S. 225 / Nr. 43 Erbrecht (d)

BGE 77 II 225

43. Urteil der II. Zivilabteilung vom 22. Oktober 1951 i. S. W. gegen W. und
Konsorten.


Seite: 225
Regeste:
Bäuerliches Er brecht, Art. 620 ff . ZGB. Verneinung der Eignung zum
Selbstbetrieb wegen moralischer Schwächen.
Droit successoral paysan. Art. 620 et suiv. CC. Négation de l'aptitude à se
charger de l'exploitation du domaine pour cause de faiblesse morale.
Diritto successorie rurale. Art. 620 e seg. CC. Idoneità ad assumere
l'esercizio negata per debolezze morali del richiedente.

A. - in der Erbschaft des Otto W. befindet sich ein landwirtschaftliches
Heimwesen mit einer Bodenfläche von etwas mehr als 7½ ha. Die Erben sind
darüber einig, dass die Liegenschaft zum Ertragswert von Fr. 79800.- einem
Erben zugewiesen werden soll. Zwei von ihnen erheben Anspruch darauf: der Sohn
Gustav und die verheiratete Tochter Mathilde. Die übrigen vier Miterben
unterstützen das Begehren der Tochter. Die kantonalen Gerichte haben ihr die
Liegenschaft zugewiesen und das Widerklagebegehren des Sohnes abgelehnt. Dem
Urteil des Obergerichtes vom 22. Juni 1951 ist zu entnehmen
Es ist anerkannt, dass Frau Mathilde X und deren Ehemann zur Führung eines
landwirtschaftlichen Betriebes fähig sind. Gustav W. macht jedoch sein
Vorrecht als Sohn nach Art. 621 ZGB geltend. Die - von den Klägern bestrittene
- berufliche Eignung ist ihm auf Grund des Zeugenbeweises gleichfalls
zuzuerkennen. Um seiner persönlichen Eigenschaften willen bietet er aber doch
nicht genügende Gewähr für eine gute Betriebsführung. Er wurde im Jahre 1949
der wiederholten widernatürlichen Unzucht (mit einem Minderjährigen und in
Ausnützung des Dienstverhältnisses mit Volljährigen) schuldig erklärt und mit
vier Monaten Gefängnis bestraft (unter Anrechnung der Untersuchungshaft und
mit bedingtem Aufschub des Restes). Nach dein damals eingeholten
psychiatrischen Gut -achten besteht eine angeborene Perversion. Der Beklagte
ist ein schizoider, weichlicher, infantiler Psychopath, der

Seite: 226
zur Homosexualität und zu neurotischen Reaktionen neigt. Ist zwar diese
Reaktionsweise behandlungsfähig, so doch nicht die konstitutionelle
Komponente. Als erschwerend können sich seine nicht sehr hochstehende
Intelligenz und seine Primitivität auswirken. Auch in Zukunft wird er mit
seiner abnormalen Veranlagung zu kämpfen haben. Er kann den Hof nicht allein
bearbeiten. Will er sich aber der Hilfe eines Knechtes bedienen, so besteht
Rückfallgefahr. Gewiss vermutet das Gutachten, das Strafverfahren dürfte den
überängstlichen Mann von seiner abnormalen Sexualbetätigung so abgeschreckt
haben, dass er die sich daraus ergebenden Hemmungen nicht leicht durchbrechen
würde. Allein die Gefahr eines Rückfalles ist bei seiner angeborenen Schwäche
doch erheblich. Er wird keinen Knecht halten können, und das muss sich auf die
Bewirtschaftung des Hofes nachteilig auswirken. Auf seine Behauptung, er werde
bei sich bietender Gelegenheit heiraten, ist kein Verlass. Er hat seinerzeit
ein Mädchen, mit dem er Beziehungen unterhalten, geschwängert, aber dennoch
nicht geheiratet. Nach dem Gutachten hat ihn dieses Erlebnis geradezu von den
Mädchen abgeschreckt.
B. - Mit vorliegender Berufung hält der Beklagte an seinem Widerklagebegehren
fest, das Heimwesen sei ihm zuzuteilen.
Das Bundesgericht zieht in Erwägung.'
Dem Obergericht ist darin beizustimmen, dass die berufliche Eignung, d. h. die
technische Fähigkeit, das Heimwesen zu bewirtschaften, nicht genügt, um einen
Bewerber im vollen Sinne als geeignet gemäss dem bäuerlichen Erbrecht
erscheinen zu lassen. Neigt er zu Unfleiss, Trunksucht oder zu grossem
Lebensaufwand, so kann ihm die Eignung trotz genügender beruflicher Befähigung
abgesprochen werden (vgl. BGE 75 II 31). Gleichermassen sind moralische
Schwächen dazu angetan, die Eignung in Frage zu stellen, sobald sie erhebliche
Zweifel darüber erwecken, ob das landwirtschaftliche Gewerbe auch wirklich auf
absehbare Dauer

Seite: 227
in gute Hände kommt. Unter diesem Gesichtspunkte darf gegenüber dem Beklagten
ein etwas strenger Masstab angelegt werden, da eine Erbin den Hof übernehmen
will, die mit ihrem Ehemann jede Gewähr für einen richtigen
landwirtschaftlichen Betrieb unter Ansiedlung einer Bauernfamilie bietet. Das
bäuerliche Erbrecht ist nicht nur, ja nicht einmal in erster Linie, im
Interesse des einzelnen Liegenschaftsübernehmers aufgestellt. Es soll dazu
dienen, dem Land einen tüchtigen, leistungsfähigen, bodenständigen Bauernstand
zu erhalten.
Die vom Obergericht mit Hinweis auf die vom Beklagten während Jahren
begangenen Verfehlungen mit Knechten und auf die bei Führung eines
landwirtschaftlichen Betriebes mit zum Teil fremden Kräften bestehende
Rückfallgefahr getroffene Entscheidung ist keineswegs rechtswidrig. Der
Beklagte bestreitet diese Beurteilung seiner Persönlichkeit und verlangt eine
neue Begutachtung. Doch durfte das Obergericht es bei der von ihm als
zuverlässig erachteten Begutachtung, wie sie im Strafverfahren durchgeführt
wurde, bewenden lassen. Es stand ihm auch zu, die im Gutachten enthaltene
optimistische Prognose mit Vorsicht aufzunehmen und daran die Vorbehalte zu
knüpfen, die der Erfahrung in andern derartigen Fällen entsprechen. Angesichts
dieser - für das Bundesgericht nach Art. 63 Abs. 2 OG verbindlichen -
Würdigung des Sachverhaltes ist der Schluss gerechtfertigt, dass der Beklagte
für die selbständige Übernahme dieses Betriebes nicht hinreichende Gewähr
bietet. Damit ist die Zuweisung an die andere Bewerberin, der gegenüber der
Beklagte an und für sich als Sohn das Vorrecht hätte, vollauf gerechtfertigt,
selbst wenn man die Bemerkung des Obergerichts, der Beklagte könnte gar keinen
Knecht halten, als übertrieben erachtet. Richtig ist jedenfalls, dass die
Rückfallgefahr bei solcher Betriebsführung nach dem Gesagten erheblich wäre,
und dass nach den einleuchtenden Ausführungen des Obergerichtes eben nicht auf
die behaupteten Heiratsabsichten abgestellt werden kann. Dem steht nicht
entgegen, dass sich der Beklagte

Seite: 228
allenfalls nur durch bestimmte Typen zu homosexuellen Handlungen verleiten
liess. Würde ihm das Heimwesen zugewiesen, so könnte er sehr wohl in
Versuchung kommen, gerade solche Typen anzustellen. Vollends kann den
Ausführungen der Berufungsschrift nicht gefolgt werden, die dahin gehen,
selbst Rückfälligkeit des Beklagten hätte auf die Bewirtschaftung des Hofes
keinen nachteiligen Einfluss. Einmal wäre mit einer Vernachlässigung der
Arbeit durch den Knecht zu rechnen, sobald dieser in den Fall käme, die
Schwäche seines Meisters auszunutzen, und zwar gleichgültig, ob er ihm
nachgäbe oder aber ihn abwiese. Und wenn die Sache ruchbar würde, hätte der
Beklagte eine längere unbedingte Gefängnisstrafe zu gewärtigen, wobei seine
Arbeitskraft dein Hof entzogen wäre, ganz abgesehen von den auch in
wirtschaftlicher Beziehung sich geltend machenden Folgen des schlechten Rufes.
Es liegt im wohlverstandenen Interesse des Beklagten selbst, die mit solcher
Betriebsführung verbundenen Versuchungen zu vermeiden; umsomehr ist die
Ablehnung seines Begehrens angezeigt.
Demnach erkennt das Bundesgericht:
Die Berufung wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 77 II 225
Datum : 01. Januar 1951
Publiziert : 22. Oktober 1951
Quelle : Bundesgericht
Status : 77 II 225
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Bäuerliches Er brecht, Art. 620 ff. ZGB. Verneinung der Eignung zum Selbstbetrieb wegen moralischer...


Gesetzesregister
OG: 63
ZGB: 620  621
BGE Register
75-II-30 • 77-II-225
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • landwirtschaftsbetrieb • bundesgericht • wille • erbe • richtigkeit • vorrecht • bäuerliches erbrecht • kind • dauer • wirkung • ehegatte • entscheid • arbeitnehmer • unternehmung • rückfall • lebensaufwand • zweifel • untersuchungshaft • frage
... Alle anzeigen