80 II 362
57. Urteil der II. Zivilabteilung vom 19. November 1954 i. S. Wwe Carocari gegen Carocari und Konsorten.
Regeste (de):
- 1. Wann ist eine Prorogation auf das Bundesgericht im Sinne von Art. 41 lit. c Abs. 2 OG auch beim Fehlen eines Gerichtsstandes in der Schweiz wirksam? Art. 2 Abs. 2
SR 273 Bundesgesetz vom 4. Dezember 1947 über den Bundeszivilprozess
BZP Art. 2 - 1 Die Klage beim Bundesgericht setzt voraus, dass nach eidgenössischem oder kantonalem Recht ein Gerichtsstand in der Schweiz begründet ist.
1 Die Klage beim Bundesgericht setzt voraus, dass nach eidgenössischem oder kantonalem Recht ein Gerichtsstand in der Schweiz begründet ist. 2 Die Vereinbarung eines Gerichtsstandes in der Schweiz bindet das Bundesgericht nicht; es kann die Klage von Amtes wegen zurückweisen. Hat jedoch eine Partei ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder eine Niederlassung in der Schweiz oder ist nach dem Bundesgesetz vom 18. Dezember 19876 über das Internationale Privatrecht auf den Streitgegenstand schweizerisches Recht anzuwenden, so ist das Bundesgericht zur Annahme der Klage verpflichtet.7 - 2. Das Bundesgericht ist nur zur Beurteilung der Rechtsbegehren zuständig, auf die sich die Prorogation bezieht (Erw. 2).
- 3. Was kann Gegenstand einer Feststellungsklage sein? Art. 25
SR 273 Bundesgesetz vom 4. Dezember 1947 über den Bundeszivilprozess
BZP Art. 25 - Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses kann geklagt werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse an sofortiger Feststellung hat.
- 4. 'Rechtliches Interesse an sofortiger Feststellung' (Erw. 4).
Regeste (fr):
- 1. Quand une prorogation de for en faveur du Tribunal fédéral, au sens de l'art. 41 litt. c al. 2 OJ, est-elle valable même s'il n'existe pas de for légal en Suisse? Art. 2 al. 2 LPC (consid. 1).
- 2. Le Tribunal fédéral ne peut statuer que sur les conclusions auxquelles se rapporte la prorogation de for (consid. 2).
- 3. Quel peut être l'objet d'une action en constatation de droit? Art. 25 LPC (consid. 3).
- 4. 'Intérêt juridique à une constatation immédiate' (consid. 4).
Regesto (it):
- 1. Quando una proroga di giurisdizione a favore del Tribunale federale, a'sensi dell'art. 41 lett. c cp. 2 OG, è valida anche in mancanza di un foro legale in Isvizzera? Art. 2 cp. 2 PCF (consid. 1).
- 2. Il Tribunale federale può statuire soltanto sulle conclusioni alle quali si riferisce la proroga di giurisdizione (consid. 2).
- 3. Quale può essere l'oggetto d'un'azione di accertamento? Art. 25 PCF (consid. 3).
- 4. 'Interesse giuridico all'accertamento immediato' (consid. 4).
Sachverhalt ab Seite 362
BGE 80 II 362 S. 362
A.- Am 30. Januar 1953 starb in Basel der dort wohnhaft gewesene Bauunternehmer Lorenzo Carocari, italienischer Nationalität. Er hinterliess seine Witwe (die Klägerin) und drei Kinder (die Beklagten), alle in Basel wohnhaft, als gesetzliche Erben. Die Erben sind darüber einig, dass die erbrechtliche Auseinandersetzung nach dem italienischen Recht als dem Heimatrecht vor sich zu gehen habe. Auf die vorweg zu erledigenden güterrechtlichen Ansprüche möchte dagegen die Witwe das schweizerische Recht als Recht des Wohnsitzes angewendet wissen (wonach ihr an dem sehr beträchtlichen ehelichen Vorschlag
BGE 80 II 362 S. 363
ein Drittel zustehe), während die Kinder auch in dieser Hinsicht das italienische Heimatrecht für anwendbar halten (das der Witwe keinen Vorschlagsanteil einräume). B. - Um diese Streitfrage rechtsverbindlich entscheiden zu lassen, schlossen die Parteien am 21. Juni 1954 einen Prorogationsvertrag, lautend: '1. Die Parteien vereinbaren, die Frage, ob auf die zur Ermittlung des Nachlasses von Herrn Lorenzo Carocari, verstorben am 30. Januar 1953 in Basel, vorzunehmende güterrechtliche Auseinandersetzung die Bestimmungen des Schweizerischen Zivilgesetzbuches oder des Codice civile italiano anwendbar sind, dem Bundesgericht als einzige Instanz gemäss OG Art. 41 c zur Entscheidung zu unterbreiten. 2. Die Parteien sind übereingekommen, dass die ordentlichen und ausserordentlichen Kosten des Verfahrens dem Nachlass des Herrn Lorenzo Carocari sel. belastet werden sollen.'
C.- Gestützt auf diese Vereinbarung reichte die Witwe beim Bundesgericht die vorliegende Klage ein mit den Rechtsbegehren: '1. Es sei festzustellen, dass auf die zur Ermittlung des Nachlasses von Herrn Lorenzo Carocari ... vorzunehmende güterrechtliche Auseinandersetzung die Bestimmungen des Schweizerischen Zivilgesetzbuches anwendbar sind. 2. Es sei der Klägerin demgemäss aus dem ehelichen Vermögen der Betrag von Fr. 87'110.85 als Vorschlagsanteil vorweg zuzusprechen.' Demgegenüber stellten die Beklagten das Rechtsbe gehren:
'Es sei festzustellen, dass für die zur Ermittlung des Nachlasses ... vorzunehmende güterrechtliche Auseinandersetzung die Bestimmungen des schweizerischen Zivilgesetzbuches nicht, sondern diejenigen des italienischen Rechtes zur Anwendung gelangen, und dass demnach der Klägerin kein Vorschlagsanteil zusteht.' Die Beklagten wollen nur die Frage des anzuwendenden ehelichen Güterrechtes durch das Bundesgericht entscheiden lassen. Sie widersetzen sich einer Beurteilung des von der Klägerin (in eventuellem Sinne, laut der Klagebegründung) erhobenen Leistungsbegehrens, das in der Prorogationsvereinbarung nicht enthalten sei. Mit dem Abschluss dieser Vereinbarung seien die Beklagten nicht von ihrem Standpunkt abgewichen, dass allfällige Streitigkeiten
BGE 80 II 362 S. 364
über den Nachlass des Lorenzo Carocari nur von italienischen Gerichten, und zwar nach italienischem Rechte, zu beurteilen seien. Einer materiellen Entscheidungsbefugnis des Bundesgerichtes vermöchten sie daher nicht zuzustimmen. Demgemäss haben sie ihr Rechtsbegehren in der Hauptverhandlung dahin verdeutlicht, 'das Bundesgericht habe unter Feststellung, dass auch die güterrechtlichen Verhältnisse der Beurteilung durch die italienischen Gerichte unterstehen, auf den vorliegenden Streitfall materiell nicht einzutreten.'
Erwägungen
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1. Nach Art. 41 lit. c Abs. 2 OG kann das Bundesgericht von beiden Parteien 'an Stelle der kantonalen Gerichte' als einzige Instanz angerufen werden, wenn der Streitwert wenigstens Fr. 10'000.-- beträgt. Die letztere Voraussetzung ist hier erfüllt. Da sodann das Bundesgericht nur 'an Stelle der kantonalen Gerichte' angerufen werden kann, muss nach eidgenössischem oder kantonalem Recht ein Gerichtsstand in der Schweiz begründet sein, was denn auch Art. 2 Abs. 1 des Bundeszivilprozessgesetzes vom 4. Dezember 1947 ausdrücklich bestimmt. An dieser Voraussetzung würde es vorerst fehlen, wenn der italienische Gerichtsstand, wie ihn Art. 17 Abs. 3 des Niederlassungs- und Konsularvertrages zwischen der Schweiz und Italien vom 22. Juli 1868 für Streitigkeiten zwischen den Erben eines in der Schweiz verstorbenen Italieners 'hinsichtlich seines Nachlasses' vorsieht, auf Ansprüche des überlebenden Ehegatten aus ehelichem Güterrecht auszudehnen sein sollte. Wie dem aber auch sei, ist Prorogation eines von dieser staatsvertraglichen Norm abweichenden Gerichtsstandes zulässig (BGE 65 I 125). Und die vorliegende Prorogation ist vom Bundesgericht nach Art. 2 Abs. 2
SR 273 Bundesgesetz vom 4. Dezember 1947 über den Bundeszivilprozess BZP Art. 2 - 1 Die Klage beim Bundesgericht setzt voraus, dass nach eidgenössischem oder kantonalem Recht ein Gerichtsstand in der Schweiz begründet ist. |
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1 | Die Klage beim Bundesgericht setzt voraus, dass nach eidgenössischem oder kantonalem Recht ein Gerichtsstand in der Schweiz begründet ist. |
2 | Die Vereinbarung eines Gerichtsstandes in der Schweiz bindet das Bundesgericht nicht; es kann die Klage von Amtes wegen zurückweisen. Hat jedoch eine Partei ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder eine Niederlassung in der Schweiz oder ist nach dem Bundesgesetz vom 18. Dezember 19876 über das Internationale Privatrecht auf den Streitgegenstand schweizerisches Recht anzuwenden, so ist das Bundesgericht zur Annahme der Klage verpflichtet.7 |
2. Indessen fallen nur die Rechtsbegehren in Betracht, für welche die Prorogation erfolgt ist. Für andere Begehren ist die Zuständigkeit des Bundesgerichtes als einziger
BGE 80 II 362 S. 365
Instanz nicht begründet. Der in der Vereinbarung vom 21. Juni 1954 formulierten Streitfrage nach dem anzuwenden den Rechte entspricht das erste, nicht aber das zweite Klagebegehren (aufLeistung von Fr. 87'110.85). Die Beklagten widersetzen sich denn auch dessen Beurteilung durch das Bundesgericht. Freilich bringen sie selber den materiellen Inhalt des italienischen Gesetzes zur Geltung, indem sie mit ihrem Gegenbegehren feststellen lassen wollen, 'dass der Klägerin demnach kein Vorschlagsanteil zusteht'. Das wäre aber nach Ansicht beider Parteien die unabweisliche Folge der Anwendung des italienischen Gesetzes und hat somit nicht die Bedeutung eines besondern Begehrens. Die Beklagten haben im übrigen keinen Zweifel darüber bestehen lassen, dass sie sich an den Wortlaut der Prorogationsvereinbarung halten und eine Befugnis des Bundesgerichts zu materieller Entscheidung nicht anerkennen wollen.
3. Bei dieser Sachlage erhebt sich die Frage, ob überhaupt Rechtsbegehren im wahren Sinne des Wortes vorliegen. Eine gerichtliche Entscheidung muss (abgesehen von der sog. freiwilligen oder nichtstreitigen Gerichtsbarkeit) im Ausspruch der Rechtsfolge bestehen, die sich nach dem Gesetze als Rechtswirkung eines Tatbestandes ergibt (vgl. STEIN, Grundriss des Zivilprozessrechts und des Konkursrechts, § 63 II). Insbesondere kann eine gerichtliche Feststellung nach Art. 25
SR 273 Bundesgesetz vom 4. Dezember 1947 über den Bundeszivilprozess BZP Art. 25 - Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses kann geklagt werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse an sofortiger Feststellung hat. |
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz ZPO Art. 174 Konfrontation - Zeuginnen und Zeugen können einander und den Parteien gegenübergestellt werden. |
BGE 80 II 362 S. 366
Rechtsbeziehung einer Person zu einer andern Person oder zu einer Sache' (SCHöNKE, Zivilprozessrecht, 5. Aufl. S. 145) oder 'jede aus den Rechtsnormen sich ergebende Beziehung einer Person zu einer andern Person oder zu einer Sache, sowie die einzelnen daraus fliessenden rechtlichen Folgen, Ansprüche und Verpflichtungen' (LEUCH, N. 2 zu Art. 174
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz ZPO Art. 174 Konfrontation - Zeuginnen und Zeugen können einander und den Parteien gegenübergestellt werden. |
4. Die (von Anwälten verfasste) Prorogationsvereinbarung kann, zumal angesichts der Stellungnahme der Beklagten, nicht wohl ausdehnend dahin ausgelegt werden, es werde ein eigentliches, d.h. materiellrechtliches Feststellungsurteil darüber verlangt, ob der Witwe aus Güterrecht ein Vorschlagsanteil zustehe. Liesse sich indessen die Prorogation auch so auslegen, so würde es an den besondern Voraussetzungen einer Feststellungsklage mangeln, die Art. 25
SR 273 Bundesgesetz vom 4. Dezember 1947 über den Bundeszivilprozess BZP Art. 25 - Auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses kann geklagt werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse an sofortiger Feststellung hat. |
BGE 80 II 362 S. 367
Austrag zu bringen, also die Frage des Vorschlagsanteils nach Grundsatz und Betrag, aber auch die Ersatzansprüche für Eingebrachtes und die zur Zeit noch streitigen Sondergutsansprüche. Auf diesem Wege liesse sich ein vollstreckbares Urteil erzielen. Dass der Vorschlagsanteil der Witwe besonders gefährdet sei und deshalb möglichst rasch vorweg durch Urteil festgestellt werden sollte, ist nicht dargetan. übrigens ist nicht einzusehen, was in dieser Hinsicht mit einer bloss grundsätzlichen Feststellung gewonnen wäre. Endlich lässt sich für die Zulässigkeit einer solchen Feststellung nichts daraus herleiten, dass einem Feststellungsurteil mitunter gestützt auf zuverlässige Parteierklärungen, namentlich seitens behördlicher Organe, die praktische Wirkung eines Leistungsurteils beigemessen werden darf (vgl. BGE 50 II 51ff.; LEUCH, N. 3 zu Art. 174
SR 272 Schweizerische Zivilprozessordnung vom 19. Dezember 2008 (Zivilprozessordnung, ZPO) - Gerichtsstandsgesetz ZPO Art. 174 Konfrontation - Zeuginnen und Zeugen können einander und den Parteien gegenübergestellt werden. |
Dispositiv
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Auf die Klage wird nicht eingetreten.