89 I 425
61. Auszug aus dem Urteil vom 27. November 1963 i.S. M. gegen Erben V. und Mieterschutzkommission des Kantons St. Gallen.
Regeste (de):
- Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
- Es ist nicht willkürlich, der getrennt lebenden Ehefrau, die den Mietvertrag nicht als Mieterin unterzeichnet hat, selbst dann das Recht abzusprechen, in eigenem Namen gegen die Kündigung des Vertrages Einsprache zu erheben, wenn sie auf Grund einer richterlichen Anordnung die eheliche Wohnung allein benutzt und der Ehemann von einer Einsprache Abstand nimmt (Erw. 2). Wann hat die Mieterschutzbehörde vorfrageweise die obligationenrechtliche Gültigkeit der Kündigung zu prüfen? (Erw. 4).
Regeste (fr):
- Art. 4 Cst., 34 OCL.
- Lorsque l'épouse, qui vit séparée, n'a pas signé le contrat de bail en qualité de locataire, il n'est pas arbitraire de lui refuser le droit de s'opposer en son propre nom à la résiliation du contrat, même lorsqu'elle occupe seule l'appartement conjugal en vertu d'une ordonnance du juge et que le mari s'abstient de faire opposition (consid. 2). Quand l'autorité compétente en matière de protection des locataires doit-elle examiner à titre préjudiciel la validité du congé du point de vue du droit des obligations (consid. 4)?
Regesto (it):
- Art. 4 CF, 34 OCP.
- Se la moglie, che vive separata, non ha firmato il contratto di locazione in qualità di locataria, non è arbitrario rifiutarle il diritto di opporsi in proprio nome alla disdetta del contratto; e ciò anche se occupa sola l'appartamento coniugale in virtù di un decreto del giudice e se il marito si astiene dal fare opposizione (consid. 2). Quando l'autorità competente in materia di protezione dei locatari deve esaminare a titolo pregiudiziale la validità della disdetta secondo il diritto delle obbligazioni (consid. 4)?
Sachverhalt ab Seite 426
BGE 89 I 425 S. 426
Die Eheleute M.-R. wurden am 21. Januar 1963 im Sinne von Art. 146
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. (Prozessuales.)
2. Gemäss Art. 34 Abs. 1 der Verordnung über Mietzinse
BGE 89 I 425 S. 427
und Kündigungsbeschränkung (VMK) vom 11. April 1961 kann eine nach Obligationenrecht gültige Kündigung des Mietvertrages durch den Vermieter "auf Begehren des Mieters" unzulässig erklärt werden, wenn sie nach den Umständen des Falles ungerechtfertigt erscheint. Diese Vorschrift stimmt wörtlich mit Art. 4 Abs. 1 des Bundesratsbeschlusses betreffend Massnahmen gegen die Wohnungsnot (BMW) vom 15. Oktober 1941/8. Februar 1946 überein. Das Bundesgericht hat mit Urteil vom 23. September 1948 i.S. Curchod (auszugsweise wiedergegeben in SJZ 45 S. 291; vgl. auch BIRCHMEIER, ZBl 1949 S. 143) entschieden, es sei nicht willkürlich, das in Art. 4 BMW enthaltene Wort "Mieter" ausschliesslich in dem Sinne zu verstehen, den Art. 253
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 253 - Durch den Mietvertrag verpflichtet sich der Vermieter, dem Mieter eine Sache zum Gebrauch zu überlassen, und der Mieter, dem Vermieter dafür einen Mietzins zu leisten. |
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 270 - 1 Der Mieter kann den Anfangsmietzins innert 30 Tagen nach Übernahme der Sache bei der Schlichtungsbehörde als missbräuchlich im Sinne der Artikel 269 und 269a anfechten und dessen Herabsetzung verlangen, wenn: |
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1 | Der Mieter kann den Anfangsmietzins innert 30 Tagen nach Übernahme der Sache bei der Schlichtungsbehörde als missbräuchlich im Sinne der Artikel 269 und 269a anfechten und dessen Herabsetzung verlangen, wenn: |
a | er sich wegen einer persönlichen oder familiären Notlage oder wegen der Verhältnisse auf dem örtlichen Markt für Wohn- und Geschäftsräume zum Vertragsabschluss gezwungen sah; oder |
b | der Vermieter den Anfangsmietzins gegenüber dem früheren Mietzins für dieselbe Sache erheblich erhöht hat. |
2 | Im Falle von Wohnungsmangel können die Kantone für ihr Gebiet oder einen Teil davon die Verwendung des Formulars gemäss Artikel 269d beim Abschluss eines neuen Mietvertrags obligatorisch erklären. |
BGE 89 I 425 S. 428
zwischen den bisherigen Vertragsparteien oder deren Erben. Nimmt der Ehemann als Mieter die Kündigung entgegen, dann ist der bisherige Mietvertrag aufgehoben. Würde der Ehefrau des Mieters ein selbständiges Einspracherecht zuerkannt, so wäre der Vermieter im Falle der Gutheissung der Einsprache gehalten, der Einsprecherin, die ihm gegenüber eine Drittperson ist, den Genuss der Mietsache zu den mit dem Mieter vereinbarten Bedingungen zu überlassen. Da der bisherige Mietvertrag durch die widerspruchslose Entgegennahme der Kündigung aufgehoben ist, könnte diese Überlassung kaum als "Erneuerung" des Vertrages im Sinne von Art. 37 Abs. 1 VMK aufgefasst werden; es läge vielmehr näher, von der Begründung eines neuen Mietverhältnisses zu sprechen. Weil dieses nicht auf einer Willenseinigung der Beteiligten beruhen würde, sondern auf der Gutheissung der Einsprache, also einem Verwaltungsakt, hätte das Verhältnis nur noch den Inhalt mit einem privatrechtlichen Vertrag gemein. Die VMK enthält keine Anhaltspunkte dafür, dass die verordnende Gewalt eine derart weitgehende Ausschaltung der privatrechtlichen Elemente zugunsten des öffentlichen Rechts (vgl. OFTINGER, ZSR 57 S. 509a f.) ins Auge fasste. Das Bundesgericht sieht sich daher nicht veranlasst, auf seine auch im Schrifttum gebilligte (vgl. THUT, SJZ 45 S. 291/92) Rechtsprechung zurückzukommen, wonach es nicht willkürlich ist, der Ehefrau des Mieters ein selbständiges Recht zur Einsprache gegen die Kündigung abzuerkennen. Wenn die kantonale Mieterschutzkommission im nämlichen Sinne entschieden hat, so hat sie demnach nicht willkürlich gehandelt. Ebenso wenig kann ihr eine rechtsungleiche Behandlung vorgeworfen werden, weil sie die Legitimationsfrage früher anders beantwortet habe. Der Grundsatz der Rechtsgleichheit steht einer sachlich begründeten Praxisänderung nicht entgegen (BGE 78 I 101Erw. 5; BGE 80 I 323; BGE 86 I 326; BGE 89 I 296 Erw. 6 a.E., 303 Erw. 6). An einer solchen Begründung hat es die kantonale
BGE 89 I 425 S. 429
Mieterschutzkommission, die sich auf das erwähnte Urteil des Bundesgerichts beruft, nicht fehlen lassen. Vollends unbehelflich ist der Hinweis auf die Praxis anderer Kantone. Dass Bundesrecht von Kanton zu Kanton verschieden angewendet wird, verstösst nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch. |
3. Festzuhalten ist, dass die angeführte Rechtsprechung des Bundesgerichts nur den Fall betrifft, da die Ehefrau in eigenem Namen gegen die Kündigung des nicht von ihr geschlossenen (oder mitabgeschlossenen) Mietvertrages Einsprache erhebt. Anders verhält es sich, wenn sie im Namen und mit Ermächtigung (oder nachträglicher Genehmigung) des Ehemannes handelt. Im vorliegenden Fall erhob die Beschwerdeführerin in ihrem eigenen Namen Einsprache. Im Namen des Ehemannes zu handeln, kam für sie umso weniger in Frage, als sie selber die Vermutung äussert, die Beschwerdegegner hätten den Vertrag in seinem Einverständnis gekündigt.
4. Eine andere Frage ist es, ob die Beschwerdegegner, die von den eingetretenen Veränderungen Kenntnis gehabt haben sollen und die Mietzinszahlungen der Beschwerdeführerin entgegennahmen, nicht stillschweigend der Übernahme des Mietvertragsverhältnisses durch sie zugestimmt hätten, so dass sie nunmehr als Mieterin zu betrachten wäre. Die kantonale Mieterschutzkommission hat sich darauf beschränkt, den Entscheid hierüber dem Zivilrichter vorzubehalten. Diese Stellungnahme hält vor Art. 4
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BGE 89 I 425 S. 430
Umständen bestand dazu jedoch kein Anlass. Wäre die kantonale Mieterschutzkommission zum Schlusse gekommen, die Beschwerdeführerin habe gemäss ihren Behauptungen den Mietvertrag im Einverständnis der Beschwerdegegner übernommen, so wäre die allein an den Ehemann gerichtete Kündigung ungültig erschienen; die Frage der mietnotrechtlichen Zulässigkeit der Kündigung hätte sich bei dieser Sachlage nicht gestellt. Wäre die kantonale Mieterschutzkommission dagegen den betreffenden Vorbringen nicht gefolgt, so wäre es beim Entscheid geblieben, dass die Beschwerdeführerin, weil nicht Mieterin, keine Einsprache gegen die Kündigung erheben konnte. Im einen wie im anderen Falle hätte die Mieterschutzkommission demnach auf die Frage, ob die Kündigung im Sinne des Art. 34 VMK gerechtfertigt sei, nicht eintreten können. Die Beschwerdeführerin wird dadurch nicht um die Möglichkeit gebracht, den behaupteten Mieterwechsel geltend zu machen. Der angefochtene Entscheid weist zutreffend darauf hin, dass sie jenen Einwand im Ausweisungsverfahren (und in einem sich allenfalls daran anschliessenden ordentlichen Prozess) vorbringen kann. Heisst der Zivilrichter ihren Standpunkt gut, so werden die Beschwerdegegner sich zu einer neuen, diesmal an die Beschwerdeführerin gerichteten Kündigung veranlasst sehen, die sie mit einer Einsprache beantworten kann.
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.