S. 194 / Nr. 45 Strafgesetzbuch (d)

BGE 77 IV 194

45. Urteil des Kassationshofes vom 10. November 1951 i. S. Bucheli gegen
Schnyder.

Regeste:
Art. 57 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 57 - 1 Der Besitzer eines Grundstückes ist berechtigt, Dritten angehörige Tiere, die auf dem Grundstücke Schaden anrichten, zur Sicherung seiner Ersatzforderung einzufangen und in seinen Gewahrsam zu nehmen und, wo die Umstände es rechtfertigen, sogar zu töten.
1    Der Besitzer eines Grundstückes ist berechtigt, Dritten angehörige Tiere, die auf dem Grundstücke Schaden anrichten, zur Sicherung seiner Ersatzforderung einzufangen und in seinen Gewahrsam zu nehmen und, wo die Umstände es rechtfertigen, sogar zu töten.
2    Er ist jedoch verpflichtet, ohne Verzug dem Eigentümer davon Kenntnis zu geben und, sofern ihm dieser nicht bekannt ist, zu dessen Ermittlung das Nötige vorzukehren.
OR, Art. 32
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 32 - Stellt eine antragsberechtigte Person gegen einen an der Tat Beteiligten Strafantrag, so sind alle Beteiligten zu verfolgen.
, 145
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 145 - Der Schuldner, der in der Absicht, seinen Gläubiger zu schädigen, diesem eine als Pfand oder Retentionsgegenstand dienende Sache entzieht, eigenmächtig darüber verfügt, sie beschädigt, zerstört, entwertet oder unbrauchbar macht, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
StGB. Umstände, welche die Abgabe von Schüssen
auf einen fremden Hund rechtfertigen, der auf einem Grundstück Schaden
anrichtet. Auch Hilfspersonen sind zur Tat berechtigt, wenn sie den Besitzer
des Grundstücks vor Schaden bewahren wollen.

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Art. 57 al. 1 CO, 32 et 145 CP. Circonstances qui autorisent à tirer sur un
chien qui cause du dommage sur un immeuble. Des auxiliaires ont aussi le droit
d'agir, pour préserver d'un dommage le possesseur de l'immeuble.
Art. 57 cp. 1 CO, art. 32 e 145 CP. Circostanze che autorizzano di tirare con
un arma da fuoco contro un cane che causa del danno su un fondo. Anche degli
ausiliari hanno il diritto di agire per preservare il proprietario del fondo
da un danno.

A. - Am Nachmittag des 5. März 1950 ging die Ehefrau des Emil Schnyder mit
dessen Chow-Chow-Hündin auf den Dietschiberg spazieren. Bei der
Dorenbach-Scheune drang das Tier in den hinter dem Wohnhaus stehenden offenen
Hühnerhof des Anton Bucheli, Vater, ein, verfolgte die Hühner und biss eines
tot. Die Ehefrau Buchelis rief ihren Mann und später auch ihren Sohn herbei.
Vater Bucheli begab sich nach dem Hühnerhof, um den Hund einzufangen und seine
Halsmarke abzulesen, was ihm aber nicht gelang, da sich das Tier angriffig, ja
wild verhalten haben soll. Auch mit Hilfe eines Steckens erreichte Vater
Bucheli sein Ziel nicht. Vielmehr sah er sich schliesslich genötigt, den Hund
mit dem Stecken von sich fernzuhalten. In diesem Zeitpunkt erschien Anton
Bucheli, Sohn, mit einem Revolver bei der Türe des Hühnerhofes. Weil er seinen
Vater in bedrängter Lage sah, eilte er in die Stube und schoss von dort aus
zweimal auf den Hund. Die Schüsse verletzten den Hund im oberen Halsgebiet
durch zwei Einschuss- und zwei Ausschusswunden. Kurze Zeit nach Abgabe des
zweiten Schusses erschien Frau Schnyder und nahm den Hund wieder an sich.
B. - Auf rechtzeitigen Strafantrag des Emil Schnyder hin verurteilte das
Amtsgericht Luzern-Stadt Anton Bucheli, Sohn, am 1. März 1951 wegen
Sachbeschädigung (Mt. 145 StGB) zu einer Busse von Fr. 30.-. Den Kläger
verwies es mit seiner Zivilforderung an den Zivilrichter. Es nahm an, Notstand
liege nicht vor, da für die Abwendung der Gefahren die Verletzung des Hundes
nicht notwendig gewesen sei.
C. - Der Verurteilte führt Nichtigkeitsbeschwerde mit

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dem Antrag, das Urteil sei im Straf- und Kostenpunkt aufzuheben und die Sache
zur Freisprechung des Beschwerdeführers an das Amtsgericht zurückzuweisen.
D. - Emil Sehnyder beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen.
Der Kassationshof zieht in Erwägung
1.- Der Besitzer eines Grundstückes ist berechtigt, Dritten gehörende Tiere,
die auf dem Grundstücke Schaden anrichten, zu töten, wenn die Umstände es
rechtfertigen. Dieses in Art. 57 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 57 - 1 Der Besitzer eines Grundstückes ist berechtigt, Dritten angehörige Tiere, die auf dem Grundstücke Schaden anrichten, zur Sicherung seiner Ersatzforderung einzufangen und in seinen Gewahrsam zu nehmen und, wo die Umstände es rechtfertigen, sogar zu töten.
1    Der Besitzer eines Grundstückes ist berechtigt, Dritten angehörige Tiere, die auf dem Grundstücke Schaden anrichten, zur Sicherung seiner Ersatzforderung einzufangen und in seinen Gewahrsam zu nehmen und, wo die Umstände es rechtfertigen, sogar zu töten.
2    Er ist jedoch verpflichtet, ohne Verzug dem Eigentümer davon Kenntnis zu geben und, sofern ihm dieser nicht bekannt ist, zu dessen Ermittlung das Nötige vorzukehren.
OR vorgesehene Recht steht nicht nur
dem Besitzer des Grundstückes persönlich, sondern auch seinen Hilfspersonen
zu, wenn sie handeln, um den Besitzer vor Schaden zu bewahren. Daher kommt die
Bestimmung dem Beschwerdeführer zugute, obschon er nicht Besitzer der
Liegenschaft «Dorenbach» ist, diese vielmehr im Besitze des Pächters Anton
Bucheli, Vater, steht. Der Beschwerdeführer hat seinem Vater helfen wollen,
den Hund an der Zufügung weiteren Schadens zu verhindern. Recht mässig war die
Tat, wenn die Umstände die Abgabe der zwei Schüsse auf den Hund
rechtfertigten. Dass der Hund nicht getötet wurde, ist unerheblich; das Recht,
ein fremdes Tier zu töten, das auf dem Grundstück Schaden anrichtet, schliesst
auch das weniger weit gehende Recht in sich, es unter den gleichen
Voraussetzungen, nämlich «wenn die Umstände es rechtfertigen a, zu verletzen.
2.- Wie die Vorinstanz feststellt, war zu befürchten, der Hund werde auf der
Liegenschaft Dorenbach weitere Hühner töten oder verletzen. Um solchen
weiteren Schaden zu verhüten, versuchte Vater Bucheli zunächst, den Hund
einzufangen, doch zeigte sich dieser angriffig und wild, sodass Vater Bucheli
nicht einmal mit einem Stecken sein Ziel erreichen konnte und diesen sogar zum
Schutze seiner selbst verwenden musste. Vater Bucheli war, wie die Vorinstanz
feststellt, in ziemlich bedrängter Lage. Unter diesen Umständen konnte dem
Beschwerdeführer nicht zugemutet werden, den Versuch, den Hund einzufangen,

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mit seinem Vater fortzusetzen, auf die Gefahr hin, dass der Vater oder der
Beschwerdeführer gebissen würden oder weitere Hühner dem Hund zum Opfer
fielen. Ob es genügt hätte, den Hund mit Schreckschüssen zu verscheuchen, kann
dahingestellt bleiben, ebenso ob Vater Bucheli sich seiner durch Abschliessen
des Hühnerhofes hätte erwehren können. Denn es kommt nicht darauf an, von
welcher Massnahme nachträglich bei ruhiger Überlegung gesagt werden kann, dass
sie wahrscheinlich genügt hätte, ohne den Eigentümer des Hundes zu schädigen,
sondern welche Massnahme der Beschwerdeführer, der die Gefahr vor sich sah und
nicht Zeit zu ruhiger Überlegung hatte, in guten Treuen für notwendig und
geeignet halten durfte, um seinen Vater vor weiterem Schaden zu bewahren.
Unter diesem Gesichtspunkt erscheint die Abgabe der zwei Schüsse auf den Hund
nicht als rechtswidrig. Übrigens hätte das Einschliessen des Hundes im
Hühnerhof nicht genügt, um die darin verbliebenen Hühner, und sollte es auch
nur ein einziges Huhn gewesen sein, zu retten. Dass der Hund wertvoller war
als einige Hühner, ändert nichts. Abgesehen davon, dass dem Beschwerdeführer
nicht Zeit blieb, den Wert des Hundes zu schätzen, konnte er nicht mit
Sicherheit damit rechnen, für den Verlust der Hühner entschädigt zu werden, da
der Eigentümer des Hundes nicht zur Stelle war und sich der Hund nicht
einfangen liess.
Hat demnach der Beschwerdeführer nicht rechtswidrig gehandelt, so muss er
gestützt auf Art. 32
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 32 - Stellt eine antragsberechtigte Person gegen einen an der Tat Beteiligten Strafantrag, so sind alle Beteiligten zu verfolgen.
StGB freigesprochen werden. Ob auch die Voraussetzungen
des Notstandes (Art. 34 Ziff. 2
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 34 - 1 Bestimmt es das Gesetz nicht anders, so beträgt die Geldstrafe mindestens drei und höchstens 180 Tagessätze.24 Das Gericht bestimmt deren Zahl nach dem Verschulden des Täters.
1    Bestimmt es das Gesetz nicht anders, so beträgt die Geldstrafe mindestens drei und höchstens 180 Tagessätze.24 Das Gericht bestimmt deren Zahl nach dem Verschulden des Täters.
2    Ein Tagessatz beträgt in der Regel mindestens 30 und höchstens 3000 Franken.25 Das Gericht kann den Tagessatz ausnahmsweise bis auf 10 Franken senken, wenn die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters dies gebieten.26 Es kann die maximale Höhe des Tagessatzes überschreiten, wenn das Gesetz dies vorsieht. Es bestimmt die Höhe des Tagessatzes nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Täters im Zeitpunkt des Urteils, namentlich nach Einkommen und Vermögen, Lebensaufwand, allfälligen Familien- und Unterstützungspflichten sowie nach dem Existenzminimum.27
3    Die Behörden des Bundes, der Kantone und der Gemeinden geben die für die Bestimmung des Tagessatzes erforderlichen Auskünfte.
4    Zahl und Höhe der Tagessätze sind im Urteil festzuhalten.
StGB) erfüllt waren, kann dahingestellt
bleiben.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Amtsgerichts
Luzern-Stadt vom 1. März 1951 aufgehoben und die Sache zur Freisprechung des
Beschwerdeführers an die Vorinstanz zurückgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 77 IV 194
Datum : 01. Januar 1951
Publiziert : 10. November 1951
Quelle : Bundesgericht
Status : 77 IV 194
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : Art. 57 Abs. 1 OR, Art. 32, 145 StGB. Umstände, welche die Abgabe von Schüssen auf einen fremden...


Gesetzesregister
OR: 57
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 57 - 1 Der Besitzer eines Grundstückes ist berechtigt, Dritten angehörige Tiere, die auf dem Grundstücke Schaden anrichten, zur Sicherung seiner Ersatzforderung einzufangen und in seinen Gewahrsam zu nehmen und, wo die Umstände es rechtfertigen, sogar zu töten.
1    Der Besitzer eines Grundstückes ist berechtigt, Dritten angehörige Tiere, die auf dem Grundstücke Schaden anrichten, zur Sicherung seiner Ersatzforderung einzufangen und in seinen Gewahrsam zu nehmen und, wo die Umstände es rechtfertigen, sogar zu töten.
2    Er ist jedoch verpflichtet, ohne Verzug dem Eigentümer davon Kenntnis zu geben und, sofern ihm dieser nicht bekannt ist, zu dessen Ermittlung das Nötige vorzukehren.
StGB: 32 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 32 - Stellt eine antragsberechtigte Person gegen einen an der Tat Beteiligten Strafantrag, so sind alle Beteiligten zu verfolgen.
34 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 34 - 1 Bestimmt es das Gesetz nicht anders, so beträgt die Geldstrafe mindestens drei und höchstens 180 Tagessätze.24 Das Gericht bestimmt deren Zahl nach dem Verschulden des Täters.
1    Bestimmt es das Gesetz nicht anders, so beträgt die Geldstrafe mindestens drei und höchstens 180 Tagessätze.24 Das Gericht bestimmt deren Zahl nach dem Verschulden des Täters.
2    Ein Tagessatz beträgt in der Regel mindestens 30 und höchstens 3000 Franken.25 Das Gericht kann den Tagessatz ausnahmsweise bis auf 10 Franken senken, wenn die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters dies gebieten.26 Es kann die maximale Höhe des Tagessatzes überschreiten, wenn das Gesetz dies vorsieht. Es bestimmt die Höhe des Tagessatzes nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Täters im Zeitpunkt des Urteils, namentlich nach Einkommen und Vermögen, Lebensaufwand, allfälligen Familien- und Unterstützungspflichten sowie nach dem Existenzminimum.27
3    Die Behörden des Bundes, der Kantone und der Gemeinden geben die für die Bestimmung des Tagessatzes erforderlichen Auskünfte.
4    Zahl und Höhe der Tagessätze sind im Urteil festzuhalten.
145
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 145 - Der Schuldner, der in der Absicht, seinen Gläubiger zu schädigen, diesem eine als Pfand oder Retentionsgegenstand dienende Sache entzieht, eigenmächtig darüber verfügt, sie beschädigt, zerstört, entwertet oder unbrauchbar macht, wird, auf Antrag, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
BGE Register
77-IV-194
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
vater • schaden • vorinstanz • weiterer schaden • kassationshof • notstand • verurteilter • hilfsperson • strafgesetzbuch • opfer • strafantrag • widerrechtlichkeit • weiler • mann • stelle • verhalten • scheune • busse • schuss • wert
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