken ein Wirtschaftspatent oder ein besonderes Kleinhandelspatent erforderlich (§ 83 Abs. 1), das vom Regierungsrat erteilt wird (§ 105 Abs. 1). Über die Patentarten bestimmt. § 84
1 Es werden folgende Kleinhandelspatente ausgestellt:
a) für den Kleinhandel mit Wein, Wermutwein, Obstwein, Gärmost und Bier;
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b) für den Kleinhandel mit gebrannten Wassern.
2 Die Kleinhandelspatente können als Voll- oder Teilpatente erteilt werden. Die Ausstellung von Patenten nach lit. a und b auf die gleiche Person ist zulässig (Doppelpatent). Das Kleinhandelspatent wird für eine bestimmte Person und bestimmte Räumlichkeiten in der gleichen Liegenschaft ausgestellt, für 5 Jahre erteilt und bedarf der periodischen Erneuerung (§ 87). Während die Erteilung von Kleinhandelspatenten nach § 84 lit. a nur von gewissen persönlichen und gewerblichen Voraussetzungen abhängig ist (§§ 88, 89), gilt für solche nach § 84 lit. b (die auch zum Versand im Kantonsgebiet berechtigen; § 85 Abs. 2) die Bedürfnisklausel gemäss folgender Bestimmung: § 90
1 Kleinhandelspatente nach § 84 Abs. 1 lit. b dürfen nur erteilt, auf Verkaufslokale einer andern Liegenschaft verlegt oder in ihrem räumlichen Geltungsbereich ausgedehnt werden, wenn unter Berücksichtigung der Zahl der bestehenden Kleinverkaufsstellen für gebrannte Wasser und ihrer Verteilung innerhalb der Gemeinde ein Bedürfnis besteht. 2 Das Bedürfnis ist in der Regel zu verneinen, wenn in einer Gemeinde auf eine in der Vollziehungsverordnung festzusetzende Anzahl Einwohner mehr als eine Kleinverkaufsstelle fällt.... 3 Die Erneuerung der Patente und ihre Übertragung auf andere Personen können vom Bedürfnis abhängig gemacht werden. 4 Apotheken sowie Drogerien, welche die in der Vollziehungsverordnung umschriebenen Voraussetzungen erfüllen, wird für den Verkauf alkoholhaltiger Getränke zu medizinischen Zwecken ein beschränktes Kleinhandelspatent ohne Prüfung des Bedürfnisses erteilt. Solche Kleinverkaufsstellen werden bei der Prüfung des Bedürfnisses mitgezählt.... Die am 31. August 1965 erlassene Vollziehungsverordnung (VV) zum WG bestimmt in § 5 Abs. 4: Die Bedürfnisnormalzahl für den Kleinhandel mit gebrannten Wassern im Sinne von § 90 Abs. 2 des Gesetzes ist auf 1600 Einwohner festgesetzt.
B.- Ernesto Rigo führt im Haus Schmiedengasse 19 in der Innerstadt von Solothurn seit Jahrzehnten ein Comestiblesgeschäft und ist Inhaber eines Kleinhandelspatentes nach § 84 lit. a und b WG (Doppelpatent). Die Nordmann AG betreibt in dem unweit davon gelegenen Haus Gurzelngasse 18 ein
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Warenhaus, für das ihr ein Kleinhandelspatent nach § 84 lit. a erteilt worden ist. Am 29. Dezember 1967 stellten Rigo, der sein Geschäft altershalber aufgeben möchte, und die Nordmann AG das Gesuch, es sei das an Rigo für dessen Ladengeschäft ausgestellte Doppelpatent auf die Firma Nordmann AG und deren Warenhaus zu übertragen. Der Regierungsrat holte Vernehmlassungen der Einwohnergemeinde Solothurn sowie verschiedener Verbände ein und wies dann das Gesuch am 28. Juni 1968 "wegen Fehlen eines objektiven Bedürfnisses" ab.
C.- Mit der staatsrechtlichen Beschwerde stellt die Firma Nordmann AG den Antrag, der Beschluss des Regierungsrates des Kantons Solothurn vom 28. Juni 1968 sei aufzuheben und der Regierungsrat anzuweisen, dem Gesuch um Übertragung des Doppelpatentes von Rigo auf die Beschwerdeführerin zu entsprechen. Sie wirft dem Regierungsrat Verletzung des Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
D.- Der Regierungsrat des Kantons Solothurn beantragt Abweisung der Beschwerde. Die Einwohnergemeinde der Stadt Solothurn hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Staatsrechtliche Beschwerden wegen Verletzung des Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
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2. Nach Art. 32 quater Abs. 1
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SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 31 Freiheitsentzug - 1 Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden. |
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1 | Die Freiheit darf einer Person nur in den vom Gesetz selbst vorgesehenen Fällen und nur auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise entzogen werden. |
2 | Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich und in einer ihr verständlichen Sprache über die Gründe des Freiheitsentzugs und über ihre Rechte unterrichtet zu werden. Sie muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machen. Sie hat insbesondere das Recht, ihre nächsten Angehörigen benachrichtigen zu lassen. |
3 | Jede Person, die in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden; die Richterin oder der Richter entscheidet, ob die Person weiterhin in Haft gehalten oder freigelassen wird. Jede Person in Untersuchungshaft hat Anspruch auf ein Urteil innert angemessener Frist. |
4 | Jede Person, der die Freiheit nicht von einem Gericht entzogen wird, hat das Recht, jederzeit ein Gericht anzurufen. Dieses entscheidet so rasch wie möglich über die Rechtmässigkeit des Freiheitsentzugs. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
3. Kleinhandelspatente für gebrannte Wasser dürfen nur erteilt, auf Verkaufslokale einer andern Liegenschaft übertragen oder in ihrem räumlichen Geltungsbereich ausgedehnt werden, wenn unter Berücksichtigung der Zahl der bestehenden Kleinverkaufsstellen und ihrer Verteilung innerhalb der Gemeinde ein Bedürfnis besteht (§ 90 Abs. 1 WG), was in der Regel zu verneinen ist, wenn in einer Gemeinde auf 1600 Einwohner mehr als eine Kleinverkaufsstelle entfällt (§ 90 Abs. 2 in Verbindung mit § 5 Abs. 4 WG).
Bei der Frage, ob ein Bedürfnis nach einer Kleinhandelsstelle (oder einer Alkoholwirtschaft) bestehe, handelt es sich im wesentlichen um die Würdigung tatsächlicher Verhältnisse nach freiem Ermessen der Bewilligungsbehörde. Da diese mit den in Betracht fallenden örtlichen Verhältnissen besser vertraut ist als das Bundesgericht, weicht dieses nach feststehender Rechtsprechung bei der Prüfung der Bedürfnisfrage nicht ohne triftige Gründe von der Auffassung der obersten kantonalen Behörde ab, sondern nur dann, wenn sie ihr Ermessen überschritten oder missbraucht hat (BGE 51 I 25/26,BGE 54 I 91, BGE 82 I 155 Erw. 4). Das
Bundesgericht hat sodann stets erkannt, dass, wenn auch
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die Bedürfnisklausel im Verhältnis zur Handels- und Gewerbefreiheit eine Ausnahmebestimmung sei, dies die kantonale Behörde nicht hindere, sie mit Strenge anzuwenden und in der Annahme eines Bedürfnisses Zurückhaltung zu üben (BGE 54 I 90, ZBl 62/1961 S. 94 und zahlreiche nicht veröffentlichte Urteile).
4. Die Beschwerdeführerin behauptet, dass alle Voraussetzungen für die Übertragung des Patentes im vorliegenden Falle erfüllt seien, da sich ihr Geschäftsbetrieb im gleichen Quartier kaum 50 m entfernt von demjenigen Rigos befinde und daher insbesondere vom Standpunkt des Bedürfnisses keine Änderung eintrete. a) Wie § 90 WG ausdrücklich bestimmt, darf auch die Verlegung des Kleinhandelspatentes auf Verkaufslokale einer andern Liegenschaft nur erfolgen, wenn dafür "unter Berücksichtigung der Zahl der bestehenden Kleinverkaufsstellen und ihrer Verteilung innerhalb der Gemeinde" ein Bedürfnis besteht. Der Regierungsrat hat im angefochtenen Entscheid gerade diesen beiden Faktoren Rechnung getragen. Er stellte einerseits fest, dass es in der Gemeinde Solothurn auf 18'865 Einwohner 23 Kleinverkaufsstellen, d.h. eine auf 820 Einwohner, gebe, so dass die in § 5 Abs. 4 VV festgesetzte Bedürfnisnormalzahl von 1600 wesentlich unterschritten werde und es an einem objektiven Bedürfnis für die Übertragung des Patentes auf ein Verkaufslokal einer andern Liegenschaft fehle. Anderseits führte er aus, dass auch kein "besonderes Quartierbedürfnis" für die Übertragung vorhanden sei, da von jenen 23 Kleinverkaufsstellen sich 12 im Stadtzentrum, wo auch die Beschwerdeführerin ihr Warenhaus betreibt, befinden, davon mehrere, wie er in der Beschwerdeantwort ergänzend ausführt, gerade in der Nähe dieses Warenhauses. Wenn der Regierungsrat bei dieser Sachlage das Bedürfnis nach der verlangten Patentübertragung verneinte, so hat er die Grenzen des ihm bei der Beurteilung der Bedürfnisfrage zustehenden Ermessens keinesfalls überschritten noch den Sinn und Zweck der gesetzlichen Ordnung verkannt. b) Die Beschwerdeführerin wendet freilich ein, dass die Stadt Solothurn ein Einkaufszentrum von ca. 20 umliegenden Gemeinden sei und dass daher bei der Beurteilung des Bedürfnisses nicht nur von der Einwohnerzahl der Stadt Solothurn auszugehen sei, sondern von derjenigen von "Gross-Solothurn",
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in dem es eine Reihe von Gemeinden gebe, bei welchen die Bedürfnisnormalzahl bei weitem nicht erreicht sei, und viele, die überhaupt über keine Verkaufsstelle verfügen. Selbst wenn diese regionale Bedürfnisbeurteilung mit § 90 Abs. 1 WG, der auf die Verhältnisse innerhalb der Gemeinde abstellt, vereinbar wäre, so würde dies der Beschwerdeführerin nichts helfen, da die unmittelbar angrenzenden Gemeinden, die nach Auffassung des Regierungsrates als Teile einer Agglomeration "Gross-Solothurn" in Frage kämen (Bellach, Langendorf, Zuchwil und Luterbach), zusammen mit der Stadt Solothurn immer noch wesentlich mehr Kleinverkaufsstellen aufweisen, als der Bedürfnisnormalzahl von 1600 entspricht, wie in der Beschwerdeantwort des Regierungsrates dargelegt wird.
5. Der Regierungsrat hat aus dem Gesichtspunkt des Bedürfnisses auch in Betracht gezogen, dass die Übertragung des Patentes von Rigo auf die Beschwerdeführerin zu einer Steigerung des Alkoholkonsums führen würde, da es sich beim Ladengeschäft Rigos um einen Familienbetrieb mit relativ bescheidenem Umsatz an alkoholischen Getränken handle, bei der Beschwerdeführerin dagegen um ein bedeutendes Warenhaus mit allen Möglichkeiten eines Grossunternehmens. Die Beschwerdeführerin behauptet, diese willkürliche Annahme finde keine Stütze im Gesetz, nach dem sich das Bedürfnis einzig nach der Anzahl der Einwohner, nicht nach dem möglichen Verkauf beurteile; der gezielt arbeitende Kleingewerbler könne einen höheren Umsatz erzielen als ein Warenhaus, das den Artikel lediglich der Vollständigkeit seines Verkaufssortiments wegen führe. Auch damit vermag sie indessen eine Verletzung des Art. 4
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um einen Kleinladen mit ca. 20 m2 Verkaufsraum an einer wenig exponierten Verkaufslage. Es leuchtet ein, dass die Übertragung des Patentes von diesem Geschäft auf ein grosses Warenhaus, das an der Haupteinkaufsstrasse Solothurns steht, eine umfangreiche Kundschaft besitzt und diese mit ihren Werbemitteln ständig vergrössern kann, aller Voraussicht nach zu einer beträchtlichen Steigerung des Verkaufs und damit des Konsums von gebrannten Wassern führen wird, zumal wenn man berücksichtigt, dass das Patent, worauf die Beschwerdeführerin in anderm Zusammenhang hinweist, auch zum Versand im Kantonsgebiet berechtigt.
6. Die Beschwerdeführerin wirft dem Regierungsrat schliesslich als rechtsungleiche Behandlung vor, dass er ihre Begehren um Übertragung eines Patentes seit 1949 immer wieder abgewiesen, in dieser Zeit aber andern Gesuchstellern ein entsprechendes Patent neu erteilt oder der Übertragung eines solchen auf sie zugestimmt habe. Sie weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass das Patent der Firma Grolimund, dessen Übertragung auf die Beschwerdeführerin abgewiesen wurde, in der Folge auf die Firma Arici übertragen worden sei; sie erwähnt ferner die Übertragung eines Patentes vom Lagerhaus des Nordwestverbandes landwirtschaftlicher Genossenschaften an der Poststrasse 1 auf ein neu eröffnetes Geschäft an der Wengistrasse 11 und verlangt vom Regierungsrat die Edition weiterer, Patenterteilungen und -übertragungen für die Stadt Solothurn betreffender Akten. Nach Art. 90 lit. b
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BGE 95 I 206 S. 213
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.