S. 82 / Nr. 15 Sozialversicherung (d)

BGE 77 I 82

15. Urteil vom 16. März 1951 i. S. Dunlop Pneumatik Cie. A.- G. gegen
Bundesamt für SoziaIversicherung.

Regeste:
Unfallversicherung: Handelsunternehmungen, die schwere Waren nur in geringen
Mengen lagern, unterliegen der obligatorischen Unfallversicherung auch dann
nicht, wenn sie sich zu deren Transport eines Aufzugs (Art. 17, Ziff. 2 VO I
zum KUVG) bedienen. «Schwere Waren»?
Assurance en cas d'accidents: Les entreprises commerciales qui ont dépôt des
marchandises pesantes en petite quantité seulement ne sont pas soumises à
l'assurance obligatoire, même

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si elles se servent d'un ascenseur pour le transport de ces marchandises (art.
17 ch. 2 ordonnance I sur l'assurance-accidents). Notion des marchandises
pesantes «.
Assicurazione contro gl'infortuni: Le imprese commerciali che tengono in
deposito delle merci pesanti soltanto in piccola quantità non sono sottoposte
all assicurazione obbligatoria, anche se si servono di un ascensore pel
trasporto di queste merci (art. 17 cifra 2 dell'ordinanza I sull'assicurazione
contro gl'infortuni). Nozione di «merci pesanti».

A. - Die Beschwerdeführerin befasst sich mit dem Vertrieb der Erzeugnisse des
Dunlop-Konzerns, insbesondere der Dunlop-Gummireifen für Automobile,
Motorräder und Fahrräder und einiger anderer Artikel, u. a. von
Schwammgummimatratzen, Tennisbällen, Tennisschuhen, Tennisraketts und
Gummischläuchen.
Ihr Sitz befand sich zunächst in Basel. 1931 wurde er nach Genf verlegt, 1949
nach Zürich. Die Unternehmung bezog in dem Geschäftshause Beckenhofstrasse 6
in Zürich ausgedehnte Räumlichkeiten und hat darin ihre Büros wie auch ihr
Lager untergebracht. In den Büros in Zürich werden (Geschäftsleitung
inbegriffen) 28 Personen beschäftigt, dazu kommen 6 Reisende, von denen 3 in
Zürich und je einer in Basel, Bern und Lausanne stationiert sind. Das Lager in
Zürich wird von 7 Arbeitern bedient. Der Betrieb in Genf wird als Filiale
weitergeführt mit 2 Büroangestellten und 2 Arbeitern.
Mit Verfügung vom 11. Februar 1949 hatte die Schweizerische
Unfallversicherungsanstalt in Luzern (SUVAL) den damals in Genf bestehenden
Betrieb der obligatorischen Unfallversicherung unterstellt unter Beschränkung
auf die Lager. Sie stützte sich dabei auf Art. 17 Ziff. 2 VO I zum KUVG. Das
Büro und die Reissenden wurden von der Unterstellung ausgenommen.
Anlässlich der Verlegung des Sitzes nach Zürich hat die SUVAL die
Versicherungspflicht der Unternehmung einer neuen Prüfung unterworfen, und sie
hat, mit Verfügung vom 31. Dezember 1949, den Lager- und den Handels betrieb
der Beschwerdeführerin für Pneus, Velo- Motorrad- und -Autozubehör,
Sportartikel und Schuhwaren

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in Zürich und die Büros in Zürich und Genf sowie den Reisedienst mit Wirkung
vom 1. Januar 1950 an der obligatorischen Unfallversicherung unterstellt. Das
Bundesamt für Sozialversicherung hat die Unterstellung mit Rekursentscheid vom
25. August 1950 unter Berufung auf Art. 17 Ziff. 2 und Art. 4 der VO I zum
KUVG bestätigt. Zur Begründung wird im wesentlichen ausgeführt, die Firma
halte in Zürich und Genf ein umfangreiches Lager, insbesondere in Pneus. Pneus
bis zum Gewichte von 70 und 50 kg seien als schwere Waren im Sinne der
Verordnung anzusehen; sodann werde zur Beförderung der gelagerten Waren ein
Aufzug verwendet. Dass der Aufzug mit zeitgemässen Sicherungen versehen sei,
sei nicht geeignet, eine Ausnahme von der Versicherungspflicht zu begründen.
Die Versicherungspflicht erfasse die ganze Unternehmung, auch den Büro- und
den Reisedienst, da der Nachweis nicht erbracht sei, dass die in diesen
Betriebsteilen beschäftigten Personen mit der Gefahr, wegen der der Betrieb
der Versicherung unterstellt sei, in keinerlei Berührung kämen.
B. - Gegen diesen Entscheid richtet sich die Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit
dem Antrag, ihn aufzuheben und den gesamten Betrieb der Beschwerdeführerin in
Zürich als nicht unterstellungspflichtig zu erklären, eventuell der
Versicherungspflicht nur die im Lager und Magazin beschäftigten Arbeiter zu
unterstellen.
C. - Das Bundesamt für Sozialversicherung beantragt Abweisung der Beschwerde.
Zur Begründung wird im wesentlichen ausgeführt, die Unterstellung des
Betriebes der Beschwerdeführerin entspreche der bisherigen Praxis. Art. 17
Ziff. 2 mache keinen Unterschied zwischen gefährlichen und weniger
gefährlichen Transporteinrichtungen, zudem seien auch die in Ballen von 45 kg
und mehr verpackten Velopneus als schwere Waren anzusehen. Die Befreiung nach
Art. 6 VO I könne nur dort stattfinden, wo die dafür aufgestellten
Voraussetzungen erfüllt seien, was hier nicht der Fall sei.

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D. - Der Betrieb der Beschwerdeführerin in Zürich ist durch die
bundesgerichtliche Instruktionskommission besichtigt worden. Den Parteien
wurde Gelegenheit gegeben, den Sachverhalt zu erläutern.
Es wurde festgestellt, dass die Geschäftsräume der Beschwerdeführerin im
Gebäude Beckenhofstrasse in Zürich auf drei Stockwerke (I. Stock, Erdgeschoss
und Keller) verteilt sind. Im ersten Stock befinden sich die Büros.
Das Erdgeschoss umfasst den Speditionsdienst - mit direkter Zufahrt von der
Strasse her - sowie einen Teil des Lagers. Das übrige Lager - hauptsächlich
Velo- und Autopneus - ist in den Kellerräumen untergebracht. Diese sind mit
Gestellen zur Aufnahme der zu lagernden Waren ausgestattet. Die Veloreifen in
Paketen von ca. 50 kg können beim Transport gerollt werden. Die Autoreifen
werden einzeln gelagert und transportiert und dabei ebenfalls gerollt. Die
Reifen für Personenautos Wiegen etwa 6 bis 15 kg, Lastwagenreifen mehr; die
schwersten, von denen zur Zeit der Besichtigung 2 Stück auf Lager waren, ca.
60 kg, weniger grosse 50 kg und weniger. Die Gestelle für die grossen Reifen
weisen 2 Abteilungen auf, die obere liegt auf einer Höhe von etwa 1 m 45 cm.
Die Höhe des Soussols beträgt 2 m 50 cm. Die Reifen sind in den Gestellen
einer neben dem andern aufgestellt. Die Schweren Reifen kommen immer einzeln
an, die Reifen für Personenwagen gelegentlich in Bünden bis zu 5 Stück mit
einem Maximalgewicht von 50 kg. Traktorenreifen höheren Gewichts als 60 kg
kommen nicht ins Lager, sondern werden den Bestellern direkt von der Fabrik
geliefert.
Der Keller ist mit dem Erdgeschoss durch einen Warenaufzug Marke Gebauer für
500 kg Nutzlast verbunden. Der Aufzug ist mit Türen versehen; er hat einen
Holzboden und auf 3 Seiten vollständig abschliessende Eisenblechwände; auch
die Decke ist verkleidet. Die Laufbahn beträgt 2,5 m.
Das Bundesgericht hat die Unterstellung aufgehoben

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in Erwägung:
1.- Es ist unbestritten, dass bei der Beschwerdeführerin, als einer
Handelsunternehmung, eine Unterstellung unter die obligatorische
Unfallversicherung nur auf Art. 17 Ziff. 2 der VO I gestützt werden könnte.
Danach fallen unter die Versicherung die Handelsunternehmungen, die schwere
Waren, wie Kohle. Holz, Metalle und Fabrikate aus solchen, oder Baumaterialien
in grossen Mengen lagern und sich zu deren Transport maschineller Einrichtung,
wie Aufzüge, Kranen, Elevatoren und dergleichen bedienen. Die Anordnung beruht
auf Art. 60bis Ziff. 1 lit. c des Gesetzes. womit der Bundesrat ermächtigt
worden ist, die Versicherung anwendbar zu erklären auf «...
Handelsunternehmungen. die mit betriebsgefährlichen Maschinen oder
Einrichtungen... arbeiten».
Handelsunternehmungen unterliegen der obligatorischen Unfallversicherung nicht
allgemein, sondern nur dann, wenn bei ihnen Voraussetzungen vorliegen. die
eine besondere Betriebsgefahr begründen. Nach dem Wortlaute des Gesetzes läge
das Erfordernis hier in der Verwendung betriebsgefährlicher Maschinen und
Einrichtungen - Die Verordnung bezeichnet als Einrichtungen, die in Betracht
fallen. «Aufzüge. Kranen, Elevatoren und dergleichen». Ob diese Anordnung
dahin zu verstellen ist, dass die Verwendung solcher Einrichtungen die
Unterstellung in allen Fällen nach sich ziehen soll, wo die übrigen
Voraussetzungen der Verordnung zutreffen. oder ob die Unterstellung auf die
Fälle beschränkt ist. wo die Verwendung jener Einrichtungen gewisse Verfahren
bedingt, kann dahingestellt bleiben. Denn hier lässt sich die Unterstellung
schon deshalb nicht aufrecht erhalten. weil mindestens eine der weitem
Voraussetzungen nicht erfüllt ist.
2.- Die angefochtene Verfügung beschränkt sich auf die Feststellung, dass die
von der Beschwerdeführerin eingelagerten Artikel als schwere Waren im Sinne
der Verordnung zu charakterisieren seien und dass zu deren Transport

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ein Aufzug verwendet werde. Die Verordnung sieht die Unterstellung aber nur
vor bei Unternehmungen, die schwere Waren «in grossen Mengen» lagern.
Der Augenschein und die dabei vorgenommenen Demonstrationen haben eindeutig
ergeben, dass - wenn überhaupt - höchstens die von der Beschwerdeführerin
gelagerten Lastwagenpneus als schwere Waren im Sinne der Verordnung in Frage
kommen könnten: Die im Erdgeschoss untergebrachten Waren fallen für die Frage
der Unterstellung nach Massgabe von Art. 17 Ziff. 2 VO I von vornherein
deshalb ausser Betracht, weil sie vom Lager direkt verladen werden, der Aufzug
für ihren Transport überhaupt nicht verwendet wird.
Bei den in den Kellerräumen untergebrachten Waren, bei deren Transport der
Aufzug benützt wird, stellt sich die Frage einer Charakterisierung als schwere
Waren nur für die verschiedenen Arten von Gummireifen. Die Veloreifen, die in
Paketen von ca. 50 kg in das Lager gebracht werden, erscheinen für den
Transport innerhalb des Lagers schon deshalb nicht als «schwere Waren», weil
die Pakete im Lager nicht gehoben werden, sondern praktisch ohne wesentlichen
Kraftaufwand - gerollt werden können. Die Pneus für Personenautomobile im
Einzelgewichte von 6 bis 15 kg sind keine schweren Waren im Sinne der
Verordnung. Soweit sie in Bünden bis zu 50 kg ankommen, liegen die
Verhältnisse gleich wie bei den Paketen von Veloreifen. Das Nämliche gilt für
die Lastwagenpneus kleineren und mittleren Kalibers, soweit bei ihnen nach
ihrem Gewichte eine Charakterisierung als schwere Waren im Sinne der
Verordnung allenfalls denkbar wäre.
Die grossen Lastwagenreifen (Maximalgewicht 60 kg), die unter Umständen als
«schwere Waren» in Betracht fallen könnten, werden in den Lagerräumen der
Beschwerde -führerin nur in geringen Mengen gehalten. Beim Augenschein finden
sich nur 2 solcher Reifen im Lager vor. Die Organe der Beschwerdeführerin
erklärten allerdings, dass die eingelagerten Vorräte damals infolge grosser
Nachfrage

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ungewöhnlich zurückgegangen waren. Doch wird angegeben, dass bei normalem
Lagerbestand die Vorräte an Lastwagenpneus etwa 5% der Autoreifen ausmachen.
Die schweren Reifen bilden aber nur einen Bruchteil sämtlicher
Lastwagenreifen. Die Einrichtung des Lagers und der darin angebrachten
Gestelle lässt darauf schliessen, dass diese Angaben der Wirklichkeit
entsprechen.
Werden aber in dem Lager schwere Waren im Sinne der Verordnung nicht in
grossen Mengen gehalten, so ist das Begehren auf Aufhebung der Unterstellung
des zürcherischen Geschäftsbetriebes der Beschwerdeführerin begründet. Die
Frage, ob der kaufmännische Teil des Geschäftsbetriebes in die Unterstellung
einzubeziehen wäre, ist gegenstandslos.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 77 I 82
Datum : 01. Januar 1951
Publiziert : 16. März 1951
Quelle : Bundesgericht
Status : 77 I 82
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : Unfallversicherung: Handelsunternehmungen, die schwere Waren nur in geringen Mengen lagern...


BGE Register
77-I-82
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