82 IV 190
41. Urteil des Kassationshofes vom 12. Oktober 1956 i.S. K. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau.
Regeste (de):
- Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft.
- Begriff des Pfiegekinds.
Regeste (fr):
- Art. 191 ch. 1 al. 2 et ch. 2 al. 2 CP.
- Quand est-ce qu'un enfant est confié aux soins d'une personne donnée?
Regesto (it):
- Art. 191 num. 1 cp. 2 e num. 2 cp. 2 CP.
- Quando un fanciullo è affidato alle cure di una determinata persona?
Sachverhalt ab Seite 190
BGE 82 IV 190 S. 190
A.- Der 1907 geborene K. bildete sich als Krankenpfleger aus; er heiratete eine Krankenpflegerin. Von 1930
BGE 82 IV 190 S. 191
bis 1954 bewirtschaftete er ein Heimwesen. Seither arbeitet er in einer Fabrik. Von 1942 an liessen sich die Eheleute K., die schon früher Ferienkinder bei sich aufgenommen hatten, von Fürsorgestellen regelmässig für kürzere oder längere Zeit Kinder zuweisen. 1942 bis 1948 betreuten sie ein Mädchen, dem unter anderem zwei Auslandschweizerknaben folgten. 1950/51 wurde die 1941 geborene Sylvia H., deren Mutter gestorben war, mit zwei Geschwistern bei den Eheleuten K. untergebracht. Die Kinder blieben rund anderthalb Jahre, bis sie der Vater nach seiner Wiederverheiratung zu sich nahm. 1955 verbrachte Sylvia die Sommerferien bei den Eheleuten K. 1952 und 1953 wies ihnen das Fürsorgeamt der Stadt Zürich die 1944 geborene Annamarie H. für die Sommerferien zu; 1954 nahmen sie das Kind auf Bitte der Mutter zu sich in die Sommerferien. Auf Empfehlung von "Pro Juventute" brachte der "Schweizerbund" die 1942 geborene Annamarie S. von Mitte Mai bis 8. Juli 1954 zur Erholung bei den Eheleuten K. unter, die während dieser Jahre ausserdem eine Reihe weiterer Kinder betreuten.
B.- K. verging sich im Mai 1951 sowie im Sommer 1953, 1954 und 1955 an den drei Mädchen, indem er ihre Brüste und ihren Geschlechtsteil betastete. Annamarie H. entkleidete er überdies wiederholt den Unterkörper, um sein Glied zwischen die Oberschenkel und gegen den Geschlechtsteil des Mädchens zu stossen. Das Kriminalgericht des Kantons Aargau verurteilte K. am 2. Mai 1956 wegen wiederholter unzüchtiger Handlungen mit Pflegekindern im Sinne des Art. 191 Ziff. 2 Abs. 2
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
C.- K. führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil sei aufzuheben und die Sache zur Anwendung
BGE 82 IV 190 S. 192
von Art. 191 Ziff. 1 Abs. 1
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
D.- Die Staatsanwaltschaft beantragt Abweisung der Beschwerde.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Wer sich der Unzucht mit einem Kind unter sechzehn Jahren schuldig macht, wird gemäss Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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die Pflegekindschaft im Sinn des zweiten Absatzes der Ziff. 1 und 2 des Art. 191
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
BGE 82 IV 190 S. 193
dem Täter in einer Weise zur Betreuung anvertraut sein muss, dass auf der einen Seite eine besondere Autorität, auf der anderen eine entsprechende Abhängigkeit begründet wird. Dem Missbrauch dieser Autorität und Abhängigkeit wollen die verschärften Strafandrohungen entgegentreten. Pflegekind im genannten Sinn war jedenfalls Sylvia H., als sie 1950/51 mit ihren beiden Brüdern nach dem Tod der Mutter rund anderthalb Jahre bei den Eheleuten K. untergebracht war. Wenn auch in Aussicht genommen war, dass der Vater die Kinder bei einer Wiederverheiratung zu sich nehmen werde, so sollten sie doch nach den verbindlichen (Art. 277 bis Abs. 1
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
Weniger klar ist die Rechtslage mit Bezug auf den Ferienaufenthalt der Sylvia H. im Sommer 1955 sowie die Ferienaufenthalte der Annamarie H. in den Jahren 1953 und 1954 (1952 kam es zu keinen unzüchtigen Handlungen) und den Erholungsaufenthalt der Annamarie S. Wären sie als gewöhnliche Feriengäste in einer verwandten oder bekannten Familie aufgenommen worden, so wäre nach dem, was in BGE 71 IV 192 Erw. 4 ausgeführt worden ist, zweifelhaft, ob von Pflegeverhältnissen gesprochen werden könnte, obwohl nicht übersehen werden darf, dass auch so untergebrachte Kinder der Hausgewalt ihrer Gastgeber unterstehen, deren Autorität sich oft stärker auswirkt als die der Eltern. Die Stellung der Eheleute K. unterschied sich jedoch wesentlich von der einfacher Gastgeber. Seit Jahren liessen sie sich, namentlich von Fürsorgestellen, fortwährend Kinder zu längerem oder kürzerem Aufenthalt zuweisen, wobei sie gelegentlich deren mehrere gleichzeitig betreuten. Diese Zuteilungen beruhten auf einem besonderen Vertrauensverhältnis; sie war z.B. seitens des Fürsorgeamts der Stadt Zürich mit bestimmten
BGE 82 IV 190 S. 194
Weisungen für die Unterbringung und Betreuung der Kinder verbunden. Dieses Vertrauensverhältnis und der Rückhalt, den die Eheleute K. in der Zusammenarbeit mit den Fürsorgestellen fanden, schufen auf Seite der Kinder eine Abhängigkeit und auf Seite des Besorgers eine Autorität, die sich der eines Lehrers, Heim- oder Anstaltsleiters, Lehrmeisters oder Dienstherrn ohne weiteres vergleichen lässt. Auch während der genannten Ferien- und Erholungsaufenthalte lag daher ein Pflegeverhältnis im Sinn des zweiten Absatzes der Ziff. 1 und 2 des Art. 191
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SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 191 - Wer eine urteilsunfähige oder eine zum Widerstand unfähige Person zum Beischlaf, zu einer beischlafsähnlichen oder einer anderen sexuellen Handlung missbraucht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.