S. 372 / Nr. 69 Muster- und Modellschutz (d)

BGE 77 II 372

69. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 11. Dezember 1951 i. S. A.
Huber & Co. gegen Burgauer & Co. A.-G.

Regeste:
Musterschutz, Schutzfähigkeit, Nachahmung. Art. 2 , 24 Ziff. 1 MMG.
Voraussetzungen der Schutzfähigkeit eines Musters (Erw. 2).
Unterschiede im Gesamteindruck infolge Farbänderung dürfen bei der Frage nach
dem Vorliegen einer Nachahmung nicht berücksichtigt werden (Erw. 3).
Protection des modèles, droit à la protection, imitation. Art. 2, 24 ch. I
LDMI.
Conditions pour qu'un modèle soit susceptible de protection (consid. 2). Pour
juger si l'on est en présence d'une imitation, on ne peut pas tenir compte de
différences, dans l'impression d'ensemble, provenant d'une modification de la
couleur (consid. 3).
Protezione dei modelli, diritto alla protezione, imitazione. Art. 2, 24 cifra
I LDMI.
Condizioni per cui un modello è suscettibile di protezione (consid. 2). Per
giudicare se si sia in presenza d'un'imitazione, non si può tenere conto di
differenze nell'impressione d'insieme provenienti dalla modificazione del
colore (consid. 3).


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Aus dem Tatbestand:
Die Firma A. Huber & Co. erhob gegen die Firma Burgauer & Co. A. -G. Klage
wegen Verletzung eines von ihr hinterlegten Möbelstoff-Musters. Die Beklagte
bestritt die Schutzfähigkeit des Musters sowie das Vorliegen einer Nachahmung.
Das Handelsgericht St. Gallen bejahte die Schutzfähigkeit des Musters,
verneinte dagegen eine Verletzung desselben durch die Beklagte und wies daher
die Klage ab.
Das Bundesgericht weist die Sache an die Vorinstanz zurück auf Grund der
folgenden
Erwägungen:
2.- ... Das geltende Recht macht die Schutzfähigkeit eines Musters nicht davon
abhängig, dass es als Ergebnis einer schöpferischen Tätigkeit angesprochen
werden kann. Es genügt vielmehr, wenn es eine gewisse, auf ästhetischer
Wirkung beruhende Originalität besitzt, die ihm einen individuellen Charakter
verleiht (BGE 38 11 716). Liegt solche Originalität vor, so ist dem Muster die
erforderliche materielle Neuheit zuzubilligen. Das Erfordernis der
Originalität schliesst die Verwendung im Gemeingut befindlicher Elemente, wie
schlichter geometrischer Figuren (Quadrat, Raute, Kreis) nicht aus doch muss
ihre Verbindung, Anordnung oder Ausschmückung originell sein.
Das Muster der Klägerin besteht aus aneinandergereihten Schuppen on vca. 1½
ein Durchmesser. Die Schuppenrundung befindet sich in der Kettrichtung des
Gewebes. Die Schuppenränder sind leicht erhöht. Je nach dem einfallenden Licht
und je nach der Farbe des Stoffes heben sich diese Ränder mehr oder weniger
hell vom Grunde ab. In der Mitte jeder Schuppe befindet sich bei den dunkeln
Farben ein heller, bei dem hellgrau-bräunlichen Muster ein dunkler Punkt. Die
Schuppen sind von einzelnen flottierenden Kettfäden durchzogen, die auch über
die Schuppenränder greifen. Kette und Schuss sind jeweils gleichfarbig.

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Ein solches Schuppenmuster liegt an sich nahe; es kann ihm daher auf jeden
Fall kein hoher Grad von Originalität zuerkannt werden. Nach den verbindlichen
Feststellungen der Vorinstanz sind jedoch bei Decken und Möbelst offen die
Gestaltungsmöglichkeiten des Musters namentlich bei kleinen Ausmassen wegen
der Natur des Stoffes beschränkt. Ferner werden für die Herstellung von
Möbelstoffen in Jacquard-Mustern ganz allgemein Maschinen desselben Typus,
nämlich die 880-Feinstich-Jacquard-Maschine mit 24 Kettfäden, verwendet.
Infolgedessen weisen solche Möbelstoffmuster aus technischen Gründen
notwendigerweise eine gewisse Analogie auf.
Die Beklagte meint nun, weil Grösse und Grundform der Muster weitgehend
technisch bedingt sind, müssten an das schöpferische Merkmal, das originelle
Moment besonders hohe Anforderungen gestellt werden; denn sonst könnten einige
wenige Firmen durch Hinterlegung einer kleinen Anzahl von Mustern sich auf dem
Wege des Musterschutzes eine Monopolstellung verschaffen, so dass die übrigen
Fabrikanten keine Verwendungsmöglichkeit mehr für ihre einzig dazu
verwendbaren Maschinen hätten.
Diese Auffassung geht jedoch fehl. Einer schöpferischen Idee bedarf es, wie
bereits ausgeführt, überhaupt nicht. Im übrigen dürfen gemäss den zutreffenden
Ausführungen der Vorinstanz mit Rücksicht auf die technischen Gegebenheiten an
die Originalität keine hohen Anforderungen gestellt werden, da sonst die
Möbelstoffindustrie des Musterschutzes, auf den sie nach Gesetz Anspruch
erheben darf, überhaupt nicht teilhaftig würde. Es genügt daher für das
Vorliegen der Schutzfähigkeit schon ein ganz geringes Mass von origineller
Gestaltung des Musters. Die Gefahr der Monopolisierung, welche die Beklagte
ins Feld führt, darf nicht übertrieben werden, gerade weil schon eine ganz
geringe Abweichung in der Ausgestaltung einen genügenden Grad von Originalität
hervorzubringen vermag.
Wird dieser Massstab angelegt, so ist dem Muster der Klägerin die
erforderliche Originalität noch zuzubilligen.

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Mag auch das Schuppenmuster an sich naheliegend und allgemein bekannt sein, so
ist doch seine Verbindung mit den hellen Punkten und namentlich mit den
flottierenden Kettfäden, die dem Muster einen besonders weichen Charakter
verleihen, weder notwendig noch auch nur selbstverständlich. Sie beruht
vielmehr auf einer besonderen zeichnerischen Idee und ist geeignet, eine
eigenartige ästhetische Wirkung hervorzubringen. Der Einwand der mangelnden
Schutzfähigkeit des klägerischen Musters ist daher unbegründet.
3.- Es fragt sich somit im weiteren, ob das Dessin der Beklagten eine
Nachahmung des zu Gunsten der Klägerin geschützten Musters darstelle.
Das beanstandete Muster der Beklagten besteht aus zusammenhängenden Quadraten,
die in der Kettrichtung auf die Spitze gestellt sind. In der Grösse
entsprechen die Quadrate, in der Diagonale gemessen, dem Durchmesser der
Schuppen des klägerischen Musters. Auch sie weisen in der Mitte einen hellen
Punkt auf, und ihre Ränder sind ebenfalls erhöht. Dagegen fehlt der
flottierende Kettfaden. Zettel und Schuss sind sodann verschiedenfarbig; so
ist z. B. bei dem einzigen bei den Akten befindlichen Muster der Zettel braun
und der Schuss kupferrot. Diese Farbenverschiedenheit hat die Wirkung, dass
sich die Ränder der Quadrate hell vom wesentlich dunkleren Grund abheben.
Bei der Entscheidung darüber, ob eine Nachahmung vorliegt, gibt der
Gesamteindruck, den die zu vergleichenden Muster auf das Auge des Beschauers
ausüben, den Ausschlag Unterschiede, die nur bei sorgfältiger Vergleichung
feststellbar sind, schliessen eine Nachahmung nach der ausdrücklichen
Bestimmung von Art. 24 Ziffer 1 MMG nicht aus. Massgebend ist dabei das Urteil
der letzten Abnehmer der Waren (BGE 31 11 749).
Von dieser zutreffenden rechtlichen Grundlage geht auch die Vorinstanz aus und
kommt gestützt auf sie zum Schluss, dass bei Betrachtung der beiden Muster mit

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den Augen des Käufers gewisse Unterschiede sofort festgestellt werden müssen.
So falle auf den ersten Blick auf, dass das klägerische Muster wegen seiner
Einfarbigkeit und wegen seinen flottierenden Kettfäden viel weicher wirke als
das zweifarbige Muster der Beklagten. Als Zweites falle dem Beschauer auf,
dass das klägerische Muster aus Schuppen, das beklagtische aus Quadraten
bestehe die Rundungen der Schuppen seien für das klägerische Dessin in
ausgesprochenem Masse typisch.
Die Vorinstanz erblickt somit den Unterschied zwischen den beiden Mustern in
erster Linie in der verschiedenen Farbenwirkung. Sie hält dafür, dass die Ein-
bezw. Zweifarbigkeit mit zu berücksichtigen sei. Das ergebe sich aus Art. 2
MMG, der das gewerbliche Muster als eine äussere Formgebung, auch in
Verbindung mit Farben, umschreibe. Art. 24 Ziff. 1 MMG stehe dem nicht
entgegen; diese Bestimmung sage nur, dass der Unterschied in der Farbe allein,
bei gleicher Zeichnung, das Vorliegen einer Nachahmung nicht ausschliesse. Im
vorliegenden Falle werde aber mit der Verwendung von zwei Farben der
zeichnerische Gesamteindruck ein wesentlich anderer, und dieser Unterschied
müsse gemäss Art. 2 MMG berücksichtigt werden.
Dieser Auffassung kann nicht beigepflichtet werden. Eine blosse Farbänderung
kann unter keinen Umständen einen anderen zeichnerischen Gesamteindruck
hervorrufen. Sie vermag höchstens zu bewirken, dass das vorhandene Muster sich
mehr oder weniger stark vom Grunde abhebt. So tritt schon bei den von der
Klägerin vorgelegten 6 Mustern ihres Stoffes je nach der Farbe und dem
Lichteinfall die Schuppenzeichnung mehr oder weniger hervor. Beim roten und
rotbraunen Muster (Beilagen Muster 1 und 30) ist dies am wenigsten der Fall,
während sich beim resedagrünen (Nr. 11) und dann ganz besonders beim
hellgrau-bräunlichen (Nr. 40) Muster die Schuppenzeichnung mit den erhöhten
Rändern deutlich abhebt. Werden nun für Schuss und Zettel verschiedene Farben
gewählt,

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wie z. B. beim Muster der Beklagten, wo der Zettel braun und der Schuss
kupferrot ist, so tritt das Muster noch schärfer hervor. Infolgedessen
entsteht zwar ein etwas anderer Eindruck, selbst wenn an der Zeichnung selber
nichts geändert wird. Die Änderung der Farbe oder Farbverbindungen bringen
aber gegenüber dem ursprünglichen Muster keine neue zeichnerische Idee. Der
abweichende Eindruck ist lediglich die Folge der Farbänderung, die durch Art.
24 Ziff. 1 MMG ausdrücklich als ungeeignet erklärt wird, eine ausreichende
Verschiedenheit zu begründen.
Zur Prüfung der Verschiedenheit sind also die Muster einander so
gegenüberzustellen, wie wenn sie beide einfarbig wären. Es dürfen die
Verschiedenfarbigkeit von Zettel und Schuss und die darauf beruhenden
Wirkungen beim Vergleich überhaupt nicht berücksichtigt werden. Damit ist dem
angefochtenen Entscheid, der in erster Linie auf die hierauf zurückzuführende
Verschiedenheit des Eindrucks abstellt, der Boden entzogen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 77 II 372
Datum : 01. Januar 1951
Publiziert : 11. Dezember 1951
Quelle : Bundesgericht
Status : 77 II 372
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Musterschutz, Schutzfähigkeit, Nachahmung. Art. 2, 24 Ziff. 1 MMG. Voraussetzungen der...


Gesetzesregister
MMG: 2  24
BGE Register
77-II-372
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • farbe • schuss • vorinstanz • gesamteindruck • mass • weiler • charakter • zeichnung • voraussetzung • materielle neuheit • wiese • entscheid • gewebe • bedürfnis • begründung des entscheids • unternehmung • umfang • ausmass der baute • ware
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