85 IV 30
9. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 25. März 1959 i.S. Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen R.
Regeste (de):
- Art. 307
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 307 - 1 Wer in einem gerichtlichen Verfahren als Zeuge, Sachverständiger, Übersetzer oder Dolmetscher zur Sache falsch aussagt, einen falschen Befund oder ein falsches Gutachten abgibt oder falsch übersetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1 Wer in einem gerichtlichen Verfahren als Zeuge, Sachverständiger, Übersetzer oder Dolmetscher zur Sache falsch aussagt, einen falschen Befund oder ein falsches Gutachten abgibt oder falsch übersetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. 2 ...434 3 Bezieht sich die falsche Äusserung auf Tatsachen, die für die richterliche Entscheidung unerheblich sind, so ist die Strafe Geldstrafe.435 - Der Zeuge, der seine Lügen, gleichgültig aus welchem Grunde, vor Abschluss der Einvernahme zurücknimmt, kann weder wegen vollendeten noch wegen versuchten falschen Zeugnisses bestraft werden.
Regeste (fr):
- Art. 307 CP.
- Le témoin qui, quelle qu'en soit la raison, revient sur une déposition mensongère avant la fin de son audition, ne peut être condamné ni pour faux témoignage ni pour tentative de faux témoignage.
Regesto (it):
- Art. 307 CP.
- Il testimonio che, per qualsivoglia motivo, ritira una deposizione mendace prima della fine dell'audizione non può essere condannato nè per falsa testimonianza nè per tentativo di falsa testimonianza.
Sachverhalt ab Seite 30
BGE 85 IV 30 S. 30
A.- In einem beim Bezirksgericht Zürich hängigen Vaterschaftsprozess wurde R. als Zeugin zur Sache befragt, nachdem sie einleitend zur Wahrheit ermahnt und auf die Folgen eines falschen Zeugnisses hingewiesen worden war. Trotzdem der Richter im Verlaufe der Einvernahme die Ermahnung wiederholte, machte die Zeugin falsche Angaben und behauptete, als ihre Aussagen vorgelesen
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wurden, die Wahrheit gesagt zu haben. Die Befragung wurde daraufhin fortgesetzt, und auf erneute, eindringliche Vorhalte berichtigte R. schliesslich ihre unwahren Angaben. Sodann wurde ihr nochmals das Protokoll verlesen, dessen Inhalt sie als zutreffend bestätigte.
B.- Am 17. November 1958 verurteilte das Obergericht des Kantons Zürich R. wegen unvollendeten Versuches des falschen Zeugnisses zu einer bedingt aufgeschobenen Freiheitsstrafe von drei Monaten Gefängnis.
C.- R. und die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich führen Nichtigkeitsbeschwerde. Die erstere beantragt, das Urteil des Obergerichtes sei aufzuheben und sie sei freizusprechen. Die Staatsanwaltschaft verlangt demgegenüber, es sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie die Verurteilte wegen vollendeten falschen Zeugnisses bestrafe.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft hätte die Vorinstanz die Beschwerdegegnerin nicht bloss wegen unvollendeten Versuchs des falschen Zeugnisses, sondern wegen des vollendeten Deliktes bestrafen müssen. Die Befolgung der nach kantonalem Recht bei der Zeugeneinvernahme zu beobachtenden Formvorschriften sei gemäss BGE 71 IV 43 Voraussetzung für die Gültigkeit des Zeugnisses. Würden sie nicht eingehalten, so liege kein gültiges Zeugnis und infolgedessen auch kein falsches Zeugnis im Sinne von Art. 307 StBG vor. Die Beobachtung der kantonalen Verfahrensbestimmungen sei somit objektive Strafbarkeitsbedingung, mit deren Eintritt jede einzelne zuvor gemachte falsche Aussage zum vollendeten falschen Zeugnis werde. Das tatbeständliche Verhalten der Beschwerdegegnerin sei infolgedessen damit abgeschlossen gewesen, dass sie im Bewusstsein ihrer Zeugenqualität und der Unwahrheit ihrer Angabe wenigstens einen falschen Satz vollständig ausgesprochen habe, und die Strafbarkeit dieser einzelnen falschen Aussage sei mit der Erfüllung der
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kantonalen Formvorschriften eingetreten, unbekümmert um den im Verlaufe der Einvernahme erfolgten Widerruf. Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Zwar hat die Betrachtungsweise der Staatsanwaltschaft, soweit sie die Beobachtung der kantonalen Prozessvorschriften als objektive Strafbarkeitsbedingung versteht, gute Gründe für sich. Indessen kann die Frage, ob die Gültigkeit des Zeugnisses Strafbarkeitsbedingung oder Tatbestandsmerkmal sei, offen bleiben. Denn selbst wenn man der Staatsanwaltschaft in diesem Punkte beistimmen wollte, wäre ihre Beschwerde deswegen unbegründet, weil die weitere Folgerung, dass der Tatbestand schon vollendet sei, sobald der Zeuge einen "einzelnen falschen Satz" ausgesprochen habe, nicht schlüssig ist. Vollendet ist das Zeugnis erst mit dem Abschluss der Einvernahme (so auch die deutsche und die österreichische Rechtsprechung, vgl. Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen 4'174; 8'306; Entscheidungen des österr. Obersten Gerichtshofes in Strafsachen und Disziplinarangelegenheiten, XVI, Nr. 43 und 79). Die Frage, ob ein falsches Zeugnis vorliege, ist daher nach der Gesamtheit der vom Zeugen bis zum Abschluss seiner Vernehmung gemachten Angaben, also nach dem schliesslichen Ergebnis der Aussagen zu beurteilen. Denn prozessrechtlich wird die Einvernahme eines Zeugen allgemein als eine Einheit behandelt. So betrachtet, versteht sich von selbst, dass über einen im Verlaufe derselben Vernehmung erfolgten Widerruf einer falschen Aussage nicht hinweggeschritten und der unwahre "aussagende Satz" unbekümmert um seine Berichtigung zum Anlass einer Strafverfolgung wegen vollendeten falschen Zeugnisses gemacht werden kann. Eine solche Auslegung des Gesetzes würde zu stossenden Ergebnissen führen und wäre der Erforschung der Wahrheit als eines der vordringlichsten Ziele der Rechtspflege, deren Interessen Art. 307
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 307 - 1 Wer in einem gerichtlichen Verfahren als Zeuge, Sachverständiger, Übersetzer oder Dolmetscher zur Sache falsch aussagt, einen falschen Befund oder ein falsches Gutachten abgibt oder falsch übersetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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1 | Wer in einem gerichtlichen Verfahren als Zeuge, Sachverständiger, Übersetzer oder Dolmetscher zur Sache falsch aussagt, einen falschen Befund oder ein falsches Gutachten abgibt oder falsch übersetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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3 | Bezieht sich die falsche Äusserung auf Tatsachen, die für die richterliche Entscheidung unerheblich sind, so ist die Strafe Geldstrafe.435 |
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2. Dagegen ist die Beschwerde der R., mit welcher diese ihre Freisprechung verlangt, aus den in BGE 80 IV 124 angeführten Gründen gutzuheissen. Von dieser Rechtsprechung abzugehen, besteht trotz der hiegegen erhobenen Kritik kein Anlass. Der Vorwurf, es werde dadurch die Anwendbarkeit der Bestimmungen über den Versuch auf den Tatbestand des falschen Zeugnisses ausgeschlossen (HÄFLIGER, ZStR 71, S. 308 ff; WAIBLINGER, ZStR 72, S. 141 und ZBJV 92, S. 208; SCHULTZ, ZStR 73, S. 256), wäre nur beachtlich, wenn das Gesetz immer so ausgelegt werden müsste, dass für eine Bestrafung des Versuchs Raum bliebe. Ein solches Gebot enthält jedoch das StGB weder ausdrücklich noch sinngemäss. Ob der Versuch strafbar sei, entscheidet sich nicht allgemein, sondern nach der Umschreibung jedes einzelnen der im besonderen Teil des Gesetzes enthaltenen Straftatbestände. Eine Änderung der Rechtsprechung erscheint auch nicht deswegen geboten, weil bei Straflosigkeit einer falschen, aber im Verlaufe der Einvernahme widerrufenen Aussage die Gefahr besteht, dass sich gerade die skrupellosesten Elemente zunächst aufs Lügen verlegen werden, um zuzusehen, ob es der Richter merke, und erst dann, wenn dies zutrifft, die falsche Aussage zu widerrufen (HÄFLIGER, a.a.O. S. 310). Dieser Nachteil muss in Kauf genommen werden, um den erheblich schwerwiegenderen zu vermeiden, dass ein Zeuge die Wahrheit verschweige oder in seinen Lügen verharre aus Furcht, dafür bestraft zu werden. Der Einwand ferner, BGE 80 IV 124 begünstige ungerechtfertigterweise den vom Richter der Lüge verdächtigten und durch Vorhalte zur Wahrheit geführten Zeugen vor demjenigen, der bei der Einvernahme nicht zur Berichtigung seiner unwahren Aussagen angehalten werde (CLERC, Cours élémentaire sur le Code pénal suisse, partie spéciale II. S. 260; HÄFLIGER, a.a.O. S. 309), übersieht, dass jeder zur Tat Entschlossene, der von einem Dritten von der Ausführung seines Vorhabens abgehalten wird, gegenüber demjenigen, dem solches nicht widerfährt, besser gestellt ist. Niemand wird deswegen
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im Ernst daran denken, den ersteren zu bestrafen, nur weil der zweite eine Strafe verwirkt hat. Schliesslich ist es entgegen der Auffassung des Obergerichtes auch nicht unbillig, dass der Zeuge, der vor Beendigung der Einvernahme seine Lügen zurücknimmt, der strafrechtlichen Verfolgung entgeht, während derjenige, der zwar aus eigenem Antrieb, aber erst nach Abschluss der Vernehmung seine unwahren Aussagen berichtigt, grundsätzlich unter Strafe fällt (Art. 308
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 308 - 1 Berichtigt der Täter seine falsche Anschuldigung (Art. 303), seine falsche Anzeige (Art. 304) oder Äusserung (Art. 306 und 307) aus eigenem Antrieb und bevor durch sie ein Rechtsnachteil für einen andern entstanden ist, so kann das Gericht die Strafe mildern (Art. 48a) oder von einer Bestrafung absehen. |
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1 | Berichtigt der Täter seine falsche Anschuldigung (Art. 303), seine falsche Anzeige (Art. 304) oder Äusserung (Art. 306 und 307) aus eigenem Antrieb und bevor durch sie ein Rechtsnachteil für einen andern entstanden ist, so kann das Gericht die Strafe mildern (Art. 48a) oder von einer Bestrafung absehen. |
2 | Der Täter bleibt straflos, wenn er eine falsche Äusserung getan hat (Art. 306 und 307), weil er: |
a | sich durch die wahre Äusserung der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung aussetzen würde; oder |
b | durch die wahre Äusserung seine Angehörigen oder jemand anderen, zu dem er in so nahen persönlichen Beziehungen steht, dass sein Verhalten entschuldbar ist, der Gefahr strafrechtlicher Verfolgung aussetzen würde. |
BGE 85 IV 30 S. 35
GARÇON, Code pénal annoté, 1956, II S. 418 N. 84 und S. 421 N. 106).