S. 148 / Nr. 37 Strafgesetzbuch (d)

BGE 79 IV 148

37. Urteil des Kassationshofes vom 27. November 1953 i. S. Koller gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen.


Seite: 148
Regeste:
Art. 33 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 33 - 1 Die antragsberechtigte Person kann ihren Strafantrag zurückziehen, solange das Urteil der zweiten kantonalen Instanz noch nicht eröffnet ist.
1    Die antragsberechtigte Person kann ihren Strafantrag zurückziehen, solange das Urteil der zweiten kantonalen Instanz noch nicht eröffnet ist.
2    Wer seinen Strafantrag zurückgezogen hat, kann ihn nicht nochmals stellen.
3    Zieht die antragsberechtigte Person ihren Strafantrag gegenüber einem Beschuldigten zurück, so gilt der Rückzug für alle Beschuldigten.
4    Erhebt ein Beschuldigter gegen den Rückzug des Strafantrages Einspruch, so gilt der Rückzug für ihn nicht.
StGB.
a) Diese Bestimmung setzt nicht voraus, dass der Abwehrende den Erfolg seiner
Handlung vorsätzlich herbeigeführt habe (Erw. 1).
b) Das Recht der Abwehr besteht nicht bloss subsidiär (Erw. 2).
c) Abwehr durch Abgabe von Schreckschüssen, Angemessenheit (Erw. 3, 4).
Art. 33 al. 1 CP.
a) Cette disposition ne suppose pas que celui qui se défend ait eu l'intention
d'arriver par son acte au résultat qui s'est produit (consid. 1).
b) Le droit de légitime défense n'existe pas à titre subsidiaire seulement
(consid. 2).
c) Défense au moyen de coups de feu tirés en guise d'avertissement,
proportionnalité (consid. 3 et 4).
Art. 33 cp. 1 CP.
a) Questo disposto non presuppone che chi ha respinto l'aggressione abbia
avuto l'intenzione di conseguire col suo atto il risultato prodottosi (consid.
1).
b) Il diritto di legittima difesa non esiste soltanto a titolo sussidiario
(consid. 2).
c) Colpi di fuoco sparati per avvertimento: difesa adeguata (consid. 3 e 4).

A. - Am 26. Oktober 1951 nach 22 Uhr begegneten Othmar Lehmann, geb. 1910, der
den Beruf eines Metzgers ausübte, und Hans Solenthaler, geb. 1907,
Schulhausabwart, die beide unter Alkoholeinfluss standen, den von einer
Pfadfinderübung heimkehrenden fünfzehnjährigen Knaben Alfred Salaorni und Karl
Schlumpf. Lehmann führte, wie Soleuthaler sagt, ein «lautes Maul», eilte den
Knaben nach und nahm Salaorni, ohne dass dieser oder sein Kamerad dazu
irgendwelchen Anlass gegeben hätte, das Fahrrad weg. Die Knaben, welche die
beiden Angetrunkenen nicht kannten, begaben sich zu ihrem Pfadfinderführer,
dem Versicherungsangestellten Walter Koller, geb. 1925, und baten ihn um
Hilfe. Koller steckte eine geladene Walther-Pistole in die Tasche, um sich,
wenn nötig, verteidigen zu können, und begab sich auf die Suche nach dem
Fahrrad. Nach der Polizeistunde traf er in Gegenwart der beiden Knaben auf
Lehmann und Solenthaler, die nach

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dem Besuche eines weiteren Wirtshauses die Heimatstrasse heraufkamen und das
weggenommene Fahrrad mit sich führten. Karl Schlumpf bat die beiden Männer in
anständiger Weise, das Fahrrad zurückzugeben. Lehmann und Solenthaler wurden
gegenüber beiden Knaben handgreiflich; einer der Männer versetzte dem einen
Knaben ohne Anlass sogar eine Ohrfeige. Auch als Koller die Männer ruhig und
in sehr anständigem Tone um Rückgabe des Fahrrades ersuchte, verweigerten sie
diese. Koller beauftragte einen der Knaben, der Polizei zu telephonieren, und
suchte zu diesem Zwecke nach einem Zwanzigrappenstück, ohne jedoch ein solches
zu finden. Unterdessen wurde Solenthaler wütend, fluchte heftig und reizte
Lehmann derart auf, dass dieser sich auf Koller zu stürzen begann. Koller wich
vor dem Anstürmenden etwas zurück, nahm die Pistole aus der Tasche,
entsicherte sie und gab einen Warnschuss gegen den Boden ab. Da Lehmann nun
den Koller an der Gurgel packte, feuerte letzterer ein zweites Mal gegen den
Boden. Im Laufe des weiteren Handgemenges, entweder als die miteinander
Ringenden stürzten oder sich auf dem Boden überdrehten, löste sich aus der
Pistole, die Koller noch immer entsichert in der Hand hielt, ohne dessen
Willen ein dritter Schuss. Das Geschoss drang in die Brust Lehmanns und tötete
ihn.
B. - Am 2. Juni 1953 verurteilte das Kantonsgericht von St. Gallen Koller
wegen fahrlässiger Tötung zu einer bedingt aufgeschobenen Gefängnisstrafe von
fünf Monaten und wegen Übertretung der kantonalen Verordnung über den Handel
mit Waffen und Munition zu Fr. 30.- Busse.
Die Fahrlässigkeit Kollers sah es darin, dass er die Pistole aus der Tasche
nahm, sie entsicherte, vor dem angreifenden Lehmann Warnschüsse abgab und die
Waffe in der Hand behielt. Nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge könne ein
Disput mit einem sich aggressiv zeigenden Angetrunkenen leicht zu einer
Schlägerei führen, und aus einer geladenen und entsicherten Handfeuerwaffe,
besonders wenn man soeben geschossen habe und den Finger am

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Abzug lasse, wie Koller es getan habe, könne in einem Handgemenge leicht ein
unkontrollierbarer Schuss ausgelöst werden und einen Menschen verletzen oder
töten. Das hätte Koller bedenken sollen. Dass im Ringen zwischen ihm und
Lehmann ein Schuss losgegangen sei, sei die adäquate Folge der
vorausgegangenen Fahrlässigkeit. Das Verhalten Lehmanus vor der
Auseinandersetzung unterbreche die Kausalkette zwischen dem unvorsichtigen
Verhalten Kollers und dem Tode Lehmanns nicht. Auch habe Koller nicht in
Notwehr gehandelt. Der Rechtfertigungsgrund der Notwehr greife nur bei
vorsätzlichen Straftaten Platz. Er hänge nämlich von der Angemessenheit des
Eingriffs in das fremde Rechtsgut ab. Ob ein Eingriff angemessen gewesen sei,
frage sich aber nur, wenn ihn der Täter gewollt habe, denn nur in diesem Falle
lasse sich beurteilen, ob dieser richtig «gemessen», d.h. das durch den
Angriff bedrohte und das durch die Abwehrhandlung zu verletzende Rechtsgut
gegen einander abgewogen habe.
C. - Koller führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Hauptantrag auf
Freisprechung. Er macht unter anderem geltend, er habe in Notwehr gehandelt,
als er die Waffe gezogen und einen Schreckschuss abgegeben habe. Diese
Abwehrhandlung sei angemessen gewesen.
D. - Der Staatsanwalt des Kantons St. Gallen beantragt, die Beschwerde sei
abzuweisen. Er verneint die Notwehr unter Verweisung auf die Begründung des
angefochtenen Urteils und fügt bei, Koller habe den Angriff des Lehmann in
schwerer Weise selbst provoziert und könne demgemäss nicht behaupten, von
Lehmann ohne Recht angegriffen worden zu sein. Er habe damit zu rechnen
gehabt, dass er durch die beiden Schreckschüsse Lehmann in Wut versetzen und
zum Angriff aufreizen werde, denn er habe gewusst, dass Lehmann betrunken war.
Der Kassationshof zieht in Erwägung
1.- Art. 33 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 33 - 1 Die antragsberechtigte Person kann ihren Strafantrag zurückziehen, solange das Urteil der zweiten kantonalen Instanz noch nicht eröffnet ist.
1    Die antragsberechtigte Person kann ihren Strafantrag zurückziehen, solange das Urteil der zweiten kantonalen Instanz noch nicht eröffnet ist.
2    Wer seinen Strafantrag zurückgezogen hat, kann ihn nicht nochmals stellen.
3    Zieht die antragsberechtigte Person ihren Strafantrag gegenüber einem Beschuldigten zurück, so gilt der Rückzug für alle Beschuldigten.
4    Erhebt ein Beschuldigter gegen den Rückzug des Strafantrages Einspruch, so gilt der Rückzug für ihn nicht.
StGB bestimmt: «Wird jemand ohne Recht angegriffen oder
unmittelbar mit einem Angriff

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bedroht, so ist der Angegriffene und jeder andere berechtigt, den Angriff in
einer den Umständen angemessenen Weise abzuwehren.
Dass diese Norm, die einen Fall der Rechtmässigkeit der Tat regelt (vgl.
Randtitel «Rechtmässige Handlungen» zu Art. 32 ff.), nur die Strafbarkeit
eines vorsätzlich erfüllten Delikttatbestandes ausschliesse, lässt sich weder
ihrem Wortlaut entnehmen, noch sonstwie als ihr Sinn erkennen. Mag sie auch
ein bewusstes und gewolltes Verhalten des Täters voraussetzen, so kann doch
keine Rede davon sein, dass der Abwehrende sich auch des Erfolges seiner
Abwehrhandlung bewusst sein und diesen wollen müsse. Oft wehrt er bewusst und
gewollt ab, ohne den Willen zu haben, ein Rechtsgut des andern zu verletzen.
Es wäre stossend, ja unvernünftig, ihm Art. 33 Abs. 1 nicht zugute kommen zu
lassen, wenn er dabei den Angreifer verletzt oder tötet, während er
freigesprochen werden müsste, wenn er die Körperverletzung oder Tötung als
Erfolg der gleichen Abwehrhandlung gewollt hätte. Dass der Angreifer nur «in
einer den Umständen angemessenen Weise» abwehren darf, führt zu keiner anderen
Auslegung. Freilich beurteilt sich die Angemessenheit einer Abwehrhandlung
nicht nur nach der Schwere des Angriffs und der Wichtigkeit des angegriffenen
Rechtsgutes, sondern auch nach der Bedeutung des Gutes, das durch die Abwehr
verletzt oder gefährdet wird. In welche Gefahr der Angreifer durch die
Abwehrhandlung kommt, kann jedoch der Abwehrende ermessen, ohne den Erfolg zu
wollen. Kann er sich darüber nach den Umständen und seinen persönlichen
Verhältnissen keine Rechenschaft geben, so ist er mangels Fahrlässigkeit
ohnehin nicht strafbar, stellt sich also die Frage der Notwehr überhaupt
nicht. Art. 33
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 33 - 1 Die antragsberechtigte Person kann ihren Strafantrag zurückziehen, solange das Urteil der zweiten kantonalen Instanz noch nicht eröffnet ist.
1    Die antragsberechtigte Person kann ihren Strafantrag zurückziehen, solange das Urteil der zweiten kantonalen Instanz noch nicht eröffnet ist.
2    Wer seinen Strafantrag zurückgezogen hat, kann ihn nicht nochmals stellen.
3    Zieht die antragsberechtigte Person ihren Strafantrag gegenüber einem Beschuldigten zurück, so gilt der Rückzug für alle Beschuldigten.
4    Erhebt ein Beschuldigter gegen den Rückzug des Strafantrages Einspruch, so gilt der Rückzug für ihn nicht.
StGB auf Fälle unbewusster oder ungewollter Herbeiführung des
zum Delikttatbestand gehörenden Erfolges anzuwenden, widerspricht auch nicht
dem Begriff der Fahrlässigkeit. Solche liegt vor, wenn der Täter die Folge
seines Verhaltens aus pflichtwidriger Unvorsichtigkeit nicht bedacht oder
darauf

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nicht Rücksicht genommen hat (Art. 18 Abs. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 18 - 1 Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben.
1    Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben.
2    War dem Täter nicht zuzumuten, das gefährdete Gut preiszugeben, so handelt er nicht schuldhaft.
StGB). Unvorsichtigkeit allein
genügt also nicht; sie muss pflichtwidrig sein. Das ist sie nicht, wenn sie
Ausfluss eines rechtmässigen Verhaltens ist, insbesondere wenn der Täter einen
begonnenen oder unmittelbar bevorstehenden rechts -widrigen Angriff in einer
den Umständen angemessenen Weise abwehrt.
2.- Art. 33 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 33 - 1 Die antragsberechtigte Person kann ihren Strafantrag zurückziehen, solange das Urteil der zweiten kantonalen Instanz noch nicht eröffnet ist.
1    Die antragsberechtigte Person kann ihren Strafantrag zurückziehen, solange das Urteil der zweiten kantonalen Instanz noch nicht eröffnet ist.
2    Wer seinen Strafantrag zurückgezogen hat, kann ihn nicht nochmals stellen.
3    Zieht die antragsberechtigte Person ihren Strafantrag gegenüber einem Beschuldigten zurück, so gilt der Rückzug für alle Beschuldigten.
4    Erhebt ein Beschuldigter gegen den Rückzug des Strafantrages Einspruch, so gilt der Rückzug für ihn nicht.
StGB berechtigt den Angegriffenen oder unmittelbar mit
einem Angriff Bedrohten schlechthin, in angemessener Weise abzuwehren. Die
Bestimmung gibt im Gegensatz zu vereinzelten früheren kantonalen Rechten (vgl.
z.B. Freiburg, StGB von 1868 Art. 66; Schwyz, Kriminalstrafgesetz von 1881 §
37) das Recht der Abwehr nicht bloss subsidiär, d.h. für den Fall, dass der
Angegriffene oder Bedrohte dem Angriff nicht durch die Flucht entgehen oder
sich durch die Polizei schützen lassen kann. Das wurde schon in der zweiten
Expertenkommission anlässlich der Beratung des mit Art. 33
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 33 - 1 Die antragsberechtigte Person kann ihren Strafantrag zurückziehen, solange das Urteil der zweiten kantonalen Instanz noch nicht eröffnet ist.
1    Die antragsberechtigte Person kann ihren Strafantrag zurückziehen, solange das Urteil der zweiten kantonalen Instanz noch nicht eröffnet ist.
2    Wer seinen Strafantrag zurückgezogen hat, kann ihn nicht nochmals stellen.
3    Zieht die antragsberechtigte Person ihren Strafantrag gegenüber einem Beschuldigten zurück, so gilt der Rückzug für alle Beschuldigten.
4    Erhebt ein Beschuldigter gegen den Rückzug des Strafantrages Einspruch, so gilt der Rückzug für ihn nicht.
StGB
übereinstimmenden Art. 26 VE betont (Protokoll 2. ExpK 1186, Votum Gantier).
Es ergibt sich auch aus der abweichenden Regelung des Notstandes in Art. 34
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 34 - 1 Bestimmt es das Gesetz nicht anders, so beträgt die Geldstrafe mindestens drei und höchstens 180 Tagessätze.24 Das Gericht bestimmt deren Zahl nach dem Verschulden des Täters.
1    Bestimmt es das Gesetz nicht anders, so beträgt die Geldstrafe mindestens drei und höchstens 180 Tagessätze.24 Das Gericht bestimmt deren Zahl nach dem Verschulden des Täters.
2    Ein Tagessatz beträgt in der Regel mindestens 30 und höchstens 3000 Franken.25 Das Gericht kann den Tagessatz ausnahmsweise bis auf 10 Franken senken, wenn die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters dies gebieten.26 Es kann die maximale Höhe des Tagessatzes überschreiten, wenn das Gesetz dies vorsieht. Es bestimmt die Höhe des Tagessatzes nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Täters im Zeitpunkt des Urteils, namentlich nach Einkommen und Vermögen, Lebensaufwand, allfälligen Familien- und Unterstützungspflichten sowie nach dem Existenzminimum.27
3    Die Behörden des Bundes, der Kantone und der Gemeinden geben die für die Bestimmung des Tagessatzes erforderlichen Auskünfte.
4    Zahl und Höhe der Tagessätze sind im Urteil festzuhalten.

StGB, wonach die zur Rettung eines Rechtsgutes begangene Tat unter anderem
dann nicht straflos bleibt, wenn die Gefahr anders hätte abgewendet werden
können. Hätten die gesetzgebenden Behörden auch die Abwehr eines
rechtswidrigen Angriffs nur unter der Voraussetzung, dass der Angegriffene der
Gefahr nicht anders entgehen könne, gestatten wollen, so hätten sie das in
Art. 33
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 33 - 1 Die antragsberechtigte Person kann ihren Strafantrag zurückziehen, solange das Urteil der zweiten kantonalen Instanz noch nicht eröffnet ist.
1    Die antragsberechtigte Person kann ihren Strafantrag zurückziehen, solange das Urteil der zweiten kantonalen Instanz noch nicht eröffnet ist.
2    Wer seinen Strafantrag zurückgezogen hat, kann ihn nicht nochmals stellen.
3    Zieht die antragsberechtigte Person ihren Strafantrag gegenüber einem Beschuldigten zurück, so gilt der Rückzug für alle Beschuldigten.
4    Erhebt ein Beschuldigter gegen den Rückzug des Strafantrages Einspruch, so gilt der Rückzug für ihn nicht.
StGB ausdrücklich gesagt. Dass die Abwehr nur subsidiär zulässig sei,
ist nicht etwa dadurch ausgedrückt, dass sie «in einer den Umständen
angemessenen Weise» erfolgen muss. Damit wird lediglich die Angemessenheit der
Abwehrmittel, nicht der Abwehr als solcher, verlangt, wie besonders deutlich
aus der Wendung «moyens proportionnés aux circonstances» des französischen
Textes erhellt. Flucht und Anrufung der Polizei sind nicht Abwehrmittel; wer
flieht oder sich an die Polizei wendet, wehrt nicht ab, sondern verzichtet auf
(eigene) Abwehr.

Seite: 153
Dass die Abwehr eines rechtswidrigen Angriffs schlechthin, der Eingriff in
fremde Rechte wegen Notstandes dagegen nur subsidiär zulässig ist, lässt sich
auch sachlich begründen. Wer einen andern rechtswidrig angreift oder
unmittelbar mit einem Angriff bedroht, hat es sich selber zuzuschreiben, wenn
der andere, in angemessener Weise abwehrend, ihn verletzt. Das Recht des
Angegriffenen, sich zu wehren, kann zudem allgemein abschreckend wirken und
damit rechtswidrigen Angriffen vorbeugen, womit dem Rechte gedient ist. Wer
sich in einem Notstand befindet, greift dagegen in das Rechtsgut des andern
ein, ohne dass dieser sich rechtswidrig verhalten hätte. Dass der Angegriffene
nicht verpflichtet ist, sich dem Angriffe durch die Flucht zu entziehen, ist
auch schon unter zivilrechtlichen Gesichtspunkten entschieden worden (BGE 18
345). Wenn in der strafrechtlichen Literatur zum deutschen Recht zum Teil
andere Ansichten vertreten werden (vgl. z.B. OLSHAUSEN, Kommentar 12. Aufl. §
53 Anm. 3; MEZGER, Strafrecht 3. Aufl. 236; a.M. z.B. FRANK, Kommentar 17.
Aufl. § 53 Anm. 11 Abs. 5), so ist das auf den von Art. 33
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 33 - 1 Die antragsberechtigte Person kann ihren Strafantrag zurückziehen, solange das Urteil der zweiten kantonalen Instanz noch nicht eröffnet ist.
1    Die antragsberechtigte Person kann ihren Strafantrag zurückziehen, solange das Urteil der zweiten kantonalen Instanz noch nicht eröffnet ist.
2    Wer seinen Strafantrag zurückgezogen hat, kann ihn nicht nochmals stellen.
3    Zieht die antragsberechtigte Person ihren Strafantrag gegenüber einem Beschuldigten zurück, so gilt der Rückzug für alle Beschuldigten.
4    Erhebt ein Beschuldigter gegen den Rückzug des Strafantrages Einspruch, so gilt der Rückzug für ihn nicht.
StGB abweichenden
Wortlaut des § 53 des Strafgesetzbuches für das Deutsche Reich zurückzuführen,
der voraussetzt, dass die Handlung durch Notwehr «geboten war».
3.- Als der Beschwerdeführer die ihm vom Kantonsgericht als Unvorsichtigkeit
zur Last gelegten Handlungen und Unterlassungen beging, nämlich die Pistole
aus der Tasche nahm, sie entsicherte, zwei Warnschüsse abgab und die Waffe in
der Hand behielt, befand er sich in einer Lage, die ihn zu angemessener Abwehr
berechtigte. Erst nachdem sich Lehmann auf den Beschwerdeführer zu stürzen
begonnen hatte, zog dieser die Pistole und gab er einen Warnschuss ab. Im
Vorgehen des Lehmann lag ein Angriff im Sinne des Art. 33 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 33 - 1 Die antragsberechtigte Person kann ihren Strafantrag zurückziehen, solange das Urteil der zweiten kantonalen Instanz noch nicht eröffnet ist.
1    Die antragsberechtigte Person kann ihren Strafantrag zurückziehen, solange das Urteil der zweiten kantonalen Instanz noch nicht eröffnet ist.
2    Wer seinen Strafantrag zurückgezogen hat, kann ihn nicht nochmals stellen.
3    Zieht die antragsberechtigte Person ihren Strafantrag gegenüber einem Beschuldigten zurück, so gilt der Rückzug für alle Beschuldigten.
4    Erhebt ein Beschuldigter gegen den Rückzug des Strafantrages Einspruch, so gilt der Rückzug für ihn nicht.
StGB, und
zwar ein rechtswidriger, da weder das in anständigem Tone vorgebrachte und von
keinerlei Drohung begleitete Ansuchen des Beschwerdeführers um Rückgabe des
rechtswidrig weggenommenen Fahrrades, noch sein Auftrag an einen der Knaben,
die

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Polizei zu benachrichtigen, Lehmann zu Tätlichkeiten berechtigte. Nach der
Abgabe des ersten Schusses bestand die Notwehrlage weiter, da Lehmann den
Beschwerdeführer an der Gurgel packte, wozu er trotz des Schusses nicht
berechtigt war, wenn dieser ihm auch gereizt haben mag. Der zweite Warnschuss
wurde daher vom Beschwerdeführer ebenfalls in einer Lage abgegeben, die ihn
zur Abwehr berechtigte. Die dauerte auch nachher noch an, da Lehmann vom
Beschwerdeführer nicht abliess, sondern ihn in ein Handgemenge verwickelte.
Auch subjektiv handelte der Beschwerdeführer in Notwehr. Er wollte von dem ihm
zustehenden Rechte Gebrauch machen; er sah in den beiden Warnschüssen ein
Mittel, psychisch auf Lehmann einzuwirken, damit er von ihm ablasse.
4.- Diese Art der Abwehr war nicht unangemessen. Sie verletzte kein Rechtsgut
des Angreifers, sondern beschränkte sich darauf, ihn nachdrücklich auf die
Gefahr aufmerksam zu machen, der er sich aussetze, wenn er den Angriff
fortführe. Hätte er die Warnung beherzigt, so wäre ihr Zweck ohne jegliche
Schädigung erreicht gewesen. Dass sie sich angesichts der hartnäckigen
Angriffslust Lehmanns dann als ungenügend erwies, ja ihn möglicherweise noch
aufreizte, rechtfertigt es nicht, in ihr ein zum vornherein unangemessenes
Mittel zu sehen. Das Recht zur Abwehr wäre illusorisch, wenn der Angegriffene
von einem schonenden und daher an sich zulässigen Mittel nur deshalb nicht
Gebrauch machen dürfte, weil es möglicherweise den Angreifer zur Fortsetzung
oder Verschäffung des Angriffs anfeuern könnte. Recht braucht vor Macht nicht
zu weichen. Dass Lehmann Alkohol getrunken hatte, ändert nichts, umsoweniger
als er nicht so stark unter dessen Einfluss stand, dass er sich seiner
Handlungen nicht bewusst oder dass seine Willensfreiheit vollständig
aufgehoben gewesen wäre (Konzentration im Gehirn 1,25 bis 1,36
Gewichtspromille, im Blute 1,86 bis 1,93 Gewichtspromille). Lehmann ist selber
dafür verantwortlich, wenn die Tatsache,

Seite: 155
dass ihm der Beschwerdeführer, statt zu fliehen, mit einem von entschlossenem
Widerstandswillen zeugenden, aber unschädlichen Abwehrmittel (Warnschüsse)
entgegentrat, seine Wut gesteigert haben sollte. Unerheblich ist auch, ob die
Körperkraft des Beschwerdeführers allenfalls genügt hätte, um des Angreifers
Herr zu werden. Durch die Abgabe von Warnschüssen griff der Beschwerdeführer
in kein Rechtsgut des Angreifers ein; er behandelte ihn nachsichtiger, als
wenn er ihm z.B. einen Faustschlag ins Gesicht versetzt hätte. Zudem konnte
der Beschwerdeführer es nicht auf den Versuch ankommen lassen, ob er den
kräftigen und durch Alkohol angetriebenen Metzger mit Körperkraft zu
überwältigen vermöge. Wäre ihm dieser Versuch misslungen - was sehr
wahrscheinlich ist, zumal Lehmann auf die Hilfe seines Kumpanen Solenthaler
zählen konnte, der mit ihm durch entschlossene Nichtherausgabe des Fahrrades
gemeinsame Sache gemacht und ihn durch wütendes Schimpfen auf den
Beschwerdeführer gehetzt hatte -, so wäre es zu spät gewesen, zum wirksameren
Mittel der Waffe zu greifen. Der Beschwerdeführer hatte auch gar nicht Zeit zu
langer Überlegung, ob allenfalls körperlicher Widerstand genüge. In der Lage,
in der er sich vor dem anstürmenden Lehmann befand, handelte er nicht
unangemessen, durch Abgabe eines Schusses den Angreifer zu warnen und sich
damit zugleich zur allfälligen weiteren Abwehr vorzubereiten. Wohl schuf er so
für den Angreifer (wie für sich selbst) eine Gefahr, da die entsicherte Waffe
in einem allfälligen Handgemenge auch ohne Willen des Beschwerdeführers
tödlich wirken konnte. Diese Gefahr aber setzte voraus, dass der Warnschüsse
die ihm zugedachte Wirkung verfehle und der Angriff weitergehe. Sie genügte
nicht, das Vorgehen des Beschwerdeführers unangemessen zu machen. Anders
möchte es gewesen sein, wenn Lehmann die Gefahr nicht hätte erkennen können.
Dem war nicht so; er konnte sogut wie der Beschwerdeführer wissen, dass ihm
die Fortsetzung des Angriffs zum Verhängnis werden könnte; gerade darauf

Seite: 156
machte ihn der Warnschuss aufmerksam. Der zweite Schuss sodann schuf keine
neue Gefahr und ist daher ebenfalls nicht zu beanstanden.
Der Beschwerdeführer handelte auch nicht pflichtwidrig, die Pistole nach dem
zweiten Schuss in der Hand zu behalten. Das Recht zur Abwehr bestand weiter,
und die Möglichkeit, dass der Beschwerdeführer zum Schutze seines Lebens oder
seiner Gesundheit würde auf Lehmann schiessen müssen, lag nahe, nachdem dieser
trotz zweimaliger eindringlicher Warnung sich von der Fortsetzung des Angriffs
nicht hatte abhalten lassen. Hätte der Beschwerdeführer die Pistole
weggeworfen, so hätte ein Schuss losgehen und jemanden treffen oder hätte
Lehmann die Waffe behändigen und gegen den Beschwerdeführer richten können
dieser wäre dem Berauschten wehrlos ausgeliefert gewesen. Es konnte dem
Beschwerdeführer, der bereits unter dem psychischen Eindruck des tätlichen
Angriffs stand, nicht zugemutet werden, sich in diese gefährliche Lage zu
begeben.
Die Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung verletzt daher das Gesetz; das
Kantonsgericht bat den Beschwerdeführer freizusprechen.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Kantonsgerichts
von St. Gallen vom 2. Juni 1953 aufgehoben und die Sache zur Freisprechung des
Beschwerdeführers von der Anklage der fahrlässigen Tötung an die Vorinstanz
zurückgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 79 IV 148
Datum : 01. Januar 1953
Publiziert : 27. November 1953
Quelle : Bundesgericht
Status : 79 IV 148
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : Art. 33 Abs. 1 StGB.a) Diese Bestimmung setzt nicht voraus, dass der Abwehrende den Erfolg seiner...


Gesetzesregister
StGB: 18 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 18 - 1 Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben.
1    Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um sich oder eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen oder andere hochwertige Güter zu retten, wird milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben.
2    War dem Täter nicht zuzumuten, das gefährdete Gut preiszugeben, so handelt er nicht schuldhaft.
33 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 33 - 1 Die antragsberechtigte Person kann ihren Strafantrag zurückziehen, solange das Urteil der zweiten kantonalen Instanz noch nicht eröffnet ist.
1    Die antragsberechtigte Person kann ihren Strafantrag zurückziehen, solange das Urteil der zweiten kantonalen Instanz noch nicht eröffnet ist.
2    Wer seinen Strafantrag zurückgezogen hat, kann ihn nicht nochmals stellen.
3    Zieht die antragsberechtigte Person ihren Strafantrag gegenüber einem Beschuldigten zurück, so gilt der Rückzug für alle Beschuldigten.
4    Erhebt ein Beschuldigter gegen den Rückzug des Strafantrages Einspruch, so gilt der Rückzug für ihn nicht.
34
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 34 - 1 Bestimmt es das Gesetz nicht anders, so beträgt die Geldstrafe mindestens drei und höchstens 180 Tagessätze.24 Das Gericht bestimmt deren Zahl nach dem Verschulden des Täters.
1    Bestimmt es das Gesetz nicht anders, so beträgt die Geldstrafe mindestens drei und höchstens 180 Tagessätze.24 Das Gericht bestimmt deren Zahl nach dem Verschulden des Täters.
2    Ein Tagessatz beträgt in der Regel mindestens 30 und höchstens 3000 Franken.25 Das Gericht kann den Tagessatz ausnahmsweise bis auf 10 Franken senken, wenn die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters dies gebieten.26 Es kann die maximale Höhe des Tagessatzes überschreiten, wenn das Gesetz dies vorsieht. Es bestimmt die Höhe des Tagessatzes nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Täters im Zeitpunkt des Urteils, namentlich nach Einkommen und Vermögen, Lebensaufwand, allfälligen Familien- und Unterstützungspflichten sowie nach dem Existenzminimum.27
3    Die Behörden des Bundes, der Kantone und der Gemeinden geben die für die Bestimmung des Tagessatzes erforderlichen Auskünfte.
4    Zahl und Höhe der Tagessätze sind im Urteil festzuhalten.
BGE Register
79-IV-148
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
schuss • fahrrad • notwehr • verhalten • flucht • kantonsgericht • wille • kassationshof • notstand • strafgesetzbuch • widerrechtlichkeit • geschoss • frage • staatsanwalt • waffen und munition • angemessenheit • wirkung • verlängerung • sorgfalt • waffe
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