BGE 79 I 70
13. Urteil der I. Zivilabteilung vom 10. Februar 1953 i. S. UNION Schweiz.
Einkaufsgesellschaft Olten USEGO gegen Zürich, Direktion der Justiz.
Regeste:
Handelsregister, Eintragspflicht der Zweigniederlassung. Begriff und
Erfordernisse einer solchen. Art. 935
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag OR Art. 935 - 1 Wer ein schutzwürdiges Interesse glaubhaft macht, kann dem Gericht beantragen, eine gelöschte Rechtseinheit wieder ins Handelsregister eintragen zu lassen. |
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1 | Wer ein schutzwürdiges Interesse glaubhaft macht, kann dem Gericht beantragen, eine gelöschte Rechtseinheit wieder ins Handelsregister eintragen zu lassen. |
2 | Ein schutzwürdiges Interesse besteht insbesondere, wenn: |
1 | nach Abschluss der Liquidation der gelöschten Rechtseinheit nicht alle Aktiven verwertet oder verteilt worden sind; |
2 | die gelöschte Rechtseinheit in einem Gerichtsverfahren als Partei teilnimmt; |
3 | die Wiedereintragung für die Bereinigung eines öffentlichen Registers erforderlich ist; oder |
4 | im Fall eines Konkurses die Wiedereintragung der gelöschten Rechtseinheit für den Schluss des Konkursverfahrens erforderlich ist. |
3 | Bestehen Mängel in der Organisation der Rechtseinheit, so ergreift das Gericht zusammen mit der Anordnung der Wiedereintragung die erforderlichen Massnahmen. |
Registre du commerce, obligation d'inscrire une succursale. Notion et
caractères de la succursale. Art. 935 CO, 69 et suiv. ORC.
Registro di commercio; obbligo d'iscrivere una succursale. Nozione e requisiti
della succursale art. 935 CO, 69 e seg. ORC.
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A. - Die Genossenschaft UNION Schweiz. Einkaufsgesellschaft Olten USEGO ist
eine Vereinigung von Detaillisten von Lebensmitteln und andern Artikeln des
täglichen Bedarfs. Sie bezweckt, durch Zusammenfassung der Kaufkraft und
andere Massnahmen die Leistungsfähigkeit ihrer Mitglieder zu heben. Die
Genossenschaft ist im Handelsregister ihres Sitzes Olten eingetragen. In Olten
befindet sich auch ihre Hauptniederlassung. Überdies hat sie verschiedene
andere Niederlassungen, so u. a. auch eine solche in Winterthur. Diese
weiteren Niederlassungen sind nicht im Handelsregister eingetragen.
Auf Begehren der Colgate-Palmolive A.-G. Zürich forderte das
Handelsregisteramt Zürich die Verwaltung der USEGO gemäss Art. 57 HRV auf, die
Winterthurer Niederlassung als Zweigniederlassung im Handelsregister eintragen
zu lassen.
Die USEGO bestritt, dass ihre Niederlassung Winterthur den Charakter einer
Zweigniederlassung habe.
Daraufhin verfügte die Justizdirektion Zürich am 21. Oktober 1952 die
Eintragung gestützt auf Art. 58 HRV.
B. - Gegen diese Verfügung ergriff die USEGO die Verwaltungsgerichtsbeschwerde
an das Bundesgericht mit dem Antrag auf Aufhebung der Eintragungsverfügung.
Die Justizdirektion Zürich und das eidgen. Justiz- und Polizeidepartement
beantragen Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung:
1.- Der Begriff der Zweigniederlassung wird weder vom OR noch von der HRV
umschrieben. Nach Rechtsprechung und Lehre ist darunter ein kaufmännischer
Betrieb zu verstehen, der zwar rechtlich Teil eines Hauptunternehmens ist, von
dem er abhängt, der aber in eigenen Lokalitäten dauernd eine gleichartige
Tätigkeit wie das Hauptunternehmen ausübt und dabei eine gewisse
wirtschaftliche und geschäftliche Selbständigkeit geniesst (BGE 76 I 156, 68 I
112).
2.- Auf Grund der Akten steht in tatsächlicher
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Hinsicht unbestritten fest, dass die Winterthurer Niederlassung der USEGO über
Liegenschaften im Ausmass von über 24000 m2 und im Wert von nahezu 1,5
Millionen Fr. verfügt. Es stehen ihr weiter ein Warenlager, zahlreiche Autos
und andere Mobilien zur Verfügung. Sie hat einen eigenen Leiter, der
kollektivzeichnungsberechtigt ist und die Niederlassung gemeinsam mit einem
Handlungsbevollmächtigten derselben ohne Mitwirkung eines
Zeichnungsberechtigten der Hauptniederlassung vertreten kann. Das Personal der
Niederlassung besteht aus 185 Personen, nämlich 56 Bureauangestellten, 35
Chauffeuren, 3 sog. Hollerith-Locherinnen und 91 im Lager und den Werkstätten
beschäftigten Angestellten. Die Niederlassung besorgt vor allem den Verkauf
der von der Hauptniederlassung eingekauften Waren nach den von dieser
aufgestellten Richtlinien. Die Lieferung erfolgt zum Teil ab dem eigenen Lager
der Niederlassung, zum Teil direkt ab demjenigen der Hauptniederlassung.
Verkauft wird zur Hauptsache an die Mitglieder der Genossenschaft, zu einem
geringen Teil auch an Nichtmitglieder. Die Rechnungen werden von der
Niederlassung ausgestellt, die Zahlungen dagegen haben auf das Postcheckkonto
der Hauptniederlassung zu erfolgen, so dass die Niederlassung nicht über
eigene flüssige Mittel verfügt. Die Niederlassung befasst sich weiter mit dem
An- und Verkauf von frischen Inlandfrüchten und -gemüsen. Sie kauft diese von
den in der weiteren Umgebung ansässigen Produzent en und verkauft sie
vorwiegend direkt an die Detaillisten ihres Gebiets weiter zu einem kleinen
Teil gibt sie sie an die Hauptniederlassung oder die Niederlassung Landquart
weiter. Die Lieferanten haben aber unter allen Umständen an die
Hauptniederlassung Rechnung zu stellen und werden von dieser bezahlt. Im Jahre
1951 hat die Niederlassung Winterthur für rund eine Million Fr. Früchte und
Gemüse selber eingekauft. Die Buchung der Geschäftsvorfälle der Niederlassung
wird, abgesehen von Vorarbeiten, die bei dem verwendeten Lochkartenverfahren
System Hollerith automatisch
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zusammen mit der Fakturierung erfolgen, durch die Hauptniederlassung als Teil
der Gesamtbuchhaltung besorgt. Das geschieht aber gesondert in der Weise, dass
das Sondervermögen und der Sondererfolg der Niederlassung jederzeit
festgestellt werden können und dass der die Niederlassung betreffende Teil der
Gesamtbuchhaltung von einem Tag auf den andern gänzlich verselbständigt werden
könnte. Das steuerpflichtige Vermögen der Niederlassung Winterthur betrug 1951
Fr. 884000.-, das steuerpflichtige Einkommen Fr. 84000.-.
3.- Auf Grund dieses Sachverhaltes steht ausser Zweifel, dass die
Niederlassung Winterthur die Merkmale einer Zweigniederlassung im Sinne der
eingangs erwähnten Grundsätze aufweist.
a) Die Beschwerde wendet demgegenüber ein, die Niederlassung Winterthur sei
«nicht ein analog dem Sitz in Olten organisierter Betrieb». Der Zweck der
Genossenschaft, der gemeinsame Einkauf, bleibe mit Ausnahme des
standortbedingten Einkaufs von Früchten und Gemüsen dem Sitz in Olten
vorbehalten. Hievon abgesehen liefere die Niederlassung nur die von Olten
eingekauften Waren an die in ihrem Rayon wohnenden Detaillisten ab. Ihre
Abnehmer seien mit wenigen Ausnahmen Genossenschaftsmitglieder; das
Mitgliedschaftsverhältnis aber und die weiteren generellen Beziehungen zu den
Mitgliedern würden vom Sitz in Olten festgelegt.
Mit diesen Ausführungen will die Beschwerde offenbar geltend machen, dass die
Tätigkeit der Niederlassung Winterthur nicht gleicher Art wie diejenige der
Hauptniederlassung sei. Diese Auffassung ist jedoch mit der Vorinstanz zu
verwerfen. Gleichartige Tätigkeit liegt nicht erst dann vor, wenn die
sachlichen Tätigkeitsgebiete der Niederlassungen sich vollkommen decken.
Insbesondere ist nicht erforderlich, dass die Zweiganstalt sämtliche
Tätigkeitsgebiete der Hauptniederlassung im gleichen Verhältnis wie diese
pflegt Es genügt, wenn die von ihr bearbeiteten Aufgaben ihrer Art nach
ebenfalls zum
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Geschäftsbereich der Hauptniederlassung gehören. So genügt für die
Gleichartigkeit, wenn die Betriebsstätte eines Handelsgeschäftes
ausschliesslich oder vorwiegend den Einkauf oder den Verkauf besorgt. Denn die
eine wie die andere Tätigkeit fällt ihrer Natur nach in den Geschäftsbereich
der Hauptniederlassung. Um so weniger kann darauf etwas ankommen, dass im
vorliegenden Fall der von der Niederlassung besorgte Einkauf von Früchten und
Gemüsen im Verhältnis zum Verkauf der von der Hauptniederlassung bezogenen
Waren von untergeordneter Bedeutung ist. Es genügt, dass sowohl Einkauf wie
Verkauf unter dem Gesichtspunkt betrieben werden, den
Genossenschaftsmitgliedern die durch die Zusammenfassung der Kaufkraft
vermittelten Vorteile zu verschaffen. Ebenso ist belanglos, dass die Regelung
des Mitgliedschaftsverhältnisses als solche ausschliesslich vom Hauptsitz aus
erfolgt. Übrigens liegt auch diese Seite der Tätigkeit der Hauptniederlassung
nicht völlig ausserhalb der Funktionen der Niederlassung Winterthur. Denn wie
aus dem von den Beschwerdeführern vorgelegten Entwurf für ein Pflichtenheft
der Geschäftsführer der USEGO ersichtlich ist, haben diese auch der Werbung
von neuen Mitgliedern alle Sorgfalt angedeihen zu lassen.
b) Wie die Vorinstanz sodann zutreffend ausführt, sind Art und Umfang des
Geschäftsbetriebes der Niederlassung gesamthaft betrachtet so beschaffen, dass
die mit der Behandlung als Zweigniederlassung verbundenen Wirkungen,
namentlich die Schaffung eines besonderen Gerichtsstandes, einem dringenden
Verkehrsbedürfnis entsprechen. Die Bestreitung dieses Interesses durch die
Beschwerde ist unhaltbar, wenn man in Betracht zieht, dass die Niederlassung
selbständig Einkäufe für mehr als 1 Million Fr. im Jahr vornimmt, dass sie die
der Genossenschaft angehörenden Detaillisten in der ganzen Ost Schweiz - wenn
auch zur Hauptsache mit den von Olten eingekauften Waren - beliefert, also
selber entsprechende Geschäfte abschliesst. Bedenkt man weiter, dass die
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Niederlassung zur Bewältigung dieses Geschäftsverkehrs gegen 200 Angestellte
beschäftigt und einen Wagenverkehr benötigt, dessen Umfang an der Zahl von 35
Chauffeuren gemessen werden kann, so erscheint die Niederlassung als
Mittelpunkt eines Geschäftes von einem Ausmass, welches das Bedürfnis nach
einem eigenen Gerichtsstand unleugbar sein lässt.
c) Die Beschwerde bestreitet weiter, dass der Geschäftsleiter der
Niederlassung Winterthur die für eine Zweigniederlassung erforderliche
Selbständigkeit habe. Diese Bestreitung scheitert indessen schon an den
eigenen Angaben der Beschwerdeführerin, wonach die Leitung in Winterthur von
Olten lediglich allgemeine Richtlinien erhält, die einzelnen Geschäfte jedoch
selbständig abschliesst, insbesondere selbständig den Einkauf eines Teils (für
1 Million Fr. jährlich) der zu verkaufenden Waren besorgt, durch ihre
Vertreter die Bestellungen für den Verkauf aufnimmt, die Besteller selbst
beliefert und ihnen Rechnung stellt. Gerade in der blossen Bindung an
allgemeine Richtlinien für das Geschäftsgebaren, während hinsichtlich des
Abschlusses der einzelnen Geschäfte und ihrer Abwicklung der Leiter freie Hand
hat, liegt die Selbständigkeit, die das Wesen der Zweigniederlassung ausmacht
und durch die sie sich über eine blosse vom Hauptgeschäft dirigierte Einkaufs-
oder Verkaufsstelle hinaushebt. Dass anderseits der Leiter der Niederlassung
in Bezug auf die Einstellung des Personals, die Gebäudereparaturen und die
Revision der Motorfahrzeuge nur beschränkte Kompetenzen hat, ist nicht von
entscheidender Bedeutung. Völlig belanglos ist schliesslich, dass die
Beschwerdeführerin die Unabhängigkeit der Niederlassung, wie sie die
Eintragung als Zweigniederlassung mit sich bringt, nicht will. Massgebend sind
die objektiven, von der Beschwerdeführerin selber so geregelten Verhältnisse.
d) Die Beschwerde legt weiter Gewicht darauf, dass die Niederlassung in
Winterthur nur die Fakturen ausstellt,
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die an den Sitz in Olten zu bezahlen sind, wo die gesamte Buchhaltung
zusammengefasst ist, dass die Niederlassung über keine flüssigen Geldmittel
verfügt und kein Postcheckkonto besitzt und ferner einer Propagandaabteilung
entbehrt.
Letzteres ist jedoch ohne jede Bedeutung für die wirtschaftliche
Selbständigkeit der Zweiganstalt. Im Zeitalter der Rationalisierung ist die
einheitliche Besorgung der Propaganda vom Haupt sitz aus eine häufige
Erscheinung. Und ob die Zweiganstalt die Buchhaltung selbst besorgt oder ob
diese für sie am Hauptsitz geführt wird, ist ebenfalls nicht entscheidend.
Vielmehr kommt es, wie die Vorinstanz richtig darlegt, darauf an, ob die
Niederlassung in ihrem eigenen Interesse und demjenigen der mit ihr
verkehrenden Dritten einer gesonderten Buchhaltung bedarf. Das ist hier
unbestreitbar der Fall, wie schon daraus erhellt, dass die Buchhaltung vom
Hauptsitz für die Niederlassung gesondert geführt wird. Dass schliesslich der
Geldverkehr beim Hauptsitz konzentriert ist, dürfte allerdings ungewöhnlich
sein. Aber die Selbständigkeit der Niederlassung, auf welche es für die
Öffentlichkeit ankommt, wird dadurch nicht berührt; denn es ändert nichts
daran, dass im Rahmen des ihr überlassenen umfangreichen Geschäftsverkehrs die
Niederlassung auch über die erforderlichen Geldmittel verfügt. Der Hauptsitz
erscheint insofern lediglich als Zahlstelle für die Niederlassung.
e) Die Beschwerde hält daran fest, dass der Betrieb der Niederlassung
Winterthur nicht jederzeit ohne eingreifende Neuorganisation selbständig
weiterbestehen könnte, wie die Rechtsprechung das verlange, eben weil ihr die
Einkaufsorganisation und die Buchhaltungsabteilung fehle und sie lediglich an
die Genossenschafter liefere, die dem Gesamt unternehmen, nicht der
Niederlassung angeschlossen sind.
Allein die Frage ist nicht so zu stellen, ob die Niederlassung Winterthur als
Geschäft ausserhalb der
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Genossenschaft, deren Mitglieder sie zur Hauptsache beliefert, verselbständigt
werden könnte, sondern ob dies im Rahmen der Genossenschaft, d. h. zur
weiteren Belieferung der Genossenschafter, möglich wäre. Hiefür wäre die
fehlende Buchhaltung kein Hindernis; es ist nicht einzusehen, wieso Winterthur
die für sie vom Hauptsitz gesondert geführte Buchhaltung nicht übernehmen und
weiterführen könnte. Warum schliesslich die eingekauften Waren, die heute der
Hauptsitz für eigene Rechnung der Niederlassung Winterthur zur Verfügung
stellt, nicht für Rechnung der selbständig gewordenen Unternehmung geliefert
werden könnten, ist nicht erfindlich.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Beschwerde wird abgewiesen.