81 IV 107
23. Urteil des Kassationshofes vom 13. Mai 1955 i. S. Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich gegen M.
Regeste (de):
- Art. 206 StGB.
- In welchem Verhalten kann ein zur Unzucht anlockender Antrag liegen?
Regeste (fr):
- Art. 206 CP.
- Dans quel comportement peut-on voir une proposition incitant à la débauche?
Regesto (it):
- Art. 206 CP.
- In quale atteggiamento si può ravvisare una proposta incitante alla libidine?
Sachverhalt ab Seite 107
BGE 81 IV 107 S. 107
A.- Frau M. warb von Anfang Dezember 1953 bis 1. Mai 1954 in der Absicht, zu einem Erwerbseinkommen zu gelangen, mindestens dreihundert Männer zum ausserehelichen Geschlechtsakt, indem sie in mehr oder weniger auffälliger Kleidung und Aufmachung jeweilen von 18 Uhr bis nach Mitternacht in der auch von anderen Dirnen heimgesuchten Gegend der Rämistrasse/Oberdorfstrasse/Torgasse in Zürich auf der Strasse herumstand und schlenderte, bis Männer ihr zu verstehen gaben, dass sie ihr beizuwohnen wünschten. War sie einverstanden, so begab sie sich in das Automobil des Geworbenen oder bestieg mit ihm einen Taxi, bezeichnete ihm ihre Wohnung, suchte sie mit ihm auf und gab sich ihm, nachdem auch der Lohn vereinbart und bezahlt war, zur Unzucht hin.
B.- Die Bezirksanwaltschaft Zürich klagte Frau M. des gewerbsmässigen öffentlichen Anlockens zur Unzucht im Sinne des Art. 206

BGE 81 IV 107 S. 108
(jemanden) angelockt habe. Strafbar sei nach dem Wortlaut des Art. 206

BGE 81 IV 107 S. 109
zwischen den beiden schon erzielt gewesen, das Anlocken also vollendet, aber ohne Zumutungen oder Anträge.
C.- Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil sei wegen Verletzung des Art. 206

D.- Frau M. beantragt, die Nichtigkeitsbeschwerde sei abzuweisen.
Erwägungen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1. Gemäss Art. 206

BGE 81 IV 107 S. 110
Obligationenrecht, das die Auslage von Waren mit Angabe des Preises in der Regel als Antrag anerkennt, also nicht verlangt, dass der Antragsteller sich an eine bestimmte Person wende (Art. 7 Abs. 3

SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 7 - 1 Der Antragsteller wird nicht gebunden, wenn er dem Antrage eine die Behaftung ablehnende Erklärung beifügt, oder wenn ein solcher Vorbehalt sich aus der Natur des Geschäftes oder aus den Umständen ergibt. |
|
1 | Der Antragsteller wird nicht gebunden, wenn er dem Antrage eine die Behaftung ablehnende Erklärung beifügt, oder wenn ein solcher Vorbehalt sich aus der Natur des Geschäftes oder aus den Umständen ergibt. |
2 | Die Versendung von Tarifen, Preislisten u. dgl. bedeutet an sich keinen Antrag. |
3 | Dagegen gilt die Auslage von Waren mit Angabe des Preises in der Regel als Antrag. |

SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 7 - 1 Der Antragsteller wird nicht gebunden, wenn er dem Antrage eine die Behaftung ablehnende Erklärung beifügt, oder wenn ein solcher Vorbehalt sich aus der Natur des Geschäftes oder aus den Umständen ergibt. |
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1 | Der Antragsteller wird nicht gebunden, wenn er dem Antrage eine die Behaftung ablehnende Erklärung beifügt, oder wenn ein solcher Vorbehalt sich aus der Natur des Geschäftes oder aus den Umständen ergibt. |
2 | Die Versendung von Tarifen, Preislisten u. dgl. bedeutet an sich keinen Antrag. |
3 | Dagegen gilt die Auslage von Waren mit Angabe des Preises in der Regel als Antrag. |
2. Dass die Beschwerdegegnerin gewerbsmässig und öffentlich Männer zur Unzucht angelockt hat, nimmt mit Recht schon das Obergericht an. Art. 206

BGE 81 IV 107 S. 111
als sie ihr Ziel durch "Anträge" erreicht hat. Diese bestanden darin, dass sie "in mehr oder weniger auffallender Kleidung und Aufmachung", also in einem Putz, der ihre Absicht der Werbung zur Unzucht verriet, in einem als Jagdrevier von Dirnen bekannten Gebiete durch Herumstehen und Herumschlendern zu erkennen gab, dass sie jedem gegen Bezahlung feil sei. Ob Anträge auch darin zu erblicken waren, dass sie, nachdem sie mit bestimmten Männern zur Unzucht einig geworden war, die Kunden durch Angabe ihrer Adresse stillschweigend einlud, ihr zum Vollzug des Geschäftes in ihre Wohnung zu folgen (vgl.BGE 68 IV 44), kann unter diesen Umständen dahingestellt bleiben.
3. Die Beschwerdegegnerin bestreitet nicht, dass sie die Tatbestandsmerkmale, die das gewerbsmässige öffentliche Anlocken zur Unzucht durch Anträge ausmachen, bewusst und gewollt gesetzt hat. Sie hat somit vorsätzlich gehandelt. Ihr Einwand, sie habe sich zur Ausübung ihrer Tätigkeit für berechtigt gehalten, weil sie sich bei der Polizei eingeschrieben habe und diese sie ihres Weges habe ziehen lassen, begründet keinen Irrtum über den Sachverhalt (Art. 19

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 19 - 1 War der Täter zur Zeit der Tat nicht fähig, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder gemäss dieser Einsicht zu handeln, so ist er nicht strafbar. |
|
1 | War der Täter zur Zeit der Tat nicht fähig, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder gemäss dieser Einsicht zu handeln, so ist er nicht strafbar. |
2 | War der Täter zur Zeit der Tat nur teilweise fähig, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder gemäss dieser Einsicht zu handeln, so mildert das Gericht die Strafe. |
3 | Es können indessen Massnahmen nach den Artikeln 59-61, 63, 64, 67, 67b und 67e getroffen werden.15 |
4 | Konnte der Täter die Schuldunfähigkeit oder die Verminderung der Schuldfähigkeit vermeiden und dabei die in diesem Zustand begangene Tat voraussehen, so sind die Absätze 1-3 nicht anwendbar. |

SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 20 - Besteht ernsthafter Anlass, an der Schuldfähigkeit des Täters zu zweifeln, so ordnet die Untersuchungsbehörde oder das Gericht die sachverständige Begutachtung durch einen Sachverständigen an. |

Dispositiv
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil der I. Strafkammer des Obergerichtes des Kantons
BGE 81 IV 107 S. 112
Zürich vom 18. November 1954 aufgehoben und die Sache zur Bestrafung der Beschwerdegegnerin an die Vorinstanz zurückgewiesen.