S. 5 / Nr. 2 Rechtsgleichheit {Rechtsverweigerung} (d)

BGE 78 I 5

2. Auszug aus dem Urteil vom 30. April 1952 i. S. Migros-Genossenschafts-Bund
gegen Zürich, Staat und Oberrekurskommission.

Regeste:
Kantonale Billetsteuer, Willkür.
Kantonale Vorschrift, wonach die Billetsteuer für belehrende Veranstaltungen,
nicht aber für Schulen zu entrichten ist. Begriff der Schule.

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Taxe cantonale sur les spectacles. Arbitraire.
Prescription cantonale selon laquelle les manifestations dont le but est
instructif paient la taxe, mais non pas les écoles. Notion de l'école.
Tassa cantonale sugli spettacoli. Arbitrio.
Prescrizione cantonale, secondo cui le manifestazioni a scopo istruttivo sono
assoggettate alla tassa, salvo se si tratta di scuole. Concetto di scuola.

A. - Das zürcherische Gesetz über die Billetsteuer vom 16. Dezember 1934
(BStG) bestimmt in
Ǥ 1. Steuerobjekt.
Für Veranstaltungen, die der Unterhaltung, der Belehrung oder dein Vergnügen
dienen und für deren Besuch in irgend einer Form ein Entgelt geleistet wird,
ist ausser den Gebt ihren für die polizeiliche Bewilligung eine Billetsteuer
zu entrichten.
Als solche Veranstaltungen gelten insbesondere
a) Theater-, Variété- und kinematographische Vorstellungen, Rezitationen,
Vorträge, Konzerte und andere musikalische Darbietungen;
b) Zirkusvortellungen und Schaustellungen
c) Tanzanlässe, Masken- und Kostümfeste Basare
d) Spiele, sportliche Veranstaltungen, Wettkämpfe, Rennen
e) Ausstellungen.»
B. - Der Beschwerdeführer, der Migros-Genossenschafts-Bund Zürich, bezweckt
unter anderm auch die Schaffung eigener und die Förderung bestehender
kultureller Einrichtungen. Er betreibt daher eine Klubschule für Erwachsene
mit Sprach- und andern Kursen. Im Rahmen dieser Schule hält er in
verschiedenen Gemeinden des Kantons Zürich sogenannte «Film-Kollegien ab. Es
handelt sich dabei um Kurse zur Auffrischung und Erweiterung des allgemeinen
Wissens über Mensch, Tier, Pflanze, Naturkräfte, Kunst, Staats- und
Volkswirtschaft sowie fremde Länder. Es findet wöchentlich eine Lektion von 55
Minuten statt, die ein Referat und eine Filmvorführung, möglicherweise auch
eine Aussprache bietet. Das Kursgeld beträgt Fr. 6.- im Monat und wird
monatlich bezahlt «ohne längere Verpflichtung».
Im Jahre 1950 verlangten die Gemeinden Zürich, Winterthur und Dübendorf für
die Film-Kollegien Billetsteuer nach § 1 BStG, während die Gemeinden
Wallisellen, Rüti und Uster sie nicht forderten. Der Beschwerdeführer

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erhob gegen die Besteuerung, das kantonale Steueramt gegen die Steuerbefreiung
Rekurs. Die Steuerkommission I und die Oberrekurskommission (ORK) bejahten die
Steuerpflicht, letztere durch Entscheid vom 21. Dezember 1951 mit im
wesentlichen folgender Begründung:
Die Billet steuer werde nach § 1 BStG auch für Veranstaltungen erhoben, die
ausschliesslich der Belehrung dienen. Fine Ausnahme gelte nur für den
Schulunterricht. Entscheidend sei daher in erster Linie, ob die Film-Kollegien
im Jahre 1950 Schulunterricht gewesen seien. Jeder Schulunterricht müsse ein
bestimmtes Lehrziel haben, das der Schüler durch Schularbeit zu erreichen sich
vornehme. Ob ein Vortragskurs ein solches Lehrziel verfolge, lasse sich am
besten aus dem Lehrplan erkennen. Vorträge ohne Lehrplan in zusammenhangloser
Folge seien nicht Schulunterricht, sondern eine Gelegenheit, die Freizeit
anregend und belehrend zu verbringen. Der herkömmliche Schulunterricht zeichne
sich durch besondere Erziehungsmittel (Schulzwang, Besuchskontrolle,
Fragestellung, Prüfung und Zeugnisse) aus. Bei einer Erwachsenenschule sei
eine ernsthafte Schularbeit freilich auch ohne diese Erziehungsmittel denkbar.
Ihr Fehlen sei aber immerhin ein Indiz gegen die Annahme einer Schule.
Den Film-Kollegien des Jahres 1950 könne der Schulcharakter nicht zuerkannt
werden. Abgesehen davon, dass es an den herkömmlichen Erziehungsmitteln
(Schulzwang usw.) gefehlt habe, sei ein fester Lehrplan nicht zu erkennen. Es
habe sich um Vorträge in bunter Reihenfolge aus vielen Wissensgebieten
gehandelt, um das allgemeine Wissen aufzufrischen und zu erweitern, nicht aber
um die Besucher zu tätiger Arbeit anzuhalten und zu erziehen. Keiner der
Besucher habe sich ein bestimmtes Arbeitsziel stecken können; es sei ihm
nichts anderes übrig geblieben, als die interessanten Belehrungen
verschiedenster Natur in sich aufzunehmen. Das sei nicht Schularbeit, sondern
Belehrung, weshalb die Film-Kollegien 1950 als billetsteuerpflichtige
Veranstaltungen im Sinne von § 1 BStG zu erklären seien.

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C. - Mit der vorliegenden staatsrechtlichen Beschwerde beantragt der
Migros-Genossenschafts-Bund Zürich, diesen Entscheid der Oberrekurskommission
wegen Verletzung des Art. 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BV aufzuheben. Er wirft der ORK unter anderm
willkürliche Gesetzesauslegung vor. Diese liege darin, dass dem Film-Kolleg
der Schulcharakter abgesprochen werde. Dem Begriff der Schule sei eine Deutung
gegeben worden, die dem Gesetz nicht entnommen werden könne.
a) Lehrziel und Lehrplan seien zwar nötig bei Schulen für Jugendliche, nicht
aber bei Schulen für Erwachsene, für die eine Auflockerung des Systems gelte.
So verhalte es sich schon bei der Universität, der niemand den Schulcharakter
abspreche.
b) Auch in der Annahme der Nichtmitwirkung der Hörer im Film-Kolleg liege eine
willkürliche Gesetzesanwendung. Nirgends im Gesetz stehe, dass eine Schule nur
Schule sei, wenn der Schüler vom Lehrer aufgerufen werden könne oder
Hausaufgaben zu machen habe. Auch hier werde der Begriff der Schule dadurch
verfälscht, dass nur an die Jugendlichenschule gedacht werde. Auch die
Universität biete reine Vorlesungen, und die Teilnahme an den Seminarien sei
nicht obligatorisch.
c) Im Fehlen der Erziehungsmittel wie Schulzwang usw. ein Indiz gegen den
Schulcharakter zu erblicken, sei unstatthaft und willkürlich, weil die ORK
selbst erkläre, dass in Erwachsenenschulen eine ernsthafte Schularbeit auch
ohne solche Erziehungsmittel denkbar sei.
d) Die ORK habe folgende, für den Schulunterricht sprechenden Tatsachen
übersehen: Die Klassenbildung und Beschränkung der Teilnehmerzahl, die Pflicht
des Besuchers zur Anmeldung, die Diskussion im Filmkolleg, was alles diese
Einrichtung von blossen Veranstaltungen mit belehrendem Charakter
unterscheide. Eine willkürliche Gesetzesanwendung liege auch darin, dass dem
Film-Kolleg die Fähigkeit zur Erziehung zu «tätiger Mitarbeit abgesprochen
werde, denn das Gesetz sage nicht, wie diese Erziehung zu erfolgen habe.

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C. - Die Oberrekurskommission und der Regierungsrat des Kantons Zürich
beantragen Abweisung der Beschwerde.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.
Erwägungen:
Nach § 1 BStG ist die Billetsteuer auch für Veranstaltungen zu entrichten, die
der Belehrung dienen. Dagegen fallen Schulen, und zwar auch private,
unbestrittenermassen nicht unter diese Bestimmung und damit nicht unter die
Steuerpflicht.
Der Beschwerdeführer macht geltend, dem Begriff der Schule werde im
angefochtenen Entscheid eine Deutung gegeben, die «dem Gesetze nicht entnommen
werden könne». Diese Rüge geht fehl, weil im BStG, das den Begriff der «Schule
zwar in § 2 Abs. 1 verwendet, nicht gesagt wird, was als Schule zu gelten hat,
und weil auch das Gesetz betreffend die Volksschule vom 11 Juni 1899, auf das
der Regierungsrat verweist, soweit ersichtlich keine Bestimmung darüber
enthält, was unter einer Schule zu verstehen sei.
Bei dieser Rechtslage war auf Grund der gesamten Umstände zu prüfen, ob die
Film-Kollegien zu den belehrenden Veranstaltungen im Sinne von § 1 BStG
gehören oder ob sie nach dem, was man im allgemeinen unter einer Schule
versteht, Schulcharakter haben. Die ORK ist so vorgegangen. Ihr Entscheid
könnte nur als willkürlich aufgehoben werden, wenn sie von einem unhaltbaren
Begriff der Schule ausgegangen wäre und die Einrichtung der Film -Kollegien
offensichtlich unrichtig gewürdigt hätte. Der Beschwerdeführer behauptet dies
denn auch, aber zu Unrecht. Auch an eine Schule für Erwachsene dürfen die
Anforderungen gestellt werden, von denen der angefochtene Entscheid ausgeht
insbesondere kann ein bestimmter Lehrplan mit Lehrziel verlangt und auch
darauf Gewicht gelegt werden, ob das allfällige Lehrziel mit den in Schulen
verwendeten Schulungsmitteln zu erreichen gesucht wird. Einen bestimmten
Lehrplan mit

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einem Lehrziel lassen aber die vom Beschwerdeführer der ORK eingereichten
Kursprogramme der Film-Kollegien 1950, wie im angefochtenen Entscheid
zutreffend ausgeführt wird, nicht erkennen; vielmehr handelt es sich um eine
Reihe von Vorträgen in bunter Folge über viele Wissensgebiet e, verbunden mit
Filmvorführungen und Diskussionen darüber. Wenn die ORK in diesen Vorträgen,
Vorführungen und Diskussionen, auch wenn sie in Klassen mit beschränkter
Teilnehmerzahl vor sich gingen, belehrende Veranstaltungen im Sinne des § 1
BStG und nicht Schulen erblickt hat, so kann diese Würdigung keinesfalls als
willkürlich bezeichnet werden. Verfehlt ist der Versuch des Beschwerdeführers,
die Film-Kollegien mit den Universitätsvorlesungen auf eine Linie zu stellen,
abgesehen von allen andern Unterschieden in der Schulung an der Universität
schon deshalb, weil die Vorlesungen an den Hochschulen bekanntlich sich
jeweilen auf ein Wissensgebiet beziehen, während die Film-Kollegien in
zwangloser Folge die verschiedensten Gegenstände und Fragen behandeln. Auf
weitere Einzelheiten einzutreten erübrigt sich angesichts der sorgfältigen und
einleuchtenden Begründung des angefochtenen Entscheids, dass die Filmkollegien
keine Schulen seien.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 78 I 5
Datum : 01. Januar 1952
Publiziert : 30. April 1952
Quelle : Bundesgericht
Status : 78 I 5
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : Kantonale Billetsteuer, Willkür.Kantonale Vorschrift, wonach die Billetsteuer für belehrende...


Gesetzesregister
BV: 4
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999
BV Art. 4 Landessprachen - Die Landessprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
BGE Register
78-I-5
Stichwortregister
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film • veranstalter • lehrplan • weiler • genossenschaft • gemeinde • erwachsener • regierungsrat • wissen • monat • indiz • vorlesung • veranstaltung • entscheid • filmvorführung • rang • hochschulinstitution • begründung des entscheids • willkürverbot • unterrichtsklasse
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