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BGE-87-II-129


Urteilskopf

87 II 129

18. Urteil der II. Zivilabteilung vom 21. September 1961 i.S. H.
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 130

BGE 87 II 129 S. 130

Am 12. Januar 1961 stellte der Gemeinderat von Emmen Frau H. gemäss Art. 369
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 369 - 1 Wird die auftraggebende Person wieder urteilsfähig, so verliert der Vorsorgeauftrag seine Wirksamkeit von Gesetzes wegen.
und 370
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 370 - 1 Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.
ZGB unter Vormundschaft. Er stützte sich dabei auf ein Gutachten der Direktion der Heil- und Pflegeanstalt Königsfelden vom 1. Dezember 1960, das zum Schlusse kam, Frau H. sei eine infantile Psychopathin, die an chronischem Alkoholismus leide. Der Regierungsrat des Kantons Luzern hat diesen an ihn weitergezogenen Entscheid am 18. Mai 1961 bestätigt. Gegen den regierungsrätlichen Entscheid hat der Ehemann der zu Entmündigenden in deren Namen die Berufung an das Bundesgericht erklärt. Neben ihm hat auch die zu Entmündigende selber die Berufungsschrift unterzeichnet. Darin wird in erster Linie geltend gemacht, die Entmündigung sei ungesetzlich, weil Frau H. im kantonalen Verfahren nie angehört worden sei.
Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Nach Art. 29 Abs. 2 OG können in Zivil- und Strafsachen unter einem hier nicht zutreffenden Vorbehalt nur patentierte Anwälte sowie die Rechtslehrer an schweizerischen Hochschulen als Parteivertreter vor Bundesgericht auftreten. Der Ehemann der zu Entmündigenden war daher nicht befugt, als deren Vertreter gegen den Entscheid des Regierungsrates die Berufung an das Bundesgericht zu erklären. Er ist aber auch nicht berechtigt, sich ihrer Entmündigung in seinem eigenen Namen zu widersetzen. Art. 433 Abs. 3
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 433 - 1 Wird eine Person zur Behandlung einer psychischen Störung in einer Einrichtung untergebracht, so erstellt die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt unter Beizug der betroffenen Person und gegebenenfalls ihrer Vertrauensperson einen schriftlichen Behandlungsplan.
ZGB, wonach ausser dem Bevormundeten jedermann, der ein Interesse hat, die Aufhebung der (rechtskräftig angeordneten) Vormundschaft beantragen kann, darf nicht ausdehnend ausgelegt werden (BGE 64 II 181). Soweit die vorliegende Berufung vom Ehemann der zu Entmündigenden ausgeht, ist also darauf nicht einzutreten (wogegen der Regierungsrat durch das Bundesrecht nicht gehindert war, auf den an ihn gerichteten Rekurs einzutreten, soweit der Ehemann ihn gemäss dem letzten Absatz der Rekursschrift im Namen

BGE 87 II 129 S. 131

der Ehefrau eingereicht hatte). Die Berufung ist jedoch, da Frau H. die Berufungsschrift mitunterzeichnet hat, als von ihr persönlich eingelegte Berufung wirksam.
2. Wegen Verschwendung, Trunksucht, lasterhaften Lebenswandels oder der Art und Weise ihrer Vermögensverwaltung darf eine Person nach Art. 374 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 374 - 1 Wer als Ehegatte, eingetragene Partnerin oder eingetragener Partner mit einer Person, die urteilsunfähig wird, einen gemeinsamen Haushalt führt oder ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet, hat von Gesetzes wegen ein Vertretungsrecht, wenn weder ein Vorsorgeauftrag noch eine entsprechende Beistandschaft besteht.
ZGB nicht entmündigt werden, ohne dass sie vorher angehört worden ist. Soll eine Person nach Art. 370
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 370 - 1 Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.
ZGB entmündigt werden, ist ihre Anhörung (vgl. hiezuBGE 40 II 182ff., BGE 84 II 146 ff.) also unerlässlich. Die Entmündigung wegen Geisteskrankheit oder Geistesschwäche darf gemäss Art. 374 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 374 - 1 Wer als Ehegatte, eingetragene Partnerin oder eingetragener Partner mit einer Person, die urteilsunfähig wird, einen gemeinsamen Haushalt führt oder ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet, hat von Gesetzes wegen ein Vertretungsrecht, wenn weder ein Vorsorgeauftrag noch eine entsprechende Beistandschaft besteht.
ZGB nur nach Einholung des Gutachtens von Sachverständigen erfolgen, das sich auch über die Zulässigkeit einer vorgängigen Anhörung des zu Entmündigenden auszusprechen hat. Hieraus folgt, dass die Anhörung einer Person, die nach Art. 369
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 369 - 1 Wird die auftraggebende Person wieder urteilsfähig, so verliert der Vorsorgeauftrag seine Wirksamkeit von Gesetzes wegen.
ZGB entmündigt werden soll, ohne vorherige Befragung des Sachverständigen über deren Zulässigkeit nicht verweigert werden darf (BGE 70 II 75). Nach den vorliegenden Akten ist die Berufungsklägerin gemäss Art. 369
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 369 - 1 Wird die auftraggebende Person wieder urteilsfähig, so verliert der Vorsorgeauftrag seine Wirksamkeit von Gesetzes wegen.
und 370
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 370 - 1 Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.
ZGB entmündigt worden, ohne dass die kantonalen Behörden sie angehört hätten und ohne dass der Sachverständige befragt worden wäre, ob ihre Anhörung zulässig sei. Die kantonalen Instanzen haben sich also bei der Entmündigung der Berufungsklägerin über Art. 374
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 374 - 1 Wer als Ehegatte, eingetragene Partnerin oder eingetragener Partner mit einer Person, die urteilsunfähig wird, einen gemeinsamen Haushalt führt oder ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet, hat von Gesetzes wegen ein Vertretungsrecht, wenn weder ein Vorsorgeauftrag noch eine entsprechende Beistandschaft besteht.
ZGB (und die in Ausführung dieser Vorschrift erlassenen §§ 48/49 des kantonalen Einführungsgesetzes zum ZGB) hinweggesetzt. Der Regierungsrat bestreitet dies nicht, macht aber geltend, dieser "Einwand" sei vor ihm nicht erhoben worden und könne daher im Berufungsverfahren vor Bundesgericht nicht gehört werden. Diese Auffassung ist unrichtig. Indem sich die Berufungsklägerin vor Bundesgericht darauf beruft, dass im kantonalen Verfahren die Vorschrift von Art. 374
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ZGB Art. 374 - 1 Wer als Ehegatte, eingetragene Partnerin oder eingetragener Partner mit einer Person, die urteilsunfähig wird, einen gemeinsamen Haushalt führt oder ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet, hat von Gesetzes wegen ein Vertretungsrecht, wenn weder ein Vorsorgeauftrag noch eine entsprechende Beistandschaft besteht.
ZGB ausseracht gelassen worden sei, bringt sie nicht neue Tatsachen oder Einreden vor, was nach Art. 55 lit. c
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ZGB Art. 374 - 1 Wer als Ehegatte, eingetragene Partnerin oder eingetragener Partner mit einer Person, die urteilsunfähig wird, einen gemeinsamen Haushalt führt oder ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet, hat von Gesetzes wegen ein Vertretungsrecht, wenn weder ein Vorsorgeauftrag noch eine entsprechende Beistandschaft besteht.
OG unzulässig wäre. Vielmehr
BGE 87 II 129 S. 132

macht sie damit die Verletzung einer bundesrechtlichen Verfahrensvorschrift geltend, die vor Bundesgericht unabhängig davon gerügt werden kann, ob schon vor der obern kantonalen Instanz darauf hingewiesen worden sei oder nicht. Haben die kantonalen Behörden eineEntmündigung unter Verletzung von Art. 374
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ZGB Art. 374 - 1 Wer als Ehegatte, eingetragene Partnerin oder eingetragener Partner mit einer Person, die urteilsunfähig wird, einen gemeinsamen Haushalt führt oder ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet, hat von Gesetzes wegen ein Vertretungsrecht, wenn weder ein Vorsorgeauftrag noch eine entsprechende Beistandschaft besteht.
ZGB angeordnet, so ist der angefochtene Entscheid aufzuheben, ohne dass anhand der vorliegenden Akten das Vorhandensein eines Entmündigungsgrundes zu prüfen wäre. Die luzernischen Behörden sind aber immerhin darauf hinzuweisen, dass sie bei der neuen Entscheidung, die auf die gebotene Aktenergänzung folgen muss, BGE 85 II 457 ff. (Erw. 4 und 5, S. 462/63) zu beachten haben.
Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Soweit auf die Berufung einzutreten ist, wird sie dahin gutgeheissen, dass der angefochtene Entscheid aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen wird.
87 II 129 21. September 1961 31. Dezember 1961 Bundesgericht 87 II 129 BGE - Zivilrecht

Gegenstand Entmündigungsverfahren. 1. Ein Ehegatte kann sich der Entmündigung des andern nicht in seinem eigenen Namen widersetzen

Gesetzesregister
OG 29OG 55 ZGB 369
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 369 - 1 Wird die auftraggebende Person wieder urteilsfähig, so verliert der Vorsorgeauftrag seine Wirksamkeit von Gesetzes wegen.
ZGB 370
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 370 - 1 Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt.
ZGB 374
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 374 - 1 Wer als Ehegatte, eingetragene Partnerin oder eingetragener Partner mit einer Person, die urteilsunfähig wird, einen gemeinsamen Haushalt führt oder ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet, hat von Gesetzes wegen ein Vertretungsrecht, wenn weder ein Vorsorgeauftrag noch eine entsprechende Beistandschaft besteht.
ZGB 433
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 433 - 1 Wird eine Person zur Behandlung einer psychischen Störung in einer Einrichtung untergebracht, so erstellt die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt unter Beizug der betroffenen Person und gegebenenfalls ihrer Vertrauensperson einen schriftlichen Behandlungsplan.
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