S. 136 / Nr. 24 Doppelbesteuerung (d)
BGE 79 I 136
24. Auszug aus dem Urteil vom 6. Mai 1953 i. S. Gesellschaft der Ludwig von
Roll'schen Eisenwerke A.-G., gegen Kantone Baselland, Bern und Solothurn.
Regeste:
Doppelbesteuerung: Ausscheidung der Besteuerungsrechte im System der
Reineinkommenssteuer bei einer Unternehmung, die in einem Kanton mir
Grundbesitz, in andern Kantonen Betriebsstätten hat. Interkantonale Behandlung
des Kapitalgewinns aus dem Verkauf des Grundbesitzes in dem Kanton, der keine
Betriebsstatten aufweist.
Double imposition: Imposition, dans le système de l'impôt sur les revenus
nets, d'une entreprise qui possède da»s un canton un bien-fonds seulement et,
dans d'autres, des installations industrielles. Comment imposer le revenu tiré
de la vente du bien-fonds.
Doppia imposta: Imposizione, nel sistema dell'imposta sul reddito netto,
d'un'azienda che possiede in un Cantone soltanto beni fondiari e, in altri
Cantoni, impianti industriali. Come imporre il guadagno ottenuto dalla vendita
dei beni fondiari.
A. - Die Gesellschaft der Ludwig von Roll'schen Eisenwerke A. G. betreibt im
Gebiete der Kantone Bern und Solothurn seit Generationen Eisengewinnungs- und
Eisenverwertungs-Anlagen und -Fabriken. Sie hat im Jahre 1917 einen
Landkomplex von 34 ha 41 a 94 m2 im Gebiete des künftigen Rheinhafens
Birsfelden (Baselland) erworben
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in der Absicht, ihn später in noch näher zu bestimmender Weise für Zwecke
ihrer Betriebe zu verwenden. Gedacht war einerseits an die Errichtung eines
Lagerhauses in der Nähe des künftigen Rheinhafens, an eine Kokerei und
Briketterie für eigene und fremde Bedürfnisse, sowie an eine Verhüttungsanlage
für Erze aus dem Fricktal. Jedenfalls handelte es sich darum, sich rechtzeitig
Grund und Boden für spätere Bedürfnisse zu sichern. Die ins Auge gefassten
Projekte wurden jedoch nicht verwirklicht. Die Beschwerdeführerin hat deshalb
das Land, das ihr nach verschiedenen, früher vorgenommenen Abtretungen
verblieben war, nämlich 21 ha 83 a 20 m2, am 9. November 1950 dem Staate
Baselland und der Einwohnergemeinde Ba sei verkauft.
B. - Der Kanton Baselland belegt diesen Landverkauf mit der
Liegenschaftsgewinnsteuer gemäss § 13 und 27, Abs. 1 basell. StG. Die
Veranlagung des für Birsfelden zuständigen Grundbuchamtes Arlesheim für einen
Liegenschaftsgewinn von Fr. 1,982,118.- und eine Steuer zum Satze von 10 % Fr.
198,211.80 ist von der Steuerrekurskommission Baselland, als der letzten
kantonalen Rekursinstanz, durch Entscheid vom 9. April 1952 mit eingehender
Begründung bestätigt worden.
Die Kantone Solothurn und Bern beanspruchen die Einbeziehung des gesamten
Liegenschaftsgewinnes in den Geschäftsertrag als «industrielles Einkommen» und
in die interkantonale Ausscheidung dieses Einkommensbestandteils, wobei
Solothurn 10 % zum voraus, und vom Rest Solothurn 73.3 % und Bern 26.7 %
zugewiesen wird.
Das Bundesgericht schützt die Doppelbesteuerungsbeschwerde, soweit sie sich
gegen die Besteuerung in den Kantonen Bern und Solothurn richtet,
in Erwägung:
2.- Der Vorwurf der Doppelbesteuerung ist begründet denn der Gewinn, den die
Beschwerdeführerin im Jahre 1950 aus dem Verkaufe ihres Grundbesitzes im
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Gebiete des Rheinhafens Birsfelden erzielte, wird einerseits von Baselland als
dem Kanton der gelegenen Sache besteuert, anderseits von den Kantonen
Solothurn und Bern, in denen die Beschwerdeführerin Sitz und Betriebsstätten
hat. Dass die Liegenschaftsgewinnsteuer von Baselland eine Sondersteller wäre
die als zusätzliche Belastung neben den allgemeinen Steuern auf dem gesamten,
auch die Liegenschaftsgewinne einschliessenden Einkommen oder Gewinne
hergehen, zu diesen hinzukommen würde, ist mit Recht nicht behauptet worden...
Es ist zu prüfen, welchem der beteiligten Kantone die Besteuerung des Gewinnes
zusteht, den die Beschwerdeführerin aus dem Verkäufe ihres Grundbesitzes in
Birsfelden erzielt hat, eventuell, wenn das Besteuerungsrecht mehreren
Kantonen zusteht, ob und nach welchen Gesichtspunkten die Ausscheidung
vorzunehmen ist.
3.- Die Steuerhoheit der Kantone, wie diejenige der öffentlichen Gewalt im
allgemeinen, beruht, wie in BGE 78 I 326 neuerdings festgestellt wurde, auf
der Gebietshoheit, nämlich der Herrschaft des Gemeinwesens über die seinem
Gebiete zugehörigen Individuen und Sachgüter.
a) Die Zugehörigkeit des Individuums, aus der die Steuerhoheit des
Gemeinwesens abgeleitet wird, wird begründet durch den zivilrechtlichen
Wohnsitz (eventuell auch durch einen dauernden oder sonst qualifizierten
Aufenthalt) der natürlichen Person, bei Gesellschaften und bei juristischen
Personen durch den Sitz im Sinne des Zivilrechts oder den tatsächlichen Sitz
der Geschäftsleitung. Die derart bestimmte persönliche Zugehörigkeit,
«primäres» (allgemeines) Steuerdomizil, berechtigt das Gemeinwesen
grundsätzlich zu umfassender Besteuerung für Vermögen und Einkommen, soweit
nicht zufolge von entgegenstehenden besonderen Beziehungen, die ein
«sekundäres» (spezielles) Steuerdomizil begründen, eine Beschränkung der
Steuerhoheit eintritt. Das Besteuerungsrecht auf Grund eines sekundären
Anknüpfungsgrundes
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geht den Besteuerungsrecht am Wohnsitz, Sitz der juristischen Person oder der
Geschäftsleitung von Unternehmungen vor. Letzteres hat zurückzutreten, wo ihm
ein Besteuerungsrecht am sekundären Steuerdomizil entgegentritt (so auch
BLUMENSTEIN, Steuerrecht S. 144).
b) Ein sekundäres Steuerdomizil wird abgeleitet aus der Lage von Sachgüte in
des Steuerpflichtigen im Gebiete des Hoheitsträgers (Steuerort der gelegenen
Sache). Es gilt bei den Vermögens- (Kapital-) und den Einkommens(Ertrags-)
Steuern für Grundstücke einerseits und für ständige Einrichtungen für die
Betriebsführung (Betriebsstätten) kaufmännischer oder industrieller
Unternehmungen anderseits.
Die beiden Anknüpfungsgründe haben gemeinsam, dass die Beziehung zum
Kantonsgebiet durch die Lage von Sachgütern bestimmt wird, Grundeigentum im
Kantonsgebiet, geschäftliche Einrichtungen daselbst. Sie unterscheiden sich
darin, dass beim Grundeigentum das Sachgut selbst schon die Steuerhoheit
bestimmt, während geschäftliche Einrichtungen für die Begründung eines
Steuerdomizils nur dann erheblich sind, wenn mit ihnen ein Betrieb, eine
geschäftliche Tätigkeit verbunden ist (BGE 77 I 39 und Zitate). Die Lage der
geschäftlichen Einrichtungen bestimmt die Steuerhoheit über den darin
geführten Betrieb, die Lage des Grundstücks die Steuerhoheit über das
Grundstück als solches.
In der Betriebsstätte wird ein Teil der Gesamtunternehmung besteuert. Bei
Reinvermögens- und Reineinkommenssteuern führt dies stets zur Aufteilung der
Steuerfaktoren nach Quoten (BGE 71 I 334 f. und Zitate). Darum haben sich die
Kantone, denen die Besteuerung von Betriebsstätten zusteht, mit dem Sitzkanton
nach Quoten in die Steuerfaktoren zu teilen. Grundstücke dagegen, die nicht zu
Einrichtungen für die Betriebsführung gehören, vermögen kein Recht auf
Besteuerung für den Geschäftsbetrieb zu begründen. Einem Kanton, dessen
Steuerhoheit über eine Unternehmung nur durch
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Grundeigentum bestimmt ist, steht ein Anspruch auf Besteuerung der
Unternehmung als solcher nicht zu. Seine Steuerhoheit ist auf das Grundstück
beschränkt.
Anderseits braucht er auf die Verhältnisse des Betriebes, dem das Grundstück
dient, nicht oder wenigstens nicht dieselbe Rücksicht zu nehmen, die bei der
Erfassung von Betriebsstätten zu walten hat. Das Besteuerungsrecht des
Liegenschaftskantons ist ein Ausfluss der Gebietshoheit.
Es verleiht dem Träger das Recht, den ihm zustehenden Grund und Boden
ausschliesslich und voll zu erfassen. Er kann, das ist feststehende Praxis,
die Bruttobesteuerung anordnen. Wenn er der Besteuerung den Reinertrag der
Liegenschaft zu Grunde legt, so überschreitet er auf keinen Fall das ihm auf
Grund seiner Gebietshoheit zustehende Besteuerungsrecht.
c) Zu den der Steuerhoheit des Liegenschaftskantons unterliegenden
Erträgnissen aus Grundbesitz gehört auch der Kapitalgewinn aus dem Verkaufe
von Liegenschaften jedenfalls insoweit, als er nicht Gewinn ist, der im
wesentlichen die Folge einer gewerblichen Tätigkeit des Verkäufers ist. Vor
allem ist dem Liegenschaftskanton die Besteuerung des Gewinnes aus
Wertsteigerungen vorbehalten, die ohne Zutun des Eigentümers infolge von
Aufwendungen und der Entwicklung des Gemeinwesens eingetreten sind (BGE 54 I
240).
4.- Die Besteuerung, der die Beschwerdeführerin im Kanton Baselland
unterworfen wird, hält sich im Rahmen dieser Grundsätze. Die Einwendungen, die
dagegen unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts, vor allem
auf BGE 54 I 409 ff, erhoben werden, beruhen auf Irrtum. Die
Beschwerdeführerin übersieht, dass es sich damals um die steuerliche Erfassung
einer einzelnen Liegenschaft durch einen Kanton handelte, dem das
Besteuerungsrecht schon auf Grund eines «Steuerdomizils des
Geschäftsbetriebes», also einer Betriebsstätte zustand, wobei die Liegenschaft
«nicht mehr gesondert, sondern nur noch als einer der Betriebsfaktoren des
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Unternehmens in Betracht kommt und ihr Ertrag demnach im Geschäftseinkommen
desselben aufgeht (S. 411). Die Frage, wie es sich bei Liegenschaften in
Kantonen verhalte, in denen keine Betriebsstätte besteht, wo also dem
Besteuerungsrechte von Kantonen mit Betriebsstätten Besteuerungsrechte von
Kantonen ohne Betriebsstätten gegenüberstehen, stellte sich damals nicht und
war nicht zu entscheiden. Sie ist jedenfalls durch den Entscheid nicht
präjudiziert, auch soweit dieser allgemeinere Erörterungen über die
Besteuerung von Liegenschaften anstellt, die nicht den Charakter von
Betriebsstätten aufweisen (S. 411 unten und 412).
Der Kanton Baselland ist ausschliesslich Liegenschaftskanton. Für ihn war -
was das Besteuerungsrecht anbelangt die Beschwerdeführerin keine
interkantonale Unternehmung, sondern lediglich Eigentümerin von im
Kantonsgebiet gelegenen Grundstücken. Unter diesen Umständen konnte der Kanton
Baselland nur die Liegenschaften als solche erfassen, nicht als Bestandteile
der Vermögens der Unternehmung und als Quelle der im Betriebe der Unternehmung
erzielte Gewinne. Es verhält sich, wie die kantonale Rekurskommission
zutreffend angenommen hat, wie bei einem Privaten, der nicht im
Liegenschaftskanton wohnt, diesem also nur als Grundeigentümer angehört und
nur in dieser Eigenschaft besteuert werden kann (BGE 45 I 282, 78 I 331, 79 I
33). Der Kanton Baselland hat die Beschwerdeführerin von jeher lediglich als
Eigentümerin im Kantonsgebiete liegender Grundstücke besteuert, und auch die
Belastung mit der Liegenschaftsgewinnsteuer beim Verkaufe der Liegenschaften
hält sich im Rahmen des ihm zustehenden Besteuerungsrechts. Die Beschwerde ist
daher, soweit sie sich gegen Baselland richtet, unbegründet.
5.- Dagegen haben die Kantone Solothurn und Bern das Verbot der
Doppelbesteuerung dadurch verletzt, dass sie bei der Besteuerung der
Beschwerdeführerin für den Reingewinn der Unternehmung auf das
entgegenstehende
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Besteuerungsrecht des Liegenschaftskantons Baselland keine Rücksicht genommen
haben. Sie haben, soweit die vorliegenden Akten Aufschluss geben, den auf
Grund der entsprechenden kantonalen Gesetzgebung bemessenen Gewinn der
Beschwerdeführerin - unter Einbezug des in Birsfelden erzielten
Liegenschaftsgewinns - untereinander aufgeteilt und dabei ausser Betracht
gelassen dass ihrem Besteuerungsrechte dasjenige des Liegenschaftskantons
Baselland entgegenstellt und vorgeht. Sie haben ihre Steuerfestsetzungen
abzuändern und dabei eine neue Ausscheidung unter Berücksichtigung der
Besteuerungsrechte des Liegenschaftskantons vorzunehmen. Dabei kämen an sich
zwei Berechnungsarten in Betracht könnte ausgehend vom Gesamtgewinn der
Unternehmung die Besteuerungsrechte nach Quoten dieses Gesamtgewinns
ausscheiden, wobei ein (theoretischer) Anteil für den Liegenschaftskanton
Baselland einzusetzen wäre. Richtiger ist es jedoch. dass die Kantone, denen
die Besteuerung einer Quote des Gewinnes der Unternehmung zusteht, den
steuerbaren Gewinn unter Ausscheidung des im Liegenschaftskanton besteuerten
Reingewinnes festsetzen. In BGE 78 I 334 hat das Bundesgericht diese zweite
Ausscheidungs Weise vorgeschrieben. Sie ist, demnach auch hier anzuordnen.
Der Kanton Solothurn hat im Verfahren erlärt sich dieser Berechnungsweise
unterziellen zu wollen. Er wird bei seiner Erklärung behaftet. Der Kanton Bern
hat seine Steuerberechnung in der angegebenen Weise abzuändern.