BGE 79 IV 69
17. Urteil des Kassationshofes vom 19. Juni 1953 i. S. Staatsanwaltschaft des
Kantons Luzern gegen Brunner.
Regeste:
1. Art. 26 Abs. 3 MFG. Verbot des Überholens an Strassenkreuzungen.
2. Art. 20 MFG. Pflicht zum Gebrauch der Warnvorrichtung bei gesetzwidrigem
Überholen.
1. Art. 26 al. 3 LA. Interdiction de dépasser aux croisées.
2. Art. 20 LA. Obligation d'utiliser son appareil avertisseur en cas de
dépassement interdit.
1. Art. 26 cp. 3 LA. Divieto di oltrepassare ai crocevia.
2. Art. 20 LA. Chi oltrepassa illecitamente deve usare l'apparecchio di
segnalamento.
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A. - Alois Brunner führte am 16. Mai 1952 einen Personenwagen auf der
Hauptstrasse durch Uffikon gegen Luzern. Vor ihm fuhren auf der rechten Seite
der Strasse in gleicher Richtung die Radfahrer Barnabas Kaufmann und Adolf
Recht, jener links, fieser rechts. Bei der von links einmündenden
Winikonerstrasse bog Kaufmann ohne die Richtungsänderung anzuzeigen, nach
links ab obwohl Recht ihn auf den von hinten nahenden Motorwagen aufmerksam
gemacht hatte. Er stiess mit diesem Fahrzeug zusammen und wurde verletzt. Es
entstand auch Sachschaden.
B. - Gegen Kaufmann wurde vom Statthalteramt Willisau wegen Übertretung von
Art. 75 Abs. 2 MFV und fahrlässiger Verkehrsstörung (Art. 237 Ziff. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 237 - 1. Wer vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser, in der Luft oder auf der Schiene hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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1 | Wer vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser, in der Luft oder auf der Schiene hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
2 | Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. |
eine Busse von Fr. 10.-, gegen Brunner von der Staatsanwaltschaft des Kantons
Luzern wegen fahrlässiger Verkehrsstörung eine solche von Fr. 60.- beantragt.
Brunner verlangte gerichtliche Beurteilung. Das Amtsgericht Willisau sprach
ihn am 18. März 1953 frei. Zur Begründung führte es aus, Verkehrsvorschriften
dürften unter Umständen umgangen werden, wenn es im Interesse des normalen
Ablaufs des Verkehrs und ohne Gefährdung geschehe. Das habe Brunner annehmen
dürfen. Er habe nicht damit rechnen müssen und können, Kaufmann werde
unerwartet die Strasse überqueren. Aus dem gleichen Grunde habe er nicht zu
warnen brauchen.
C. - Gegen dieses Urteil führt die Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, es sei aufzuheben und die Sache zur
Verurteilung Brunners nach Art. 237 Ziff. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 237 - 1. Wer vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser, in der Luft oder auf der Schiene hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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1 | Wer vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser, in der Luft oder auf der Schiene hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
2 | Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. |
zurückzuweisen.
Brunner beantragt die Beschwerde sei abzuweisen.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.- Art. 26 Abs. 3 MFG verbietet dem Motoffahrzeugführer, an
Strassenkreuzungen zu überholen. Kreuzung im Sinne dieser Vorschrift ist nach
ständiger Rechtsprechung
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auch die Stelle, an der eine Strasse in eine andere einmündet (BGE 64 II 317,
75 IV 29, 128).
Daher durfte der Beschwerdegegner die beiden Radfahrer an der Einmündung der
Winikonerstrasse nicht überholen. Dass Kaufmann seine Absicht, nach links
abzuschwenken. nicht angezeigt hatte und daher der Beschwerdegegner der
Meinung war, er könne ohne Gefahr vorfahren, ändert nichts. Art. 26 Abs. 3 MFG
verbietet das Überholen an Kreuzungen schlechthin, nicht bloss dann, wenn der
Führer des vorderen Fahrzeuges die Absicht kundgibt, nach links abzuschwenken.
Gewiss gibt es Verkehrsvorschriften, von denen man je nach Lage straflos
abweichen kann, z.B. das Gebot des Rechtsfahrens (Art. 26 Abs. 1 MFG), an
dessen strengen Befolgung auf breiter und vollständig freier Strasse bei
voller Übersicht niemand ein Interesse hat und dessen Verletzung unter solchen
Umständen niemanden auch bloss abstrakt gefährdet. Es kann jedoch nicht die
Rede sein, dass niemand, insbesondere keiner der beiden Radfahrer, ein
Interesse daran gehabt habe, dass der Beschwerdegegner das Verbot des Art. 26
Abs. 3 MFG beachte, und dass seine Übertretung keine auch bloss entfernte
Gefahr habe schaffen können. Sowenig Kaufmann im Vertrauen darauf, dass Art.
26 Abs. 3 MFG den von hinten kommenden Fahrzeugen an Kreuzungen das Überholen
verbiete und daher ein Zusammenstoss ausgeschlossen sei, ohne Zeichen zu geben
abbiegen durfte, sowenig durfte der Beschwerdegegner sich darauf verlassen,
dass keiner der Radfahrer entgegen Art. 75 Abs. 2 MFV ohne rechtzeitiges
Ausstrecken des Armes nach links abbiegen werde. Da das Gesetz ausdrücklich
von beiden Teilen ein bestimmtes Verhalten fordert, um einer Gefährdung des
Verkehrs vorzubeugen, haben beide ihre Pflicht zu tun, darf nicht der eine
unter Berufung darauf, dass die Pflichterfüllung des andern zur Verhütung der
Gefahr genüge, sich über das ihm auferlegte Gebot oder Verbot hinwegsetzen.
Übrigens besteht das Verbot des Überholens an Kreuzungen (Einmündungen) nicht
nur wegen der Gefahr
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des Zusammenstosses mit einem nach links abbiegenden Fahrzeug, sondern unter
anderem auch deshalb, weil an solchen Stellen die linke Seite der Fahrbahn für
Fahrzeuge frei zu bleiben hat, die, unerwartet von links oder rechts
einbiegend, dem Überholenden begegnen könnten (vgl. BGE 74 IV 172), zumal das
zu überholende Fahrzeug anderen die Sicht verdecken und damit die Gefahr eines
Zusammenstosses erhöhen kann. Zudem verlangt das Überholen erhöhte
Aufmerksamkeit und schafft damit die Gefahr, dass sie von der Seitenstrasse
abgelenkt werde das Verbot des Überholens an Kreuzungen (Einmündungen) will
einer Anhäufung von Gefahren, denen die Aufmerksamkeit des einen oder anderen
Strassenbenützers nicht gewachsen sein könnte, vorbeugen.
2.- Der Beschwerdegegner bestreitet, dass er überholt oder zu überholen
begonnen habe. Diese Bestreitung ist mutwillig. Nicht nur hat er gegenüber dem
Polizisten zugegeben und vor dem Statthalteramt als richtig bestätigt, dass er
im Begriffe gewesen sei, den Radfahrern links vorzufahren, sondern es kann
sich auch tatsächlich nicht anders verhalten haben. Wenn der Beschwerdegegner,
wie er ebenfalls erklärt hat und wie das Amtsgericht verbindlich feststellt,
zunächst hinter den Radfahrern gefahren war und dann bei der Einmündung der
Winikonerstrasse auf ihre Höhe aufgeholt hatte, so war er eben daran, sie zu
überholen. Daran lässt auch die Fahrgeschwindigkeit vor dem Unfall, die der
Beschwerdegegner selber gegenüber der Polizei mit 40 km/Std. angegeben hat und
die das Amtsgericht auf 30-50 km/Std. beziffert, nicht zweifeln.
3.- Der Beschwerdegegner hat auch dadurch unvorsichtig gehandelt, dass er den
beiden Radfahrern seine Absicht, entgegen Art. 26 Abs. 3 MFG an der Einmündung
zu überholen, nicht angekündet hat. Damit hat er Art. 20 MFG übertreten,
wonach die Warnvorrichtung zu gebrauchen ist, wenn die Sicherheit des Verkehrs
es erfordert. Er hätte sich, obschon keiner der Radfahrer ein Zeichen
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gegeben hat, sagen sollen, dass Sie in die Winikonerstrasse könnten abbiegen
wollen, im Vertrauen darauf, dass ihnen hier niemand (gesetzwidrig)
vorzufahren versuche. Die Annahme des Amtsgerichts, er habe mit diesem
Verhalten nicht rechnen müssen, ist entgegen der Ansicht des Beschwerdegegners
keine tatsächliche Feststellung, die den Kassationshof bände (Art. 277bis Abs.
1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 237 - 1. Wer vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser, in der Luft oder auf der Schiene hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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1 | Wer vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser, in der Luft oder auf der Schiene hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
2 | Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. |
pflichtgemässer Aufmerksamkeit und Überlegung zu rechnen hat. Der
Beschwerdegegner kann die Unterlassung nicht damit entschuldigen, dass
Kaufmann von Hecht auf das von hinten nahende Fahrzeug aufmerksam gemacht
worden sei und ein Signal ebensowenig genützt hätte wie diese Warnung. Der
Beschwerdegegner hat nicht gewusst, dass Hecht den andern auf die Lage
aufmerksam gemacht hatte, und zudem hätte ein Signal - was der blosse Hinweis
des Hecht auf das nahende Fahrzeug nicht tun konnte - die vom Beschwerdegegner
gehegte Absicht des Überholens deutlich kundgetan und Kaufmann eindringlicher
gezeigt, welcher Gefahr er sich aussetze, wenn er abbiege.
4.- Mit der Übertretung der Art. 26 Abs. 3 und Art. 20 MFG ist nach den
Umständen auch das Vergehen des Art. 237 Ziff. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 237 - 1. Wer vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser, in der Luft oder auf der Schiene hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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1 | Wer vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser, in der Luft oder auf der Schiene hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
2 | Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. |
vorschriftswidrige Verhalten des Beschwerdegegners hat den Verkehr nicht bloss
gefährdet, sondern sogar gestört.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Amtsgerichts
Willisau vom 18. März 1953 aufgehoben und die Sache zur Verurteilung des
Beschwerdegegners nach Art. 237 Ziff. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 237 - 1. Wer vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser, in der Luft oder auf der Schiene hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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1 | Wer vorsätzlich den öffentlichen Verkehr, namentlich den Verkehr auf der Strasse, auf dem Wasser, in der Luft oder auf der Schiene hindert, stört oder gefährdet und dadurch wissentlich Leib und Leben von Menschen oder fremdes Eigentum in Gefahr bringt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
2 | Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe. |