Urteilskopf

94 IV 137

37. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 16. Dezember 1968 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn gegen Frey.
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Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 137

BGE 94 IV 137 S. 137

A.- Die Kommanditgesellschaft Alois Frey & Co., Metallgiesserei in Nuglar, deren unbeschränkt haftender Gesellschafter und Geschäftsführer Alois Frey war, kaufte für ihre Arbeiter Renato und Michele Protano einen Personenwagen Fiat, damit sie von ihrem Wohnort an den Arbeitsplatz in Nuglar fahren konnten. Es wurde vereinbart, dass das Auto an dem Tag in das Eigentum der beiden Arbeitnehmer übergehen solle, an dem sie den Kaufpreis vollständig bezahlt hätten. Sie tilgten ihre Schuld gegenüber der Firma Frey dadurch, dass sie sich alle 14 Tage je Fr. 100.-- am Zahltag abziehen liessen. Die Firma Frey sollte ihrerseits entsprechende Zahlungen an die Basellandschaftliche Kantonalbank leisten, welche den Autokauf finanziert hatte. Diese Transaktion wickelte sich so ab, dass die Firma Frey jeweils von ihrem Bankkonto nur die zur Auszahlung der Nettolöhne benötigten Gelder abhob. Aus dem verbleibenden
BGE 94 IV 137 S. 138

Guthaben zahlte sie andere Verpflichtungen, darunter auch die Raten aus ihrem Autokauf. Die Firma nahm Lohnabzüge von insgesamt Fr. 4500.-- vor. Der Verpflichtung zur Weiterleitung der Abzüge an die Kantonalbank kam sie aber nur bis zum Betrag von Fr. 3600.-- nach. Der Rest des Kaufpreises wurde schliesslich durch Dritte getilgt.
B.- Am 19./20./21. Dezember 1967 wurde Alois Frey vom Obergericht des Kantons Solothurn wegen anderer Straftaten verurteilt, hinsichtlich des vorliegenden Sachverhalts jedoch von der Anklage der Veruntreuung freigesprochen. Er habe zwar zivilrecht11ch unrechtmässig gehandelt, sich aber nicht der Veruntreuung schuldig gemacht, da ihm das Geld nicht anvertraut worden sei.
C.- Die Staatsanwaltschaft führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das obergerichtliche Urteil inbezug auf diesen Freispruch aufzuheben und die Sache zur Verurteilung wegen Veruntreuung ev. Betrugs an die Vorinstanz zurückzuweisen. Frey beantragt Abweisung der Beschwerde.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:
Gemäss Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 140 - 1. Wer mit Gewalt gegen eine Person oder unter Androhung gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder nachdem er den Betroffenen zum Widerstand unfähig gemacht hat, einen Diebstahl begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.199
1    Wer mit Gewalt gegen eine Person oder unter Androhung gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder nachdem er den Betroffenen zum Widerstand unfähig gemacht hat, einen Diebstahl begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.199
2    Der Räuber wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr200 bestraft, wenn er zum Zweck des Raubes eine Schusswaffe oder eine andere gefährliche Waffe mit sich führt.
3    Der Räuber wird mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft,
4    Die Strafe ist Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren, wenn der Täter das Opfer in Lebensgefahr bringt, ihm eine schwere Körperverletzung zufügt oder es grausam behandelt.
StGB ist strafbar, wer anvertrautes Gut, namentlich Geld, unrechtmässig in seinem oder eines andern Nutzen verwendet. a) Durch diese Bestimmung ist der Tatbestand der Veruntreuung im Sinne der wirtschaftlichen Betrachtungsweise erweitert worden. Geschützt sind wirtschaftlich fremde Sachen, die wie die zivilrechtlich fremden Sachen im Gewahrsam des Täters der rechtswidrigen Verfügung ausgesetzt sind, wenn sie sich in der tatsächlichen Verfügungsgewalt des Täters befinden. Wirtschaftlich ist es dasselbe, ob der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer den ganzen Lohn bar ausbezahlt und dann einen Teil wieder zurückerhält mit dem Auftrag, für den Arbeitnehmer eine Zahlung vorzunehmen, oder ob er den Betrag vom Lohn abzieht und die Zahlung direkt vornimmt. Wie im Fall Nehmad (BGE 87 IV 115) wäre dem Sinn des Gesetzes nicht Genüge getan, wenn der Täter im einen Fall bestraft würde, im andern nicht; zumal der bargeldlose Zahlungsverkehr nicht nur allgemein in der Wirtschaft grosse Bedeutung erlangt hat, sondern auch die Lohnzahlungen in zunehmendem Masse ganz oder zum Teil bargeldlos vorgenommen werden und die Arbeitgeber immer häufiger Zahlungsaufträge der Arbeitnehmer durch
BGE 94 IV 137 S. 139

Lohnabzug und direkte Überweisung ausführen. Gleich verhält es sich im übrigen, wenn der Lohnabzug nicht auf Vertrag sondern auf Gesetz beruht, insbesondere der Sozialversicherungs-Gesetzgebung; auch hier macht sich der Arbeitgeber der Veruntreuung schuldig, wenn er das Geld unrechtmässig verwendet und es ihm anvertraut war (vgl. BGE 80 IV 188, BGE 82 IV 137 f.). b) Verletzung einer vertraglichen oder gesetzlichen Ablieferungspflicht allein ist nicht Veruntreuung; der Vermögenswert muss auch in diesem Falle dem Täter "anvertraut" sein (BGE 80 IV 55). Anvertraut im Sinn von Art. 140 Ziff. 1 ist, was dem Täter übergeben oder überlassen wird, damit er es in bestimmter Weise im Interesse eines andern verwende, insbesondere es verwahre, verwalte, weitergebe und dergleichen (BGE 80 IV 55, 153, BGE 88 IV 18). Von wem der Täter die Sache erhält, ob vom Verletzten oder von einem Dritten, ist belanglos (BGE 70 IV 73,BGE 75 IV 15). Sie kann sich auch bereits bei ihm befinden (vgl. BGE 88 IV 18). Dass der Ausdruck "anvertraut" besage, die Sache müsse dem Täter von jemandem ausgehändigt worden sein, wie das in einem Teil der Literatur, freilich ohne weitere Begründung, vertreten wird, ist nicht einzusehen. Das Wort "anvertraut" ("confié", "affidato") bestimmt mit aller wünschbaren Deutlichkeit, dass der Täter zum Verletzten in bezug auf die Sache in einem Vertrauensverhältnis stehen muss. Darüber aber, wie er die Verfügungsgewalt über die Sache erlangt, ist ihm nichts zu entnehmen. Es genügt, dass er sie hat; ob aufgrund einer Übergabe oder nicht, ist gleichgültig. Entscheidend ist, dass ein Vertrauensverhältnis besteht; das heisst im Falle des Lohnabzuges, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber den abgezogenen Betrag zum Zweck der Weitergabe an eine bestimmte (natürliche oder juristische) Person und im Vertrauen darauf, dass er ihn bestimmungsgemäss verwende, belässt. Mit der Vornahme des vereinbarten Lohnabzugs zur Verwendung im Interesse des Arbeitnehmers wird der abgezogene Betrag zum wirtschaftlich fremden und damit anvertrauten Bestandteil des Vermögens des Arbeitgebers, unabhängig auch davon, ob dieser ihn speziell ausscheidet oder nicht.
Dispositiv

Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 94 IV 137
Date : 16. Dezember 1968
Published : 31. Dezember 1969
Source : Bundesgericht
Status : 94 IV 137
Subject area : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Subject : Art. 140 Ziff. 1 Abs. 2 StGB. a) Der Veruntreuung macht sich auch der Arbeitgeber schuldig, der Lohnabzüge nicht bestimmungsgemäss


Legislation register
StGB: 140
BGE-register
70-IV-71 • 75-IV-15 • 80-IV-184 • 80-IV-53 • 82-IV-136 • 87-IV-115 • 88-IV-18 • 94-IV-137
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