89 IV 7
3. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 27. März 1963 i.S. Grünig gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn.
Regeste (de):
- Art. 134 Ziff. 1 Abs. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 134 - Wer sich an einem Angriff auf einen oder mehrere Menschen beteiligt, der den Tod oder die Körperverletzung eines Angegriffenen oder eines Dritten zur Folge hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe193 bestraft.
- Voraussehbarkeit des Todes.
- Es genügt, dass der Täter den Tod des Kindes als nicht bloss ganz entfernte Möglichkeit voraussehen konnte.
Regeste (fr):
- Art. 134 ch. 1 al. 3 CP.
- Prévision de l'issue mortelle.
- Il suffit que l'auteur ait pu prévoir la mort de l'enfant comme une possibilité qui n'était pas tout à fait lointaine.
Regesto (it):
- Art. 134 num. 1 cpv. 3 CP.
- Prevedibilità della morte: Bssta che l'autore abbia potuto prevedere la morte del fanciullo come eventualità non particolarmente lontana.
Sachverhalt ab Seite 7
BGE 89 IV 7 S. 7
A.- Frau Grünig nahm am Morgen des 14. Februar 1962 ihr sechseinhalb Monate altes Kind aus dem Stubenwagen, weil es unruhig war und zwängte. Da ihre Versuche, es zu beruhigen, keinen Erfolg hatten und sie aufgeregt war, warf sie das Kind mit Wucht in den Stubenwagen zurück. Das Geflecht des Wagens verursachte dadurch dem Kind auf der linken Seite der Stirne mehrere Hautschürfungen. Als das Kind am frühen Nachmittag des gleichen Tages noch immer unruhig war und fortwährend weinte, riss Frau Grünig es erneut aus dem Stubenwagen und schleuderte es mit voller Wucht auf den Tisch. Ob es dabei den Kopf an eine hölzerne Nähkassette oder an die Wand stiess oder ob es vom Tisch kopfvoran auf den Boden fiel, steht nicht fest. Jedenfalls hatte der Wurf auf den Tisch einen Schädelbruch und Kugelblutungen im Stammhirn zur Folge. Das Kind schrie darauf nicht mehr, sondern wimmerte nur noch. Frau Grünig bekam Angst, fasste das Kind kräftig mit der einen Hand am Nacken und mit der andern auf dem Gesicht und schüttelte es heftig. Da sich sein Zustand verschlimmerte, legte sie es auf das Bett und machte Wiederbelebungsversuche. Nach einer weitern Verschlechterung des Zustandes rief sie telephonisch den Arzt. Als dieser eintraf, war das Kind tot. Es war infolge der Misshandlung vom frühen Nachmittag erstickt, wobei ungewiss ist, ob die Gewalteinwirkung auf das Gehirn oder der
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kräftige Griff auf das Gesicht, durch den Nase und Mund verschlossen worden sein können, diese Folge hatte.
B.- Am 3. Dezember 1962 erklärte das Obergericht des Kantons Solothurn Frau Grünig der Misshandlung eines Kindes mit voraussehbarer Todesfolge im Sinne von Art. 134 Ziff. 1 Abs. 1
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 134 - Wer sich an einem Angriff auf einen oder mehrere Menschen beteiligt, der den Tod oder die Körperverletzung eines Angegriffenen oder eines Dritten zur Folge hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe193 bestraft. |
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 134 - Wer sich an einem Angriff auf einen oder mehrere Menschen beteiligt, der den Tod oder die Körperverletzung eines Angegriffenen oder eines Dritten zur Folge hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe193 bestraft. |
C.- Die Verurteilte führt Nichtigkeitsbeschwerde. Sie beantragt dem Bundesgericht, das Obergericht anzuweisen, sie nur gemäss Art. 134 Ziff. 1 Abs. 1
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 134 - Wer sich an einem Angriff auf einen oder mehrere Menschen beteiligt, der den Tod oder die Körperverletzung eines Angegriffenen oder eines Dritten zur Folge hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe193 bestraft. |
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 134 - Wer sich an einem Angriff auf einen oder mehrere Menschen beteiligt, der den Tod oder die Körperverletzung eines Angegriffenen oder eines Dritten zur Folge hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe193 bestraft. |
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Anwendung des Art. 134 Ziff. 1 Abs. 3
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 134 - Wer sich an einem Angriff auf einen oder mehrere Menschen beteiligt, der den Tod oder die Körperverletzung eines Angegriffenen oder eines Dritten zur Folge hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe193 bestraft. |
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 119 - 1 Der Abbruch einer Schwangerschaft ist straflos, wenn er nach ärztlichem Urteil notwendig ist, damit von der schwangeren Frau die Gefahr einer schwerwiegenden körperlichen Schädigung oder einer schweren seelischen Notlage abgewendet werden kann. Die Gefahr muss umso grösser sein, je fortgeschrittener die Schwangerschaft ist. |
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1 | Der Abbruch einer Schwangerschaft ist straflos, wenn er nach ärztlichem Urteil notwendig ist, damit von der schwangeren Frau die Gefahr einer schwerwiegenden körperlichen Schädigung oder einer schweren seelischen Notlage abgewendet werden kann. Die Gefahr muss umso grösser sein, je fortgeschrittener die Schwangerschaft ist. |
2 | Der Abbruch einer Schwangerschaft ist ebenfalls straflos, wenn er innerhalb von zwölf Wochen seit Beginn der letzten Periode auf schriftliches Verlangen der schwangeren Frau, die geltend macht, sie befinde sich in einer Notlage, durch eine zur Berufsausübung zugelassene Ärztin oder einen zur Berufsausübung zugelassenen Arzt vorgenommen wird. Die Ärztin oder der Arzt hat persönlich mit der Frau vorher ein eingehendes Gespräch zu führen und sie zu beraten. |
3 | Ist die Frau nicht urteilsfähig, so ist die Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreterin oder ihres gesetzlichen Vertreters erforderlich. |
4 | Die Kantone bezeichnen die Praxen und Spitäler, welche die Voraussetzungen für eine fachgerechte Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen und für eine eingehende Beratung erfüllen. |
5 | Ein Schwangerschaftsabbruch wird zu statistischen Zwecken der zuständigen Gesundheitsbehörde gemeldet, wobei die Anonymität der betroffenen Frau gewährleistet wird und das Arztgeheimnis zu wahren ist. |
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 123 - 1. Wer vorsätzlich einen Menschen in anderer Weise an Körper oder Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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1 | Wer vorsätzlich einen Menschen in anderer Weise an Körper oder Gesundheit schädigt, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
2 | Der Täter wird von Amtes wegen verfolgt,177 |
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 134 - Wer sich an einem Angriff auf einen oder mehrere Menschen beteiligt, der den Tod oder die Körperverletzung eines Angegriffenen oder eines Dritten zur Folge hat, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe193 bestraft. |
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stark hätte aufdrängen sollen. Gewiss ist die Mindeststrafe von einem Jahr Zuchthaus hoch. Das ist aber folgerichtig, wenn berücksichtigt wird, dass auch die nicht mit voraussehbaren Todesfolgen verbundene Misshandlung eines Kindes schon mindestens einen Monat Gefängnis nach sich zieht. Wer ein Kind misshandelt, verhält sich schon an sich rechtswidrig und strafbar. Wenn der Täter dabei den Tod des Opfers voraussehen kann und nach dem Gesetze mit mindestens einem Jahr Zuchthaus bestraft wird, so ist die Strafe in erster Linie Sühne für die vorsätzliche Misshandlung und nur in zweiter Linie auch für die fahrlässige Tötung des Kindes. Misshandlung mit voraussehbarer Todesfolge ist vorsätzliches Verbrechen mit einem vom Vorsatz nicht erfassten, aber pflichtwidrig ausser acht gelassenen Erfolge und ist daher wesentlich schwerer als eine fahrlässige Tötung, bei der sich das verpönte Verhalten des Täters in reiner Fahrlässigkeit erschöpft. Für die Anwendung des Art. 134 Ziff. 1 Abs. 3 muss genügen, dass der Täter den Tod des Kindes als nicht bloss ganz entfernte Möglichkeit voraussehen konnte. Dabei ist die Frage der Voraussehbarkeit wie in den Fällen des Art. 18 Abs. 3
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 18 - 1 Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben. |
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1 | Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben. |
2 | War dem Täter nicht zuzumuten, das gefährdete Gut preiszugeben, so handelt er nicht schuldhaft. |
2. a) Da nach dem gerichtsmedizinischen Gutachten des Prof. Dr. Läuppi nicht festgestellt werden konnte, ob der Erstickungstod des Kindes auf die beim Wurf auf den Tisch entstandene Hirnverletzung oder darauf zurückzuführen ist, dass die Beschwerdeführerin nachher die Hand auf Nase und Mund des Kindes hielt, als sie dieses schüttelte, kann Art. 134 Ziff. 1 Abs. 3 nur angewendet werden, wenn das Merkmal der Voraussehbarkeit des Todes sowohl für die eine als auch für die andere Tat bejaht werden muss.
b) Dass der Tod als Folge des Wurfes auf den Tisch objektiv vorauszusehen war, steht ausser Frage. Das Kind wurde brutal geschleudert, so heftig, dass sein Schädel brach, sei es, indem es den Kopf an eine hölzerne Nähkassette
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oder an die Wand stiess, sei es, indem es kopfvoran auf den Boden stürzte. Mit dem Anschlagen oder dem Sturz war zu rechnen, ebenso mit dem Schädelbruch und mit der damit zusammenhängenden Hirnverletzung. Die Voraussehbarkeit ist, objektiv betrachtet, umsomehr zu bejahen, als die Beschwerdeführerin in heftiger Gemütsbewegung handelte. Der in solcher Verfassung geworfene Körper kann leicht anderswie oder anderswohin fallen, als der Werfende es beabsichtigt. Weniger drängt sich auf, dass auch das Bedecken des Gesichtes mit der Hand zum Erstickungstode führen konnte. Die Beschwerdeführerin führte jedoch auch diese Handlung nicht überlegt und sanft aus, sondern sie fasste den Kopf mit beiden Händen kräftig an. Der mit der einen Hand auf das Gesicht ausgeübte Druck erhöhte die Gefahr, dass Nase und Mund verschlossen würden. Das heftige Schütteln des Kopfes trug ebenfalls zur Behinderung der Atmung bei und hatte ausserdem zur Folge, dass der kräftige Griff eine gewisse Weile andauerte. Solche Brutalität rückte den möglichen Erfolg nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge in die Nähe. Dass das Kind bei diesem Anpacken und Schütteln ersticken könnte, war, objektiv betrachtet, umsomehr voraussehbar, als es durch die vorausgehende Misshandlung bereits verletzt und geschwächt war.