S. 56 / Nr. 9 Sachenrecht (d)

BGE 79 II 56

9. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 7. April i. S.
Neuweilerplatz A.-G. gegen Kaiser.

Regeste:
Grunddienstbarkeit, Ablösung durch den Richter, Art. 736
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 736 - 1 Hat eine Dienstbarkeit für das berechtigte Grundstück alles Interesse verloren, so kann der Belastete ihre Löschung verlangen.
1    Hat eine Dienstbarkeit für das berechtigte Grundstück alles Interesse verloren, so kann der Belastete ihre Löschung verlangen.
2    Ist ein Interesse des Berechtigten zwar noch vorhanden, aber im Vergleich zur Belastung von unverhältnismässig geringer Bedeutung, so kann die Dienstbarkeit gegen Entschädigung ganz oder teilweise abgelöst werden.
ZGB.
Kann nicht schon deshalb verlangt werden, weil die Belastung schwerer geworden
und das Interesse des Berechtigten an sieh geringfügig sei, sondern nur wenn
dieses Interesse sich seit der Errichtung so vermindert hat, dass jetzt ein
Missverhältnis vorliegt.
Servitude foncière, radiation par le juge, art. 736 CC.
Il ne suffit pas que les charges soient devenues plus lourdes et que la
servitude n'ait qu'un intérêt limité pour l'ayant droit;

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il faut que cet intérêt se soit réduit depuis la constitution de la servitude
au point qu'il est disproportionné avec les charges imposées au fonds servant.
Servitù fondiaria, cancellazione ad opera del giudice, art. 736 CC.
Non basta che l'onere sia diventato più grave e che la servitù abbia soltanto
un Interesse limitato per l'avente diritto occorre che quest'Interesse si sia
ridotto, dall'epoca della costituzione della servitù, in modo tale che ne
risulti una sproporzione.

(Die Klägerin verlangt Löschung einer Dienstbarkeit, die eine über die
bestehende hinausgehende Überbauung verbietet, weil ohne solche Überbauung die
städtebaulich wünschbare Neugestaltung der belasteten Liegenschaft
wirtschaftlich nicht tragbar sei.
Das Bundesgericht pflichtet den Vorinstanzen darin bei, dass das Interesse der
berechtigten Eigentümer am Fortbestehen der Servitut noch das gleiche,
erhebliche ist wie zur Zeit der Errichtung.)
Hinsichtlich der Frage anderseits, ob die Belastung der klägerischen
Liegenschaft infolge der festgestellten weitgehenden Änderung der Verhältnisse
ungleich viel schwerer geworden sei, worüber die Auffassungen der beiden
Vorinstanzen auseinandergehen, ist dem Zivilgericht beizupflichten. An der
Belastung des dienenden Grundstücks hat sich nichts geändert. Sie besteht nach
wie vor darin, dass auf dem Grundstück nur ein Hauptgebäude von den Ausmassen
des bestehenden und allenfalls kleine Nebengebäude bis 4 m Höhe gebaut werden
dürfen. Was sich geändert hat, sind die Bodenpreise und infolgedessen der
Wert, zu dem das Grundstück dem Eigentümer anliegt, letzteres insbesondere
wegen des Kaufes zu dem höheren Bodenpreis durch die Klägerin. Das berührt
aber nicht die Belastung des Grundstücks, sondern nur das Interesse, das der
Eigentümer hat, die Belastung loszuwerden. Art. 736 Abs. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 736 - 1 Hat eine Dienstbarkeit für das berechtigte Grundstück alles Interesse verloren, so kann der Belastete ihre Löschung verlangen.
1    Hat eine Dienstbarkeit für das berechtigte Grundstück alles Interesse verloren, so kann der Belastete ihre Löschung verlangen.
2    Ist ein Interesse des Berechtigten zwar noch vorhanden, aber im Vergleich zur Belastung von unverhältnismässig geringer Bedeutung, so kann die Dienstbarkeit gegen Entschädigung ganz oder teilweise abgelöst werden.
ZGB spricht denn
auch gar nicht von einer Änderung der Belastung, die er als gleichbleibend
voraussetzt, sondern (mit dem Worte «noch») nur von einer Minderung des
Interesses des Berechtigten als

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Voraussetzung der Ablösung der Dienstbarkeit. Allerdings ist das Bundesgericht
in vereinzelten Entscheiden auf eine Abwägung zwischen dein Interesse des
Berechtigten an der Erhaltung der Servitut einerseits und dem Mehrwert,
welcher dem belasteten Grundstück aus der Ablösung erwachsen würde,
eingegangen (BGE 50 II 466), hat jedoch «die durch Geldschätzung gefundene
Differenz zwischen den beidseitigen Interessen» als zur Begründung der
gesetzlichen Ablösungspflicht ungenügend erklärt:
Das Gesetz spricht wohl absichtlich nicht einfach von einem geringeren
Wertverhältnis, sondern geht davon aus, dass die Dienstbarkeit von geringerer
Bedeutung geworden sei» (S. 467). Die Ablösungspflicht beruht auf dem Gedanken
der Verhütung eines Rechtsmissbrauchs. «Lediglich deshalb, weil die Belastung
des dienenden Grundstücks schwerer geworden ist, kann das Festhalten des
Berechtigten an der Dienstbarkeit nicht als Rechtsmissbrauch bezeichnet
werden, es wäre denn, dass sein Interesse auch qualitativ ein weniger
schutzwürdiges ... wäre» (BGE 66 II 248). An dieser Auslegung ist seither
festgehalten worden (BGE 70 II 98 f.). Abwegig ist der Hinweis der Berufnug
darauf, dass die Servitut «unkündbar, praktisch auf unbeschränkte Zeit, ja
sogar mit zwangsläufiger Wirkung für alle Rechtsnachfolger begründet werde «.
Sie teilt diese Eigenschaften mit allen dinglichen Rechten. Daraus folgt aber
nicht, dass die Abänderung durchgesetzt werden könne, wenn die Belastung für
das dienende Grundstück gewachsen, das Interesse des Berechtigten dagegen
geringfügig sei. Es kommt nicht so sehr darauf an, ob dieses Interesse an sich
geringfügig sei - das Gesetz erlaubt die Begründung einer Dienstbarkeit ohne
Nachweis eines Interesses daran (BGE 66 II 248), sondern darauf, ob das
Interesse sich seit der Errichtung so vermindert habe, dass ein Missverhältnis
vorliegt, - was hier eben, wie ausgeführt, nicht der Fall ist. Es liegt daher
im Festhalten an der Dienstbarkeit seitens der Beklagten kein
Rechtsmissbrauch.

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Wollte man aber, entgegen dem Ausgeführten, noch annehmen, das Interesse des
Belasteten an der Beseitigung der Dienstbarkeit als solches falle in Betracht,
so wäre jedenfalls mitzuberücksichtigen, ob das Anwachsen der Belastung auf
Ursachen innerhalb oder ausserhalb des Machtbereichs der belasteten
Grundeigentümer beruht (BGE 66 II 247, 70 II 100 f.). Hier beruht es aber
offensichtlich darauf, dass die Klägerin die Liegenschaft zu einem Preise
gekauft hat, der wirtschaftlich nur zu verantworten wäre, wenn sie darauf
unbeschränkt bauen könnte. Hat sie die Liegenschaft in Kenntnis der Servitut
gekauft im Verlass darauf, dass die Ablösung gütlich oder notfalls gerichtlich
zu erreichen sein werde, und hat sie sich in dieser Spekulation getäuscht, so
ist das ihre Sache und nicht die der Beklagten.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 79 II 56
Datum : 01. Januar 1953
Publiziert : 07. April 1953
Quelle : Bundesgericht
Status : 79 II 56
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Grunddienstbarkeit, Ablösung durch den Richter, Art. 736 ZGB.Kann nicht schon deshalb verlangt...


Gesetzesregister
ZGB: 736
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 736 - 1 Hat eine Dienstbarkeit für das berechtigte Grundstück alles Interesse verloren, so kann der Belastete ihre Löschung verlangen.
1    Hat eine Dienstbarkeit für das berechtigte Grundstück alles Interesse verloren, so kann der Belastete ihre Löschung verlangen.
2    Ist ein Interesse des Berechtigten zwar noch vorhanden, aber im Vergleich zur Belastung von unverhältnismässig geringer Bedeutung, so kann die Dienstbarkeit gegen Entschädigung ganz oder teilweise abgelöst werden.
BGE Register
50-II-465 • 66-II-243 • 70-II-96 • 79-II-56
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
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