Urteilskopf

85 I 137

22. Urteil vom 21. Oktober 1959 i. S. J. gegen Appellationshof des Kantons Bern.
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 137

BGE 85 I 137 S. 137

A.- In einer Betreibung gegen J. erteilte der Gerichtspräsident II von Bern der Gläubigerin die definitive Rechtsöffnung für den Betrag von Fr. 4107.-- nebst Zinsen. J. appellierte gegen diesen Entscheid und ersuchte gleichzeitig um Erteilung des Rechts auf unentgeltliche Prozessführung. Der Appellationshof des Kantons Bern
BGE 85 I 137 S. 138

wies dieses Gesuch durch Verfügung vom 22. September 1959 ab und forderte J. unter Hinweis auf die in Art. 286
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 286 Eingabe bei Teileinigung - 1 In der Eingabe haben die Ehegatten zu beantragen, dass das Gericht die Scheidungsfolgen beurteilt, über die sie sich nicht einig sind.
1    In der Eingabe haben die Ehegatten zu beantragen, dass das Gericht die Scheidungsfolgen beurteilt, über die sie sich nicht einig sind.
2    Jeder Ehegatte kann begründete Anträge zu den streitigen Scheidungsfolgen stellen.
3    Im Übrigen gilt Artikel 285 sinngemäss.
und 353
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 353 Geltungsbereich - 1 Die Bestimmungen dieses Teils gelten für Verfahren vor Schiedsgerichten mit Sitz in der Schweiz, sofern nicht die Bestimmungen des zwölften Kapitels des IPRG181 anwendbar sind.
1    Die Bestimmungen dieses Teils gelten für Verfahren vor Schiedsgerichten mit Sitz in der Schweiz, sofern nicht die Bestimmungen des zwölften Kapitels des IPRG181 anwendbar sind.
2    Die Parteien können die Geltung dieses Teils durch eine Erklärung in der Schiedsvereinbarung oder in einer späteren Übereinkunft ausschliessen und die Anwendung der Bestimmungen des zwölften Kapitels des IPRG vereinbaren. Die Erklärung bedarf der Form gemäss Artikel 358.182
bern. ZPO für den Unterlassungsfall angedrohten Folgen auf, binnen vier Tagen einen Kostenvorschuss von Fr. 50.- zu leisten. Zur Begründung führte er aus: Für das Rechtsöffnungsverfahren gelte der Gebührentarif zum SchKG vom 6. September 1957 (Art. 71 ff. und betr. Kostenvorschuss Art. 76). Die Erteilung der unentgeltlichen Prozessführung für das Vollstreckungsverfahren sei nicht vorgesehen (vgl. auch LEUCH N. 2 zu Art. 77
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 77 Wirkungen der Intervention - Ein für die Hauptpartei ungünstiges Ergebnis des Prozesses wirkt auch gegen die intervenierende Person, es sei denn:
a  sie sei durch die Lage des Prozesses zur Zeit ihres Eintritts oder durch Handlungen oder Unterlassungen der Hauptpartei verhindert gewesen, Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend zu machen; oder
b  ihr unbekannte Angriffs- oder Verteidigungsmittel seien von der Hauptpartei absichtlich oder grobfahrlässig nicht geltend gemacht worden.
ZPO).
B.- Gegen diese Verfügung führt J. staatsrechtliche Beschwerde. Er macht Verletzung von Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV geltend und bringt zur Begründung vor: Art. 77
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 77 Wirkungen der Intervention - Ein für die Hauptpartei ungünstiges Ergebnis des Prozesses wirkt auch gegen die intervenierende Person, es sei denn:
a  sie sei durch die Lage des Prozesses zur Zeit ihres Eintritts oder durch Handlungen oder Unterlassungen der Hauptpartei verhindert gewesen, Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend zu machen; oder
b  ihr unbekannte Angriffs- oder Verteidigungsmittel seien von der Hauptpartei absichtlich oder grobfahrlässig nicht geltend gemacht worden.
bern. ZPO, der die unentgeltliche Prozessführung vorsehe, mache für Rechtsöffnungen keine Ausnahme. Es sei lediglich die Auffassung von Leuch, dass sie für Rechtsöffnungen nicht zu bewilligen sei. Aus was für Gründen dies der Fall sein solle, werde nicht angegeben und sei nicht einzusehen, besonders da auch im Rechtsöffnungsverfahren sich schwierige Rechtsfragen stellen könnten und jeder Schweizerbürger ein Recht darauf habe, vor Gericht seine Rechte wahren zu können. Die angefochtene Verfügung sei daher willkürlich.
Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts hat die bedürftige Partei einen unmittelbar aus Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV folgenden Anspruch darauf dass der Richter in einem für sie nicht aussichtslosen Zivilprozess ohne vorhergehende Hinterlegung oder Sicherstellung von Kosten für sie tätig und dass ihr unter gewissen Voraussetzungen ein unentgeltlicher Rechtsbeistand beigegeben werde (BGE 78 I 195 Erw. 2 mit Verweisungen). Der Beschwerdeführer macht mit Recht keine Verletzung dieses bundesrechtlichen Armenrechtsanspruchs geltend; denn dieser Anspruch besteht nur für Zivilprozesse und gilt, wie das Bundesgericht bereits im nicht veröffentlichten Urteil vom 14. Juli 1954
BGE 85 I 137 S. 139

i.S. Foletti entschieden hat, nicht für das summarische Rechtsöffnungsverfahren, dessen Kosten zu den Betreibungskosten im Sinne von Art. 68
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 68 - 1 Der Schuldner trägt die Betreibungskosten. Dieselben sind vom Gläubiger vorzuschiessen. Wenn der Vorschuss nicht geleistet ist, kann das Betreibungsamt unter Anzeige an den Gläubiger die Betreibungshandlung einstweilen unterlassen.
1    Der Schuldner trägt die Betreibungskosten. Dieselben sind vom Gläubiger vorzuschiessen. Wenn der Vorschuss nicht geleistet ist, kann das Betreibungsamt unter Anzeige an den Gläubiger die Betreibungshandlung einstweilen unterlassen.
2    Der Gläubiger ist berechtigt, von den Zahlungen des Schuldners die Betreibungskosten vorab zu erheben.
SchKG gehören (BGE 71 III 145/6, BGE 80 III 83 /4). Dagegen behauptet der Beschwerdeführer, auf Grund von Art. 77
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 77 Wirkungen der Intervention - Ein für die Hauptpartei ungünstiges Ergebnis des Prozesses wirkt auch gegen die intervenierende Person, es sei denn:
a  sie sei durch die Lage des Prozesses zur Zeit ihres Eintritts oder durch Handlungen oder Unterlassungen der Hauptpartei verhindert gewesen, Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend zu machen; oder
b  ihr unbekannte Angriffs- oder Verteidigungsmittel seien von der Hauptpartei absichtlich oder grobfahrlässig nicht geltend gemacht worden.
bern. ZPO einen Anspruch auf unentgeltliche Prozessführung zu haben.
Die Auslegung und Anwendung dieser Bestimmung durch die kantonalen Gerichte kann das Bundesgericht nur auf Willkür hin prüfen (BGE 67 I 68). Der Beschwerdeführer macht solche auch geltend und behauptet, es sei nicht einzusehen und werde auch nicht angegeben, aus welchen Gründen die unentgeltliche Prozessführung für das Rechtsöffnungsverfahren nicht zu bewilligen sei. Indessen wird sowohl im angefochtenen Entscheid als auch in dem dort zitierten Kommentar LEUCH ausgeführt, dass für das Rechtsöffnungsverfahren die Kostenbestimmungen (nicht der bern. ZPO, sondern) des eidgenössischen Gebührentarifs zum SchKG gelten und dort das Recht auf unentgeltliche Prozessführung für das Vollstreckungsverfahren nicht vorgesehen sei. Diese Auffassung erscheint als zutreffend und kann jedenfalls nicht als willkürlich bezeichnet werden. Der Gebührentarif setzt in Art. 72 die Gebühren für Entscheide über Rechtsöffnung fest und bestimmt in Art. 76, dass diese Gebühren von der Partei vorzuschiessen sind, die den Richter angerufen oder den Entscheid weitergezogen hat. Wie bereits in BGE 55 I 365 und im erwähnten Urteil i.S. Foletti ausgeführt worden ist, kennt weder das SchKG noch der Gebührentarif die Befreiung des bedürftigen Gläubigers oder Schuldners von den Betreibungskosten und lassen sich die kantonalen Vorschriften über das Armenrecht im Zivilprozess nicht ohne weiteres analog auf das Betreibungsverfahren anwenden. Entsprechendes gilt für die Kosten des Rechtsöffnungsverfahrens, weshalb denn auch die Auffassung, dass die Bestimmungen der ZPO über die Prozesskosten und über das Armenrecht für dieses Verfahren nicht gelten, nicht nur im Kanton Bern (LEUCH N. 2 zu Art. 77
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 77 Wirkungen der Intervention - Ein für die Hauptpartei ungünstiges Ergebnis des Prozesses wirkt auch gegen die intervenierende Person, es sei denn:
a  sie sei durch die Lage des Prozesses zur Zeit ihres Eintritts oder durch Handlungen oder Unterlassungen der Hauptpartei verhindert gewesen, Angriffs- und Verteidigungsmittel geltend zu machen; oder
b  ihr unbekannte Angriffs- oder Verteidigungsmittel seien von der Hauptpartei absichtlich oder grobfahrlässig nicht geltend gemacht worden.
ZPO), sondern

BGE 85 I 137 S. 140

auch in andern Kantonen vertreten wird (STRÄULI/HAUSER zu Art. 286
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz
ZPO Art. 286 Eingabe bei Teileinigung - 1 In der Eingabe haben die Ehegatten zu beantragen, dass das Gericht die Scheidungsfolgen beurteilt, über die sie sich nicht einig sind.
1    In der Eingabe haben die Ehegatten zu beantragen, dass das Gericht die Scheidungsfolgen beurteilt, über die sie sich nicht einig sind.
2    Jeder Ehegatte kann begründete Anträge zu den streitigen Scheidungsfolgen stellen.
3    Im Übrigen gilt Artikel 285 sinngemäss.
zürch. ZPO und Urteil des zürch. Obergerichts in ZR 1941 S. 26; Urteil des aarg. Obergerichts in Vierteljahresschrift für aarg. Rechtsprechung 1941 S. 128; vgl. auch BGE 83 III 30 Erw. 2, wo die Bestellung eines Armenanwalts für den Rekurs an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts abgelehnt wurde).
Im Hinblick auf die Regelung der Betreibungskosten im eidg. Gebührentarif hat es das Bundesgericht in BGE 55 I 366 sogar als zweifelhaft bezeichnet, ob die Kantone überhaupt befugt seien, die Armenrechtserteilung für Betreibungskosten einzuführen. Selbst wenn sie diese Befugnis hätten (wie JAEGER N. 7 zu Art. 2
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 2 - 1 In jedem Betreibungskreis besteht ein Betreibungsamt, das vom Betreibungsbeamten geleitet wird.
1    In jedem Betreibungskreis besteht ein Betreibungsamt, das vom Betreibungsbeamten geleitet wird.
2    In jedem Konkurskreis besteht ein Konkursamt, das vom Konkursbeamten geleitet wird.
3    Jeder Betreibungs- und Konkursbeamte hat einen Stellvertreter, der ihn ersetzt, wenn er in Ausstand tritt oder an der Leitung des Amtes verhindert ist.
4    Das Betreibungs- und das Konkursamt können zusammengelegt und vom gleichen Beamten geleitet werden.
5    Die Kantone bestimmen im Übrigen die Organisation der Betreibungs- und der Konkursämter.
und N. 2 zu Art. 16
SR 281.1 Bundesgesetz vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG)
SchKG Art. 16 - 1 Der Bundesrat setzt den Gebührentarif fest.
1    Der Bundesrat setzt den Gebührentarif fest.
2    Die im Betreibungs- und Konkursverfahren errichteten Schriftstücke sind stempelfrei.
SchKG sowie FRITZSCHE, Schuldbetreibung I S. 100 annehmen), so bedürfte es hiefür einer besondern, der Ordnung des Betreibungsverfahrens angepassten Regelung und könnte die Erteilung des Armenrechts, insbesondere auch was seine Voraussetzungen betrifft, nicht einfach aus den Bestimmungen über das Armenrecht im Zivilprozess abgeleitet werden.
Dispositiv

Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 85 I 137
Date : 21. Oktober 1959
Published : 31. Dezember 1959
Source : Bundesgericht
Status : 85 I 137
Subject area : BGE - Verfassungsrecht
Subject : Armenrecht. Art. 4 BV. Für das Rechtsöffnungsverfahren kann die unentgeltliche Prozessführung weder unmittelbar auf Grund


Legislation register
BV: 4
SchKG: 2  16  68
ZPO: 77  286  353
BGE-register
55-I-363 • 67-I-65 • 71-III-144 • 78-I-193 • 80-III-82 • 83-III-27 • 85-I-137
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advance on costs • appeal relating to public law • cantonal legal court • civil proceedings • day • debt enforcement • debtor • decision • definitive dismissal of objection • enforcement proceeding • federal court • indigence • judicature without remuneration • judicial agency • meadow • orderer • position • prosecutional cost • statement of affairs • statement of reasons for the adjudication
ZR
1941 S.26