Urteilskopf

90 IV 214

44. Urteil des Kassationshofes vom 30. Oktober 1964 i.S. Roth gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern.
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 214

BGE 90 IV 214 S. 214

A.- Roth fuhr am 19. September 1963 mit seinem Personenwagen auf der Hauptstrasse von Luzern Richtung Gerliswil. Um 9.30 Uhr näherte er sich mit etwa 40 km/Std. dem Seetalplatz in Emmenbrücke, wo die 67-jährige Frau Buri sich soeben anschickte, die 9 m breite Strasse auf einem Fussgängerstreifen von rechts nach links zu überschreiten. Sie tat von einer Verkehrsinsel aus einen oder zwei Schritte über die Strasse, kehrte
BGE 90 IV 214 S. 215

dann aber a ngesichts des von links nahenden Wagens au die Insel zurück. Roth, der wegen der Fussgängerin gebremst hatte, um ihr den Vortritt gewähren zu können, beschleunigte daraufhin die Fahrt wieder. Als er nur noch einige Meter vom Streifen entfernt war, betrat Frau Buri die Strasse von neuem und begann sie raschen Schrittes zu üb erqueren. Obschon Roth sogleich kräftig bremste und nach links auszuweichen versuchte, konnte er den Zusammenstoss nicht mehr vermeiden. Frau Buri wurde mitten auf dem Fussgängerstreifen vom Wagen frontal erfasst und auf die Strasse geschleudert. Sie erlitt schwere Verletzungen, die zu ihrem Tode führten.

B.- Das Amtsgericht Hochdorf verurteilte Roth wegen Übertretung von Art. 26 Abs. 2
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 26 - 1 Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet.
1    Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet.
2    Besondere Vorsicht ist geboten gegenüber Kindern, Gebrechlichen und alten Leuten, ebenso wenn Anzeichen dafür bestehen, dass sich ein Strassenbenützer nicht richtig verhalten wird.
und 33
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 33 - 1 Den Fussgängern ist das Überqueren der Fahrbahn in angemessener Weise zu ermöglichen.112
1    Den Fussgängern ist das Überqueren der Fahrbahn in angemessener Weise zu ermöglichen.112
2    Vor Fussgängerstreifen hat der Fahrzeugführer besonders vorsichtig zu fahren und nötigenfalls anzuhalten, um den Fussgängern den Vortritt zu lassen, die sich schon auf dem Streifen befinden oder im Begriffe sind, ihn zu betreten.113
3    An den Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel ist auf ein- und aussteigende Personen Rücksicht zu nehmen.
SVG und Art. 6
SR 741.11 Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV)
VRV Art. 6 - (Art. 33 SVG)
1    Vor Fussgängerstreifen ohne Verkehrsregelung muss der Fahrzeugführer jedem Fussgänger oder Benützer eines fahrzeugähnlichen Gerätes, der sich bereits auf dem Streifen befindet oder davor wartet und ersichtlich die Fahrbahn überqueren will, den Vortritt gewähren.60 Er muss die Geschwindigkeit rechtzeitig mässigen und nötigenfalls anhalten, damit er dieser Pflicht nachkommen kann.61
2    Bei Verzweigungen mit Verkehrsregelung haben abbiegende Fahrzeugführer den Fussgängern oder Benützern von fahrzeugähnlichen Geräten für das Überqueren der Querstrasse den Vortritt zu lassen.62 Dies gilt bei Lichtsignalen nicht, wenn die Fahrt durch einen grünen Pfeil freigegeben wird und kein gelbes Warnlicht blinkt.
3    Auf Strassen ohne Fussgängerstreifen hat der Fahrzeugführer im Kolonnenverkehr nötigenfalls zu halten, wenn Fussgänger oder Benützer von fahrzeugähnlichen Geräten darauf warten, die Fahrbahn zu überqueren.63
4    Unbegleiteten Blinden ist der Vortritt stets zu gewähren, wenn sie durch Hochhalten des weissen Stockes anzeigen, dass sie die Fahrbahn überqueren wollen.
5    Die Führer dürfen gekennzeichnete Schulbusse, die halten und die Warnblinklichter eingeschaltet haben (Art. 23 Abs. 3 Bst. a), nur langsam und besonders vorsichtig überholen; nötigenfalls müssen sie halten.64
VRV sowie wegen fahrlässiger Tötung zu Fr. 300.-- Busse. Das Obergericht des Kantons Luzern bestätigte am 9. Juli 1964 dieses Urteil im Schuldspruch, verurteilte Roth jedoch nicht nur zu Fr. 300.-- Busse, sondern auch zu einer Gefängnisstrafe von einem Monat, deren Vollzug es bedingt aufschob.
C.- Der Verurteilte führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag auf Freisprechung.
D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern beantragt, die Beschwerde abzuweisen.
Erwägungen

Der Kassationshof zieht in Erwägung:

1. Nach Art. 33 Abs. 2
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 33 - 1 Den Fussgängern ist das Überqueren der Fahrbahn in angemessener Weise zu ermöglichen.112
1    Den Fussgängern ist das Überqueren der Fahrbahn in angemessener Weise zu ermöglichen.112
2    Vor Fussgängerstreifen hat der Fahrzeugführer besonders vorsichtig zu fahren und nötigenfalls anzuhalten, um den Fussgängern den Vortritt zu lassen, die sich schon auf dem Streifen befinden oder im Begriffe sind, ihn zu betreten.113
3    An den Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel ist auf ein- und aussteigende Personen Rücksicht zu nehmen.
SVG hat der Fahrzeugführer vor Fussgängerstreifen besonders vorsichtig zu fahren und nötigenfalls anzuhalten, um Fussgängern, die sich schon auf dem Streifen befinden oder im Begriffe sind, ihn zu betreten, den Vortritt zu lassen. Diese Regel war teils wörtlich, teils dem Sinne nach bereits in Art. 45 Abs. 3
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 33 - 1 Den Fussgängern ist das Überqueren der Fahrbahn in angemessener Weise zu ermöglichen.112
1    Den Fussgängern ist das Überqueren der Fahrbahn in angemessener Weise zu ermöglichen.112
2    Vor Fussgängerstreifen hat der Fahrzeugführer besonders vorsichtig zu fahren und nötigenfalls anzuhalten, um den Fussgängern den Vortritt zu lassen, die sich schon auf dem Streifen befinden oder im Begriffe sind, ihn zu betreten.113
3    An den Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel ist auf ein- und aussteigende Personen Rücksicht zu nehmen.
MFV enthalten. Sie verpflichtet den Fahrer, der sich einem Fussgängerstreifen ohne Verkehrsregelung nähert, zu besonderer Aufmerksamkeit und Rücksichtnahme, und zwar nicht nur im Verhältnis zu Kindern, Gebrechlichen und alten Leuten, sondern allen Fussgängern gegenüber. Bestehen
BGE 90 IV 214 S. 216

Anzeichen dafür, dass Fussgänger die Strasse noch vor seiner Durchfahrt überqueren, ihm gegenüber also vom Vortrittsrecht Gebrauch machen könnten, so hat er sich rechtzeitig durch Mässigung der Geschwindigkeit darauf einzustellen (Art. 6 Abs. 1
SR 741.11 Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV)
VRV Art. 6 - (Art. 33 SVG)
1    Vor Fussgängerstreifen ohne Verkehrsregelung muss der Fahrzeugführer jedem Fussgänger oder Benützer eines fahrzeugähnlichen Gerätes, der sich bereits auf dem Streifen befindet oder davor wartet und ersichtlich die Fahrbahn überqueren will, den Vortritt gewähren.60 Er muss die Geschwindigkeit rechtzeitig mässigen und nötigenfalls anhalten, damit er dieser Pflicht nachkommen kann.61
2    Bei Verzweigungen mit Verkehrsregelung haben abbiegende Fahrzeugführer den Fussgängern oder Benützern von fahrzeugähnlichen Geräten für das Überqueren der Querstrasse den Vortritt zu lassen.62 Dies gilt bei Lichtsignalen nicht, wenn die Fahrt durch einen grünen Pfeil freigegeben wird und kein gelbes Warnlicht blinkt.
3    Auf Strassen ohne Fussgängerstreifen hat der Fahrzeugführer im Kolonnenverkehr nötigenfalls zu halten, wenn Fussgänger oder Benützer von fahrzeugähnlichen Geräten darauf warten, die Fahrbahn zu überqueren.63
4    Unbegleiteten Blinden ist der Vortritt stets zu gewähren, wenn sie durch Hochhalten des weissen Stockes anzeigen, dass sie die Fahrbahn überqueren wollen.
5    Die Führer dürfen gekennzeichnete Schulbusse, die halten und die Warnblinklichter eingeschaltet haben (Art. 23 Abs. 3 Bst. a), nur langsam und besonders vorsichtig überholen; nötigenfalls müssen sie halten.64
Satz 1 VRV). Der Fussgänger seinerseits ist gemäss Art. 49 Abs. 2
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 49 - 1 Fussgänger müssen die Trottoirs benützen. Wo solche fehlen, haben sie am Strassenrand und, wenn besondere Gefahren es erfordern, hintereinander zu gehen. Wenn nicht besondere Umstände entgegenstehen, haben sie sich an den linken Strassenrand zu halten, namentlich ausserorts in der Nacht.
1    Fussgänger müssen die Trottoirs benützen. Wo solche fehlen, haben sie am Strassenrand und, wenn besondere Gefahren es erfordern, hintereinander zu gehen. Wenn nicht besondere Umstände entgegenstehen, haben sie sich an den linken Strassenrand zu halten, namentlich ausserorts in der Nacht.
2    Die Fussgänger haben die Fahrbahn vorsichtig und auf dem kürzesten Weg zu überschreiten, nach Möglichkeit auf einem Fussgängerstreifen. Sie haben den Vortritt auf diesem Streifen, dürfen ihn aber nicht überraschend betreten.119
SVG verpflichtet, den Streifen nicht überraschend zu betreten. Das heisst, dass er nicht nach Belieben, sondern nur dann Anspruch darauf hat, die Strasse vor einem nahenden Fahrzeug zu überqueren, wenn es dessen Führer noch möglich ist, ihm den Vortritt zu lassen, ohne jemanden zu gefährden. Andernfalls hat er vor dem Streifen zu warten und das Fahrzeug durchzulassen. Daran ändert auch Art. 6 Abs. 1
SR 741.11 Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV)
VRV Art. 6 - (Art. 33 SVG)
1    Vor Fussgängerstreifen ohne Verkehrsregelung muss der Fahrzeugführer jedem Fussgänger oder Benützer eines fahrzeugähnlichen Gerätes, der sich bereits auf dem Streifen befindet oder davor wartet und ersichtlich die Fahrbahn überqueren will, den Vortritt gewähren.60 Er muss die Geschwindigkeit rechtzeitig mässigen und nötigenfalls anhalten, damit er dieser Pflicht nachkommen kann.61
2    Bei Verzweigungen mit Verkehrsregelung haben abbiegende Fahrzeugführer den Fussgängern oder Benützern von fahrzeugähnlichen Geräten für das Überqueren der Querstrasse den Vortritt zu lassen.62 Dies gilt bei Lichtsignalen nicht, wenn die Fahrt durch einen grünen Pfeil freigegeben wird und kein gelbes Warnlicht blinkt.
3    Auf Strassen ohne Fussgängerstreifen hat der Fahrzeugführer im Kolonnenverkehr nötigenfalls zu halten, wenn Fussgänger oder Benützer von fahrzeugähnlichen Geräten darauf warten, die Fahrbahn zu überqueren.63
4    Unbegleiteten Blinden ist der Vortritt stets zu gewähren, wenn sie durch Hochhalten des weissen Stockes anzeigen, dass sie die Fahrbahn überqueren wollen.
5    Die Führer dürfen gekennzeichnete Schulbusse, die halten und die Warnblinklichter eingeschaltet haben (Art. 23 Abs. 3 Bst. a), nur langsam und besonders vorsichtig überholen; nötigenfalls müssen sie halten.64
Satz 2 VRV nichts. Diese Bestimmung kann nicht gestatten, was Art. 49 Abs. 2
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 49 - 1 Fussgänger müssen die Trottoirs benützen. Wo solche fehlen, haben sie am Strassenrand und, wenn besondere Gefahren es erfordern, hintereinander zu gehen. Wenn nicht besondere Umstände entgegenstehen, haben sie sich an den linken Strassenrand zu halten, namentlich ausserorts in der Nacht.
1    Fussgänger müssen die Trottoirs benützen. Wo solche fehlen, haben sie am Strassenrand und, wenn besondere Gefahren es erfordern, hintereinander zu gehen. Wenn nicht besondere Umstände entgegenstehen, haben sie sich an den linken Strassenrand zu halten, namentlich ausserorts in der Nacht.
2    Die Fussgänger haben die Fahrbahn vorsichtig und auf dem kürzesten Weg zu überschreiten, nach Möglichkeit auf einem Fussgängerstreifen. Sie haben den Vortritt auf diesem Streifen, dürfen ihn aber nicht überraschend betreten.119
SVG und Art. 47 Abs. 3
SR 741.11 Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV)
VRV Art. 47 Überschreiten der Fahrbahn - (Art. 49 Abs. 2 SVG)
1    Die Fussgänger müssen, besonders vor und hinter haltenden Wagen, behutsam auf die Fahrbahn treten; sie haben die Strasse ungesäumt zu überschreiten. Sie müssen Fussgängerstreifen, Über- oder Unterführungen benützen, wenn diese weniger als 50 m entfernt sind.
2    Auf Fussgängerstreifen ohne Verkehrsregelung haben die Fussgänger den Vortritt, ausser gegenüber der Strassenbahn. Sie dürfen jedoch vom Vortrittsrecht nicht Gebrauch machen, wenn das Fahrzeug bereits so nahe ist, dass es nicht mehr rechtzeitig anhalten könnte.178
3    Bei Fussgängerstreifen ohne Verkehrsregelung, die durch eine Verkehrsinsel unterteilt sind, gilt jeder Teil des Überganges als selbständiger Streifen.179
4    ...180
5    Ausserhalb von Fussgängerstreifen haben die Fussgänger den Fahrzeugen den Vortritt zu lassen.
6    ...181
Satz 2 VRV ausdrücklich verbieten, den Fussgänger folglich nicht berechtigen, sich noch rasch auf die Strasse zu begeben und den Vortritt zu erwirken, wenn ein Fahrzeug sich bereits unmittelbar vor dem Streifen befindet, jedoch so schnell fährt, dass es nicht mehr davor anhalten kann. Hat er die Strasse aber auf angemessene Entfernung vor dem nahenden Fahrzeug betreten, so soll der Fussgänger sein Vorhaben ungehindert und in der Erwartung ausführen können, der Fahrer werde sich pflichtgemäss verhalten. Er braucht alsdann auch nicht besonders kundzutun, dass er das Vortrittsrecht ausüben wolle; der Fahrzeugführer hat sich vielmehr zu sagen, dass dies der Fall sei, und darf auf Verzicht nur schliessen, wenn der Fussgänger sich in eindeutiger Weise seines Rechtes begibt (BGE 86 IV 37 f., BGE 89 II 53 f., BGE 89 IV 211).
2. Das Obergericht wirft dem Beschwerdeführer vor, er habe darin, dass Frau Buri auf die Verkehrsinsel zurücktrat, noch keinen eindeutigen Verzicht auf ihr Vortrittsrecht erblicken dürfen. Er habe leicht erkennen können, dass es sich um eine ältere Frau handelte, die bei seinem Herannahen unsicher geworden sei. Er hätte sich sagen müssen, dass sie die Geschwindigkeit seines Fahrzeuges
BGE 90 IV 214 S. 217

nicht richtig einschätzen könne, und daher nicht damit rechnen dürfen, dass sie sich einwandfrei verhalten und die Vorbeifahrt des Wagens abwarten werde. Statt den Lauf weiter zu mässigen, habe er sich darauf verlassen, dass Frau Buri auf der Verkehrsinsel bleiben werde. Dadurch habe er den Art. 26 Abs. 2
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 26 - 1 Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet.
1    Jedermann muss sich im Verkehr so verhalten, dass er andere in der ordnungsgemässen Benützung der Strasse weder behindert noch gefährdet.
2    Besondere Vorsicht ist geboten gegenüber Kindern, Gebrechlichen und alten Leuten, ebenso wenn Anzeichen dafür bestehen, dass sich ein Strassenbenützer nicht richtig verhalten wird.
und 33
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 33 - 1 Den Fussgängern ist das Überqueren der Fahrbahn in angemessener Weise zu ermöglichen.112
1    Den Fussgängern ist das Überqueren der Fahrbahn in angemessener Weise zu ermöglichen.112
2    Vor Fussgängerstreifen hat der Fahrzeugführer besonders vorsichtig zu fahren und nötigenfalls anzuhalten, um den Fussgängern den Vortritt zu lassen, die sich schon auf dem Streifen befinden oder im Begriffe sind, ihn zu betreten.113
3    An den Haltestellen öffentlicher Verkehrsmittel ist auf ein- und aussteigende Personen Rücksicht zu nehmen.
SVG sowie Art. 6
SR 741.11 Verkehrsregelnverordnung vom 13. November 1962 (VRV)
VRV Art. 6 - (Art. 33 SVG)
1    Vor Fussgängerstreifen ohne Verkehrsregelung muss der Fahrzeugführer jedem Fussgänger oder Benützer eines fahrzeugähnlichen Gerätes, der sich bereits auf dem Streifen befindet oder davor wartet und ersichtlich die Fahrbahn überqueren will, den Vortritt gewähren.60 Er muss die Geschwindigkeit rechtzeitig mässigen und nötigenfalls anhalten, damit er dieser Pflicht nachkommen kann.61
2    Bei Verzweigungen mit Verkehrsregelung haben abbiegende Fahrzeugführer den Fussgängern oder Benützern von fahrzeugähnlichen Geräten für das Überqueren der Querstrasse den Vortritt zu lassen.62 Dies gilt bei Lichtsignalen nicht, wenn die Fahrt durch einen grünen Pfeil freigegeben wird und kein gelbes Warnlicht blinkt.
3    Auf Strassen ohne Fussgängerstreifen hat der Fahrzeugführer im Kolonnenverkehr nötigenfalls zu halten, wenn Fussgänger oder Benützer von fahrzeugähnlichen Geräten darauf warten, die Fahrbahn zu überqueren.63
4    Unbegleiteten Blinden ist der Vortritt stets zu gewähren, wenn sie durch Hochhalten des weissen Stockes anzeigen, dass sie die Fahrbahn überqueren wollen.
5    Die Führer dürfen gekennzeichnete Schulbusse, die halten und die Warnblinklichter eingeschaltet haben (Art. 23 Abs. 3 Bst. a), nur langsam und besonders vorsichtig überholen; nötigenfalls müssen sie halten.64
VRV zuwidergehandelt, den Tod der Verunfallten also fahrlässig verursacht. Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Es gibt zweifellos immer noch zahlreiche Fahrzeugführer, namentlich Autofahrer, welche die Furcht vieler Fussgänger vor herannahenden Fahrzeugen leichtsinnig oder gar bewusst ausnützen und sich so gebärden, als ob das Vortrittsrecht ihnen zustände. Solchem Gebaren ist auch dann, wenn es nicht zu Unfällen führt, mit aller Strenge entgegenzutreten. Dass es häufig vorkommt, darf die Strafverfolgungsbehörden nicht davon abhalten, Fehlbare zur Verantwortung zu ziehen, soll das Vortrittsrecht des Fussgängers nicht weitgehend illusorisch bleiben.
Das heisst nicht, dass die Anforderungen an den Fahrzeugführer, der sich rechtzeitig vorsieht und einem zaghaften oder ängstlichen Fussgänger den Vortritt lassen will, überspannt werden dürfen. Der Beschwerdeführer hat sich mit höchstens 40 km/Std. dem Fussgängerstreifen genähert, eine Geschwindigkeit, die angesichts der 9 m breiten, übersichtlichen und trockenen Strasse auch nach der Auffassung des Obergerichts nicht übersetzt war. Als Frau Buri den Streifen das erste Mal betrat, hat er sogleich gebremst, um ihr den Vortritt zu lassen. Obschon sie in diesem Augenblick die Strasse ohne Gefahr hätte überqueren können, sah sie davon ab und kehrte auf die Schutzinsel zurück. Ein solches Verhalten kam aber einem klaren Verzicht auf das Vortrittsrecht gleich, musste den Beschwerdeführer folglich nicht daran hindern, die Fahrt wieder zu beschleunigen. Dadurch unterscheidet sich der vorliegende Fall denn auch deutlich von dem in BGE 89 II 50 veröffentlichten, wo der Fussgänger nach mehreren
BGE 90 IV 214 S. 218

Schritten auf dem Streifen stehenblieb, dann aber, ohne zurückzuweichen, den Weg fortsetzte. Ob Frau Buri auf ihr Vortrittsrecht verzichten wollte oder nicht, kann dahingestellt bleiben, weil darauf nichts ankommt; massgebend ist allein, wie der Autofahrer die Lage nach ihrem Verhalten beurteilen musste. Gewiss ist dem Beschwerdeführer nicht entgangen, eine ältere Frau vor sich zu haben. Nichts in den Akten deutet jedoch darauf hin, dass Frau Buri, abgesehen von ihrer Unsicherheit, irgendwelche Unbeholfenheit an den Tag gelegt hätte. Unsicher oder ängstlich war sie nur, weil sie ein Auto nahen sah. Nachdem sie auf die Schutzinsel zurückgetreten war, sich also in Sicherheit befand, hatte sie hiezu keinen ersichtlichen Anlass mehr. Es war deshalb nicht zu erwarten, dass sie die Strasse unversehens wieder betreten könnte. Der Beschwerdeführer musste damit umsoweniger rechnen, als er nun dem Streifen viel näher, und die Gefahr, um derentwillen sie die Strasse verlassen hatte, viel grösser war. Dass Anhaltspunkte für eine Unsicherheit selbst dann noch bestanden hätten, als Frau Buri sich in Sicherheit befand, stellt das Obergericht nicht fest. Auch die Zeugen sagten dies nicht. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichtes, auf dessen Urteil die Vorinstanz verweist, waren diese vielmehr einhellig der Auffassung, dass die Fussgängerin die Strasse auch für sie völlig unerwartet wieder betreten habe. Der Zeuge Müller, der auf einem Motorroller hinter dem Beschwerdeführer herfuhr, sich also in einer durchaus ähnlichen Lage befand wie dieser, hatte angesichts des Verhaltens der Fussgängerin sogar den bestimmten Eindruck bekommen, Frau Buri werde auf der Insel warten und nicht nur den Autofahrer, sondern auch ihn durchlassen. Es liegt auch nichts dafür vor, dass der Beschwerdeführer die Fussgängerin durch seine Fahrweise hätte täuschen können. Nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz hat er nicht gebremst, als Frau Buri von der Strasse zurücktrat, sondern als sie die Strasse betrat.
BGE 90 IV 214 S. 219

Nach dem, was in tatsächlicher Hinsicht feststeht, kann dem Beschwerdeführer somit keine Pflichtwidrigkeit zur Last gelegt werden; er ist freizusprechen. Ob ein Fahrer, der Verkehrsregeln verletzt und dadurch fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht, nicht nur nach Art. 117
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 117 - Wer fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
StGB, sondern auch nach Art. 90
SR 741.01 Strassenverkehrsgesetz vom 19. Dezember 1958 (SVG)
SVG Art. 90 - 1 Mit Busse wird bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt.
1    Mit Busse wird bestraft, wer Verkehrsregeln dieses Gesetzes oder der Vollziehungsvorschriften des Bundesrates verletzt.
2    Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe wird bestraft, wer durch grobe Verletzung der Verkehrsregeln eine ernstliche Gefahr für die Sicherheit anderer hervorruft oder in Kauf nimmt.
3    Mit Freiheitsstrafe von einem bis zu vier Jahren wird bestraft, wer durch vorsätzliche Verletzung elementarer Verkehrsregeln das hohe Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern eingeht, namentlich durch besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, waghalsiges Überholen oder Teilnahme an einem nicht bewilligten Rennen mit Motorfahrzeugen.
3bis    Die Mindeststrafe von einem Jahr kann bei Widerhandlungen gemäss Absatz 3 unterschritten werden, wenn ein Strafmilderungsgrund nach Artikel 48 StGB235 vorliegt, insbesondere wenn der Täter aus achtenswerten Beweggründen gehandelt hat.236
3ter    Der Täter kann bei Widerhandlungen gemäss Absatz 3 mit Freiheitsstrafe bis zu vier Jahren oder Geldstrafe bestraft werden, wenn er nicht innerhalb der letzten zehn Jahre vor der Tat wegen eines Verbrechens oder Vergehens im Strassenverkehr mit ernstlicher Gefahr für die Sicherheit anderer, respektive mit Verletzung oder Tötung anderer verurteilt wurde.237
4    Eine besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit liegt vor, wenn diese überschritten wird um:
a  mindestens 40 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 30 km/h beträgt;
b  mindestens 50 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 50 km/h beträgt;
c  mindestens 60 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit höchstens 80 km/h beträgt;
d  mindestens 80 km/h, wo die Höchstgeschwindigkeit mehr als 80 km/h beträgt.238
5    Artikel 237 Ziffer 2 des Strafgesetzbuches239 findet in diesen Fällen keine Anwendung.
SVG zu bestrafen ist, wie das Obergericht annimmt, braucht bei diesem Ergebnis nicht entschieden zu werden.
Dispositiv

Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern vom 9. Juli 1964 aufgehoben und die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers an die Vorinstanz zurückgewiesen.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 90 IV 214
Date : 30. Oktober 1964
Published : 31. Dezember 1964
Source : Bundesgericht
Status : 90 IV 214
Subject area : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Subject : Art. 33 Abs. 2 und 49 Abs. 2 SVG, Art. 6 Abs. 1 und 47 Abs. 3 VRV. 1. Die besondere Vorsichtspflicht des Fahrzeugführers


Legislation register
MFV: 45
SVG: 26  33  49  90
StGB: 117
VRV: 6  47
BGE-register
86-IV-35 • 89-II-49 • 89-IV-209 • 90-IV-214
Keyword index
Sorted by frequency or alphabet
right of way • behavior • traffic island • lower instance • convicted person • death • court of cassation • diligence • automobile • hamlet • forfeit • witness • statement of affairs • distance • correctness • painter • intention • month • day • traffic regulation • main street • watch • corn
... Don't show all