90 IV 241
51. Urteil des Kassationshofes vom 23. Dezember 1964 i.S. Osterwalder gegen Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen.
Regeste (de):
- Art. 41 Ziff. 3 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn: a eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder b eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann. 2 Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen. 3 Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36). - Die Probezeit beginnt mit der Eröffnung des Urteils zu laufen, das vollstreckbar wird. Ob es dem Verurteilten mündlich oder schriftlich, ihm selber oder seinem Anwalt eröffnet werde, ist gleichgültig.
Regeste (fr):
- Art. 41 ch. 3 al. 1 CP. Début du délai d'épreuve.
- Le délai d'épreuve commence à courir dès la communication du jugement qui devient exécutoire. Peu importe que la communication soit faite verbalement ou par écrit et qu'elle soit adressée au condamné lui-même ou à son défenseur.
Regesto (it):
- Art. 41 cifra 3 cpv. 1 CP. Inizio del periodo di prova.
- Il periodo di prova comincia a decorrere con la comunicazione delle sentenza che diventa esecutiva. È indifferente che la comunicazione avvenga verbalmente o per scritto, e che sia fatta al condannato stesso o al suo difensore.
Sachverhalt ab Seite 241
BGE 90 IV 241 S. 241
A.- Das Bezirksgericht St. Gallen verurteilte Osterwalder am 17. Juni 1960 wegen verschiedener Straftaten zu einer bedingt vollziehbaren Gefängnisstrafe von zehn Wochen und setzte ihm drei Jahre Probezeit. Das Urteil wurde Osterwalder gleichentags mündlich eröffnet und am 14. Oktober 1960 in vollständiger Ausfertigung zugestellt. Es blieb unangefochten. Am 3. September 1963 beging Osterwalder wieder strafbare Handlungen. Er wurde deswegen am 20. März 1964 vom gleichen Gericht zu vier Wochen Gefängnis verurteilt.
B.- Gestützt auf die neue rechtskräftige Verurteilung verfügte das Bezirksgericht St. Gallen am 25. August 1964, die am 17. Juni 1960 ausgefällte Gefängnisstrafe sei zu vollziehen. Es nahm an, die dreijährige Probezeit habe erst am 28. Oktober 1960, als das Urteil in Rechtskraft erwachsen und vollstreckbar geworden sei, zu laufen begonnen;
BGE 90 IV 241 S. 242
Osterwalder habe daher bei Begehung der neuen Taten noch unter Bewährungsprobe gestanden.
C.- Osterwalder führt gegen diese Verfügung Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, sie aufzuheben. Er macht geltend, seine neuen Verfehlungen fielen nicht mehr in die Probezeit, da diese mit der Eröffnung des Urteils, also schon am 17. Juni 1960 zu laufen begonnen habe.
D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen beantragt, die Beschwerde gutzuheissen.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. Nach Art. 41
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn: |
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1 | Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn: |
a | eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder |
b | eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann. |
2 | Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen. |
3 | Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36). |
BGE 90 IV 241 S. 243
Eröffnung oder Mitteilung des Urteils, in andern aber erst mit der Vollstreckbarkeit oder mit der Rechtskraft des Entscheides zu laufen beginnen. Beim Bestreben, eine einheitliche Regelung zu erreichen, wird man sich freilich vor Augen halten müssen, dass sich keine finden lässt, die in jedem Fall sowohl dem kantonalen Verfahrensrecht wie dem materiellen Bundesrecht gerecht zu werden vermöchte; es kann sich nur darum handeln, eine Lösung zu treffen, die in der überwiegenden Mehrheit der Fälle dem Sinn und Zweck des Art. 41
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn: |
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1 | Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn: |
a | eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder |
b | eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann. |
2 | Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen. |
3 | Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36). |
BGE 90 IV 241 S. 244
Hierüber gibt sich der Verurteilte erfahrungsgemäss am ehesten Rechenschaft, wenn ihm das Urteil eröffnet wird. Das gilt insbesondere für die mündliche Eröffnung, da diesfalls der Richter den Verurteilten zu ermahnen und auf die Folgen einer Nichtbewährung aufmerksam zu machen pflegt. Die mündliche Eröffnung dürfte zudem vor erster Instanz durchaus die Regel sein. Anerkennt der Verurteilte den erstinstanzlichen Entscheid und wird die Bestrafung als solche auch von keiner andern Seite angefochten, so wird er annehmen, dass er bereits von der Eröffnung an unter Bewährungsprobe stehe. Das verwundert nicht, denn zum Begriff der Warnung gehört, dass sie von der Mitteilung an gilt. Es wäre deshalb unbillig, dem Verurteilten für den Fall, dass nach dem kantonalen Prozessrecht das Urteil erst mit dem unbenützten Ablauf der Rechtsmittelfrist in Rechtskraft erwächst, die Zeit zwischen der Eröffnung und dem Inkrafttreten des Entscheides nicht auf die Bewährungsfrist anzurechnen. Von ähnlichen Überlegungen liess sich der Kassationshof schon in den Fällen Stuber und Keller leiten. Den Beginn der Probezeit stets von der Rechtskraft oder der Vollstreckbarkeit des Urteils abhängig machen, hiesse sehr oft, ihn in unbestimmte Zukunft verlegen, womit die Wirksamkeit der Warnung abgeschwächt würde. Rechtsungleiche Behandlungen wären zudem unvermeidlich. Ungleichheiten ergäben sich vor allem daraus, dass die kantonalen Strafprozessordnungen die Rechtskraft und die Vollstreckbarkeit des Urteils sehr unterschiedlich regeln. So wird z.B. im Kanton Bern die Rechtskraft auf den Tag der Ausfällung des Urteils zurückbezogen, selbst wenn gegen dieses appelliert und die Appellation zurückgezogen worden ist (Art. 297 Abs. 2
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 297 Beendigung des Einsatzes - 1 Die Staatsanwaltschaft beendet den Einsatz unverzüglich, wenn: |
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1 | Die Staatsanwaltschaft beendet den Einsatz unverzüglich, wenn: |
a | die Voraussetzungen nicht mehr erfüllt sind; |
b | die Genehmigung oder die Verlängerung verweigert wird; oder |
c | die verdeckte Ermittlerin oder der verdeckte Ermittler oder die Führungsperson Instruktionen nicht befolgt oder in anderer Weise ihre Pflichten nicht erfüllt, namentlich die Staatsanwaltschaft wissentlich falsch informiert. |
2 | Sie teilt in den Fällen nach Absatz 1 Buchstaben a und c dem Zwangsmassnahmengericht die Beendigung des Einsatzes mit. |
3 | Bei der Beendigung ist darauf zu achten, dass weder die verdeckte Ermittlerin oder der verdeckte Ermittler noch in die Ermittlung einbezogene Dritte einer abwendbaren Gefahr ausgesetzt werden. |
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 361 Hauptverhandlung - 1 Das erstinstanzliche Gericht führt eine Hauptverhandlung durch. |
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1 | Das erstinstanzliche Gericht führt eine Hauptverhandlung durch. |
2 | An der Hauptverhandlung befragt das Gericht die beschuldigte Person und stellt fest, ob: |
a | sie den Sachverhalt anerkennt, welcher der Anklage zu Grunde liegt; und |
b | diese Erklärung mit der Aktenlage übereinstimmt. |
3 | Das Gericht befragt wenn nötig auch die übrigen anwesenden Parteien. |
4 | Ein Beweisverfahren findet nicht statt. |
SR 312.0 Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO) - Strafprozessordnung StPO Art. 363 Zuständigkeit - 1 Das Gericht, welches das erstinstanzliche Urteil gefällt hat, trifft auch die einer gerichtlichen Behörde übertragenen selbstständigen nachträglichen Entscheide, sofern Bund oder Kantone nichts anderes bestimmen. |
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1 | Das Gericht, welches das erstinstanzliche Urteil gefällt hat, trifft auch die einer gerichtlichen Behörde übertragenen selbstständigen nachträglichen Entscheide, sofern Bund oder Kantone nichts anderes bestimmen. |
2 | Hat die Staatsanwaltschaft im Strafbefehlsverfahren oder die Übertretungsstrafbehörde im Übertretungsstrafverfahren entschieden, so treffen diese Behörden auch die nachträglichen Entscheide. |
3 | Für nachträgliche Entscheide, die nicht dem Gericht zustehen, bestimmen Bund und Kantone die zuständigen Behörden. |
BGE 90 IV 241 S. 245
der Rechtskraft des Urteils an laufen, so könnte einem Verurteilten gegenüber, der in der Zeit zwischen der Eröffnung des Urteilsspruches und der Zustellung der vollständigen Urteilsausfertigung wieder straffällig wird, der bedingte Strafvollzug wohl im Kanton Bern, nicht aber im Kanton St. Gallen widerrufen werden. Solche Ungleichheiten lassen sich vermeiden, wenn die Zeit zwischen der Eröffnung und dem Inkrafttreten des Urteils auf die Probezeit angerechnet wird; die Nichtbewährung während der angerechneten Zeit führt dann einheitlich zum Widerruf. Ob das Urteil dem Verurteilten schriftlich oder mündlich, ihm selber oder seinem Anwalt eröffnet werde, darf dabei keinen Unterschied machen. Die eine wie die andere Mitteilung muss genügen. b) Wird der erstinstanzliche Strafentscheid, der den Verurteilten unter Bewährungsprobe stellt, sei es von diesem selbst oder vom Ankläger an eine obere Instanz weitergezogen, so läuft die Frist von der Eröffnung desjenigen Urteils an, das nach Abschluss des Verfahrens zur Vollstreckung kommt. Massgebend ist demnach, ob im Falle der Abweisung des Rechtsmittels der angefochtene Entscheid bestehen bleibt und vollstreckbar wird oder ob an seine Stelle das oberinstanzliche Urteil tritt. Dieses ist der Fall bei der Berufung oder Appellation, jenes in der Regel bei der Nichtigkeits- oder Kassationsbeschwerde. Demgemäss läuft die Probezeit im Falle der Appellation oder Berufung von der Eröffnung des oberinstanzlichen Urteils, im Falle der Nichtigkeits- oder Kassationsbeschwerde von der Eröffnung des mit der Beschwerde angefochtenen Entscheides an.
2. Im vorliegenden Fall ist somit davon auszugehen, dass die dreijährige Probezeit mit der Eröffnung des Urteils, also am 17. Juni 1960, zu laufen begonnen hat. Sie war daher am 3. September 1963, als Osterwalder erneut straffällig wurde, bereits abgelaufen. Für die Anwendung des Art. 41 Ziff. 3 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn: |
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1 | Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn: |
a | eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder |
b | eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann. |
2 | Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen. |
3 | Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36). |
BGE 90 IV 241 S. 246
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen und die Verfügung des Bezirksgerichts St. Gallen vom 25. August 1964 aufgehoben.