S. 156 / Nr. 37 Strafgesetzbuch (d)

BGE 78 IV 156

37. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes von 3. Oktober 1952 i. S. B.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau.

Regeste:
Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2 StGB. Begriff des Dienstboten.
Art. 191 ch. 1 al. 2 CP. Notion du domestique.
Art. 191 cifra 1 cp. 2 CP. Nozione del servo.

A. - B., Verwalter einer alkoholfreien Wirtschaft in Steckborn, fragte anfangs
Juni 1948 die am 5. Februar 1933 geborene S. W., ob sie geneigt wäre, bei ihm
für etwa zwei Wochen als Kindermädchen einzutreten, da seine Ehefrau vor der
Geburt des dritten Kindes stehe. S. W. sagte nach Rücksprache mit ihren Eltern
zu und trat die Stelle am 15. Juni 1948 an. Ein schriftlicher Vertrag wurde
nicht abgefasst und die Höhe des Lohnes nicht genau vereinbart. S. W. leistete
aber die Dienste gegen Lohn. Ausserdem wurde sie, wie Familie B., aus der
Wirtschaftsküche verpflegt und hatte freie Unterkunft im Hause; sie schlief in
dem an das Schlafzimmer der Eheleute B. anstossenden Kinderzimmer. Anfänglich
oblag ihr lediglich die Betreuung der beiden Kinder und die Besorgung der

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Privatwohnung. Später musste sie auch etwas im Geschäft mithelfen, und gegen
das Ende ihrer Anstellung, die bis Ende August 1948 verlängert wurde, da sich
die Niederkunft der Frau B. bis 25. Juli 1948 verzögerte, oblag ihr
hauptsächlich die Bedienung in der Wirtschaft und nur noch in der Freizeit
auch die Betreuung der Kinder.
Am 26. Juli 1948 zwischen 3 und 4 Uhr morgens begab sich B. in das
Schlafzimmer der S. W. und vollzog mit ihr im Bewusstsein, dass sie noch nicht
sechzehn Jahre alt war, den Beischlaf. Frau B. befand sich damals im
Kantonsspital Münsterlingen.
B. - B. wurde unter der Anklage der Unzucht mit einem Dienstboten unter
sechzehn Jahren (Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2 StGB) dem Geschworenengericht des
Kantons Thurgau überwiesen und am 30. Juni 1952 in Anwendung der erwähnten
Gesetzesbestimmung zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt und für drei Jahre über
die Strafzeit hinaus in der bürgerlichen Ehrenfähigkeit eingestellt.
C. - B. führt Nichtigkeitsbeschwerde gemäss Art. 268 ff . BStP mit den
Anträgen, das Urteil der Kriminalkammer sei aufzuheben und die Sache an die
Vorinstanz zurückzuweisen, damit sie ihn von der Anklage der Unzucht mit einem
Dienstboten unter sechzehn Jahren freispreche.
Der Beschwerdeführer macht geltend, S. W. sei nicht sein Dienstbote gewesen.
Es hätten seine besondere Autorität und die besondere Abhängigkeit gefehlt,
die nach BGE 71 IV 192 zum Dienstbotenverhältnis gehörten. Sein Verhältnis zu
S. W. sei absolut lose und locker gewesen. Es habe nur ganz kurze Zeit
gedauert, wobei von Lohn überhaupt nicht die Rede gewesen sei, entgegen der
Annahme der Kriminalkammer. S. W. habe lediglich zweimal von Frau B. ein
Trinkgeld bekommen. Sie sei lediglich aus Güte zu den Kindern gekommen. Sie
habe nicht im Sinne gehabt, in ein Dienstbotenverhältnis zu treten, sondern
habe lediglich einige Tage die Kinder betreuen wollen. Solange Frau B.
abwesend war, also auch zur Zeit der Tat, sei das S. W.s Aufgabe gewesen. Erst
später habe sie auch

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im Geschäft etwas mitgeholfen. Inbezug auf die Gestaltung des Verhältnisses
sei sie vollständig frei gewesen; sie hätte jederzeit weggehen können. Die
Schriften habe sie bei ihren Eltern in Schlatt-Basadingen gehabt. Die
Weisungen inbezug auf die Kindererziehung habe ihr nicht der Beschwerdeführer,
sondern Frau B. erteilt. Ein Dienstverhältnis im Sinne des Obligationenrechts
habe nicht vorgelegen. Man habe S. W. immer wieder um einige Tage längeren
Bleibens gebeten, ohne mit ihr in einem Vertragsverhältnis zu stehen. Wenn man
noch von einem bescheidenen Abhängigkeitsverhältnis sprechen könnte, so sicher
nicht von einer besonderen Abhängigkeit, wie das Bundesgericht sie verlange.
Sollte etwas darauf ankommen, dass die Kriminalkammer anführt, S. W. habe im
Geschäft und im Haushalt mitgehalten, während der Beschwerdeführer behaupte,
sie habe bis zur Rückkehr seiner Ehefrau nur die Kinder betreut, so müsste das
vorerst durch die Zeugen nochmals abgeklärt werden. Nochmals abzuklären und
protokollarisch festzuhalten, wie die bundesgerichtliche Rechtsprechung es
verlange, wäre auch die Lohnfrage, wenn sie von Bedeutung wäre, denn es
entspreche nicht den tatsächlichen Verhältnissen, dass S. W. gegen Lohn
Dienste geleistet habe.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.- Wer ein Kind unter sechzehn Jahren zum Beischlaf missbraucht, wird unter
anderem dann mit der in Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2 StGB vorgesehenen schärferen
Strafe von mindestens zwei Jahren Zuchthaus bestraft, wenn das Kind sein
Dienstbote ist.
In BGE 71 IV 192 hat der Kassationshof ausgeführt, für das
Dienstbotenverhältnis im Sinne dieser Bestimmung sei kennzeichnend, dass es
auf der einen Seite eine besondere Autorität, auf der anderen Seite eine
besondere Abhängigkeit begründe; deren Missbrauch dieser Autorität bzw.
Abhängigkeit zu verbrecherischen Zwecken wolle Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2 StGB
durch eine Verschärfung der

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Strafdrohung entgegentreten. Der Beschwerdeführer verkennt den Sinn dieser
Ausführungen, wenn er glaubt, von «besonderer Autorität» und «besonderer
Abhängigkeit» könne nur gesprochen werden, wenn beide einen besonders hohen
Grad erreichten. «Besondere» hat in jenem Satze bloss den Sinn, dass Autorität
und Abhängigkeit allein ein Verhältnis nicht zum Dienstbotenverhältnis
machten, so insbesondere nicht in dem dort beurteilten Falle, wo der Täter
sich an einem Ferienknaben vergangen hatte, sondern dass es sich um die
besonders geartete Autorität bzw. Abhängigkeit handeln müsse, die zwischen
Dienstherr und Dienstbote bestehen.
2.- Ein solches Unterordnungsverhältnis besonderer Art, eben ein
Dienstbotenverhältnis, lag zwischen dem Beschwerdeführer und dem missbrauchten
Mädchen zur Zeit der Tat vor. S. W. stand zum Beschwerdeführer in einem
Dienstverhältnis im Sinne der Art. 319 ff . OR. Sie hatte sich ihm zur Leistung
von Diensten auf Zeit verpflichtet und bezog dafür nach der verbindlichen
tatsächlichen Feststellung der Vorinstanz, die mit der Nichtigkeitsbeschwerde
nicht angefochten werden kann (Art. 277bis Abs. 1 , Art. 273 Abs. 1 lit. b
BStP), einen Lohn. Dass dessen Höhe nicht zum voraus abgemacht war, ändert
nichts; ein Dienstvertrag läge sogar dann vor, wenn über den Lohn überhaupt
nicht gesprochen worden sein sollte, denn nach den Umständen war die Leistung
der Dienste nur gegen Lohn zu erwarten (Art. 320 Abs. 2 OR). Auch kommt nichts
darauf an, dass das Verhältnis ursprünglich nur für etwa vierzehn Tage
vorgesehen war; ein Dienstvertrag besteht nicht bloss bei Abschluss für
längere Zeit oder für unbestimmte Zeit, sondern überhaupt wenn der
Dienstnehmer sich auf Zeit verpflichtet, mag diese auch nur kurz und zum
voraus bestimmt sein (Art. 319 Abs. 1 OR). Im vorliegenden Falle ergab sich
die Beschränkung auf etwa vierzehn Tage aus der Natur der Sache, da der
Beschwerdeführer die Hilfe nur für die Dauer der durch die Niederkunft
notwendig werdenden Schonung seiner

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Ehefrau benötigte. Ob das Mädchen jederzeit kündigen konnte, nachdem sich
herausgestellt hatte, dass sich die Niederkunft verzögerte, ist unerheblich.
Wenn in BGE 71 IV 192 ausgeführt wurde, ein Dienstbotenverhältnis zwischen dem
Täter und dem missbrauchten Ferienknaben habe schon deshalb nicht bestanden,
weil der Knabe jederzeit zu seinen Eltern heimkehren durfte, so wollte damit
nur gesagt werden, dass der Knabe sich überhaupt nicht vertraglich gebunden
habe, dem Täter zu dienen. Für S. W. dagegen bestand eine solche Bindung, mag
es ihr auch freigestanden haben, sie ohne Beachtung einer langen
Kündigungsfrist wieder zu lösen. Dem Dienstbotenverhältnis steht auch nicht im
Wege, dass sie sich angeblich nur aus Güte bereit erklärte, die Stelle
anzutreten. Ob sie zur Zeit der Tat nur die Kinder betreute oder auch schon in
der Wirtschaft aushalf, ist ebenfalls belanglos. Es kommt auch nichts darauf
an, wer ihr den Lohn bezahlte: als Inhaberin der Schlüsselgewalt konnte Frau
B. das sogut tun wie der Beschwerdeführer. Sie konnte S. W. auch Weisungen
erteilen, ohne dass das einem Dienstbotenverhältnis zwischen dem Mädchen und
dem Beschwerdeführer im Wege stünde. Selbst wenn Frau B. Partei des
Dienstvertrages gewesen wäre, hätte S. W. gegenüber dem Beschwerdeführer die
Stellung eines Dienstboten gehabt. Wie z.B. das Verbot der Unzucht mit dem
Lehrling (Art. 192 Ziff. 2 StGB) nicht nur den Lehrmeister im zivilrechtlichen
Sinne trifft, in dessen Namen der Lehrvertrag abgeschlossen ist, sondern
jeden, der im Betrieb dem Lehrling vorsteht (BGE 78 IV 39), kommt auch einem
Dienstboten die Stellung als Dienstbote nicht nur gegenüber seinem
Vertragsgegner, sondern gegenüber jedem zu, dem er auf Grund des
Dienstbotenverhältnisses unterstellt ist. In einem solchen
Unterordnungsverhältnis stand S. W. nicht nur gegenüber Frau B., sondern auch
gegenüber dem Beschwerdeführer, der als Vertreter der ehelichen Gemeinschaft
(Art. 162 Abs. 1 ZGB) und als Inhaber der elterlichen Gewalt über die zu
betreuenden Kinder (Art. 273 , 274 ZGB)

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ihr sogut Befehle erteilen durfte wie Frau B., die sich übrigens zur Zeit der
Tat im Spital befand und daher in der Ausübung ihrer Befugnisse als Hausfrau
und Mutter behindert war. Der Beschwerdeführer hat die ihm zustehende
Autorität über S. W. zur Erlangung des Beischlafes missbraucht und ist daher
mit Recht nach Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2 StGB bestraft worden.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie eingetreten werden
kann.
Informazioni decisione   •   DEFRITEN
Documento : 78 IV 156
Data : 01. gennaio 1952
Pubblicato : 03. ottobre 1952
Sorgente : Tribunale federale
Stato : 78 IV 156
Ramo giuridico : DTF - Diritto penale e procedura penale
Oggetto : Art. 191 Ziff. 1 Abs. 2 StGB. Begriff des Dienstboten.Art. 191 ch. 1 al. 2 CP. Notion du...


Registro di legislazione
CC: 162  273  274
CO: 319  320
CP: 191  192
PP: 268  273  277bis
Registro DTF
71-IV-190 • 78-IV-156 • 78-IV-38
Parole chiave
Elenca secondo la frequenza o in ordine alfabetico
salario • giorno • corte di cassazione penale • direttiva • durata • accusa • apprendista • posto • turgovia • autorità inferiore • tribunale federale • codice penale • rappresentanza dell'unione coniugale • fine • rapporto di servizio di diritto pubblico • autonomia • azienda • motivazione della decisione • corte d'assise • casalinga • contratto di tirocinio • testimone • orologio • trattario • madre • maestro di tirocinio • mancia • famiglia • casale • economia domestica • autorità parentale • condannato • tempo libero
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