S. 309 / Nr. 55 Uhrenindustrie (d)

BGE 79 I 309

55. Urteil vom 30. Oktober 1953 i. S. Schweizerische Uhrenkammer gegen Stroun
frères, Camy Watch Co SA.

Regeste:
Betriebsbewilligung:
1. Die Wiederaufnahmen eines aufgegebenen Fabrikationszweiges durch ein in der
Zwischenzeit auf anderen Zweigen fortgeführtes Unternehmen bedarf -- als
Umgestaltung der Bewilligung.
2. Voraussetzungen für die Angliederung des Fabrikationszweiges
«Genre-Roskopf»
Autorisation obligatoire:
1. La reprise d'une branche de fabrication abandonnée par une entreprise qui,
dans l'entretemps, avait porté son activité sur

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d'autres branches, constitue une transformation et nécessite une
autorisation.
2. Conditions auxquelles est subordonnée l'adjonction à une entreprise de la
fabrication de montres dites «genre Roskopf».
Autorizzazione:
1. La ripresa d'un ramo di fabbricazione che un'azienda aveva abbandonato per
dedicarsi ad altri rami costituisce una trasformazione soggetta ad
autorizzazione.
2. Condizioni cui è subordinata l'annessione del rame di fabbricazione «genre
Roskopf».

A. - Die Uhrenfabrik Stroun frères, Camy Watch Co. S.A. in Genf (nachstehend
Stroun) ist auf Grund ihrer Tätigkeit in den massgebenden Stickjahren als
Fabrik für Anker-, Zylinder- und gewöhnliche Roskopf-Uhren mit Anrecht auf 50
Arbeiter eingetragen. Bis zum zweiten Weltkrieg stellte sie hauptsächlich
Roskopf-Uhren der auf diese enfielen im Durchschnitt der Jahre 1931-1941
mengenmässig 91% ihrer Produktion. Der Rest entfiel zum grösseren Teil auf
Zylinder-, zum kleineren Teil auf Anker-Uhren. In den Jahren 1932 und 1934/35
fabrizierte sie vorübergehend und in geringem Umfang (insgesamt 3468 Stück)
auch Uhren «genre Roskopf avec grande moyenne au centre» (nachstehend
Genre-Roskopf-Uhren genannt). Während des Krieges, als die Ausfuhr auf
bestimmte Gesamtmengen kontingentiert war, ging sie zur vorwiegenden
Fabrikation von Anker-Uhren über und gab diejenige von Zylinder-Uhren ganz
auf. Seit 1946 stellte sie wieder mehr (gewöhnliche) Roskopf-Uhren her mit
Ausnahme des Korea-Jahres 1950 überwogen diese mengenmässig leicht gegen über
den Anker-Uhren.
Zwei Gesuche von Stroun uni Bewilligung der Fabrikation von
genre-Roskopf-Uhren wurden vom EVD am 13. Mai 1946 und am 28. Januar 1947
abgewiesen. Im Jahre 1952 stellte Stroun ein neues derartiges Gesuch und
begründete es einerseits mit der früheren Fabrikation solcher Uhren,
anderseits damit, dass sich seit dem Krieg die Nachfrage von der gewöhnlichen
Roskopf-Uhr auf die genre-Roskopf-Uhr verlagert habe und deshalb den 1
Mitgliedern des Roskopf-Verbandes mit wenigen Ausnahmen

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die Fabrikation von genre-Roskopf-Uhren bewilligt worden sei.
B. - Mit Entscheid vom 17. März 1953 erteilte das EVD der Firma Stroun die
Bewilligung, ihrer Fabrikation von Anker-, Zylinder- und gewöhnlichen
Roskopf-Uhren noch diejenige von genre-Roskopf-Uhren anzugliedern.
Es führte aus, diese Angliederung bedeute eine Umgestaltung des Betriebes im
Sinne von Art. 3 des Bundesbeschlusses vom 22. Juni 1951 über Massnahmen zur
Erhaltung der schweizerischen Uhrenindustrie (UB). Eine Bewilligung auf Grund
von Art. 4 Abs. 1 lit. b komme nicht in Frage, da Stroun weder eine
patentierte Erfindung noch ein neues Fabrikationsverfahren auswerten wolle.
Das Gesuch sei zu prüfen auf Grund von lit. c, wonach die Bewilligung zu
erteilen sei, wenn sie wegen eingetretener Änderungen im Fabrikationsverfahren
oder auf dem Uhrenmarkt notwendig sei, um lebensfähig zu bleiben. Da die Firma
Stroun neben den gewöhnlichen Roskopf-Uhren auch Anker-Uhren herstellen dürfe,
werde ihre Lebensfähigkeit durch die Verlagerung der Nachfrage auf dem
Roskopf-Sektor nicht gefährdet; denn sie könne einen Rückgang bei den
gewöhnlichen Roskopf-Uhren ausgleichen durch Hebung des Verkaufs von
Anker-Uhren, wo die Lage günstig sei. Nur bei Beschränkung der Beurteilung auf
den Roskopf-Sektor wäre eine Gefährdung zu bejahen, wie das für alle
Fabrikanten von Roskopf-Uhren zutreffe. Es komme also darauf an, ob der
Begriff «lebensfähig» im engeren oder im weiteren Sinne auszulegen sei. Bisher
habe das EVD nach dieser Richtung im Einverständnis mit den beteiligten
Berufsverbänden eine zurückhaltende Praxis gepflegt, d.h. Bewilligungen zur
Angliederung der Fabrikation von genre-Roskopf-Uhren nur denjenigen Betrieben
erteilt, die ausschliesslich gewöhnliche Roskopf-Uhren, nicht aber denjenigen,
die daneben auch Anker-Uhren herstellten.
Das Gesuch der Firma Stroun sei aber noch auf Grund von Art. 4 Abs. 2 UB zu
prüfen. Gestützt darauf habe das

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EVD in einigen Fällen au Uhrenfabriken, die das Recht zur Herstellung von
Anker- und Zylinder-Uhren besassen, ausnahmsweise die Bewilligung zur
Fabrikation von genre-Roskopf-Uhren erteilt mit Rücksicht auf ihr
herkömmliches Geschäft in billigen Uhren. Während des Krieges habe sich
infolge der Kontingentierungs- und Transportschwierigkeiten das Geschäft von
der billigen Roskopf- und Zylinder-Uhr unpassend auf die teure Anker-Uhr
verlagert. Als nach dem Krieg die Nachfrage nach billigen Uhren seitens der
früheren Kundschaft wieder eingesetzt habe, sei infolge der technischen
Entwicklung die Zylinder-Uhr durch die genre-Roskopf-Uhr verdrängt worden -
die ehemaligen Zylinder-Uhr-Fabriken, die nur vorübergehend vornehmlich
Anker-Uhren fabriziert hätten, hätten den Verlust ihrer angestammten
Kundschaft riskiert, wenn sie sich den veränderten Verhältnissen nicht hätten
anpassen können. Ganz ähnlich lägen die Verhältnisse bei der Firma Stroun,
deren traditionelles Geschäft in der Herstellung billiger Uhren, hauptsächlich
Roskopf und daneben auch Zylinder, bestanden habe und die bei dessen
Wiederaufnahme den gleichen Schwierigkeiten begegne. Es sei ihr deshalb wie
jenen Firmen die Fabrikation von genre-Roskopf-Uhren zu bewilligen; darin
liege keine grundsätzliche Änderung der Praxis.
C. - Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Schweizerische
Uhrenkammer Aufhebung dieses Entscheides.
Das Bundesgericht hat die Beschwerde begründet erklärt und den angefochtenen
Entscheid aufgehoben
in Erwägung:
1.- Es ist unbestritten, dass die Firma Stroun schon in den Jahren 1932 und
1934/35 in geringem Umfange genre-Roskopf-Uhren hergestellt, seither aber
diesen Fabrikationszweig aufgegeben hat. Da mit ist ein allfälliges Recht auf
dessen Ausübung erloschen, und seine Wiederaufnahme bedarf der Bewilligung
gemäss Art. 3 Abs. 1 UB

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und Art. 7 Abs. 2 UV. Wohl sprechen diese Bestimmungen nur von der
Wiedereröffnung von Betrieben bzw. Unternehmungen, welche ihre Tätigkeit
unterbrochen haben. Doch sind sie entsprechend auch auf vorübergehend
geschlossene Fabrikationszweige fortbestehender Unternehmungen anzuwenden;
denn das Uhrenstatut behandelt die verschiedenen Zweige eines Unternehmens
getrennt und verlangt für jeden eine besondere Bewilligung.
Die Wiederaufnahme eines vorübergehend geschlossenen Fabrikationszweiges durch
ein in der Zwischenzeit auf anderen Zweigen fortgeführtes Unternehmen stellt
die Angliederung eines Fabrikationszweiges an einen bereits bestehenden, somit
eine Umgestaltung eines Betriebes im Sinne von Art. 3 Abs. 2 UB dar.
Massgebend sind nicht die Vorschriften für die Neueröffnung, sondern für die
Umgestaltung eines Betriebes. Für deren Bewilligung stellt Art. 4 Abs. 1 UB in
lit. b und c besondere Voraussetzungen auf, sodass die nach lit. a für eine
Neueröffnung erforderlichen Bedingungen nicht genügen. Diese
Schlechterstellung desjenigen, der in der Uhrenindustrie bereits einen Betrieb
hat, gegenüber demjenigen, der einen solchen erst eröffnen will, erklärt sich
aus dem Grundsatz der Trennung der verschiedenen Zweige der Industrie, der auf
dem Schutz der einzelnen Zweige beruht: Wer in der Uhrenindustrie ein eigenes
Unternehmen hat, soll bei seiner Branche bleiben und nicht auf andere
übergreifen oder hinüberwechseln. Ein solches Übergreifen liegt auch in der
Wiederaufnahme eines früher einmal betriebenen, aber seither aufgegebenen
Fabrikationszweiges. Das wird ganz besonders deutlich in einem Falle wie dem
vorliegenden, wo die Dauer der Unterbrechung nicht nur ein Jahr betrug was in
analoger Anwendung von Art. 7 Abs. 2 UV genügen würde -, sondern fast zwei
Jahrzehnte.
Ein Recht auf die Bewilligung einer Umgestaltung gemäss Art. 4 Abs. 1 UB
besteht nur, wenn die Voraussetzungen von lit. b oder c erfüllt sind. Doch
kann auch abgesehen von diesen Fällen eine Bewilligung auf Grund

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von Abs. 2 erteilt werden dessen lit. a sieht ausdrücklich auch den Fall der
Umgestaltung vor.
2.- Eine Bewilligung auf Grund von Art. 4 Abs. 1 lit. b kommt im vorliegenden
Falle nicht in Betracht, da die Firma Stroun weder eine patentierte Erfindung
noch ein neues Fabrikationsverfahren noch eine technische Verbesserung auf dem
Gebiete der genre-Roskopf-Uhr auswerten will. Dagegen erhebt sie Anspruch auf
die Bewilligung gemäss lit. c, wonach die Bewilligung zu erteilen ist «dem
Gesuchsteller, der sein Unternehmen umgestalten will, wenn er nachweist, dass
die Umgestaltung wegen eingetretener Änderungen im Fabrikationsverfahren oder
auf dem Uhrenmarkt notwendig ist, um lebensfähig zu bleiben». Stroun macht
geltend, seit dem Krieg habe sich die Nachfrage nach Roskopf-Uhren weitgehend
von der gewöhnlichen auf die genre-Roskopf-Uhr verlagert, sodass die
Fabrikation von Roskopf-Uhren ohne Einbezug der genre-Roskopf-Uhr nicht mehr
lebensfähig sei. Die erwähnte Verlagerung der Nachfrage im Roskopf-Sektor
steht fest und stellt ohne Zweifel eine Änderung auf dem Uhrenmarkt dar; auch
ihre behauptete Wirkung auf die Lebensfähigkeit von Roskopf-Fabriken ist nicht
bestritten, soweit diese ausschliesslich Roskopf-Uhren herstellen. Hierauf
beruht ja die Praxis des EVD, grundsätzlich den Roskopf-Fabriken die
Angliederung der Fabrikation von genre-Roskopf-Uhren zu bewilligen. Dagegen
verweigert es sie im allgemeinen denjenigen Unternehmungen, die neben
gewöhnlichen Roskopf-Uhren noch Anker-Uhren herstellen, also auf diesem Sektor
den Ausfall auf jenem ausgleichen können und daher in ihrer Lebensfähigkeit
nicht bedroht sind.
Die Firma Stroun macht geltend, bei Unternehmen mit verschiedenen
Fabrikationszweigen müsse die Frage nach der Lebensfähigkeit für jeden Zweig
gesondert geprüft werden; die Roskopf-Fabrikation werde in gleicher Weise
betroffen ohne Unterschied, ob daneben noch ein anderer Zweig betrieben werde
oder nicht. Diese Auffassung

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widerspricht dem Wortlaut und Sinn von Art. 4 Abs. 1 lit. c UB. Schon aus dem
oben zitierten deutschen Text ergibt sich, dass die Lebensfähigkeit des
Unternehmens als solchen in Frage stehen muss im französischen Text sind die
Worte «um lebensfähig zu bleiben i ganz richtig wiedergegeben durch «pour que
l'entreprise denwure viable». Die Bestimmung will eine Umgestaltung des
Unternehmens, den Übergang zu einem anderen Fabrikationszweig oder die
Angliederung eines solchen, gestatten, wenn das notwendig ist, um es am Leben
zu erhalten. Wenn nun ein Unternehmen ohnehin mehr als einen Fabrikationszweig
umfasst und Verluste auf dem einen Gebiet durch einen Ausbau auf dem andern
kompensieren kann, so ist es nicht in seiner Lebensfähigkeit bedroht und kommt
der mit jener Bestimmung verfolgte Zweck nicht in Betracht. Das wäre nur der
Fall, wenn ein Fabrikationszweig derart betroffen würde, dass nicht nur er
selbst, sondern das Unternehmen als Ganzes gefährdet würde. Die Firma Stroun
macht mit Recht nicht geltend, dass das bei ihr zutreffe. Aus der
Zusammenstellung über ihre Rohwerk-Bezüge ergibt sich, dass zwar ihre
Fabrikation an Roskopf-Uhren immer noch weit hinter dem Vorkriegs-Umfang
zurücksteht, dass sie aber anderseits die während des Krieges forcierte
Herstellung von Anker-Uhren seither beibehalten und noch weiter erhöht hat.
Wenn auch zahlenmässig die Roskopf-Uhren bei ihr wieder leicht überwiegen, so
liegt doch wertmässig und damit nach der wirtschaftlichen Bedeutung heute das
Schwergewicht auf dem Zweige der Anker-Uhren. Da dieser unbestrittenermassen
floriert, ist die Lebensfähigkeit des Unternehmens nicht in Frage gestellt.
Das EVD hat deshalb mit Recht entschieden, dass die nachgesuchte Bewilligung
nicht auf Art. 4 Abs. 1 lit. c gegründet werden kann.
3.- Es bleibt zu Prüfen, ob die Bewilligung der Firma Stroun gestützt auf Art.
4 Abs. 2 lit. a zu erteilen ist, wie es das EVD im angefochtenen Entscheid
getan hat. Nach dieser Bestimmung kann, sofern nicht überwiegende

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Interessen der gesamten Uhrenindustrie entgegenstehen, eine Bewilligung auch
in weiteren als den in Abs. 1 genannten Fällen erteilt werden. insbesondere
dem Gesuchsteller, der ein Unternehmen eröffnen oder umgestalten will und sich
über genügende technische oder kaufmännische Kenntnisse oder Erfahrungen
ausweist. Diese letztere Voraussetzung erfüllt die Firma Stroun unzweifelhaft
denn wer sowohl Anker- als gewöhnliche Roskopf-Uhren herstellt, besitzt die
nötigen technischen und kaufmännischen Kenntnisse und Erfahrungen auch für die
Fabrikation von Genre-Roskopf-Uhren, die ja in der Mitte zwischen jenen beiden
stehen.
Dass der Erteilung der Bewilligung überwiegende Interessen der gesamten
Uhrenindustrie entgegenstehen, hat die Beschwerdeführerin nicht darzutun
vermocht. Was sie geltend macht, sind ausschliesslich Interessen der Roskopf
Branche. Ein absolutes Hindernis im Sinne des Ingresses zu Art. 4 Abs. 2
bilden aber im Gegensatz zu Abs. 1 nicht schon bedeutende Interessen einer
Branche, sondern nur überwiegende Interessen der gesamten Uhrenindustrie. Der
Gesetzgeber wollte in Abs. 2 bewusst die Möglichkeiten gegenüber Abs. 1
erweitern und hat daher in Abs. 2 nicht nur die vom Gesuchsteller im einzelnen
Falle zu erfüllenden Bedingungen, sondern au ch die allgemeine Voraussetzung
im Ingress weniger streng gestaltet. Die Beschwerdeführerin erklärt, die
Erteilung von Bewilligungen von der Art der angefochtenen führe zu einer
ungesunden Konkurrenz zwischen den verschiedenen Branchen, die nicht im
Interesse der gesamten Uhrenindustrie liege. Es ist eine Tatsache, dass
zwischen der Roskopf- und den billigen Kategorien der Anker-Uhr eine gewisse
Konkurrenz besteht und dass diese verschärft wird, je mehr anstelle der
gewöhnlichen Roskopf-Uhr die genre-Roskopf-Uhr aufkommt. Ob diese Konkurrenz
ungesund sei und dem Interesse der gesamten Uhrenindustrie zuwiderlaufe, mag
dahingestellt bleiben. Auf jeden Fall wird sie nicht wesentlich beeinflusst
und jenes Interesse nicht berührt dadurch, ob

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die Umstellung von der gewöhnlichen Roskopf- auf die genre-Roskopf-Uhr einige
wenige Fabriken mehr erfasse. Gemäss Feststellung des EVD gibt es zurzeit nur
16 Unternehmen, die zur Herstellung von Anker- und gewöhnlichen Roskopf-,
nicht aber von genre-Roskopf-Uhren berechtigt sind: au ch für sie kann der
angefochtene Entscheid nur präjudizierend wirken, soweit die besonderen
Umstände, auf die er abstellt Überwiegen der Roskopf-Fabrikation und Ausfallen
der früher betriebenen Fabrikation von Zylinder-Uhren bei ihnen ebenfalls
gegeben sind. Es kann deshalb nicht gesagt werden, dass die Erteilung der
Bewilligung an Stroun, sei es direkt, sei es als Präjudiz für weitere Fälle,
überwiegende Interessen der gesamten Uhrenindustrie verletze.
Auch wenn die Bedingung von lit. a erfüllt ist und das im Ingress umschriebene
Hindernis nicht vorliegt, gewährt indessen Art. 4 Abs. 2 keinen Rechtsanspruch
auf Erteilung der Bewilligung. Sie kann erteilt werden, wobei sowohl auf die
Umstände des einzelnen Falles als auch auf die allgemeine Lage der
Uhrenindustrie und der beteiligten Branchen Rücksicht zu nehmen ist.
Angesichts der überaus grossen Zahl von Gesuchen und der zu erwartenden
Rückganges der gegenwärtigen Hochkonjunktur übt das EVD in der Erteilung von
Bewilligungen auf Grund von Art. 4 Abs. 2 mit Recht grosse Zurückhaltung; es
erteilt solche Bewilligungen nur, wenn besondere Gründe dafür und keine
besonderen Gründe dagegen vorliegen, und das Bundesgericht hat diese Praxis
wiederholt gebilligt. Im Rahmen dieser Würdigung der Umstände sind auch die
Interessen der beteiligten Branchen und diejenigen der Gesuchsteller
gegeneinander abzuwägen und können jene zu einer Verweigerung der Bewilligung
führen, auch ohne dass derselben überwiegende Interessen der gesamten
Uhrenindustrie entgegenstehen. Die Entscheidung des vorliegenden Falles hängt
davon ab, ob besondere Gründe vorliegen, welche die Erteilung der von Stroun
nachgesuchten Bewilligung rechtfertigen. Diese Frage unterliegt der
Überprüfung

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durch das Bundesgericht auf alle Fälle insofern, als es sich um die rechtliche
Beurteilung der betreffenden Tatsachen oder um unrichtige Feststellung des
Sachverhalts handelt (Art. 104 Abs. 1 und 105 OG).
4.- Es stellt fest, dass die genre-Roskopf-Uhr sowohl nach ihren technischen
Eigenschaften als auch hinsichtlich des Absatzkreises zwischen der
gewöhnlichen Roskopf-Uhr und einer Anker-Uhr steht, dass sie in den letzten
10-15 Jahren einen Teil des bisherigen Marktes der gewöhnlichen Roskopf- und
der billigeren Anker-Uhren erobert und die Zylinder-Uhr fast ganz verdrängt
hat. Um einerseits dieser Veränderung auf dem Uhrenmarkt Rechnung zu tragen
und anderseits die Verbesserung der Qualität zu fördern und die
Verschlechterung zu verhindern. geht die Praxis des EVD, gestützt auf die
allgemeine Tendenz des Uhrenstatuts, dahin, im Grundsatz den
Roskopf-Fabrikanten die Angliederung des Zweiges genre-Roskopf zu bewilligen,
sie den Anker-Uhren-Fabriken dagegen zu verweigern. Bei Unternehmen, die das
Recht zur Herstellung von gewöhnlichen Roskopf- und von Anker-Uhren haben,
überwiegt der letztere Gesichtspunkt: Wie bereits ausgeführt. pflegt ihnen das
EVD in der Regel die Bewilligung zur Fabrikation von genre-Roskopf-Uhren zu
verweigern mit der Begründung dass sie den Ausfall auf dem Roskopf-Sektor
durch vermehrte Herstellung von Anker-Uhren ausgleichen und damit zugleich die
Qualität ihrer Produktion verbessern können.
Im angefochtenen Entscheid ist das EVD zugunsten der Firma Stroun von dieser
Praxis abgewichen. Es macht zwei besondere Umstände geltend, um diese Ausnahme
von der Regel und die Erteilung der Bewilligung auf Grund von Art. 4 Abs. 2 zu
rechtfertigen: einmal dass die Firma Stroun nach Fabrikation und Kundschaft
viel mehr eine Roskopf- als eine Anker-Fabrik sei, und sodann dass sie früher
Zylinder-Uhren hergestellt habe und den betreffenden Kundenkreis verlieren
würde, wenn sie keine genre-Roskopf-Uhren herstellen dürfte.

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Die erwähnte Charakterisierung trifft zu für die Zeit vor, nicht aber für die
Zeit nach dem zweiten Weltkrieg. Während des Krieges herrschten wegen der
Kontingentierung der Ausfuhr nach der Stückzahl, welche allgemein die
Forcierung der hochwertigen Anker-Uhren bewirkte, besondere Verhältnisse, die
nicht massgebend sind. Aus einer bei den Akten befindlichen Aufstellung über
die Rohwerk-Bezüge der Firma Stroun geht hervor, dass diese bis 1940 eine
überwiegende Roskopf-Fabrik war, die nur in geringern Unifang daneben auch
Anker- und Zylinder-Uhren herstellte, dass sie aber seither jenen Charakter
verloren hat. Sie hat sich nicht nur während der Kriegszeit vorübergehend fast
ganz auf die Fabrikation von Anker-Uhren umgestellt, von dem diese auch
seither in unvermindertem Ausmass beibehalten, ja noch weiter ausgebaut, auch
als sie wieder mehr Gewicht auf die Herstellung von Roskopf-Uhren legte
(während sie diejenige von Zylinder-Uhren überhaupt nicht mehr aufnahm). Heute
ist sie ein gemischtes Unternehmen, das in erheblichem Umfang sowohl Roskopf-
als auch Anker-Uhren fabriziert; mengenmässig überwiegen die Roskopf-Uhren
leicht, wert mässig und damit nach der wirtschaftlichen Bedeutung dagegen die
Anker-Uhren zweifellos wesentlich. Für die Firma Stroun trifft somit die
Erwägung zu, welche der allgemeinen Praxis des EVD, solchen gemischten
Unternehmungen die Bewilligung zur Angliederung der Fabrikation von
genre-Roskopf-Uhren zu verweigern, zugrunde liegt: Sie kann den Ausfall auf
dem Roskopf-Sektor ausgleichen durch vermehrte Fabrikation von Anker-Uhren,
wie sie das nicht nur während des Krieges, sondern auch seither getan hat.
Ähnlich verhält es sich mit dem anderen Argument, der Vermeidung des Verlustes
der früheren Kundschaft für Zylinder-Uhren. Das EVD hat laut seiner
Vernehmlassung drei Fabriken, die früher hauptsächlich Zylinder-Uhren
herstellten, aus diesem Grunde die Bewilligung für die Fabrikation von
genre-Roskopf-Uhren erteilt, weil diese praktisch die Zylinder-Uhren vom
Markte verdrängt haben.

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Die Firma Stroun ist jedoch nicht in der gleichen Lage wie jene. Die
Zusammenstellung der von ihr bezogenen Rohwerke zeigt, dass die Herstellung
von Zylinder-Uhren bei ihr vor dein Kriege, ebenso wie diejenige von
Anker-Uhren, nur eine untergeordnete Rolle spielte. Durch den Ausfall dieses
Fabrikationszweiges wurde sie nicht schwer getroffen, zumal sie ihn bald durch
eine starke Vermehrung ihrer Anker-Fabrikation kompensiert und diese seither
beibehalten hat. Sie selbst betont, dass sie immer billige Anker-Uhren
herstellte, die technisch und wirtschaftlich in der Nähe der Zylinder-Uhren
stehen. Sie ist deshalb nicht darauf angewiesen, zur Erhaltung oder
Wiedergewinnung ihrer früheren Zylinder-Kundschaft genre-Roskopf-Uhren
fabrizieren zu können, wie das bei Unternehmen zutreffen mag, die früher
hauptsächlich Zylinder-Uhren herstellten. Die Gleichstellung mit solchen ist
eine unrichtige rechtliche Würdigung tatsächlicher Verhältnisse.
Damit entfallen die beiden Gründe, welche das EVD bewogen haben, in Abweichung
von seiner sonstigen Praxis der Firma Stroun, die bereits Anker- und
gewöhnliche Roskopf-Uhren herstellen darf, auch noch die Fabrikation von
genre-Roskopf-Uhren zu bewilligen. Es liegen keine besonderen Umstände vor,
welche die Erteilung der Bewilligung gestützt auf Art. 4 Abs. 2 UB
rechtfertigen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 79 I 309
Datum : 01. Januar 1953
Publiziert : 30. Oktober 1953
Quelle : Bundesgericht
Status : 79 I 309
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : Betriebsbewilligung:1. Die Wiederaufnahmen eines aufgegebenen Fabrikationszweiges durch ein in der...


Gesetzesregister
OG: 104  105
BGE Register
79-I-309
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
uhr • evd • uhrenindustrie • fabrik • kundschaft • frage • wille • gesuchsteller • produktion • bedingung • bundesgericht • unternehmung • zahl • zweiter weltkrieg • uv • erfinder • ausfuhr • hindernis • bewilligung oder genehmigung • dauer
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