BGE-82-II-4
Urteilskopf
82 II 4
2. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 2. Februar 1956 i.S. Born gegen Born.
Regeste (de):
- Bäuerliches Erbrecht.
- Zu einem landwirtschaftlichen Gewerbe im Sinne von Art. 620
ZGB gehören grundsätzlich auch die zur Bewirtschaftung des Landes notwendigen wichtigeren Gebäude.
- Werden diese durch einen Brand zerstört, so kann ein Erbe, der für die Übernahme des Gewerbes geeignet ist, die Zuweisung der Liegenschaften samt der für den Wiederaufbau bestimmten Brandversicherungsleistung verlangen, wenn zu erwarten ist, dass er die zerstörten Gebäude wieder aufbauen wird.
- Anrechnungswert ist in diesem Falle der Ertragswert vor dem Brande.
- Feststellung des Ertragswerts (Art. 620 Abs. 2
ZGB, Art. 5 ff. LEG).
Regeste (fr):
- Droit successoral paysan.
- Les bâtiments importants qui sont nécessaires à l'exploitation du domaine font en principe partie de l'entreprise agricole au sens de l'art. 620 CC.
- S'ils sont détruits par un incendie, l'héritier qui est apte à reprendre l'exploitation peut demander l'attribution des immeubles avec l'indemnité d'assurance-incendie destinée à la reconstruction, si l'on peut attendre qu'il réédifiera ces bâtiments.
- Le prix d'attribution est, dans ce cas, la valeur de rendement avant l'incendie.
- Fixation de la valeur de rendement (art. 620 al. 2 CC, 5 ss LF sur le désendettement des domaines agricoles).
Regesto (it):
- Diritto successorio rurale.
- Gli immobili importanti che sono necessari per l'esercizio dell'azienda agricola fanno parte, di massima, dell'azienda agricola a'sensi dell'art. 620 CC.
- Se sono distrutti da un incendio, l'erede che è idoneo ad assumere l'esercizio dell'azienda può chiedere l'assegnazione degli immobili nonchè dell'indennità di assicurazione contro gli incendi destinata alla ricostruzione, semprechè sia probabile che egli procederà allaricostruzione di tali immobili.
- Il prezzo di attribuzione è, in questo caso, il valore di reddito determinato prima dell'incendio. Calcolo del valore di reddito (art. 620 cp. 2 CC, 5 ss. LSPA).
Sachverhalt ab Seite 5
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Aus dem Tatbestand:
A.- Der am 4. März 1951 gestorbene Landwirt Gottfried Born-Graf hinterliess ein landwirtschaftliches Heimwesen in Rengershäusern-Thunstetten, das ein Wohnhaus mit Scheune, verschiedene Nebengebäude sowie ca. 7 1/2 ha Kulturland und Wald umfasste. Sein jüngster Sohn Hans, geb. 1902, der 11 Jahre als Knecht bei ihm gearbeitet und das Heimwesen seit dem Jahre 1929 als Pächter bewirtschaftet hatte, erhob gegenüber seinen Miterben (seiner Stiefmutter und seinen sieben Geschwistern) Anspruch darauf, dass dieses ihm gemäss Art. 620

B.- Während dieses ersten Prozesses, am 25. Mai 1953, brannte das Bauernhaus ab. Die Brandruinen stehen heute noch unverändert, weil die Parteien sich über einen Wiederaufbau nicht einigen konnten. Der Kläger führt den Betrieb weiter, obwohl vom abgebrannten Haus nur noch der Schweinestall benützbar ist. Er wohnt in einem benachbarten kleineren Hause, das er persönlich besitzt. Hier und in einem baufälligen alten Hause, das in der Nähe steht und ebenfalls ihm gehört, hat er auch die Pferde, das Rindvieh und einen Teil des Inventars untergebracht. Daneben benützt er Lagerräume in fremden Häusern.
C.- Mit der vorliegenden Klage, die er am 10. November 1954 gegen seine acht Miterben einleitete, stellte Hans Born das Rechtsbegehren, es sei ihm das in der Erbschaft befindliche landwirtschaftliche Heimwesen einschliesslich des Anspruchs an die Brandversicherungsanstalt des Kantons Bern aus dem Brande vom 25. Mai 1953 ungeteilt zum
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Ertragswert auf Anrechnung an seinen Erbteil zuzuweisen.
Die Beklagten beantragten Abweisung der Klage und stellten eventuell verschiedene Widerklagebegehren, die sich namentlich auf die Feststellung des Anrechnungswertes und auf ein angeblich vorhandenes Nebengewerbe bezogen. Das Amtsgericht von Aarwangen wies mit Urteil vom 1. Juli 1955 die Klage ab, weil das Nachlassgrundstück, nachdem das Bauernhaus abgebrannt sei, nicht mehr ein landwirtschaftliches Gewerbe im Sinne von Art. 620


SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 619 - Für die Übernahme und Anrechnung von landwirtschaftlichen Gewerben und Grundstücken gilt das Bundesgesetz vom 4. Oktober 1991553 über das bäuerliche Bodenrecht. |
D.- Gegen dieses Urteil haben die Beklagten die Berufung an das Bundesgericht erklärt. Das Bundesgericht bestätigt das angefochtene Urteil in grundsätzlicher Beziehung (weist jedoch die Sache an die Vorinstanz zurück, weil einige durch die Widerklagebegehren aufgeworfene Nebenfragen noch weiterer Abklärung bedürfen).
Erwägungen
Aus den Erwägungen:
2. Vor Bundesgericht wird mit Recht nicht mehr bestritten, dass der Kläger, der das väterliche Heimwesen
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schon seit mehr als 26 Jahren selbständig bewirtschaftet und den Betrieb nach dem eigenen Zugeständnis des Beklagten Jakob Born bis jetzt richtig geführt hat, im Sinne von Art. 620


SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 619 - Für die Übernahme und Anrechnung von landwirtschaftlichen Gewerben und Grundstücken gilt das Bundesgesetz vom 4. Oktober 1991553 über das bäuerliche Bodenrecht. |



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Gebäulichkeiten, vor allem Wohnung und Ökonomiegebäude, gehören (BOREL/NEUKOMM, Das bäuerliche Erbrecht, 4. Aufl. 1954, S. 31) und dass auf den streitigen Liegenschaften die nötigen Wohn-, Stall- und Lagerräume heute nicht mehr vorhanden sind. Es ist jedoch nicht das gleiche, ob die notwendigen Gebäude überhaupt nie bestanden haben oder ob sie zur Zeit der Erbteilung nur deshalb fehlen, weil sie durch ein zufälliges Ereignis wie einen Brand zerstört wurden. Während im ersten Falle regelmässig nicht von einem landwirtschaftlichen Gewerbe im Sinne von Art. 620


SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 619 - Für die Übernahme und Anrechnung von landwirtschaftlichen Gewerben und Grundstücken gilt das Bundesgesetz vom 4. Oktober 1991553 über das bäuerliche Bodenrecht. |
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nach dem Brand habe er es weiter bebaut. Er habe ferner einen Bau- und Finanzierungsplan vorgelegt, nach welchem die wirtschaftliche Tragbarkeit des Wiederaufbaus und der Weiterführung des Gewerbes als gewährleistet zu betrachten sei. Er werde von seinen Miterben als gut situiert bezeichnet. An die auf Fr. 66'000.-- veranschlagten Wiederaufbaukosten zahle die Brandversicherungsanstalt Fr. 49'152.--. Diese Leistung würde sich im Falle des Nichtwiederaufbaus um Fr. 16'460.-- verringern. Im Hinblick auf diese Umstände und die im angefochtenen Urteil hervorgehobene Erfahrungstatsache, dass in ländlichen Gegenden wie Thunstetten Bauernhöfe nach einer Brandkatastrophe wieder aufgebaut zu werden pflegen, war die Vorinstanz ohne Zweifel zur Annahme berechtigt, dass das abgebrannte Bauernhaus auf dem Grundstück Nr. 360 im Falle der Zuweisung der streitigen Liegenschaften und des Anspruchs auf die Wiederaufbauentschädigung an den Kläger voraussichtlich wieder aufgebaut werde. Die Beklagten wenden vergeblich ein, dass die Vorinstanz, indem sie auf diese Annahme abstellte, den Entscheid darüber, ob ein landwirtschaftliches Gewerbe im Sinne von Art. 620

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Existenz biete, objektive Kriterien massgebend sind (BGE 81 II 101 ff.). Unbehelflich ist auch der weitere Einwand der Beklagten, die Auffassung der Vorinstanz laufe darauf hinaus, dass Art. 620



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kann hinsichtlich des Wiederaufbaus so wenig verlangt werden wie etwa hinsichtlich der Selbstbewirtschaftung durch den Übernehmer (Art. 621 Abs. 2

SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 619 - Für die Übernahme und Anrechnung von landwirtschaftlichen Gewerben und Grundstücken gilt das Bundesgesetz vom 4. Oktober 1991553 über das bäuerliche Bodenrecht. |
3. Die Vorinstanz hat den Anspruch auf die Wiederaufbauentschädigung dem Kläger zugesprochen mit der Begründung, dieser Anspruch sei zwar ein gewöhnliches Nachlassaktivum, bilde aber rechtlich und wirtschaftlich mit dem zugewiesenen Land eine Einheit und habe deshalb dem Lande zu folgen. Dem Kläger werde ja eben ein landwirtschaftliches Gewerbe zugewiesen, das die künftig zu erstellenden Gebäude bereits umfasse. Niemand als der Übernehmer wolle zudem aufbauen, so dass einzig er Anspruch auf den Zuschlag erheben könne, den die Versicherung lediglich im Falle des Wiederaufbaus ausrichte. Auch in diesem Punkte ist das angefochtene Urteil im Grundsatz zu bestätigen. Dabei ist unerheblich, ob die Vorinstanz bei der Feststellung, dass nur der Übernehmer aufbauen wolle, wie in der Berufungsschrift behauptet, einzig an den Kläger gedacht und dabei übersehen habe, dass auch der Beklagte Jakob Born das Heimwesen wieder aufbauen liesse, wenn er die Liegenschaften erhielte. Entscheidend ist die Erwägung, dass die streitige Versicherungsentschädigung wegen der Zerstörung eines zum Heimwesen gehörenden Gebäudes ausgerichtet wird und zu dessen Wiederherstellung bestimmt ist und damit der im Sinne des Gesetzes liegenden Erhaltung des Heimwesens dient, so dass sie, wie Liver zutreffend ausführt, im Zuweisungsprozess und bei der Erbteilung als Ersatz des untergegangenen Gebäudes behandelt und an dessen Stelle gesetzt werden muss, so gut wie die Versicherungsleistung auch in andern Fällen (bei der Nutzniessung, Art. 750 Abs. 3

SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 750 - 1 Der Eigentümer ist nicht verpflichtet, die untergegangene Sache wieder herzustellen. |
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1 | Der Eigentümer ist nicht verpflichtet, die untergegangene Sache wieder herzustellen. |
2 | Stellt er sie her, so ist auch die Nutzniessung wieder hergestellt. |
3 | Wird für die untergegangene Sache ein Ersatz geleistet, wie bei der Enteignung und der Versicherung, so besteht die Nutzniessung an dem Ersatzgegenstande weiter. |
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Der Übernehmer erhält das Gewerbe nach Art. 620


4. Während Art. 620


SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 617 - Grundstücke sind den Erben zum Verkehrswert anzurechnen, der ihnen im Zeitpunkt der Teilung zukommt. |

SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 618 - 1 Können sich die Erben über den Anrechnungswert nicht verständigen, so wird er durch amtlich bestellte Sachverständige geschätzt.550 |
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1 | Können sich die Erben über den Anrechnungswert nicht verständigen, so wird er durch amtlich bestellte Sachverständige geschätzt.550 |
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Art. 620


SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 619 - Für die Übernahme und Anrechnung von landwirtschaftlichen Gewerben und Grundstücken gilt das Bundesgesetz vom 4. Oktober 1991553 über das bäuerliche Bodenrecht. |


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LEG beantragen, weil es im vorliegenden Falle eben auf den - bereits rechtskräftig festgestellten - Ertragswert vor dem Brande ankommt. Vor diesem aus der Sondervorschrift von Art. 620


SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 617 - Grundstücke sind den Erben zum Verkehrswert anzurechnen, der ihnen im Zeitpunkt der Teilung zukommt. |

SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. |
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1 | Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. |
2 | Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz. |
Gesetzesregister
EG 72
ZGB 2
ZGB 617
ZGB 618
ZGB 619
ZGB 620ZGB 621
ZGB 750
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 2 - 1 Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. |
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1 | Jedermann hat in der Ausübung seiner Rechte und in der Erfüllung seiner Pflichten nach Treu und Glauben zu handeln. |
2 | Der offenbare Missbrauch eines Rechtes findet keinen Rechtsschutz. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 617 - Grundstücke sind den Erben zum Verkehrswert anzurechnen, der ihnen im Zeitpunkt der Teilung zukommt. |
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 618 - 1 Können sich die Erben über den Anrechnungswert nicht verständigen, so wird er durch amtlich bestellte Sachverständige geschätzt.550 |
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1 | Können sich die Erben über den Anrechnungswert nicht verständigen, so wird er durch amtlich bestellte Sachverständige geschätzt.550 |
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SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 ZGB Art. 750 - 1 Der Eigentümer ist nicht verpflichtet, die untergegangene Sache wieder herzustellen. |
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1 | Der Eigentümer ist nicht verpflichtet, die untergegangene Sache wieder herzustellen. |
2 | Stellt er sie her, so ist auch die Nutzniessung wieder hergestellt. |
3 | Wird für die untergegangene Sache ein Ersatz geleistet, wie bei der Enteignung und der Versicherung, so besteht die Nutzniessung an dem Ersatzgegenstande weiter. |