S. 237 / Nr. 52 Strafgesetzbuch (d)

BGE 78 IV 237

52. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 12. Dezember 1952 i. S.
Leutwyler gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich.


Seite: 237
Regeste:
Art. 292
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 292 - Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, wird mit Busse bestraft.
StGB. Wann ist die Verfügung «an ihn» (den Beschuldigten) erlassen
worden? Wer ist strafbar, wenn sie sich an eine juristische Person oder deren
«verantwortliche Organe» wendet?
Art. 292 CP. Quand la décision est-elle signifiée à l'inculpé? Qui est
punissable lorsqu'elle s'adresse à une personne juridique ou à ses «organes
responsables»?
Art. 292 CP. Quando la decisione è stata intimata all'imputato? Chi è punibile
quando essa si rivolge ad una persona giuridica o ai suoi «organi
responsabili»?

A. - In einem von der Pharmacie Principale de Tolédo Frères S.A. in Genf gegen
die Interchemie A.G. in Zürich angehobenen Prozess um die Ungültigerklärung
der Marke «Cafaspin» verfügte das Handelsgericht des Kantons Zürich am 22.
September 1950 als vorsorgliche Massnahme: «Der Beklagten wird verboten,
während der Dauer des Verfahrens für ihr Produkt «Cafaspin» durch
Zeitungsinserate, Werbebriefe, Prospekte usw. Reklame zu machen, unter der
Androhung, dass im Falle der Widerhandlung ihre verantwortlichen Organe wegen
Ungehorsams im Sinne von Art. 292
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 292 - Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, wird mit Busse bestraft.
StGB dem Strafrichter überwiesen und mit
Haft oder Busse bestraft würden». Der Rekurs, den die Beklagte gegen dieses
Verbot führte, wurde vom Obergericht des Kantons Zürich am 23. November 1950
abgewiesen, womit das Verbot in Rechtskraft erwuchs.
Hans Leutwyler, Direktor und einziger Verwaltungsrat der Interchemie A.G., der
in dieser Firma auch für die Reklame verantwortlich war, lebte dem Verbot, das
er kannte, teilweise nach, indem er dem Personal der Reklameabteilung
untersagte, für «Cafaspin» Zeitungs- und Zeitschriftenreklame zu machen.
Schaufensterreklame untersagte er bewusst und gewollt nicht. Daher wurde im
Jahre 1951, noch ehe der Markenrechtsprozess beendet war, in den Schaufenstern
verschiedener Apotheken in Bern und Genf weiterhin für «Cafaspin» geworben.

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B. Am 4. April 1952 verurteilte das Obergericht des Kantons Zürich Leutwyler
wegen fortgesetzten Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung zu einer Busse
von Fr. 1000.-, deren Eintrag im Strafregister zu löschen sei, wenn sich der
Verurteilte während der Probezeit von einem Jahr wohlverhalte.
C. - Leutwyler führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil sei
aufzuheben und die Sache zur Freisprechung zurückzuweisen.
Er macht geltend, das angefochtene Urteil verletze Art. 292
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 292 - Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, wird mit Busse bestraft.
StGB schon
deshalb, weil die Verfügung des Handelsgerichts nicht «an ihn» erlassen worden
sei. Gegen die Interchemie A.G. habe keine wirksame Strafandrohung ergehen
können, weil sie als juristische Person nicht mit Wissen und Willen gegen eine
amtliche Verfügung ungehorsam sein könne. Um die Strafdrohung wirksam zu
machen, habe es auch nicht genügt, sie allgemein an die verantwortlichen
Organe der Gesellschaft zu richten. Keine einzige Organperson, auch nicht der
Beschwerdeführer, sei mit Namen genannt worden. Deshalb sei niemand davon
individuell betroffen worden. Nur in einer Verfügung an eine einzelne mit
Namen aufgeführte Person könne nach Art. 292
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 292 - Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, wird mit Busse bestraft.
StGB für den Fall des Ungehorsams
Strafe angedroht werden. Im vorliegenden Falle habe man, was nicht zulässig
sei, mit der Verfügung einen unbestimmten Kreis von Organpersonen treffen
wollen.
D. - Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Nichtigkeitsbeschwerde sei
abzuweisen.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
Nach Art. 292
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 292 - Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, wird mit Busse bestraft.
StGB macht sich nur strafbar, wer einer an ihn» erlassenen
Verfügung nicht Folge leistet.
Mit diesem Merkmal will das Gesetz die Strafe des Art. 292 ausschliessen, wenn
einem unbestimmten Kreis von Personen, z. B. «jedermann», «allen Benützern des
Amselweges», «allen Besitzern von Feuerstellen» ein bestimmtes Tun oder
Unterlassen geboten worden ist

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und die Verfügung von jemandem missachtet wird, der zwar zu diesem Kreis
gehört, aber nicht durch individuelle Zustellung der Verfügung zum vornherein
als von ihr erfasst bezeichnet worden ist. Dagegen verlangt Art. 292 nicht,
dass der Betroffene in der Verfügung mit Namen genannt worden sei; es genügt,
wenn aus ihr durch irgendwelche Bezeichnung oder Umschreibung hervorgeht, wer
gemeint ist, und diese Person die Verfügung auch tatsächlich erhalten hat, z.
B. «der Direktor der Badanstalt Seerose», der «Wirt zur Eintracht». Führen
Unklarheiten in der Bezeichnung dazu, dass der Betroffene sich seiner Pflicht
nicht bewusst wird, so ist die Anwendung des Art. 292 mangels Vorsatzes
ausgeschlossen. Ist der Betroffene sich seiner Pflicht dagegen bewusst
gewesen, so rechtfertigt es sich nicht, ihn freizusprechen, bloss weil er
anders als mit seinen Namen bezeichnet worden ist. Leerer Formalismus wäre es
auch, für die Anwendung des Art. 292 zu verlangen, dass die Verfügung sich auf
eine einzige Person bezogen habe; sie kann, ordnungsmässige Eröffnung an die
einzelnen Betroffenen vorausgesetzt, einer Mehrheit von Personen etwas
gebieten oder verbieten, z. B. den e Eheleuten N. N.», den «Bewohnern des
Hauses zur Meise».
Richtet sich die Verfügung, wie im vorliegenden Falle, an eine juristische
Person, so ist klar, dass damit natürliche Personen zu einem Tun oder
Unterlassen verpflichtet werden wollen, denn nur durch solche, nämlich durch
ihre Organ kann sich die juristische Person überhaupt betätigen (Art. 54
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 54 - Die juristischen Personen sind handlungsfähig, sobald die nach Gesetz und Statuten hiefür unentbehrlichen Organe bestellt sind.
, 55
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 55 - 1 Die Organe sind berufen, dem Willen der juristischen Person Ausdruck zu geben.
1    Die Organe sind berufen, dem Willen der juristischen Person Ausdruck zu geben.
2    Sie verpflichten die juristische Person sowohl durch den Abschluss von Rechtsgeschäften als durch ihr sonstiges Verhalten.
3    Für ihr Verschulden sind die handelnden Personen ausserdem persönlich verantwortlich.

ZGB). Auch die Androhung von Strafe für den Fall des Ungehorsams kann nur den
Sinn einer an natürliche Personen gerichteten Androhung haben, da das
Strafgesetzbuch die Verurteilung einer juristischen Person zu der in Art. 292
vorgesehenen Strafe, soweit sie der Natur der Sache nach überhaupt möglich
wäre (Busse), nicht ausdrücklich vorsieht. Der Hinweis auf die Strafdrohung
des Art. 292 in einer gegen eine juristische Person gerichteten Verfügung
bestätigt also, dass die Behörde

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oder der Beamte das Gebot oder Verbot den natürlichen Personen auferlegt, die
als Organe den Willen der juristischen Person bilden und kundgeben. Im
vorliegenden Falle kommt das noch dadurch besonders zum Ausdruck, dass das
Handelsgericht nicht der Interchemie A.G., sondern ausdrücklich «ihren
verantwortlichen Organen e Strafe angedroht hat.
Fragen könnte sich nur, ob damit oder überhaupt schon durch die Adressierung
der Verfügung an die Interchemie A.G. der Kreis der von der Verfügung und der
Strafdrohung betroffenen natürlichen Personen genügend umschrieben sei und ob
die Zustellung der Verfügung an die Gesellschaft oder ihren bevollmächtigten
Anwalt genügte, um, vorsätzliche Widerhandlung vorausgesetzt, jede zu diesem
Kreis gehörende Person bestrafen zu können. Das kann indessen offen bleiben.
Denn dass jedenfalls der Beschwerdeführer als Direktor und einziger
Verwaltungsrat der Gesellschaft durch die Verfügung verpflichtet werden wollte
und zu den «verantwortlichen Organen» gehört, denen für den Fall des
Ungehorsams Strafe angedroht worden ist, und dass die Zustellung der Verfügung
an die Gesellschaft oder ihren bevollmächtigten Anwalt zugleich auch
Zustellung an ihn als oberstes geschäftsführendes und verwaltendes Organ war,
liegt auf der Hand. Nicht nötig ist, dass ihm die Verfügung an seinem Wohnort
Zug zugestellt worden sei; Art. 292 verlangt nur, dass sie an ihn gerichtet,
d. h. ihm eröffnet worden sei, schreibt dagegen über Ort und Art der
Zustellung nichts vor.
Demnach erkennt der Kassationhof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
Vgl. auch Nr. 54 (Gerichtsstand). - Voir aussi no 54.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 78 IV 237
Datum : 01. Januar 1952
Publiziert : 12. Dezember 1952
Quelle : Bundesgericht
Status : 78 IV 237
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : Art. 292 StGB. Wann ist die Verfügung «an ihn» (den Beschuldigten) erlassen worden? Wer ist...


Gesetzesregister
StGB: 292
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 292 - Wer der von einer zuständigen Behörde oder einem zuständigen Beamten unter Hinweis auf die Strafdrohung dieses Artikels an ihn erlassenen Verfügung nicht Folge leistet, wird mit Busse bestraft.
ZGB: 54 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 54 - Die juristischen Personen sind handlungsfähig, sobald die nach Gesetz und Statuten hiefür unentbehrlichen Organe bestellt sind.
55
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 55 - 1 Die Organe sind berufen, dem Willen der juristischen Person Ausdruck zu geben.
1    Die Organe sind berufen, dem Willen der juristischen Person Ausdruck zu geben.
2    Sie verpflichten die juristische Person sowohl durch den Abschluss von Rechtsgeschäften als durch ihr sonstiges Verhalten.
3    Für ihr Verschulden sind die handelnden Personen ausserdem persönlich verantwortlich.
BGE Register
78-IV-237
Stichwortregister
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juristische person • kreis • natürliche person • handelsgericht • weiler • wille • busse • strafgesetzbuch • verurteilter • verwaltungsrat • beklagter • kassationshof • vorsatz • ware • entscheid • ungehorsam gegen eine amtliche verfügung • dauer • beschuldigter • wohlverhalten • strafregister
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