88 II 331
46. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 20. September 1962 i.S. Sonderegger gegen Wild AG
Regeste (de):
- Wohnrecht (Art.776-778ZGB). Einsprache des Wohnberechtigten gegen einen auf dem selben Grundstück geplanten Neubau mit geringem Abstand vom Wohnhause.
- Ein Streit zwischen dem Eigentümer des Grundstücks und einem daran Dienstbarkeitsberechtigten ist nicht nach Nachbarrecht, sondern nach den die betreffende Dienstbarkeit beherrschenden Normen zu beurteilen (Erw. 4).
- Stillschweigender übereinstimmender Wille beim Abschluss des Vertrages. Tatfrage (Erw. 5).
- Aus dem Wohnrecht sich ergebende Ansprüche. Entsprechende Anwendung des Art. 745 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 745 - 1 Die Nutzniessung kann an beweglichen Sachen, an Grundstücken, an Rechten oder an einem Vermögen bestellt werden.
1 Die Nutzniessung kann an beweglichen Sachen, an Grundstücken, an Rechten oder an einem Vermögen bestellt werden. 2 Sie verleiht dem Berechtigten, wo es nicht anders bestimmt ist, den vollen Genuss des Gegenstandes. 3 Die Ausübung der Nutzniessung an einem Grundstück kann auf einen bestimmten Teil eines Gebäudes oder auf einen bestimmten Teil des Grundstücks beschränkt werden.627 SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 730 - 1 Ein Grundstück kann zum Vorteil eines andern Grundstückes in der Weise belastet werden, dass sein Eigentümer sich bestimmte Eingriffe des Eigentümers dieses andern Grundstückes gefallen lassen muss oder zu dessen Gunsten nach gewissen Richtungen sein Eigentumsrecht nicht ausüben darf.
1 Ein Grundstück kann zum Vorteil eines andern Grundstückes in der Weise belastet werden, dass sein Eigentümer sich bestimmte Eingriffe des Eigentümers dieses andern Grundstückes gefallen lassen muss oder zu dessen Gunsten nach gewissen Richtungen sein Eigentumsrecht nicht ausüben darf. 2 Eine Verpflichtung zur Vornahme von Handlungen kann mit der Grunddienstbarkeit nur nebensächlich verbunden sein. Für den Erwerber des berechtigten oder belasteten Grundstücks ist eine solche Verpflichtung nur verbindlich, wenn sie sich aus dem Eintrag im Grundbuch ergibt.619 SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 737 - 1 Der Berechtigte ist befugt, alles zu tun, was zur Erhaltung und Ausübung der Dienstbarkeit nötig ist.
1 Der Berechtigte ist befugt, alles zu tun, was zur Erhaltung und Ausübung der Dienstbarkeit nötig ist. 2 Er ist jedoch verpflichtet, sein Recht in möglichst schonender Weise auszuüben. 3 Der Belastete darf nichts vornehmen, was die Ausübung der Dienstbarkeit verhindert oder erschwert.
Regeste (fr):
- Droit d'habitation (art.776-778CC). Opposition d'un ayant droit à un projet de construire un bâtiment sur le terrain où est siselamaison grevée et à une petite distance de celle-ci.
- Un litige entre le propriétaire de la parcelle et le bénéficiaire d'une servitude sur celle-ci doit être jugé non d'après les règles du droit de voisinage, mais en vertu de celles régissant la servitude en cause (consid. 4).
- Volonté concordante tacite lors de la conclusion du contrat. Question de fait (consid. 5).
- Prétentions découlant du droit d'habitation. Application de l'art. 745 al. 2 et en principe aussi des art. 730 ss., en particulier de l'art. 737 al. 3 CC, ainsi que des règles du bail. - Le droit d'habitation ne comprend pas uniquement la faculté d'utiliser les locaux grevés. Le bénéficiaire peut en outre exiger que ne soient pas restreints d'une manière essentielle les avantages inhérents à la jouissance de l'habitation, avantages que cette dernière offrait lorsque la servitude a été octroyée et que le bénéficiaire pouvait de bonne foi considérer comme lui étant assurés sa vie durant (consid. 6).
Regesto (it):
- Diritto di abitazione (art. 776-778 CC). Opposizione di un avente questo diritto a un progetto di costruzione di un edificio sul medesimo fondo a breve distanza dalla casa di abitazione.
- Una lite tra il proprietario del fondo e il beneficiario di una servitù su questo fondo dev'essere giudicata non secondo le regole del diritto di vicinato, ma in virtù di quelle che disciplinano la servitù di cui si tratta (consid. 4).
- Concordanza tacita all'atto della conclusione del contratto. Questione di fatto (consid. 5).
- Pretese derivanti dal diritto d'abitazione. Applicazione dell'art. 745 cpv. 2 e, di massima, anche degli art. 730 sgg., in particolare dell'art. 737 cpv. 3 CC, nonchè delle norme sulla locazione. Il diritto d'abitazione non comprende unicamente la facoltà di utilizzare i locali gravati. Il beneficiario può inoltre esigere che non siano notevolmente sminuiti i vantaggi inerenti al godimento dell'abitazione, così come risultanti al momento della concessione della servitù e nella misura in cui il beneficiario aveva potuto in buona fede ritenere che gli fossero assicurati vita natural durante (consid. 6).
Sachverhalt ab Seite 332
BGE 88 II 331 S. 332
A.- Am 23. Oktober 1954 verkaufte Jakob Sonderegger, geboren 1875, die Liegenschaft Parzelle Nr. 722 in Heerbrugg, Gemeinde Balgach, mit dem Wohnhaus Nr. 33,
BGE 88 II 331 S. 333
der Wild AG zum Preise von Fr. 75'000. - unter Vereinbarung eines ihm vorbehaltenen Wohnrechts laut folgender Vertragsklausel: "4. Die Parteien vereinbaren folgende Personaldienstbarkeit: Der jeweilige Eigentümer der Parzelle 722, derzeit die Käuferin Firma Wild Heerbrugg AG, räumt dem Verkäufer Jakob Sonderegger das lebenslängliche und unentgeltliche Wohnrecht an der von ihm zur Zeit benützten Wohnung im Hause Nr. 33 ein." Dieses Wohnrecht ist im Grundbuch eingetragen.
Das erwähnte Wohnhaus, ein quadratischer Bau von etwa 9 Metern Seitenlänge, steht im nordöstlichen Winkel der (abgesehen von einem Schopfanbau) bisher nicht überbauten Liegenschaft, die ungefähr ein Rechteck bildet mit Seitenlängen von etwa 40 m im Norden und Süden und etwa 60 m im Osten und Westen, bei einer gesamten Fläche von 2370 m2. Das Haus ist etwa 3 bzw. 5 m von den im Norden und im Osten vorbeiführenden Strassen entfernt; die Süd- und die Westfassade gehen auf freies Vorgelände mit Entfernungen von etwa 30 bzw. 60 m bis zu den auf den Nachbargrundstücken stehenden Gebäuden.
B.- Sonderegger konnte sein Wohnrecht in den folgenden Jahren ausüben. Die Wild AG gestand ihm auch den Obstnutzen der auf der Liegenschaft stehenden Bäume zu. Als im Jahre 1960 einige Bäume gefällt wurden, entschädigte sie ihn mit Fr. 80. - für jeden Baum.
C.- Die Wild AG hat die Absicht, auf der Parzelle Nr. 722 einen viergeschossigen Neubau ("wissenschaftliches Gebäude") zu erstellen, der sich in der Längsrichtung von Süden nach Norden erstrecken soll. Die Mittelachse geht westlich vom alten Dreifamilienhaus durch, das Jakob Sonderegger bewohnt. Doch kommt die Nordwand des projektierten Neubaues von etwa 15 m Breite in ihrem östlichen Teil auf eine Länge von etwa 2 m in einem Abstand von bloss 1,5 m an den westlichen Teil jenes Wohnhauses heran, wo sich ein Zimmerfenster der von Sonderegger benutzten Wohnung befindet.
D.- Gegen das entsprechende Baubewilligungsgesuch vom 27. Juni 1961 erhob Sonderegger eine sog. privatrechtliche
BGE 88 II 331 S. 334
Baueinsprache gemäss Art. 100
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 100 - Die Trauung kann innerhalb von drei Monaten stattfinden, nachdem der Abschluss des Vorbereitungsverfahrens mitgeteilt wurde. |
E.- Das Bezirksgericht Unterrheintal hiess die Klage der Wild AG auf Beseitigung der Baueinsprache gut, ebenso das Kantonsgericht St. Gallen mit Urteilen vom 15. Februar/22. Mai 1962.
F.- Der Beklagte hat Berufung an das Bundesgericht eingelegt mit dem erneuten Antrag auf Abweisung der Klage und Schutz der Baueinsprache.
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1./3. - .....
4. Zu beurteilen bleibt die Einrede, der geplante Neubau würde die Ausübung des dem Beklagten zustehenden Wohnrechtes in unzulässiger Weise beeinträchtigen. Das Kantonsgericht prüft diese Einrede zunächst unter dem Gesichtspunkt einer gesetzlichen Eigentumsbeschränkung, wie sie sich aus dem Nachbarrecht oder aus öffentlichrechtlichen Normen ergeben könnte. Es verneint eine Verletzung solcher Eigentumsbeschränkungen und daher auch eine Verantwortlichkeit der Klägerin nach Art. 679
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 679 - 1 Wird jemand dadurch, dass ein Grundeigentümer sein Eigentumsrecht überschreitet, geschädigt oder mit Schaden bedroht, so kann er auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen drohenden Schaden und auf Schadenersatz klagen. |
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1 | Wird jemand dadurch, dass ein Grundeigentümer sein Eigentumsrecht überschreitet, geschädigt oder mit Schaden bedroht, so kann er auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen drohenden Schaden und auf Schadenersatz klagen. |
2 | Entzieht eine Baute oder eine Einrichtung einem Nachbargrundstück bestimmte Eigenschaften, so bestehen die vorstehend genannten Ansprüche nur, wenn bei der Erstellung der Baute oder Einrichtung die damals geltenden Vorschriften nicht eingehalten wurden.584 |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 737 - 1 Der Berechtigte ist befugt, alles zu tun, was zur Erhaltung und Ausübung der Dienstbarkeit nötig ist. |
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1 | Der Berechtigte ist befugt, alles zu tun, was zur Erhaltung und Ausübung der Dienstbarkeit nötig ist. |
2 | Er ist jedoch verpflichtet, sein Recht in möglichst schonender Weise auszuüben. |
3 | Der Belastete darf nichts vornehmen, was die Ausübung der Dienstbarkeit verhindert oder erschwert. |
BGE 88 II 331 S. 335
Einwirkungen im Sinne des Nachbarrechts (Art. 684
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 684 - 1 Jedermann ist verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten. |
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1 | Jedermann ist verpflichtet, bei der Ausübung seines Eigentums, wie namentlich bei dem Betrieb eines Gewerbes auf seinem Grundstück, sich aller übermässigen Einwirkung auf das Eigentum der Nachbarn zu enthalten. |
2 | Verboten sind insbesondere alle schädlichen und nach Lage und Beschaffenheit der Grundstücke oder nach Ortsgebrauch nicht gerechtfertigten Einwirkungen durch Luftverunreinigung, üblen Geruch, Lärm, Schall, Erschütterung, Strahlung oder durch den Entzug von Besonnung oder Tageslicht.597 |
Für die Beurteilung der vorliegenden Baueinsprache spielt auch der vom Beklagten angerufene Besitzesschutz (Art. 928
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 928 - 1 Wird der Besitz durch verbotene Eigenmacht gestört, so kann der Besitzer gegen den Störenden Klage erheben, auch wenn dieser ein Recht zu haben behauptet. |
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1 | Wird der Besitz durch verbotene Eigenmacht gestört, so kann der Besitzer gegen den Störenden Klage erheben, auch wenn dieser ein Recht zu haben behauptet. |
2 | Die Klage geht auf Beseitigung der Störung, Unterlassung fernerer Störung und Schadenersatz. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 919 - 1 Wer die tatsächliche Gewalt über eine Sache hat, ist ihr Besitzer. |
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1 | Wer die tatsächliche Gewalt über eine Sache hat, ist ihr Besitzer. |
2 | Dem Sachbesitz wird bei Grunddienstbarkeiten und Grundlasten die tatsächliche Ausübung des Rechtes gleichgestellt. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 8 - Wo das Gesetz es nicht anders bestimmt, hat derjenige das Vorhandensein einer behaupteten Tatsache zu beweisen, der aus ihr Rechte ableitet. |
5. Der als Rechtsgrundausweis heranzuziehende Vertrag (Art. 971 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 971 - 1 Soweit für die Begründung eines dinglichen Rechtes die Eintragung in das Grundbuch vorgesehen ist, besteht dieses Recht als dingliches nur, wenn es aus dem Grundbuche ersichtlich ist. |
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1 | Soweit für die Begründung eines dinglichen Rechtes die Eintragung in das Grundbuch vorgesehen ist, besteht dieses Recht als dingliches nur, wenn es aus dem Grundbuche ersichtlich ist. |
2 | Im Rahmen des Eintrages kann der Inhalt eines Rechtes durch die Belege oder auf andere Weise nachgewiesen werden. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 776 - 1 Das Wohnrecht besteht in der Befugnis, in einem Gebäude oder in einem Teile eines solchen Wohnung zu nehmen. |
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1 | Das Wohnrecht besteht in der Befugnis, in einem Gebäude oder in einem Teile eines solchen Wohnung zu nehmen. |
2 | Es ist unübertragbar und unvererblich. |
3 | Es steht, soweit das Gesetz es nicht anders ordnet, unter den Bestimmungen über die Nutzniessung. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 77 - Die Auflösung erfolgt von Gesetzes wegen, wenn der Verein zahlungsunfähig ist, sowie wenn der Vorstand nicht mehr statutengemäss bestellt werden kann. |
BGE 88 II 331 S. 336
die Klägerin habe ihm bei den Vertragsverhandlungen zugesichert, zu seinen Lebzeiten solle sich nichts ändern; er könne nach wie vor in gleicher Weise in seiner Liegenschaft wohnen und sie samt dem Garten benützen. Zum Beweis hiefür wurde der Eid des Beklagten angeboten. Wenn das Kantonsgericht ein dahingehendes Vorbringen und Beweisanerbieten verneint, so liegt ein offenkundiger Irrtum vor, es wäre denn, der Beklagte habe in oberer Instanz ausschliesslich eine dahingehende stillschweigende Meinung der Parteien beim Vertragsabschluss geltend gemacht (wie sie in der Appellationsschrift behauptet wird). Wie es sich damit verhält, kann indessen auf sich beruhen bleiben, da die Baueinsprache jedenfalls aus andern Gründen zu schützen ist. Und zwar braucht hiebei nicht einmal von einer stillschweigenden übereinstimmenden Vertragsmeinung im soeben erwähnten Sinn ausgegangen zu werden, die das Kantonsgericht beweiswürdigend - für das Bundesgericht bindend (Art. 63 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 77 - Die Auflösung erfolgt von Gesetzes wegen, wenn der Verein zahlungsunfähig ist, sowie wenn der Vorstand nicht mehr statutengemäss bestellt werden kann. |
6. Auch abgesehen von derartigen Nebenabreden oder Willensmeinungen beim Abschluss des Kauf- und Dienstbarkeitsvertrages von 1954 bedeutet der Neubau, wie er geplant ist, einen Einbruch in den dem Beklagten durch das Wohnrecht vorbehaltenen Rechtsbereich. Das angefochtene Urteil verkennt die Tragweite dieses Rechtes und die sich daraus ergebende Beschränkung der Betätigungsfreiheit der Grundeigentümerin. Zwar fasst es im Anschluss an die nachbarrechtlichen Ausführungen, die, wie dargetan, für die Entscheidung ausser Betracht fallen, die Eigenart des Wohnrechts ins Auge. Dabei wird aber
BGE 88 II 331 S. 337
zu Unrecht wiederum auf Art. 679
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 679 - 1 Wird jemand dadurch, dass ein Grundeigentümer sein Eigentumsrecht überschreitet, geschädigt oder mit Schaden bedroht, so kann er auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen drohenden Schaden und auf Schadenersatz klagen. |
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1 | Wird jemand dadurch, dass ein Grundeigentümer sein Eigentumsrecht überschreitet, geschädigt oder mit Schaden bedroht, so kann er auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen drohenden Schaden und auf Schadenersatz klagen. |
2 | Entzieht eine Baute oder eine Einrichtung einem Nachbargrundstück bestimmte Eigenschaften, so bestehen die vorstehend genannten Ansprüche nur, wenn bei der Erstellung der Baute oder Einrichtung die damals geltenden Vorschriften nicht eingehalten wurden.584 |
BGE 88 II 331 S. 338
Wohnrecht. Ein Anspruch auf fortdauernden Genuss der Annehmlichkeiten, wie sie die Wohnung bisher bot, stehe dem Beklagten nicht zu. Dieser Ansicht ist nicht in allen Teilen beizutreten. Gewiss gibt es Annehmlichkeiten einer Wohnung, mit deren Wegfall der Wohnungsinhaber zu rechnen hat, sei es infolge baulicher Änderungen benachbarter Liegenschaften, sei es auch infolge einer Umgestaltung des Grundstücks selbst, auf dem sich die Wohnung befindet. Andere Annehmlichkeiten und Vorteile einer Wohnung können aber je nach den örtlichen Verhältnissen und dem Zweck der Wohnungswahl als derart wesentlich erscheinen, dass sie den Wert der Wohnung - mindestens für den derzeitigen Inhaber - beeinflussen und einen Teil des ihm eingeräumten Wohnungsgenusses ausmachen. Trifft dies zu, so darf der Hauseigentümer Beeinträchtigungen, die sich von einem Nachbargrundstück aus ergeben könnten, nicht ohne weiteres dulden, sofern ihm gegenüber dem Nachbar ein sicheres Abwehrrecht zusteht. Namentlich aber hat er sich eigener baulicher Vorkehren zu enthalten, die jenen Rechtsbereich des Wohnungsinhabers verletzen würden. In dieser Hinsicht ist die rechtliche Stellung eines Wohnberechtigten ähnlich derjenigen eines Mieters (vgl. L. BRUNNER, Mietrecht, 2. Auflage, S. 28 ff.). So gut wie der Eigentümer gegenüber einem Mieter jede eigene störende Einwirkung zu unterlassen hat, namentlich bauliche Änderungen unterlassen soll, soweit sie die vertragliche Benützung der Mieträume verhindern oder schmälern würden, und so gut er ferner Licht und Aussicht verhindernde Bauten in der Nachbarschaft im Rahmen des Nachbarrechts zu verhindern hat (vgl. OSER/SCHÖNENBERGER, N. 9 zu Art. 254
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 254 - Ein Koppelungsgeschäft, das in Zusammenhang mit der Miete von Wohn- oder Geschäftsräumen steht, ist nichtig, wenn der Abschluss oder die Weiterführung des Mietvertrags davon abhängig gemacht wird und der Mieter dabei gegenüber dem Vermieter oder einem Dritten eine Verpflichtung übernimmt, die nicht unmittelbar mit dem Gebrauch der Mietsache zusammenhängt. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 776 - 1 Das Wohnrecht besteht in der Befugnis, in einem Gebäude oder in einem Teile eines solchen Wohnung zu nehmen. |
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1 | Das Wohnrecht besteht in der Befugnis, in einem Gebäude oder in einem Teile eines solchen Wohnung zu nehmen. |
2 | Es ist unübertragbar und unvererblich. |
3 | Es steht, soweit das Gesetz es nicht anders ordnet, unter den Bestimmungen über die Nutzniessung. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 745 - 1 Die Nutzniessung kann an beweglichen Sachen, an Grundstücken, an Rechten oder an einem Vermögen bestellt werden. |
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1 | Die Nutzniessung kann an beweglichen Sachen, an Grundstücken, an Rechten oder an einem Vermögen bestellt werden. |
2 | Sie verleiht dem Berechtigten, wo es nicht anders bestimmt ist, den vollen Genuss des Gegenstandes. |
3 | Die Ausübung der Nutzniessung an einem Grundstück kann auf einen bestimmten Teil eines Gebäudes oder auf einen bestimmten Teil des Grundstücks beschränkt werden.627 |
BGE 88 II 331 S. 339
da der die "Nutzniessung und andere Dienstbarkeiten" betreffende Gesetzesabschnitt (Art. 745 bis 781) keinen allgemeinen Teil enthält, die in Art. 781 bloss für die "andern Dienstbarkeiten" als anwendbar erklärten Bestimmungen über die Grunddienstbarkeiten heranzuziehen, wobei freilich nicht aus dem Auge zu lassen ist, dass Nutzniessung und Wohnrecht (im Unterschied zum Baurecht und zum Quellenrecht) nicht Gegenstand einer Grunddienstbarkeit sein können (vgl. LIVER, N. 18 der Vorbemerkungen zu den Art. 730 bis
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 745 - 1 Die Nutzniessung kann an beweglichen Sachen, an Grundstücken, an Rechten oder an einem Vermögen bestellt werden. |
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1 | Die Nutzniessung kann an beweglichen Sachen, an Grundstücken, an Rechten oder an einem Vermögen bestellt werden. |
2 | Sie verleiht dem Berechtigten, wo es nicht anders bestimmt ist, den vollen Genuss des Gegenstandes. |
3 | Die Ausübung der Nutzniessung an einem Grundstück kann auf einen bestimmten Teil eines Gebäudes oder auf einen bestimmten Teil des Grundstücks beschränkt werden.627 |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 737 - 1 Der Berechtigte ist befugt, alles zu tun, was zur Erhaltung und Ausübung der Dienstbarkeit nötig ist. |
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1 | Der Berechtigte ist befugt, alles zu tun, was zur Erhaltung und Ausübung der Dienstbarkeit nötig ist. |
2 | Er ist jedoch verpflichtet, sein Recht in möglichst schonender Weise auszuüben. |
3 | Der Belastete darf nichts vornehmen, was die Ausübung der Dienstbarkeit verhindert oder erschwert. |
BGE 88 II 331 S. 340
weniger anziehend machen würde, sondern sich ungünstig auf das gesundheitliche Befinden des Bewohners auswirken müsste. Während das Wohnhaus heute noch, namentlich nach Süden und Westen hin, gewissermassen im Grünen steht, befände es sich bei Ausführung des Bauprojektes der Klägerin nahe an einem Gebäude gewerblichen Charakters mit einer in östlicher Richtung in das Profil des Wohnhauses ragenden und sich nach Westen ausdehnenden Nordfassade. Zudem ist anzunehmen, der Wohnberechtigte habe sich bisher auch im Garten aufhalten dürfen, wie es üblicherweise den Hausbewohnern gestattet wird. Die Klägerin hat dem Beklagten ja sogar den Nutzen sämtlicher Bäume überlassen und ihn später für zwei gefällte Obstbäume entschädigt. Das geplante Gebäude würde aber jenes Südzimmer fast unbewohnbar machen und praktisch den grössten Teil des Hausumschwunges in Anspruch nehmen. Dazu kämen akustische Einwirkungen, die vom Neubau ausgingen, zu schweigen von den Lärm- und Staubeinwirkungen der Bauzeit. Im übrigen hebt das kantonale Urteil mit Recht die Beeinträchtigung des Mietwertes der Wohnung des Beklagten hervor. Eine solche Schmälerung des Wohnungsgenusses braucht sich aber der Beklagte ebensowenig gefallen zu lassen wie ein Mieter. Miete und Wohnrecht unterscheiden sich hauptsächlich dadurch voneinander, dass jene auf einem obligatorischen, diese auf einem dinglichen Rechtsverhältnis beruht (vgl. LEEMANN, N. 9 zu Art. 776
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 776 - 1 Das Wohnrecht besteht in der Befugnis, in einem Gebäude oder in einem Teile eines solchen Wohnung zu nehmen. |
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1 | Das Wohnrecht besteht in der Befugnis, in einem Gebäude oder in einem Teile eines solchen Wohnung zu nehmen. |
2 | Es ist unübertragbar und unvererblich. |
3 | Es steht, soweit das Gesetz es nicht anders ordnet, unter den Bestimmungen über die Nutzniessung. |
BGE 88 II 331 S. 341
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird gutgeheissen, die Urteile des Kantonsgerichts St. Gallen, I. Zivilkammer, vom 15. Februar 1962 und vom 22. Mai 1962 werden aufgehoben und die Klage wird abgewiesen.