Urteilskopf

82 IV 65

14. Urteil des Kassationshofes vom 27. März 1956 i.S. Zistler gegen Zistler.
Regeste (de):

Regeste (fr):

Regesto (it):


Sachverhalt ab Seite 65

BGE 82 IV 65 S. 65

A.- Klara Zistler in Eismannsberg (Deutschland) stellte am 10. Oktober 1955 beim Bezirksamt Baden (Aargau) gegen ihren in Bergdietikon (Aargau) in der Landwirtschaft arbeitenden Ehemann, den deutschen Staatsangehörigen Josef Zistler, Strafantrag wegen Vernachlässigung von Unterstützungspflichten im Sinne des Art. 217
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 217 - 1 Wer seine familienrechtlichen Unterhalts- oder Unterstützungspflichten nicht erfüllt, obschon er über die Mittel dazu verfügt oder verfügen könnte, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer seine familienrechtlichen Unterhalts- oder Unterstützungspflichten nicht erfüllt, obschon er über die Mittel dazu verfügt oder verfügen könnte, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Das Antragsrecht steht auch den von den Kantonen bezeichneten Behörden und Stellen zu. Es ist unter Wahrung der Interessen der Familie auszuüben.
StGB. Sie behauptete, er habe sie und sein Kind Josef, geb. 1948, verlassen und sich in die Schweiz begeben, nachdem im April 1954 seine Scheidungsklage vom Landgericht Regensberg abgewiesen worden sei. Am 18. Juli 1955 habe ihn das Amtsgericht Kötzting verpflichtet, wöchentlich an ihren Unterhalt DM 28.- und an den
BGE 82 IV 65 S. 66

Unterhalt des Kindes DM 12.- beizutragen. Es sei ihr aber nur gelungen, von ihm anfangs September 1955 Fr. 60.- zu erhalten, worauf er ihr am 29. September 1955 mitgeteilt habe, dass er nichts mehr leisten werde.
B.- Das Bezirksamt Baden überwies die Akten der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau. Diese verfügte am 24. Oktober 1955, die Strafanzeige werde mangels örtlicher Zuständigkeit der Behörden des Kantons Aargau nicht an die Hand genommen. Sie führte aus, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts sei die Vernachlässigung von Unterstützungspflichten am Wohnsitze des Gläubigers als dem Erfüllungsort strafrechtlich zu verfolgen (BGE 69 IV 129). Die Anzeigerin habe Wohnsitz in Deutschland und habe schon während der ganzen Zeit, für welche schuldhafte Nichtbezahlung der Unterhaltsbeiträge geltend gemacht werde, dort gewohnt. Eine Strafverfolgung am derzeitigen Wohnsitz des Angeschuldigten könnte gemäss Art. 6
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 6 - 1 Wer im Ausland ein Verbrechen oder Vergehen begeht, zu dessen Verfolgung sich die Schweiz durch ein internationales Übereinkommen verpflichtet hat, ist diesem Gesetz unterworfen, wenn:
1    Wer im Ausland ein Verbrechen oder Vergehen begeht, zu dessen Verfolgung sich die Schweiz durch ein internationales Übereinkommen verpflichtet hat, ist diesem Gesetz unterworfen, wenn:
a  die Tat auch am Begehungsort strafbar ist oder der Begehungsort keiner Strafgewalt unterliegt; und
b  der Täter sich in der Schweiz befindet und nicht an das Ausland ausgeliefert wird.
2    Das Gericht bestimmt die Sanktionen so, dass sie insgesamt für den Täter nicht schwerer wiegen als diejenigen nach dem Recht des Begehungsortes.
3    Der Täter wird, unter Vorbehalt eines krassen Verstosses gegen die Grundsätze der Bundesverfassung und der EMRK11, in der Schweiz wegen der Tat nicht mehr verfolgt, wenn:
a  ein ausländisches Gericht ihn endgültig freigesprochen hat;
b  die Sanktion, zu der er im Ausland verurteilt wurde, vollzogen, erlassen oder verjährt ist.
4    Ist der Täter wegen der Tat im Ausland verurteilt worden und wurde die Strafe im Ausland nur teilweise vollzogen, so rechnet ihm das Gericht den vollzogenen Teil auf die auszusprechende Strafe an. Das Gericht entscheidet, ob eine im Ausland angeordnete, dort aber nur teilweise vollzogene Massnahme fortzusetzen oder auf die in der Schweiz ausgesprochene Strafe anzurechnen ist.
und 348
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 6 - 1 Wer im Ausland ein Verbrechen oder Vergehen begeht, zu dessen Verfolgung sich die Schweiz durch ein internationales Übereinkommen verpflichtet hat, ist diesem Gesetz unterworfen, wenn:
1    Wer im Ausland ein Verbrechen oder Vergehen begeht, zu dessen Verfolgung sich die Schweiz durch ein internationales Übereinkommen verpflichtet hat, ist diesem Gesetz unterworfen, wenn:
a  die Tat auch am Begehungsort strafbar ist oder der Begehungsort keiner Strafgewalt unterliegt; und
b  der Täter sich in der Schweiz befindet und nicht an das Ausland ausgeliefert wird.
2    Das Gericht bestimmt die Sanktionen so, dass sie insgesamt für den Täter nicht schwerer wiegen als diejenigen nach dem Recht des Begehungsortes.
3    Der Täter wird, unter Vorbehalt eines krassen Verstosses gegen die Grundsätze der Bundesverfassung und der EMRK11, in der Schweiz wegen der Tat nicht mehr verfolgt, wenn:
a  ein ausländisches Gericht ihn endgültig freigesprochen hat;
b  die Sanktion, zu der er im Ausland verurteilt wurde, vollzogen, erlassen oder verjährt ist.
4    Ist der Täter wegen der Tat im Ausland verurteilt worden und wurde die Strafe im Ausland nur teilweise vollzogen, so rechnet ihm das Gericht den vollzogenen Teil auf die auszusprechende Strafe an. Das Gericht entscheidet, ob eine im Ausland angeordnete, dort aber nur teilweise vollzogene Massnahme fortzusetzen oder auf die in der Schweiz ausgesprochene Strafe anzurechnen ist.
StGB allenfalls dann stattfinden, wenn der Angeschuldigte Schweizerbürger wäre. Das treffe aber nicht zu.
C.- Mit Gesuch vom 31. Oktober 1955 an die Anklagekammer des Bundesgerichts beantragt Klara Zistler, die Behörden des Kantons Aargau seien zur Verfolgung des Angeschuldigten berechtigt und verpflichtet zu erklären. Sie macht geltend, in BGE 69 IV 126 ff. habe sich das Bundesgericht nur aus Zweckmässigkeitsgründen für den Gerichtsstand des Wohnsitzes des Geschädigten entschieden. Diese Erwägungen fielen weg, wenn der Geschädigte in der Schweiz keinen Wohnsitz habe, der Täter aber hier arbeite. Es wäre stossend, wenn ein Ausländer seine Familie verlassen und in der Schweiz ungestört arbeiten könnte, ohne für die Vernachlässigung seiner Unterhaltspflicht zur Rechenschaft gezogen zu werden. Eine Strafanzeige in Deutschland wäre im vorliegenden Falle zwecklos, weil die deutschen Behörden ja in der Schweiz nicht gegen den Angeschuldigten vorgehen könnten. Mit Eingaben vom 2. November und 16. Dezember 1955

BGE 82 IV 65 S. 67

ersucht Klara Zistler das Bundesgericht, ihr Gesuch vom 31. Oktober 1955 als Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof zu behandeln.
D.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen. Sie macht geltend, es treffe keine Sonderbestimmung des Strafgesetzbuches über die Zuständigkeit schweizerischer Gerichte zur Beurteilung im Auslande begangener Handlungen auf den vorliegenden Fall zu. Es bestehe kein Grund, von der Regel, dass die Tatbestände des Art. 217
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 217 - 1 Wer seine familienrechtlichen Unterhalts- oder Unterstützungspflichten nicht erfüllt, obschon er über die Mittel dazu verfügt oder verfügen könnte, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer seine familienrechtlichen Unterhalts- oder Unterstützungspflichten nicht erfüllt, obschon er über die Mittel dazu verfügt oder verfügen könnte, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Das Antragsrecht steht auch den von den Kantonen bezeichneten Behörden und Stellen zu. Es ist unter Wahrung der Interessen der Familie auszuüben.
StGB am Erfüllungsort zu verfolgen seien, abzuweichen. Die Strafverfolgung in Deutschland sei nicht unmöglich. Die schweizerischen Behörden hätten zur Erhebung von Beweisen, die nicht in Deutschland beigebracht werden könnten, Rechtshilfe zu leisten. Die Anzeigerin komme also nicht um ihr Recht, wenn sie auf dem Wege der Strafanzeige an die Behörden ihres Wohnortes verwiesen werde.
E.- Josef Zistler bestreitet, sich strafbar gemacht zu haben.
Erwägungen

Der Kassationshof zieht in Erwägung:

1. Die Anklagekammer des Bundesgerichts hat nur Streitigkeiten über den interkantonalen Gerichtsstand zu beurteilen, sei es, dass dieser unter den Behörden verschiedener Kantone streitig ist, sei es, dass der Beschuldigte die Gerichtsbarkeit eines Kantons bestreitet (Art. 351
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 351 - 1 Das Bundesamt für Polizei vermittelt kriminalpolizeiliche Informationen zur Verfolgung von Straftaten und zur Vollstreckung von Strafen und Massnahmen.
1    Das Bundesamt für Polizei vermittelt kriminalpolizeiliche Informationen zur Verfolgung von Straftaten und zur Vollstreckung von Strafen und Massnahmen.
2    Es kann kriminalpolizeiliche Informationen zur Verhütung von Straftaten übermitteln, wenn auf Grund konkreter Umstände mit der grossen Wahrscheinlichkeit eines Verbrechens oder Vergehens zu rechnen ist.
3    Es kann Informationen zur Suche nach Vermissten und zur Identifizierung von Unbekannten vermitteln.
4    Zur Verhinderung und Aufklärung von Straftaten kann das Bundesamt für Polizei von Privaten Informationen entgegennehmen und Private orientieren, wenn dies im Interesse der betroffenen Personen ist und deren Zustimmung vorliegt oder nach den Umständen vorausgesetzt werden kann.
StGB, Art. 264
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 351 - 1 Das Bundesamt für Polizei vermittelt kriminalpolizeiliche Informationen zur Verfolgung von Straftaten und zur Vollstreckung von Strafen und Massnahmen.
1    Das Bundesamt für Polizei vermittelt kriminalpolizeiliche Informationen zur Verfolgung von Straftaten und zur Vollstreckung von Strafen und Massnahmen.
2    Es kann kriminalpolizeiliche Informationen zur Verhütung von Straftaten übermitteln, wenn auf Grund konkreter Umstände mit der grossen Wahrscheinlichkeit eines Verbrechens oder Vergehens zu rechnen ist.
3    Es kann Informationen zur Suche nach Vermissten und zur Identifizierung von Unbekannten vermitteln.
4    Zur Verhinderung und Aufklärung von Straftaten kann das Bundesamt für Polizei von Privaten Informationen entgegennehmen und Private orientieren, wenn dies im Interesse der betroffenen Personen ist und deren Zustimmung vorliegt oder nach den Umständen vorausgesetzt werden kann.
BStP). Im vorliegenden Falle wird indessen nicht darum gestritten, welcher Kanton zuständig sei, sondern darum, ob der Schweiz Gerichtsbarkeit zur Verfolgung des Josef Zistler zustehe. Dass, falls dies zutrifft, die aargauischen Behörden, nicht die eines anderen Kantons, die Strafverfolgung durchzuführen haben, steht ausser Frage. Dagegen sind die Voraussetzungen der Nichtigkeitsbeschwerde an den Kassationshof erfüllt. Die angefochtene Verfügung der Staatsanwaltschaft ist Einstellungsbeschluss, und zwar solcher letzter Instanz (Art. 268
BGE 82 IV 65 S. 68

Abs. 3 BStP). Das ergibt sich aus einem Abschreibungsbeschluss des Bezirksgerichtes Baden vom 17. November 1955, worin ausgeführt wird, Klara Zistler habe am 2. November 1955 unter Berufung auf § 10 des I. Ergänzungsgesetzes über die Strafrechtspflege Überweisung an das Gericht verlangt, doch habe dieses sie dahin belehrt, dass die Staatsanwaltschaft in Zuständigkeitsfragen endgültig entscheide, worauf die Beschwerdeführerin ihr Begehren zurückgezogen habe. Auch ist die Frage, ob dem Kanton Aargau in der vorliegenden Sache Gerichtsbarkeit zustehe, eine solche des eidgenössischen Rechts (Art. 269 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 351 - 1 Das Bundesamt für Polizei vermittelt kriminalpolizeiliche Informationen zur Verfolgung von Straftaten und zur Vollstreckung von Strafen und Massnahmen.
1    Das Bundesamt für Polizei vermittelt kriminalpolizeiliche Informationen zur Verfolgung von Straftaten und zur Vollstreckung von Strafen und Massnahmen.
2    Es kann kriminalpolizeiliche Informationen zur Verhütung von Straftaten übermitteln, wenn auf Grund konkreter Umstände mit der grossen Wahrscheinlichkeit eines Verbrechens oder Vergehens zu rechnen ist.
3    Es kann Informationen zur Suche nach Vermissten und zur Identifizierung von Unbekannten vermitteln.
4    Zur Verhinderung und Aufklärung von Straftaten kann das Bundesamt für Polizei von Privaten Informationen entgegennehmen und Private orientieren, wenn dies im Interesse der betroffenen Personen ist und deren Zustimmung vorliegt oder nach den Umständen vorausgesetzt werden kann.
BStP).

2. Dem schweizerischen Strafgesetzbuch unterworfen ist unter anderem, und zwar ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit, "wer in der Schweiz ein Verbrechen oder ein Vergehen verübt" (Art. 3 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 3 - 1 Diesem Gesetz ist unterworfen, wer in der Schweiz ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
1    Diesem Gesetz ist unterworfen, wer in der Schweiz ein Verbrechen oder Vergehen begeht.
2    Ist der Täter wegen der Tat im Ausland verurteilt worden und wurde die Strafe im Ausland ganz oder teilweise vollzogen, so rechnet ihm das Gericht die vollzogene Strafe auf die auszusprechende Strafe an.
3    Ist ein Täter auf Ersuchen der schweizerischen Behörde im Ausland verfolgt worden, so wird er, unter Vorbehalt eines krassen Verstosses gegen die Grundsätze der Bundesverfassung und der Konvention vom 4. November 19505 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), in der Schweiz wegen der Tat nicht mehr verfolgt, wenn:
a  das ausländische Gericht ihn endgültig freigesprochen hat;
b  die Sanktion, zu der er im Ausland verurteilt wurde, vollzogen, erlassen oder verjährt ist.
4    Hat der auf Ersuchen der schweizerischen Behörde im Ausland verfolgte Täter die Strafe im Ausland nicht oder nur teilweise verbüsst, so wird in der Schweiz die Strafe oder deren Rest vollzogen. Das Gericht entscheidet, ob eine im Ausland nicht oder nur teilweise vollzogene Massnahme in der Schweiz durchzuführen oder fortzusetzen ist.
StGB). Diese Norm steht unter den Bestimmungen über die räumliche Geltung des Gesetzes (Randtitel zu Art. 3 ff.) und wird daher ergänzt durch den ebenfalls daselbst untergebrachten Art. 7 Abs. 1, lautend: "Ein Verbrechen oder ein Vergehen gilt als da verübt, wo der Täter es ausführt, und da, wo der Erfolg eingetreten ist." Darnach untersteht Josef Zistler dem schweizerischen Recht schon dann, wenn er das ihm vorgeworfene Vergehen in der Schweiz "ausgeführt" hat. Bei einem echten Unterlassungsdelikt wie der Vernachlässigung von Unterstützungspflichten (Art. 217
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 217 - 1 Wer seine familienrechtlichen Unterhalts- oder Unterstützungspflichten nicht erfüllt, obschon er über die Mittel dazu verfügt oder verfügen könnte, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
1    Wer seine familienrechtlichen Unterhalts- oder Unterstützungspflichten nicht erfüllt, obschon er über die Mittel dazu verfügt oder verfügen könnte, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
2    Das Antragsrecht steht auch den von den Kantonen bezeichneten Behörden und Stellen zu. Es ist unter Wahrung der Interessen der Familie auszuüben.
StGB) ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts "ausführen" gleichbedeutend mit "unterlassen" (BGE 69 IV 129). Daran ist festzuhalten, nicht aber an der weiteren Überlegung, die Erfüllung werde im Falle der Nichtleistung aus bösem Willen am zivilrechtlichen Erfüllungsorte unterlassen, der sich gemäss Art. 74
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 74 - 1 Der Ort der Erfüllung wird durch den ausdrücklichen oder aus den Umständen zu schliessenden Willen der Parteien bestimmt.
1    Der Ort der Erfüllung wird durch den ausdrücklichen oder aus den Umständen zu schliessenden Willen der Parteien bestimmt.
2    Wo nichts anderes bestimmt ist, gelten folgende Grundsätze:
1  Geldschulden sind an dem Orte zu zahlen, wo der Gläubiger zur Zeit der Erfüllung seinen Wohnsitz hat;
2  wird eine bestimmte Sache geschuldet, so ist diese da zu übergeben, wo sie sich zur Zeit des Vertragsabschlusses befand;
3  andere Verbindlichkeiten sind an dem Orte zu erfüllen, wo der Schuldner zur Zeit ihrer Entstehung seinen Wohnsitz hatte.
3    Wenn der Gläubiger seinen Wohnsitz, an dem er die Erfüllung fordern kann, nach der Entstehung der Schuld ändert und dem Schuldner daraus eine erhebliche Belästigung erwächst, so ist dieser berechtigt, an dem ursprünglichen Wohnsitze zu erfüllen.
OR für Geldleistungen regelmässig am Wohnsitze des Gläubigers befinde. Hier, am Erfüllungsorte, tritt lediglich der Erfolg ein, darin bestehend, dass der Unterhalts- oder Unterstützungsberechtigte die Leistung nicht erhält. Die Unterlassung selbst
BGE 82 IV 65 S. 69

und das Wollen des Schuldners, auf dem sie beruht, spielen sich dagegen dort ab, wo der Schuldner im Zeitpunkt, da er erfüllen sollte, sich befindet. An seinem Aufenthaltsorte fasst er den massgebenden Entschluss und dauert sein böser Wille an, und hier unterlässt er das, was er unternehmen müsste, um dem Gläubiger im Zeitpunkt der Fälligkeit am Erfullungsorte die geschuldete Leistung zu verschaffen. Von seinem Aufenthaltsorte muss der Schuldner z.B. abreisen, um sich zur persönlichen Erbringung der Leistung an den Erfüllungsort zu begeben. Regelmässig wird er auch an seinem Aufenthaltsorte auf die Post gehen, wenn er sich ihrer bedienen will, um dem Gläubiger die Leistung anzuweisen. Ebenso wird er von hier aus den Verwalter seines anderswo liegenden Vermögens telephonisch, brieflich oder durch Boten beauftragen, dem Gläubiger die Leistung am Erfüllungsorte zur Verfügung zu stellen. Die rechtliche Lage ist gleich wie bei Nichtleistung aus Arbeitsscheu oder Liederlichkeit. Für diesen Fall hat das Bundesgericht schon bisher angenommen, das strafbare Verhalten trage sich nicht am Erfüllungsorte, sondern dort zu, wo der Arbeitsscheue oder Liederliche sich des Erwerbes oder der richtigen Verwaltung seiner Mittel enthält und in die Unmöglichkeit der Erfüllung setzt. Da Josef Zistler während der ganzen Zeit, da er die von der Beschwerdeführerin behauptete Unterhaltspflicht angeblich nicht erfüllt hat, in der Schweiz wohnte, beurteilt sich sein Verhalten somit nach schweizerischem Recht, und zwar unabhängig davon, ob die Ansprüche von Frau und Kind auch zivilrechtlich vom schweizerischen Recht beherrscht sind.
3. Für Handlungen, die materiell dem schweizerischen Recht unterstehen, muss in der Schweiz auch die Strafverfolgung eingeleitet werden können. Es wäre sonderbar, wenn der schweizerische Gesetzgeber nicht immer dann, wenn materiell schweizerisches Recht gilt, die schweizerischen Behörden auch zur Verfolgung des Täters hätte verpflichten wollen, unbekümmert darum, wo der Erfolg
BGE 82 IV 65 S. 70

eingetreten ist. Art. 346 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 74 - 1 Der Ort der Erfüllung wird durch den ausdrücklichen oder aus den Umständen zu schliessenden Willen der Parteien bestimmt.
1    Der Ort der Erfüllung wird durch den ausdrücklichen oder aus den Umständen zu schliessenden Willen der Parteien bestimmt.
2    Wo nichts anderes bestimmt ist, gelten folgende Grundsätze:
1  Geldschulden sind an dem Orte zu zahlen, wo der Gläubiger zur Zeit der Erfüllung seinen Wohnsitz hat;
2  wird eine bestimmte Sache geschuldet, so ist diese da zu übergeben, wo sie sich zur Zeit des Vertragsabschlusses befand;
3  andere Verbindlichkeiten sind an dem Orte zu erfüllen, wo der Schuldner zur Zeit ihrer Entstehung seinen Wohnsitz hatte.
3    Wenn der Gläubiger seinen Wohnsitz, an dem er die Erfüllung fordern kann, nach der Entstehung der Schuld ändert und dem Schuldner daraus eine erhebliche Belästigung erwächst, so ist dieser berechtigt, an dem ursprünglichen Wohnsitze zu erfüllen.
Satz 1 StGB sieht denn auch den Gerichtsstand des Ortes vor, wo die strafbare Handlung ausgeführt wurde, ohne zu unterscheiden, ob auch der Erfolg in der Schweiz oder ob er im Auslande eingetreten sei. Das Gesetz geht sogar weiter, indem es in Art. 348
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 6 - 1 Wer im Ausland ein Verbrechen oder Vergehen begeht, zu dessen Verfolgung sich die Schweiz durch ein internationales Übereinkommen verpflichtet hat, ist diesem Gesetz unterworfen, wenn:
1    Wer im Ausland ein Verbrechen oder Vergehen begeht, zu dessen Verfolgung sich die Schweiz durch ein internationales Übereinkommen verpflichtet hat, ist diesem Gesetz unterworfen, wenn:
a  die Tat auch am Begehungsort strafbar ist oder der Begehungsort keiner Strafgewalt unterliegt; und
b  der Täter sich in der Schweiz befindet und nicht an das Ausland ausgeliefert wird.
2    Das Gericht bestimmt die Sanktionen so, dass sie insgesamt für den Täter nicht schwerer wiegen als diejenigen nach dem Recht des Begehungsortes.
3    Der Täter wird, unter Vorbehalt eines krassen Verstosses gegen die Grundsätze der Bundesverfassung und der EMRK11, in der Schweiz wegen der Tat nicht mehr verfolgt, wenn:
a  ein ausländisches Gericht ihn endgültig freigesprochen hat;
b  die Sanktion, zu der er im Ausland verurteilt wurde, vollzogen, erlassen oder verjährt ist.
4    Ist der Täter wegen der Tat im Ausland verurteilt worden und wurde die Strafe im Ausland nur teilweise vollzogen, so rechnet ihm das Gericht den vollzogenen Teil auf die auszusprechende Strafe an. Das Gericht entscheidet, ob eine im Ausland angeordnete, dort aber nur teilweise vollzogene Massnahme fortzusetzen oder auf die in der Schweiz ausgesprochene Strafe anzurechnen ist.
StGB einen schweizerischen Gerichtsstand auch für Fälle vorschreibt, in denen die strafbare Handlung im Auslande verübt worden ist, aber - nach den Bestimmungen der Art. 4
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 4 - 1 Diesem Gesetz ist auch unterworfen, wer im Ausland ein Verbrechen oder Vergehen gegen den Staat und die Landesverteidigung (Art. 265-278) begeht.
1    Diesem Gesetz ist auch unterworfen, wer im Ausland ein Verbrechen oder Vergehen gegen den Staat und die Landesverteidigung (Art. 265-278) begeht.
2    Ist der Täter wegen der Tat im Ausland verurteilt worden und wurde die Strafe im Ausland ganz oder teilweise vollzogen, so rechnet ihm das Gericht die vollzogene Strafe auf die auszusprechende Strafe an.
-6
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 6 - 1 Wer im Ausland ein Verbrechen oder Vergehen begeht, zu dessen Verfolgung sich die Schweiz durch ein internationales Übereinkommen verpflichtet hat, ist diesem Gesetz unterworfen, wenn:
1    Wer im Ausland ein Verbrechen oder Vergehen begeht, zu dessen Verfolgung sich die Schweiz durch ein internationales Übereinkommen verpflichtet hat, ist diesem Gesetz unterworfen, wenn:
a  die Tat auch am Begehungsort strafbar ist oder der Begehungsort keiner Strafgewalt unterliegt; und
b  der Täter sich in der Schweiz befindet und nicht an das Ausland ausgeliefert wird.
2    Das Gericht bestimmt die Sanktionen so, dass sie insgesamt für den Täter nicht schwerer wiegen als diejenigen nach dem Recht des Begehungsortes.
3    Der Täter wird, unter Vorbehalt eines krassen Verstosses gegen die Grundsätze der Bundesverfassung und der EMRK11, in der Schweiz wegen der Tat nicht mehr verfolgt, wenn:
a  ein ausländisches Gericht ihn endgültig freigesprochen hat;
b  die Sanktion, zu der er im Ausland verurteilt wurde, vollzogen, erlassen oder verjährt ist.
4    Ist der Täter wegen der Tat im Ausland verurteilt worden und wurde die Strafe im Ausland nur teilweise vollzogen, so rechnet ihm das Gericht den vollzogenen Teil auf die auszusprechende Strafe an. Das Gericht entscheidet, ob eine im Ausland angeordnete, dort aber nur teilweise vollzogene Massnahme fortzusetzen oder auf die in der Schweiz ausgesprochene Strafe anzurechnen ist.
StGB - materiell schweizerisches Recht anwendbar ist.
Josef Zistler muss daher in der Schweiz verfolgt werden. Die Rechtsprechung des Bundesgerichts, wonach Vernachlässigung von Unterstützungspflichten am Erfüllungsort zu verfolgen und zu beurteilen sind (BGE 69 IV 126 ff.), ändert hieran nichts. Sie gilt nur, wenn ausser dem Ort der Ausführung auch der Ort des Erfolges (Erfüllungsort) in der Schweiz liegt. In diesem Falle sprechen Gründe der Zweckmässigkeit für den Gerichtsstand des Erfüllungsortes, wie im erwähnten Präjudiz näher ausgeführt ist. Diesen Grundsatz auch anzuwenden, wenn der Erfüllungsort im Auslande und nur der Ort der Begehung in der Schweiz liegt, hiesse auf die schweizerische Gerichtsbarkeit und die Anwendung des schweizerischen Strafrechts verzichten, wo das Gesetz sie verlangt. Das geht nicht an.
Dispositiv

Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird dahin gutgeheissen, dass die Verfügung der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau vom 24. Oktober 1955 aufgehoben wird und die Behörden des Kantons Aargau zur Verfolgung und Beurteilung des Josef Zistler wegen Vernachlässigung von Unterstützungspflichten berechtigt und verpflichtet werden.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 82 IV 65
Date : 27. März 1956
Published : 31. Dezember 1957
Source : Bundesgericht
Status : 82 IV 65
Subject area : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Subject : 1. Art. 264, 268 BStP. Zulässigkeit der Nichtigkeitsbeschwerde gegen einen Einstellungsbeschluss der letzten kantonalen Instanz,


Legislation register
BStP: 264  269
OR: 74
StGB: 3  4  6  7  217  346  348  351
BGE-register
69-IV-126 • 82-IV-65
Keyword index
Sorted by frequency or alphabet
aargau • accused • behavior • cantonal remedies • chamber of accusation • complaint • correctness • court of cassation • criminal act • criminal complaint • criminal prosecution • debtor • decision • duty of assistance • family • federal court • germany • hamlet • intention • last instance • maintenance obligation • meeting • payment • penal code • petition for divorce • position • question • request to an authority • residence • standard • statement of affairs • swiss authority • swiss law • the post • work-shy