Urteilskopf

86 II 213

36. Urteil der II. Zivilabteilung vom 12. Juli 1960 i.S. R.

Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 214

BGE 86 II 213 S. 214

A.- Der Giessereiarbeiter R. in T., der seit dem 15. September 1955 verwitwet ist, hat vier Kinder: Max, geb. 1943, Franz, geb. 1944, Robert, geb. 1945 und Charlotte, geb. 1949. Die Knaben befanden sich nach dem Tode der Mutter längere Zeit im staatlichen Erziehungsheim L., während das Mädchen bei den Grosseltern väterlicherseits untergebracht ist. Nachdem Max und Franz im Frühling 1959 aus der Schule entlassen worden waren, brachte R. alle drei Knaben (auch den noch schulpflichtigen Robert) in Stellen im Welschland unter. Im August 1959 telephonierte der Jugendfürsorger von Yverdon und Umgebung den Gemeindebehörden von T., die beiden Knaben Franz und Robert seien bei einem Landwirt "versorgt" und "möchten dort weg"; Franz möchte eine Lehre antreten, doch verweigere ihm dies sein Vater; die Knaben müssten den ganzen Tag schwer arbeiten und sähen keine Zukunft. Offenbar auf eine Erkundigung hin teilte der Vorsteher des Erziehungsheims L. der Vormundschaftsbehörde T. mit Schreiben vom 15. September 1959 u.a. mit, die Knaben Max und Franz hätten nach dem Schulaustritt einen Beruf erlernen wollen, wozu sie nach dem Ergebnis der Prüfung durch die Berufsberatungsstelle auch fähig gewesen seien; in Zusammenarbeit mit Postverwalter-Stellvertreter H. und der Fabrikfürsorgerin S. seien Lösungen gefunden worden, die für R. auch finanziell tragbar gewesen seien; dieser habe aber alle Vorschläge abgelehnt und Max und Robert bei Bauern, Franz in einem Bierdepot untergebracht. (Nach andern Angaben, auf welche die Vorinstanz in diesem Punkte abstellt, brachte R. schliesslich auch Franz bei einem Bauern unter.)
B.- Die Vormundschaftsbehörde eröffnete R. am 15. Oktober 1959 die eingegangenen Berichte und suchte ihn von der Bedeutung einer Berufslehre für seine Söhne zu überzeugen. Schliesslich erklärte sich R. damit einverstanden, die Knaben einen Beruf erlernen zu lassen und die Ratschläge H.s anzunehmen. Er hielt jedoch sein
BGE 86 II 213 S. 215

Versprechen nicht. Als er deswegen auf den 3. Dezember 1959 zu einer Aussprache vor den Oberamtmann von Olten-Gösgen geladen wurde, erschien er nicht. Die Vormundschaftsbehörde beschloss darauf am 3. Dezember 1959, für die vier Kinder eine "Aufsichtsbeistandschaft im Sinne von Art. 283
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 285 - 1 Der Unterhaltsbeitrag soll den Bedürfnissen des Kindes sowie der Lebensstellung und Leistungsfähigkeit der Eltern entsprechen; dabei sind das Vermögen und die Einkünfte des Kindes zu berücksichtigen.
1    Der Unterhaltsbeitrag soll den Bedürfnissen des Kindes sowie der Lebensstellung und Leistungsfähigkeit der Eltern entsprechen; dabei sind das Vermögen und die Einkünfte des Kindes zu berücksichtigen.
2    Der Unterhaltsbeitrag dient auch der Gewährleistung der Betreuung des Kindes durch die Eltern oder Dritte.
3    Er ist zum Voraus zu entrichten. Das Gericht setzt die Zahlungstermine fest.
ZGB" zu errichten. Hiegegen beschwerte sich R. beim Oberamtmann. Da die darauf folgenden Verhandlungen wiederum ergebnislos verliefen, wies der Oberamtmann die Vormundschaftsbehörde an, R. zu einer Verhandlung im Sinne von § 92 des solothurnischen Einführungsgesetzes zum ZGB (wonach die Vormundschaftsbehörde vor der Entziehung der elterlichen Gewalt die "angeschuldigten Eltern" einzuvernehmen hat) vorzuladen. Diese fand am 28. Januar 1960 statt. Nachdem R. neuerdings alle konkreten Vorschläge für die Berufsausbildung seiner Söhne abgelehnt hatte, beschloss die Vormundschaftsbehörde gleichen Tags, ihm gemäss Art. 285
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 285 - 1 Der Unterhaltsbeitrag soll den Bedürfnissen des Kindes sowie der Lebensstellung und Leistungsfähigkeit der Eltern entsprechen; dabei sind das Vermögen und die Einkünfte des Kindes zu berücksichtigen.
1    Der Unterhaltsbeitrag soll den Bedürfnissen des Kindes sowie der Lebensstellung und Leistungsfähigkeit der Eltern entsprechen; dabei sind das Vermögen und die Einkünfte des Kindes zu berücksichtigen.
2    Der Unterhaltsbeitrag dient auch der Gewährleistung der Betreuung des Kindes durch die Eltern oder Dritte.
3    Er ist zum Voraus zu entrichten. Das Gericht setzt die Zahlungstermine fest.
ZGB die elterliche Gewalt über seine vier Kinder zu entziehen. Am 8. April 1960 hat der Regierungsrat des Kantons Solothurn die Beschwerde R.s gegen diesen Entscheid abgewiesen.
C.- Hierauf hat R. die Berufung an das Bundesgericht erklärt mit den Anträgen: "1. Der Entscheid des Regierungsrates des Kantons Solothurn vom 8. April 1960, sowie die Beschlüsse der Vormundschaftsbehörde T. vom 3. Dezember 1959 (Errichtung einer Beistandschaft) und vom 28. Januar 1960 (Entzug der elterlichen Gewalt) seien aufzuheben. 2. Der Entzug der elterlichen Gewalt und die Errichtung der Beistandschaft seien aufzuheben. 3. Eventuell sei die Sache zur Ergänzung der tatbeständlichen Feststellungen und zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen."
Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Soweit sich die Berufung gegen die Errichtung einer Beistandschaft für die Kinder richtet, ist darauf
BGE 86 II 213 S. 216

schon deshalb nicht einzutreten, weil über diesen Punkt kein Entscheid der obern kantonalen Behörde im Sinne von Art. 48
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 285 - 1 Der Unterhaltsbeitrag soll den Bedürfnissen des Kindes sowie der Lebensstellung und Leistungsfähigkeit der Eltern entsprechen; dabei sind das Vermögen und die Einkünfte des Kindes zu berücksichtigen.
1    Der Unterhaltsbeitrag soll den Bedürfnissen des Kindes sowie der Lebensstellung und Leistungsfähigkeit der Eltern entsprechen; dabei sind das Vermögen und die Einkünfte des Kindes zu berücksichtigen.
2    Der Unterhaltsbeitrag dient auch der Gewährleistung der Betreuung des Kindes durch die Eltern oder Dritte.
3    Er ist zum Voraus zu entrichten. Das Gericht setzt die Zahlungstermine fest.
OG vorliegt. Im übrigen ist der Beschluss über die Errichtung einer "Aufsichtsbeistandschaft im Sinne von Art. 283
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 285 - 1 Der Unterhaltsbeitrag soll den Bedürfnissen des Kindes sowie der Lebensstellung und Leistungsfähigkeit der Eltern entsprechen; dabei sind das Vermögen und die Einkünfte des Kindes zu berücksichtigen.
1    Der Unterhaltsbeitrag soll den Bedürfnissen des Kindes sowie der Lebensstellung und Leistungsfähigkeit der Eltern entsprechen; dabei sind das Vermögen und die Einkünfte des Kindes zu berücksichtigen.
2    Der Unterhaltsbeitrag dient auch der Gewährleistung der Betreuung des Kindes durch die Eltern oder Dritte.
3    Er ist zum Voraus zu entrichten. Das Gericht setzt die Zahlungstermine fest.
ZGB" durch die nachher erfolgte Entziehung der elterlichen Gewalt implicite aufgehoben worden.
2. ... (Die Berufung ist rechtzeitig erklärt worden.) 3. - Unter Vorbehalt von Art. 60
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ZGB Art. 285 - 1 Der Unterhaltsbeitrag soll den Bedürfnissen des Kindes sowie der Lebensstellung und Leistungsfähigkeit der Eltern entsprechen; dabei sind das Vermögen und die Einkünfte des Kindes zu berücksichtigen.
1    Der Unterhaltsbeitrag soll den Bedürfnissen des Kindes sowie der Lebensstellung und Leistungsfähigkeit der Eltern entsprechen; dabei sind das Vermögen und die Einkünfte des Kindes zu berücksichtigen.
2    Der Unterhaltsbeitrag dient auch der Gewährleistung der Betreuung des Kindes durch die Eltern oder Dritte.
3    Er ist zum Voraus zu entrichten. Das Gericht setzt die Zahlungstermine fest.
OG, wonach eine Berufung unter Umständen ohne Einholung einer Antwort erledigt werden kann, wird nach Art. 61 OG die Berufungsschrift dem Berufungsbeklagten mitgeteilt und ist dieser befugt, binnen zwanzig Tagen eine Antwort einzureichen. Diese Vorschrift kann im vorliegenden Falle nicht angewendet werden, weil kein Berufungsbeklagter vorhanden ist. Bei der Entziehung der elterlichen Gewalt, für welche gemäss Art. 285
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ZGB Art. 285 - 1 Der Unterhaltsbeitrag soll den Bedürfnissen des Kindes sowie der Lebensstellung und Leistungsfähigkeit der Eltern entsprechen; dabei sind das Vermögen und die Einkünfte des Kindes zu berücksichtigen.
1    Der Unterhaltsbeitrag soll den Bedürfnissen des Kindes sowie der Lebensstellung und Leistungsfähigkeit der Eltern entsprechen; dabei sind das Vermögen und die Einkünfte des Kindes zu berücksichtigen.
2    Der Unterhaltsbeitrag dient auch der Gewährleistung der Betreuung des Kindes durch die Eltern oder Dritte.
3    Er ist zum Voraus zu entrichten. Das Gericht setzt die Zahlungstermine fest.
und 288
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ZGB Art. 288 - 1 Die Abfindung des Kindes für seinen Unterhaltsanspruch kann vereinbart werden, wenn sein Interesse es rechtfertigt.
1    Die Abfindung des Kindes für seinen Unterhaltsanspruch kann vereinbart werden, wenn sein Interesse es rechtfertigt.
2    Die Vereinbarung wird für das Kind erst verbindlich:
1  wenn die Kindesschutzbehörde, oder bei Abschluss in einem gerichtlichen Verfahren, das Gericht die Genehmigung erteilt hat, und
2  wenn die Abfindungssumme an die dabei bezeichnete Stelle entrichtet worden ist.
ZGB in Verbindung mit Art. 54
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 54 - Die juristischen Personen sind handlungsfähig, sobald die nach Gesetz und Statuten hiefür unentbehrlichen Organe bestellt sind.
des Schlusstitels des ZGB die Kantone die sachliche Zuständigkeit und das Verfahren ordnen, ist nach solothurnischem Recht (§ 92 des EG zum ZGB) die Vormundschaftsbehörde nicht antragstellende, sondern in erster Instanz entscheidende Behörde. Die Vormundschaftsbehörde T. ist also im vorliegenden Falle nicht Partei und kann folglich das in Art. 61 OG dem Berufungsbeklagten eingeräumte Recht zur Erstattung einer Antwort nicht beanspruchen, wie sie auch nicht berechtigt gewesen wäre, gegen einen nach ihrer Auffassung unrichtigen Entscheid der obern kantonalen Behörde die Berufung oder Anschlussberufung an das Bundesgericht zu erklären (vgl.BGE 46 II 3, BGE 82 II 216 oben; fernerBGE 50 II 97Erw. 2,BGE 56 II 345Erw. 1 und BGE 83 II 187, wo in Angelegenheiten im Sinne von Art. 86 Ziff. 1
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ZGB Art. 54 - Die juristischen Personen sind handlungsfähig, sobald die nach Gesetz und Statuten hiefür unentbehrlichen Organe bestellt sind.
-3
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ZGB Art. 54 - Die juristischen Personen sind handlungsfähig, sobald die nach Gesetz und Statuten hiefür unentbehrlichen Organe bestellt sind.
des frühern bzw. Art. 44 lit. a
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ZGB Art. 54 - Die juristischen Personen sind handlungsfähig, sobald die nach Gesetz und Statuten hiefür unentbehrlichen Organe bestellt sind.
-c des geltenden OG die Befugnis zur Ergreifung der zivilrechtlichen Beschwerde bzw. der Berufung solchen Behörden zugestanden wurde, die am kantonalen Verfahren als Gegenpartei des Bürgers beteiligt waren). Als Berufungsbeklagter kann im vorliegenden
BGE 86 II 213 S. 217

Fall aber auch nicht etwa ein privater Drittinteressent gelten, da im kantonalen Verfahren kein solcher als Partei zugelassen worden war. Die Einholung einer Berufungsantwort kommt daher nicht in Frage, sondern in derartigen Fällen ist nur die Vorinstanz befugt, sich (in Form von Gegenbemerkungen im Sinne von Art. 56
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ZGB Art. 54 - Die juristischen Personen sind handlungsfähig, sobald die nach Gesetz und Statuten hiefür unentbehrlichen Organe bestellt sind.
OG) zur Berufung zu äussern. Wenn nicht bei jeder Berufung ein Berufungsbeklagter vorhanden ist, so erklärt sich dies ohne weiteres daraus, dass die Berufung nicht bloss in Zivilrechtsstreitigkeiten (Art. 44
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ZGB Art. 54 - Die juristischen Personen sind handlungsfähig, sobald die nach Gesetz und Statuten hiefür unentbehrlichen Organe bestellt sind.
am Anfang, Art. 45 lit. a
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ZGB Art. 54 - Die juristischen Personen sind handlungsfähig, sobald die nach Gesetz und Statuten hiefür unentbehrlichen Organe bestellt sind.
und Art. 46
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ZGB Art. 54 - Die juristischen Personen sind handlungsfähig, sobald die nach Gesetz und Statuten hiefür unentbehrlichen Organe bestellt sind.
OG) ergriffen werden kann, sondern auch in gewissen andern Zivilsachen (Art. 44 lit. a
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ZGB Art. 54 - Die juristischen Personen sind handlungsfähig, sobald die nach Gesetz und Statuten hiefür unentbehrlichen Organe bestellt sind.
-c, Art. 45 lit. b
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ZGB Art. 54 - Die juristischen Personen sind handlungsfähig, sobald die nach Gesetz und Statuten hiefür unentbehrlichen Organe bestellt sind.
OG), die von den kantonalen Behörden nicht oder jedenfalls nicht notwendigerweise in einem kontradiktorischen Zweiparteienprozess zu behandeln sind.
4. In der Sache selbst steht fest, dass der Vorsteher des Erziehungsheims L. für die Knaben Max und Franz auf den Zeitpunkt ihrer Schulentlassung Lehrstellen gefunden hatte (für Max als Bauschlosser, für Franz als Optiker), die den Vater finanziell nur wenig belastet hätten, dass R. aber diese Vorschläge trotz stundenlangem Zureden ablehnte, den Kindern den Wunsch nach beruflicher Ausbildung auszureden suchte und schliesslich alle drei Knaben (auch den noch schulpflichtigen, der nach Auffassung des Heimleiters dringend des weitern Schulunterrichts in seiner Muttersprache bedurft hätte) im Welschland in Hilfsstellen unterbrachte, welche dann die beiden ältern Knaben (oder auf jeden Fall Franz) eigenmächtig wechselten. Als dann ungünstige Berichte aus dem Welschland eintrafen, konnte R. zwar mit viel Mühe dazu gebracht werden, dass er sich einverstanden erklärte, seine Söhne eine Berufslehre machen zu lassen und den Rat eines erfahrenen Mannes anzunehmen, hielt aber sein Versprechen nicht und lehnte alle weitern Vorschläge, die ihm unterbreitet wurden, rundweg ab, ohne dagegen sachliche Einwendungen erheben zu können. Damit hat er die ihm nach Art. 276
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 276 - 1 Der Unterhalt wird durch Pflege, Erziehung und Geldzahlung geleistet.342
1    Der Unterhalt wird durch Pflege, Erziehung und Geldzahlung geleistet.342
2    Die Eltern sorgen gemeinsam, ein jeder Elternteil nach seinen Kräften, für den gebührenden Unterhalt des Kindes und tragen insbesondere die Kosten von Betreuung, Erziehung, Ausbildung und Kindesschutzmassnahmen.343
3    Die Eltern sind von der Unterhaltspflicht in dem Mass befreit, als dem Kinde zugemutet werden kann, den Unterhalt aus seinem Arbeitserwerb oder andern Mitteln zu bestreiten.
ZGB obliegende Pflicht, für die
BGE 86 II 213 S. 218

Ausbildung der Kinder in einem Berufe zu sorgen, gröblich verletzt. R. will dies freilich nicht gelten lassen, weil er sich seinerseits bemüht habe, für seine Kinder Lehrstellen zu finden, und weil er anderseits als ungelernter Arbeiter gar nicht verpflichtet sei, seine Kinder in einem Beruf ausbilden zu lassen. Diese Einwendungen sind jedoch unbehelflich. a) Richtig ist zwar, dass R. im Spätherbst 1958 mit der Bezirks-Berufsberatungsstelle Olten in Verbindung trat und sich für ausgeschriebene Schmiede- bzw. Schlosserlehrstellen interessierte, und dass er dann im April 1959 mit dem Inhaber eines Bierdepots in Leysin unterhandelte, der eine kaufmännische Lehrstelle anbot, und im August 1959 (also um die Zeit, da der Jugendfürsorger von Yverdon und Umgebung sich an die Gemeindebehörden von T. wandte) in der "Feuille d'Avis de Lausanne" ein Inserat erscheinen liess, wonach er für einen Knaben von 14 Jahren und einen solchen von 15 Jahren (also offenbar für Robert und Franz) "une bonne place libre" bzw. "une place" mit Gelegenheit zum Besuch von Kursen oder zum Absolvieren einer Handelslehre suchte. Diese Bemühungen führten aber nicht zu einem positiven Ergebnis. Ob R. schon vor dem Eingreifen der Vormundschaftsbehörde oder erst später mit den Personalchefs G. und Z. von der SBB- bzw. PTT-Verwaltung in Basel Fühlung genommen habe, kann dahingestellt bleiben; denn wenn er wirklich den ernsten Willen gehabt hätte, seinen Söhnen passende Lehrstellen zu verschaffen, hätte er nur den Vorschlägen des Vorstehers des Erziehungsheims L. zu folgen brauchen, der die Fähigkeiten und Neigungen der Knaben besser als er selber kannte und eine für ihn auch finanziell tragbare Lösung gefunden hatte. Eine Anstellung bei der Post, wie Z. sie offenbar hätte vermitteln sollen, ist R. übrigens bei der Verhandlung vom 28. Januar 1960 vorgeschlagen und von ihm abgelehnt worden. Seine ganze Haltung in dieser Angelegenheit ist also unzweifelhaft nicht durch
BGE 86 II 213 S. 219

irgendwelche sachliche Erwägungen, sondern durch reinen Eigensinn und, wie die Vorinstanz annimmt, durch Eigennutz bestimmt worden. b) Um darzutun, dass er nicht verpflichtet sei, seine Kinder einen Beruf erlernen zu lassen, beruft sich R. auf den Kommentar EGGER (N. 7 zu Art. 273
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 273 - 1 Eltern, denen die elterliche Sorge oder Obhut nicht zusteht, und das minderjährige Kind haben gegenseitig Anspruch auf angemessenen persönlichen Verkehr.332
1    Eltern, denen die elterliche Sorge oder Obhut nicht zusteht, und das minderjährige Kind haben gegenseitig Anspruch auf angemessenen persönlichen Verkehr.332
2    Die Kindesschutzbehörde kann Eltern, Pflegeeltern oder das Kind ermahnen und ihnen Weisungen erteilen, wenn sich die Ausübung oder Nichtausübung des persönlichen Verkehrs für das Kind nachteilig auswirkt oder wenn eine Ermahnung oder eine Weisung aus anderen Gründen geboten ist.
3    Der Vater oder die Mutter können verlangen, dass ihr Anspruch auf persönlichen Verkehr geregelt wird.
und N. 6 zu Art. 275
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 275 - 1 Für Anordnungen über den persönlichen Verkehr ist die Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes zuständig und, sofern sie Kindesschutzmassnahmen getroffen hat oder trifft, diejenige an seinem Aufenthaltsort.
1    Für Anordnungen über den persönlichen Verkehr ist die Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes zuständig und, sofern sie Kindesschutzmassnahmen getroffen hat oder trifft, diejenige an seinem Aufenthaltsort.
2    Regelt das Gericht nach den Bestimmungen über die Ehescheidung und den Schutz der ehelichen Gemeinschaft die elterliche Sorge, die Obhut oder den Unterhaltsbeitrag, so regelt es auch den persönlichen Verkehr.337
3    Bestehen noch keine Anordnungen über den Anspruch von Vater und Mutter, so kann der persönliche Verkehr nicht gegen den Willen der Person ausgeübt werden, welcher die elterliche Sorge oder Obhut zusteht.
ZGB), wo es unter anderem heisst, die Eltern seien berechtigt, die Dienste der Kinder "nicht nur soweit erzieherisch geboten, sondern soweit als erzieherisch angängig in Anspruch zu nehmen"; sie seien zu einer ihren Verhältnissen entsprechenden Erziehung verpflichtet; es solle eine Erziehung sein, die den Kindern die Fortführung der elterlichen Lebensstellung ermögliche. Aus diesen Zitaten lässt sich jedoch keineswegs ableiten, dass ein ungelernter Arbeiter wie R. nicht gehalten sei, seinen Kindern eine berufliche Ausbildung zuteil werden zu lassen. Mit der Frage der Berufsausbildung befasst sich Art. 276
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 276 - 1 Der Unterhalt wird durch Pflege, Erziehung und Geldzahlung geleistet.342
1    Der Unterhalt wird durch Pflege, Erziehung und Geldzahlung geleistet.342
2    Die Eltern sorgen gemeinsam, ein jeder Elternteil nach seinen Kräften, für den gebührenden Unterhalt des Kindes und tragen insbesondere die Kosten von Betreuung, Erziehung, Ausbildung und Kindesschutzmassnahmen.343
3    Die Eltern sind von der Unterhaltspflicht in dem Mass befreit, als dem Kinde zugemutet werden kann, den Unterhalt aus seinem Arbeitserwerb oder andern Mitteln zu bestreiten.
ZGB. Diese Bestimmung sieht die Ausbildung der Kinder in einem Beruf nach Anordnung der Eltern vor und weist die Eltern an, soweit möglich auf die körperlichen und geistigen Fähigkeiten und die Neigungen der Kinder Rücksicht zu nehmen. EGGER betont in N. 1 zu Art. 276 die grosse Bedeutung der beruflichen Tüchtigkeit für den einzelnen Menschen wie für die Öffentlichkeit und stellt im Anschluss daran fest: "Deshalb anerkennt das ZGB... einen Anspruch der Kinder auf berufliche Ausbildung. Die Eltern handeln pflichtwidrig und schuldhaft, wenn sie ihnen diese Ausbildung vorenthalten." Dieser Auffassung ist wenigstens für den Fall beizupflichten, dass die Gewährung einer solchen Ausbildung den Eltern bei gutem Willen finanziell möglich ist. Da die Knaben Max und Franz festgestelltermassen einen Beruf zu erlernen wünschten und nach dem Ergebnis einer Prüfung durch den Berufsberater hiezu geeignet waren, und da diese Ausbildung dem Vater nur geringe, für ihn tragbare Kosten verursacht hätte, handelte R. pflichtwidrig,
BGE 86 II 213 S. 220

indem er seinen Söhnen den Antritt der Lehre nicht erlaubte. Sein Hinweis darauf, dass es unbeanstandet hingenommen werde, wenn "Leute in viel besserer Situation ihre Kinder in die Fabrik schicken", kann hieran nichts ändern. Manche Kinder können mangels Eignung oder Neigung beruflich nicht so gefördert werden, wie es an sich wünschbar und angesichts der wirtschaftlichen Lage der Eltern möglich wäre, und im übrigen können die Missbräuche anderer, auch wenn sie ungeahndet bleiben, nicht zur Rechtfertigung eigener grober Fehler dienen.
5. Neben dem Widerstand gegen die berufliche Ausbildung der Söhne Max und Franz fällt R. auch zur Last, dass er die ins Welschland versetzten Knaben allzusehr sich selber überliess und den eigenmächtigen Stellenwechsel duldete, wodurch er die Knaben ernstlichen Gefahren aussetzte. Auch darin liegt eine schwere Verletzung der Erzieherpflichten.
6. Das geschilderte Verhalten R. stellt eine grobe Pflichtvernachlässigung im Sinne von Art. 285
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ZGB Art. 285 - 1 Der Unterhaltsbeitrag soll den Bedürfnissen des Kindes sowie der Lebensstellung und Leistungsfähigkeit der Eltern entsprechen; dabei sind das Vermögen und die Einkünfte des Kindes zu berücksichtigen.
1    Der Unterhaltsbeitrag soll den Bedürfnissen des Kindes sowie der Lebensstellung und Leistungsfähigkeit der Eltern entsprechen; dabei sind das Vermögen und die Einkünfte des Kindes zu berücksichtigen.
2    Der Unterhaltsbeitrag dient auch der Gewährleistung der Betreuung des Kindes durch die Eltern oder Dritte.
3    Er ist zum Voraus zu entrichten. Das Gericht setzt die Zahlungstermine fest.
ZGB dar. Es bedeutet daher keine Bundesrechtsverletzung, dass die Vorinstanzen ihm in Anwendung dieser Bestimmung die elterliche Gewalt entzogen haben. Richtig ist freilich, dass die Behörden nur dann zur Entziehung der elterlichen Gewalt schreiten dürfen, wenn mildere Massnahmen nichts fruchten (vgl.BGE 38 II 454,BGE 42 II 97). Diesem Grundsatz haben jedoch die Vorinstanzen nicht zuwidergehandelt. Die elterliche Gewalt wurde R. erst entzogen, nachdem alle andern Versuche, den Kindern zu einer angemessenen beruflichen Ausbildung zu verhelfen und sie vor dem verderblichen Einfluss eines ungebundenen Lebens zu bewahren, an der verfehlten Haltung R. gescheitert waren.

Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann, und der Entscheid des Regierungsrates
BGE 86 II 213 S. 221

des Kantons Solothurn vom 8. April 1960 wird bestätigt.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 86 II 213
Datum : 12. Juli 1960
Publiziert : 31. Dezember 1960
Quelle : Bundesgericht
Status : 86 II 213
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Berufungsverfahren. Fehlen eines Berufungsbeklagten, von dem eine Berufungsantwort (Art. 61 OG) einzuholen wäre. Fall, dass


Gesetzesregister
OG: 44  45  46  48  56  60  61  86
ZGB: 54 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 54 - Die juristischen Personen sind handlungsfähig, sobald die nach Gesetz und Statuten hiefür unentbehrlichen Organe bestellt sind.
273 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 273 - 1 Eltern, denen die elterliche Sorge oder Obhut nicht zusteht, und das minderjährige Kind haben gegenseitig Anspruch auf angemessenen persönlichen Verkehr.332
1    Eltern, denen die elterliche Sorge oder Obhut nicht zusteht, und das minderjährige Kind haben gegenseitig Anspruch auf angemessenen persönlichen Verkehr.332
2    Die Kindesschutzbehörde kann Eltern, Pflegeeltern oder das Kind ermahnen und ihnen Weisungen erteilen, wenn sich die Ausübung oder Nichtausübung des persönlichen Verkehrs für das Kind nachteilig auswirkt oder wenn eine Ermahnung oder eine Weisung aus anderen Gründen geboten ist.
3    Der Vater oder die Mutter können verlangen, dass ihr Anspruch auf persönlichen Verkehr geregelt wird.
275 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 275 - 1 Für Anordnungen über den persönlichen Verkehr ist die Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes zuständig und, sofern sie Kindesschutzmassnahmen getroffen hat oder trifft, diejenige an seinem Aufenthaltsort.
1    Für Anordnungen über den persönlichen Verkehr ist die Kindesschutzbehörde am Wohnsitz des Kindes zuständig und, sofern sie Kindesschutzmassnahmen getroffen hat oder trifft, diejenige an seinem Aufenthaltsort.
2    Regelt das Gericht nach den Bestimmungen über die Ehescheidung und den Schutz der ehelichen Gemeinschaft die elterliche Sorge, die Obhut oder den Unterhaltsbeitrag, so regelt es auch den persönlichen Verkehr.337
3    Bestehen noch keine Anordnungen über den Anspruch von Vater und Mutter, so kann der persönliche Verkehr nicht gegen den Willen der Person ausgeübt werden, welcher die elterliche Sorge oder Obhut zusteht.
276 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 276 - 1 Der Unterhalt wird durch Pflege, Erziehung und Geldzahlung geleistet.342
1    Der Unterhalt wird durch Pflege, Erziehung und Geldzahlung geleistet.342
2    Die Eltern sorgen gemeinsam, ein jeder Elternteil nach seinen Kräften, für den gebührenden Unterhalt des Kindes und tragen insbesondere die Kosten von Betreuung, Erziehung, Ausbildung und Kindesschutzmassnahmen.343
3    Die Eltern sind von der Unterhaltspflicht in dem Mass befreit, als dem Kinde zugemutet werden kann, den Unterhalt aus seinem Arbeitserwerb oder andern Mitteln zu bestreiten.
283  285 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 285 - 1 Der Unterhaltsbeitrag soll den Bedürfnissen des Kindes sowie der Lebensstellung und Leistungsfähigkeit der Eltern entsprechen; dabei sind das Vermögen und die Einkünfte des Kindes zu berücksichtigen.
1    Der Unterhaltsbeitrag soll den Bedürfnissen des Kindes sowie der Lebensstellung und Leistungsfähigkeit der Eltern entsprechen; dabei sind das Vermögen und die Einkünfte des Kindes zu berücksichtigen.
2    Der Unterhaltsbeitrag dient auch der Gewährleistung der Betreuung des Kindes durch die Eltern oder Dritte.
3    Er ist zum Voraus zu entrichten. Das Gericht setzt die Zahlungstermine fest.
288
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 288 - 1 Die Abfindung des Kindes für seinen Unterhaltsanspruch kann vereinbart werden, wenn sein Interesse es rechtfertigt.
1    Die Abfindung des Kindes für seinen Unterhaltsanspruch kann vereinbart werden, wenn sein Interesse es rechtfertigt.
2    Die Vereinbarung wird für das Kind erst verbindlich:
1  wenn die Kindesschutzbehörde, oder bei Abschluss in einem gerichtlichen Verfahren, das Gericht die Genehmigung erteilt hat, und
2  wenn die Abfindungssumme an die dabei bezeichnete Stelle entrichtet worden ist.
BGE Register
38-II-451 • 42-II-93 • 46-II-1 • 82-II-216 • 83-II-180 • 86-II-213
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
vorinstanz • entziehung der elterlichen gewalt • elterliche gewalt • weiler • bundesgericht • berufsausbildung • sucht • kantonale behörde • vater • wille • tag • regierungsrat • richtigkeit • berufslehre • olten • erste instanz • frage • kantonales verfahren • einwendung • entscheid
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