81 IV 81
18. Urteil des Kassationshofes vom 6. Mai 1955 i. S. Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen Schärer.
Regeste (de):
- Art. 31 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 31 - Das Antragsrecht erlischt nach Ablauf von drei Monaten. Die Frist beginnt mit dem Tag, an welchem der antragsberechtigten Person der Täter bekannt wird.
- Nach der Verkündung eines zürcherischen Versäumnisurteils erster Instanz kann der Strafantrag auch dann nicht mehr zurückgezogen werden, wenn es auf Begehren des Verurteilten hin aufgehoben worden ist.
Regeste (fr):
- Art. 31 al. 1 CP.
- Lorsque, dans le canton de Zurich, un jugement contumacial a été prononcé en première instance, la plainte ne peut plus être retirée même s'il a été annulé à la demande du condamné.
Regesto (it):
- Art. 31 cp. 1 CP.
- Quando, nel cantone di Zurigo, un giudizio contumaciale di prima istanza è stato pronunciato, il querelante non ha più la facoltà di desistere dalla querela, e ciò anche se il giudizio è stato annullato a richiesta del condannato.
Sachverhalt ab Seite 81
BGE 81 IV 81 S. 81
A.- Auf Strafantrag des Juan Jolis verurteilte das Bezirksgericht Zürich Ernst Schärer am 14. Januar 1954 in Abwesenheit des Angeklagten wegen Zechprellerei (Art. 150
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 150 - Wer, ohne zu zahlen, eine Leistung erschleicht, von der er weiss, dass sie nur gegen Entgelt erbracht wird, namentlich indem er |
BGE 81 IV 81 S. 82
Rekurs am 31. Januar 1955 ab. Zur Begründung führte es aus, ein Versäumnisurteil stehe nicht einem Strafbefehl gleich, nach dessen Verkündung gemässBGE 78 IV 151der Strafantrag nicht mehr zurückgezogen werden könne. Der Strafbefehl schaffe nach Ablauf einer kurzen Einsprachefrist einen klaren Rechtszustand, während das Versäumnisurteil einen Schwebezustand von unbestimmter Dauer bewirken könne. Auch bringe das Begehren um Durchführung des ordentlichen Verfahrens das Versäumnisurteil nicht vor eine höhere oder eine andere Instanz als jene, die es gefällt habe. Zudem spiele das ordentliche Verfahren sich nach den gleichen Vorschriften ab wie das Verfahren gegen den Abwesenden. Es müsse also als erstinstanzliches Verfahren im Sinne von Art. 31 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 31 - Das Antragsrecht erlischt nach Ablauf von drei Monaten. Die Frist beginnt mit dem Tag, an welchem der antragsberechtigten Person der Täter bekannt wird. |
B.- Die Staatsanwaltschaft führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der Beschluss des Obergerichts sei aufzuheben und die Sache zur materiellen Beurteilung zurückzuweisen. Sie macht geltend, der Beschluss verletze Art. 31 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 31 - Das Antragsrecht erlischt nach Ablauf von drei Monaten. Die Frist beginnt mit dem Tag, an welchem der antragsberechtigten Person der Täter bekannt wird. |
C.- Schärer, dem die Beschwerdeschrift eingeschrieben zur Vernehmlassung zugestellt worden ist, hat die Sendung auf der Post nicht abgeholt und keine Gegenbemerkungen eingereicht.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. Der Berechtigte kann einen Strafantrag nur zurückziehen, solange das Urteil erster Instanz noch nicht verkündet ist (Art. 31 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 31 - Das Antragsrecht erlischt nach Ablauf von drei Monaten. Die Frist beginnt mit dem Tag, an welchem der antragsberechtigten Person der Täter bekannt wird. |
BGE 81 IV 81 S. 83
Verbindlich erkannt hat die Behörde nicht nur dann, wenn ihr Entscheid von keiner Partei mehr angefochten werden kann, sondern schon dann, wenn die Behörde nicht mehr von sich aus auf ihn zurückkommen kann, wie das bei Verfügungen prozessleitender Natur, z.B. einer vorläufigen Meinungsäusserung des Richters zur Einrede der Verjährung (vgl.BGE 72 IV 89f.), zutrifft; denn indem Art. 31 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 31 - Das Antragsrecht erlischt nach Ablauf von drei Monaten. Die Frist beginnt mit dem Tag, an welchem der antragsberechtigten Person der Täter bekannt wird. |
BGE 81 IV 81 S. 84
178 f., Votum Geel). Deshalb stellt Art. 31 Abs. 1 denn auch weder auf den Ablauf einer Rechtsmittelfrist, noch auf die Fällung des Urteils, sondern auf dessen Verkündung ab, durch die die Parteien erfahren, wie es um die Sache steht.
2. Das zürcherische Gesetz betreffend den Strafprozess bestimmt: "Bleibt ein Angeklagter ohne genügende Entschuldigung aus, oder lässt er sich, wenn das persönliche Erscheinen nicht nötig ist oder erlassen wurde, nicht vertreten, so wird das Urteil auf Grund der Akten gefällt" (§ 195 Abs. 1). "Das Gericht kann in diesem Falle den Angeklagten verurteilen oder freisprechen oder auch die Beurteilung der Sache so lange verschieben, bis der Angeklagte sich stellt oder ergriffen wird" (§ 196 Satz 1). "Wird ein Angeklagter, der in seiner Abwesenheit verurteilt wurde, ergriffen oder stellt er sich freiwillig, so fällt auf sein Verlangen das Urteil dahin und es wird das ordentliche Verfahren durchgeführt, wenn er das Begehren binnen fünf Tagen von der Übergabe des Urteilsdispositivs an stellt. War dem Angeklagten das Erscheinen vor Gericht erlassen (§ 172), so kann er die Wiederaufnahme nicht verlangen" (§ 197). Aus diesen Bestimmungen ergibt sich, dass die Verurteilung eines Abwesenden nicht lediglich prozessleitende Verfügung ist, auf die das Gericht nach Belieben zurückkommen könnte. Nur das Wiedereinsetzungsbegehren des Angeklagten (oder die Ergreifung eines ordentlichen Rechtsmittels durch eine Partei gemäss §§ 395 ff. StPO) kann es zu Fall bringen. Es liegt daher ein verbindlicher, wenn auch nicht notwendigerweise endgültiger Entscheid über die Schuld des Angeklagten und deren Rechtsfolgen, also ein Urteil im Sinne des Art. 31 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 31 - Das Antragsrecht erlischt nach Ablauf von drei Monaten. Die Frist beginnt mit dem Tag, an welchem der antragsberechtigten Person der Täter bekannt wird. |
BGE 81 IV 81 S. 85
bei der Verurteilung eines Abwesenden unbestimmte Zeit dauern kann, wenn der Aufenthaltsort des Verurteilten nicht bekannt ist, ist keine Besonderheit, die dem Entscheid die Natur eines Urteils zu nehmen vermöchte. Ebensowenig geht ihm diese Eigenschaft deshalb ab, weil nach der Stellung des Wiedereinsetzungsbegehrens die gleiche Behörde und nach gleichen Verfahrensvorschriften urteilen muss wie bei Verurteilung des Abwesenden. Der Rückzug des Strafantrages war daher nicht mehr zulässig, nachdem das Urteil vom 14. Januar 1954 dem Beschwerdegegner am 24. Juni 1954 verkündet war. Ob nicht schon die Verkündung an die Staatsanwaltschaft den Rückzug ausgeschlossen hätte, kann dahingestellt bleiben.
Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 31. Januar 1955 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.