S. 75 / Nr. 18 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht (d)

BGE 79 III 75

18. Auszug aus dem Entscheid vom 16. April 1953 i. S. Müller.

Regeste:
1. Die Aufnahme eines Retentionsverzeichnisses für den Mietzins aus einer mehr
als ein Jahr zurückliegenden Mietperiode darf nicht wegen dieser verflossenen
Zeit abgelehnt werden, wenn die Miete damals zu Ende ging.
2. Nicht für Mietzins zu retinieren sind Gegenstände, die zweifellos nicht zur
Einrichtung oder Benutzung der vermieteten Räume gehören.
Art. 272
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 272 - 1 Der Mieter kann die Erstreckung eines befristeten oder unbefristeten Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung der Miete für ihn oder seine Familie eine Härte zur Folge hätte, die durch die Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen wäre.
1    Der Mieter kann die Erstreckung eines befristeten oder unbefristeten Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung der Miete für ihn oder seine Familie eine Härte zur Folge hätte, die durch die Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen wäre.
2    Bei der Interessenabwägung berücksichtigt die zuständige Behörde insbesondere:
a  die Umstände des Vertragsabschlusses und den Inhalt des Vertrags;
b  die Dauer des Mietverhältnisses;
c  die persönlichen, familiären und wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien und deren Verhalten;
d  einen allfälligen Eigenbedarf des Vermieters für sich, nahe Verwandte oder Verschwägerte sowie die Dringlichkeit dieses Bedarfs;
e  die Verhältnisse auf dem örtlichen Markt für Wohn- und Geschäftsräume.
3    Verlangt der Mieter eine zweite Erstreckung, so berücksichtigt die zuständige Behörde auch, ob er zur Abwendung der Härte alles unternommen hat, was ihm zuzumuten war.
OR, 283 Abs. 3 SchKG.
1. L'inventaire des biens soumis au droit de rétention en garantie d'un loyer
remontant à une date antérieure à un an ne doit pas être refusé en raison du
temps qui s'est écoulé si c'est à ce moment-là que le bail a pris fin.
2. On ne doit pas inventorier des biens qui incontestablement ne servaient pas
à l'aménagement ou à l'usage des locaux loués.
Art. 272 CO, 283 al. 3 LP.
1. L'erezione d'un inventario dei beni vincolati al diritto di ritenzione per
la mercede relativa ad un periodo di locazione che risale ad oltre un anno non
può essere rifiutata a motivo del tempo trascorso se la locazione ha preso
fine a quell'epoca.
2. Non debbono essere inventariati i beni che incontestabilmente non servivano
all'arredamento o all'uso dei locali appigionati.
Art. 272 CO, 283 cp. 3 LEF.

Aus dem Tatbestand:
A. - Ulrich Engler benutzte mit seiner Familie vom 1. Februar bis zum 15.
April 1950 eine Ferienwohnung in Valbella. Er stellte dem Vermieter Ruedi
Müller am

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15. April 1950 eine Schuldanerkennung über einen Betrag von Fr. 1630.- für die
Wohnungsmiete aus. Seine Ehefrau beliess einige Gegenstände (Kleidungsstücke,
Sportgeräte und Reiseutensilien) in der gemieteten Wohnung.
B. - Am 20. Dezember 1952 verlangte der Gläubiger die Aufnahme einer
Retentionsurkunde für den erwähnten Mietzins von Fr. 1630. - In der
Retentionsurkunde vom 5. Januar 1953 verzeichnete das Betreibungsamt
Alvaschein die seinerzeit beim Gläubiger belassenen Sachen.
C. - Der Schuldner beschwerte sich über die Retentionsaufnahme, weil es sich
um eine längst verfallene Mietzinsforderung handle, für die kein
Retentionsrecht mehr bestehen könne.
D. - Mit Entscheid vom 18. März 1953 entsprach die kantonale Aufsichtsbehörde
dem Beschwerdeantrag und hob die Retention auf. Sie stimmte der Ansicht des
Schuldners bei, dass unter dem verfallenen Jahreszins nach Art. 272
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 272 - 1 Der Mieter kann die Erstreckung eines befristeten oder unbefristeten Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung der Miete für ihn oder seine Familie eine Härte zur Folge hätte, die durch die Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen wäre.
1    Der Mieter kann die Erstreckung eines befristeten oder unbefristeten Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung der Miete für ihn oder seine Familie eine Härte zur Folge hätte, die durch die Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen wäre.
2    Bei der Interessenabwägung berücksichtigt die zuständige Behörde insbesondere:
a  die Umstände des Vertragsabschlusses und den Inhalt des Vertrags;
b  die Dauer des Mietverhältnisses;
c  die persönlichen, familiären und wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien und deren Verhalten;
d  einen allfälligen Eigenbedarf des Vermieters für sich, nahe Verwandte oder Verschwägerte sowie die Dringlichkeit dieses Bedarfs;
e  die Verhältnisse auf dem örtlichen Markt für Wohn- und Geschäftsräume.
3    Verlangt der Mieter eine zweite Erstreckung, so berücksichtigt die zuständige Behörde auch, ob er zur Abwendung der Härte alles unternommen hat, was ihm zuzumuten war.
OR nur der
ein Jahr zurückliegende, >>>>gerechnet vom letzten Ziel vor Stellung des
Retentionsbegehrens, zu verstehen sei. Weiter zurückliegende
Mietzinsforderungen, wie die hier in Frage stehenden aus dem Jahr 1950, seien
dagegen des Retentionsrechtes nicht mehr teilhaftig.
E. - Mit vorliegendem Rekurs hält der Gläubiger daran fest, dass die vom
Schuldner angefochtene Retentionsverfügung zu bestätigen sei. Er macht
geltend, als letztes >>>>Ziel komme kein späteres Datum als der 15. April 1950
in Betracht, da damals das Mietverhältnis aufgehört habe.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
1.- In der Regel wird das Retentionsrecht ausgeübt, während die Miete dauert,
oder kurz nach ihrer Beendigung. Solchenfalls ist die auf BGE 42 III 279
gestützte Betrachtungsweise des vorinstanzlichen Entscheides zutreffend. Hat
aber, wie im vorliegenden Falle, die Miete schon vor einigen Jahren aufgehört,
so erhebt sich die

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Frage, ob als letzter verfallener Jahreszins nicht eben derjenige des letzten
Jahres der Mietdauer zu gelten habe. Der Entscheidung dieser Frage greift das
soeben angeführte Urteil nicht vor. Ferner spricht nicht etwa der Text des
Art. 272
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 272 - 1 Der Mieter kann die Erstreckung eines befristeten oder unbefristeten Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung der Miete für ihn oder seine Familie eine Härte zur Folge hätte, die durch die Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen wäre.
1    Der Mieter kann die Erstreckung eines befristeten oder unbefristeten Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung der Miete für ihn oder seine Familie eine Härte zur Folge hätte, die durch die Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen wäre.
2    Bei der Interessenabwägung berücksichtigt die zuständige Behörde insbesondere:
a  die Umstände des Vertragsabschlusses und den Inhalt des Vertrags;
b  die Dauer des Mietverhältnisses;
c  die persönlichen, familiären und wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien und deren Verhalten;
d  einen allfälligen Eigenbedarf des Vermieters für sich, nahe Verwandte oder Verschwägerte sowie die Dringlichkeit dieses Bedarfs;
e  die Verhältnisse auf dem örtlichen Markt für Wohn- und Geschäftsräume.
3    Verlangt der Mieter eine zweite Erstreckung, so berücksichtigt die zuständige Behörde auch, ob er zur Abwendung der Härte alles unternommen hat, was ihm zuzumuten war.
OR eindeutig für die enge vorinstanzliche Auslegung. Die deutsche und
die italienische Fassung ("einen verfallenen Jahreszins", "le mercedi di un
anno scaduto...") lassen sich zwanglos auf eine mehr als ein Jahr
zurückliegende Mietdauer beziehen, sofern die Miete eben damit zu Ende ging.
Der französische Text ("loyer de l'année écoulée") scheint freilich eine der
Ausübung des Retentionsrechtes bzw. der laufenden Mietperiode unmittelbar
vorausgegangene Jahresperiode (bis zum letzten "Ziel" im Auge zu haben. Doch
geht das Gesetz dabei wohl vom eingangs erwähnten Regelfalle aus, so dass die
Frage offen bleibt, ob nicht nach Beendigung der Miete das für das letzte
Mietjahr bestehende Retentionsrecht einfach bestehen bleibe, solange der
betreffende Mietzins aussteht und auch die übrigen Voraussetzungen des
Retentionsrechtes weiterhin gegeben sind. Bei dieser Rechtslage sind aber die
Betreibungsbehörden dann nicht befugt, die Aufnahme eines
Retentionsverzeichnisses mit der Begründung zu verweigern, dass der geltend
gemachte Mietzins für eine mehr als ein Jahr zurückliegende Zeit gefordert
werde, wenn die Miete damals zu Ende ging. Denn ob auch in diesem Falle das
Retentionsrecht untergegangen sei, ist eine die zivilrechtlichen
Voraussetzungen des Retentionsrechtes betreffende und daher vom Richter zu
entscheidende Frage, deren Bejahung durch die Betreibungsbehörden selber nur
dann gestattet wäre, wenn gar kein Zweifel darüber bestehen könnte (vgl. BGE
75 III 31 unten/32). Das trifft jedoch nach dem Gesagten nicht zu. Die neuere
Rechtsprechung kommt vielmehr dem Standpunkte des Rekurrenten entgegen (vgl.
BGE 72 II 368 ff.).
2.- Lässt sich somit die Ablehnung der Retentionsnahme nicht auf die
vorinstanzlichen Gründe stützen, so

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fehlt es nun aber zweifellos an einer andern Voraussetzung zur Retinierung der
vom Betreibungsamte verzeichneten Sachen. Kleidungsstücke, Sportgeräte (und
zwar solche für den Skisport) wie auch Reisekoffern lassen sich unmöglich
gemäss Art. 272
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 272 - 1 Der Mieter kann die Erstreckung eines befristeten oder unbefristeten Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung der Miete für ihn oder seine Familie eine Härte zur Folge hätte, die durch die Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen wäre.
1    Der Mieter kann die Erstreckung eines befristeten oder unbefristeten Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung der Miete für ihn oder seine Familie eine Härte zur Folge hätte, die durch die Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen wäre.
2    Bei der Interessenabwägung berücksichtigt die zuständige Behörde insbesondere:
a  die Umstände des Vertragsabschlusses und den Inhalt des Vertrags;
b  die Dauer des Mietverhältnisses;
c  die persönlichen, familiären und wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien und deren Verhalten;
d  einen allfälligen Eigenbedarf des Vermieters für sich, nahe Verwandte oder Verschwägerte sowie die Dringlichkeit dieses Bedarfs;
e  die Verhältnisse auf dem örtlichen Markt für Wohn- und Geschäftsräume.
3    Verlangt der Mieter eine zweite Erstreckung, so berücksichtigt die zuständige Behörde auch, ob er zur Abwendung der Härte alles unternommen hat, was ihm zuzumuten war.
OR zu den Sachen zählen, die zur Einrichtung oder Benutzung
einer Mietwohnung gehören. Die Retention solcher Sachen ist daher
ausgeschlossen (BGE 59 III 68). Dieser rechtliche Mangel der Retention ist zu
berücksichtigen, wiewohl sich der Schuldner nicht darauf berufen hat.
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer:
Der Rekurs wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 79 III 75
Datum : 01. Januar 1953
Publiziert : 16. April 1953
Quelle : Bundesgericht
Status : 79 III 75
Sachgebiet : BGE - Schuldbetreibungs- und Konkursrecht
Gegenstand : 1. Die Aufnahme eines Retentionsverzeichnisses für den Mietzins aus einer mehr als ein Jahr...


Gesetzesregister
OR: 272
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 272 - 1 Der Mieter kann die Erstreckung eines befristeten oder unbefristeten Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung der Miete für ihn oder seine Familie eine Härte zur Folge hätte, die durch die Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen wäre.
1    Der Mieter kann die Erstreckung eines befristeten oder unbefristeten Mietverhältnisses verlangen, wenn die Beendigung der Miete für ihn oder seine Familie eine Härte zur Folge hätte, die durch die Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen wäre.
2    Bei der Interessenabwägung berücksichtigt die zuständige Behörde insbesondere:
a  die Umstände des Vertragsabschlusses und den Inhalt des Vertrags;
b  die Dauer des Mietverhältnisses;
c  die persönlichen, familiären und wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien und deren Verhalten;
d  einen allfälligen Eigenbedarf des Vermieters für sich, nahe Verwandte oder Verschwägerte sowie die Dringlichkeit dieses Bedarfs;
e  die Verhältnisse auf dem örtlichen Markt für Wohn- und Geschäftsräume.
3    Verlangt der Mieter eine zweite Erstreckung, so berücksichtigt die zuständige Behörde auch, ob er zur Abwendung der Härte alles unternommen hat, was ihm zuzumuten war.
BGE Register
42-III-279 • 59-III-68 • 72-II-364 • 75-III-28 • 79-III-75
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
retentionsrecht • frage • schuldner • vorinstanz • benutzung • betreibungsamt • biene • entscheid • wohnraum • begründung des entscheids • dauer • weiler • schuldanerkennung • schuldbetreibungs- und konkursrecht • rechtslage • familie • teilhaftung • zweifel