92 II 68
11. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 11. März 1966 i.S. Vollenweider gegen Agrarhandel AG.
Regeste (de):
- Revision (Art. 137 lit. a
und b OG).
- 1. Haben die Strafbehörden durch Einstellungsbeschluss oder Freisprechung die Begehung der im Revisionsgesuch behaupteten strafbaren Handlung verneint, so ist ihr Entscheid für das Bundesgericht verbindlich (Erw. 1). Es steht dem Bundesgericht in einem solchen Falle nicht zu, anhand der Strafakten oder weiterer Beweismittel selbständig zu prüfen, ob die betreffende Handlung doch begangen worden sei, wenn auch als nicht strafbare (Erw. 2).
- 2. Die Revision eines Urteils des Bundesgerichtes kann nicht dadurch erwirkt werden, dass zu einer schon im frühern Verfahren aufgestellten Behauptung nachträglich ein Gutachten angerufen oder vorgelegt wird. Das gilt sowohl dann, wenn durch ein neues Gutachten das Ergebnis einer bereits erfolgten Begutachtung widerlegt werden will, als auch dann, wenn im frühern Verfahren der Antrag auf Begutachtung abgelehnt (oder nicht gestellt) wurde (Erw. 3).
Regeste (fr):
- Revision (art. 137 lit. a et b OJ).
- 1. Lorsque l'autorité pénale a constaté, par un non-lieu ou par un acquittement, que l'infraction alléguée dans la demande de revision n'a pas été perpétrée, cette décision lie le Tribunal fédéral (consid. 1) qui, dans ce cas, ne peut rechercher lui-même, en se fondant sur le dossier ou sur d'autres moyens de preuve, si l'acte a été commis, encore qu'il ne fûtpeut-être pas punissable (consid.2).
- 2. On ne saurait obtenir la revision d'un arrêt du Tribunal fédéral parce qu'on a demandé ou déposé une expertise, après la première instance, à l'appui d'un fait qui avait déjà été allégué. Ce principe vaut aussi bien lorsque, par le nouveau moyen invoqué, on veut infirmer les conclusions d'une première expertise que lorsque l'administration de cette preuve n'avait pas été requise ou a été refusée au cours de la première procédure (consid. 3).
Regesto (it):
- Revisione (art. 137 lett. a
e b OG).
- 1. Se le autorità penali, mediante decreto di abbandono o assoluzione, hanno negato che il reato addotto nella domanda di revisione è stato commesso, il Tribunale federale è vincolato da tale decisione (consid. 1). In un simile caso, il Tribunale federale non ha da esaminare esso medesimo, sulla base degli atti o di altri mezzi di prova, se il reato è stato commesso, quand'anche non fosse punibile (consid. 2).
- 2. La revisione d'una sentenza del Tribunale federale non può essere ottenuta per il fatto che, a sostegno di un rilievo già allegato nella precedente istanza, si è successivamente chiesta o presentata una perizia. Questo principio vale sia quando, con la nuova prova, si vogliono infirmare le conclusioni di una prima perizia, sia pure quando l'amministrazione di questa prova non era stata chiesta od era stata rifiutata nella prima procedura (consid. 3).
Sachverhalt ab Seite 69
BGE 92 II 68 S. 69
Aus dem Tatbestand:
Vollenweider war bis Ende Juni 1955 bei der Agrarhandel AG in Amriswil angestellt. Auf Weisung des Verwaltungsratspräsidenten der Agrarhandel AG und ihrer in Utzenstorf niedergelassenen Muttergesellschaft E. Steffen-Ris AG beauftragte Buchhalter Keller in Utzenstorf mit Schreiben vom 8. Juli 1955 die Filiale Amriswil der Thurgauischen Kantonalbank, Vollenweider Fr. 292.-- als Restanspruch Lohn Juni zur Verfügung zu halten und ihn den Empfang des Betrages auf einer dem Schreiben beigelegten Quittung bestätigen zu lassen. Die Zahlung erfolgte am 18. Juli 1955. Die von Vollenweider unterzeichnete Quittung für die Agrarhandel AG nennt als Schuldgrund "Lohn Rest-Guthaben pro Juni 1955, als Saldo aller Ansprüche". Mit Klage vom 12. Juni 1959 verlangte Vollenweider von seiner frühern Arbeitgeberin unter anderm die Nachzahlung von Fr. 500.-- Lohn für den Monat Juni 1955. Er machte geltend, der Saldovermerk auf der Quittung vom 18. Juli 1955 sei erst nach der Unterzeichnung durch ihn angebracht worden. Nach Anhörung von Zeugen wies das Obergericht des Kantons Thurgau die Klage ab. Es nahm an, die Saldoklausel habe sich schon bei der Unterzeichnung der Quittung darauf befunden. Am 11. Februar 1963 bestätigte das Bundesgericht dieses Urteil. In der Folge erhob Vollenweider Strafklage wegen Urkundenfälschung. Die Untersuchungsbehörde liess die Quittung vom 18. Juli 1955 durch einen Schriftsachverständigen begutachten. Mit Beschluss vom 2. Dezember 1965 stellte die Anklagekammer des Kantons Thurgau das Strafverfahren ein. Das vor allem auf die Strafakten gestützte Gesuch Vollenweiders um Revision des Urteils vom 11. Februar 1963 wird vom Bundesgericht abgewiesen.
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
1. Der Gesuchsteller ist der Meinung, die Strafuntersuchung habe durch das Gutachten Bachmann ergeben, dass die Quittung vom 18. Juli 1955 die Saldoklausel noch nicht enthalten habe, als er sie unterzeichnete. Es liege also objektiv der Tatbestand der Urkundenfälschung vor. Damit sei Art. 137 lit. a
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BGE 92 II 68 S. 70
erwiesen wird, dass durch ein Verbrechen oder Vergehen zum Nachteil des Gesuchstellers auf den Entscheid eingewirkt wurde. a) In BGE 81 II 478 Erw. 2 lit. b hat die I. Zivilabteilung entschieden, wenn ein Strafverfahren stattgefunden habe, könne das behauptete Verbrechen oder Vergehen nur durch dieses Verfahren selber bewiesen werden. Satz 2 von Art. 137 lit. a
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BGE 92 II 68 S. 71
hätte würdigen sollen. Der Revisionsgrund von Art. 137 lit. a
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2. Der Gesuchsteller macht geltend, "die Feststellungen in der Strafuntersuchung, insbesondere des Experten Bachmann zur Urkunde, wären natürlich eventuell neue Tatsachen im Sinne von Art. 137 lit. b
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3. Das Gutachten Bachmann ist auch nicht etwa ein neues entscheidendes Beweismittel im Sinne von Art. 137 lit. b
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BGE 92 II 68 S. 72
ausgelegt, so hätten die Parteien es in der Hand, die Beweiswürdigung nachträglich immer wieder durch Gutachten anzufechten. Das ist nicht der Sinn der Bestimmung. Sie will nur Beweismittel zulassen, die der Gesuchsteller "im frühern Verfahren nicht beibringen konnte", wobei "können" nicht "dürfen", sondern eine tatsächliche Fähigkeit bedeutet. Gutachten können die Parteien im Prozess immer anrufen. Der Umstand, dass der Richter sie nicht zulässt, besonders weil er sie als unerheblich erachtet, bildet keinen Grund, sie unter dem Gesichtspunkt von Art. 137 lit. b
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