S. 235 / Nr. 38 Registersachen (d)

BGE 77 I 235

38. Urteil der 11. Zivilabteilung vom 25. Oktober 1951 i. S. Bürki gegen
Regierungsrat des Kantons Solothurn.

Regeste:
Verweigerung der Eheverkündung wegen Eheunfähigkeit (Art. 107
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 107 - Ein Ehegatte kann verlangen, dass die Ehe für ungültig erklärt wird, wenn er:
1  bei der Trauung aus einem vorübergehenden Grund nicht urteilsfähig war;
2  sich aus Irrtum hat trauen lassen, sei es, dass er die Ehe selbst oder die Trauung mit der betreffenden Person nicht gewollt hat;
3  die Ehe geschlossen hat, weil er über wesentliche persönliche Eigenschaften des anderen absichtlich getäuscht worden ist;
4  ...
und 97 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 97 - 1 Die Ehe wird nach dem Vorbereitungsverfahren vor der Zivilstandsbeamtin oder dem Zivilstandsbeamten geschlossen.
1    Die Ehe wird nach dem Vorbereitungsverfahren vor der Zivilstandsbeamtin oder dem Zivilstandsbeamten geschlossen.
2    Die Verlobten können sich im Zivilstandskreis ihrer Wahl trauen lassen.
3    Eine religiöse Eheschliessung darf vor der Ziviltrauung nicht durchgeführt werden.

ZGB). Voraussetzungen. Bedeutung des Urteils, durch das eine frühere Ehe eines
Verlobten wegen Urteilsunfähigkeit (Art. 120 Ziff. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 120 - 1 Für die güterrechtliche Auseinandersetzung gelten die Bestimmungen über das Güterrecht.
1    Für die güterrechtliche Auseinandersetzung gelten die Bestimmungen über das Güterrecht.
2    Geschiedene Ehegatten haben zueinander kein gesetzliches Erbrecht.198
3    Unter Vorbehalt einer abweichenden Anordnung können Ehegatten keine Ansprüche aus Verfügungen von Todes wegen erheben:
1  nach der Scheidung;
2  nach dem Tod eines Ehegatten während eines Scheidungsverfahrens, das den Verlust des Pflichtteilsanspruchs des überlebenden Ehegatten bewirkt.199
ZGB) als nichtig erklärt
wurde, und der diesem Urteil zugrunde liegenden Gutachten.
Refus de publication de la promesse de mariage pour cause d'incapacité de
contracter mariage (art. 107 et 97 al. 1 CC). Importance du jugement en vertu
du quel un précédent mariage do l'un des fiancés a été déclaré nul pour cause
d'incapacité de discernement (art. 120 ch. 2 CC) et importance des rapports
d'expertise sur la base desquels ledit jugement a été rendu.
Rifiuta della pubblicazione a motivo d'incapacità di contrarre matrimonio
(art. 107 e 97 cp. 1 CC). Presupposti. Importanza d'una sentenza con la quale
un precedente matrimonio d'uno dei fidanzati ô stato dichiarato nullo per
mancanza di discernimento (art. 120, cifra 2, CC), e valore delle perizie
sulle quali poggia detta sentenza.

Der am 9. November 1908 geborene Beschwerdeführer Willi Bürki war dreimal
verheiratet. Die beiden ersten Ehen wurden geschieden, die dritte auf Klage
der Ehefrau

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durch Urteil des Amtsgerichtes Burgdorf vom 6. April 1949 gemäss Art. 120
Ziff. 2
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 120 - 1 Für die güterrechtliche Auseinandersetzung gelten die Bestimmungen über das Güterrecht.
1    Für die güterrechtliche Auseinandersetzung gelten die Bestimmungen über das Güterrecht.
2    Geschiedene Ehegatten haben zueinander kein gesetzliches Erbrecht.198
3    Unter Vorbehalt einer abweichenden Anordnung können Ehegatten keine Ansprüche aus Verfügungen von Todes wegen erheben:
1  nach der Scheidung;
2  nach dem Tod eines Ehegatten während eines Scheidungsverfahrens, das den Verlust des Pflichtteilsanspruchs des überlebenden Ehegatten bewirkt.199
ZGB nichtig erklärt. Dieses Urteil stützt sich auf ein Gutachten des
Direktors der Heil- und Pflegeanstalt Rosegg vom 17. Oktober 1946 und ein
Ergänzungsgutachten desselben Experten vom 10. Februar 1949. Im Hauptgutachten
wurde festgestellt. Bürki sei infolge zweier in den Jahren 1933 und 1935
erlitt euer Schädelverletzungen und der dadurch bewirkten dauernden
Hirnschädigung ausserstande, seine Situation richtig einzuschätzen, und wegen
der auf diese Schädigung zurückzuführenden erhöhten Reizbarkeit und
Impulsivität vor allem nicht immer in der Lage, seiner Erkenntnis gemäss zu
handeln. Das Ergänzungsgutachten, das sich u. a. auch auf die Beobachtungen
bei einer Begutachtung zuhanden des Strafrichters vom August 1948 stützte, kam
zum Schlusse, Bürki müsse als eheunfähig bezeichnet werden, weil er teils
wegen seiner Urteilsschwäche die Pflichten und Aufgaben, welche eine Ehe als
Lebensgemeinschaft mit sich bringt, nur ungenügend erkennen kann, teils weil
er infolge seiner krankhaft gesteigerten Reizbarkeit nicht mehr gemäss seiner
schon an und für sich reduzierten Erkenntnis zu handeln vermag».
Im Jahre 1950 verlobte sich Bürki mit Rosa Affolter. Das Zivilstandsamt von
Biberist verweigerte mit Entscheid vom 23. April 1951 die Verkündung des
Eheversprechens unter Hinweis auf Art. 97 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 97 - 1 Die Ehe wird nach dem Vorbereitungsverfahren vor der Zivilstandsbeamtin oder dem Zivilstandsbeamten geschlossen.
1    Die Ehe wird nach dem Vorbereitungsverfahren vor der Zivilstandsbeamtin oder dem Zivilstandsbeamten geschlossen.
2    Die Verlobten können sich im Zivilstandskreis ihrer Wahl trauen lassen.
3    Eine religiöse Eheschliessung darf vor der Ziviltrauung nicht durchgeführt werden.
ZGB. Die Beschwerde, die
Bürki hiegegen führte, wurde vom Regierungsrat des Kantons Solothurn am 15.
Mai 1951 abgewiesen.
Das Bundesgericht als Verwaltungsgericht (Art. 99 I lit. c OG) weist die
Beschwerde Bürkis gegen diesen Entscheid ab.
Begründung:
1.- (Prozessuales).
2.- Nach Art. 107
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 107 - Ein Ehegatte kann verlangen, dass die Ehe für ungültig erklärt wird, wenn er:
1  bei der Trauung aus einem vorübergehenden Grund nicht urteilsfähig war;
2  sich aus Irrtum hat trauen lassen, sei es, dass er die Ehe selbst oder die Trauung mit der betreffenden Person nicht gewollt hat;
3  die Ehe geschlossen hat, weil er über wesentliche persönliche Eigenschaften des anderen absichtlich getäuscht worden ist;
4  ...
ZGB wird die Verkündung verweigert, «wenn... eines der
Verlobten nicht ehefähig

Seite: 237
ist...». Diese Bestimmung ist nach BGE 73 I 170 nur anzuwenden, wenn die
Eheunfähigkeit als liquid erscheint.
Entgegen der Auffassung des Zivilstandsamtes hat der Umstand, dass die dritte
Ehe des Beschwerdeführers nichtig erklärt wurde, nicht zur Folge. dass der
Beschwerdeführer keine neue Ehe eingehen kann, bevor er durch ein neues
Gerichtsurteil wieder als urteilsfähig erklärt wird. Durch das Urteil vom 6.
April 1949 wird nur die Nichtigkeit der damals aufgelösten Ehe, nicht auch die
dabei vorausgesetzt e Urteilsunfähigkeit rechtskräftig festgestellt. Wird nach
der Nichtigerklärung einer frühern Ehe ein neues Verkündgesuch gestellt, so
hat der Zivilstandsbeamte selbständig zu prüfen, ob dem betreffenden Verlobten
die Ehefähigkeit abzusprechen sei oder nicht. Er darf dabei nicht etwa dem
Gesuchsteller den Beweis für die von ihm behauptete Ehefähigkeit auferlegen.
Vielmehr hat er den Mangel dieser Fähigkeit nachzuweisen.
Das will aber nicht heissen, dass dem Nichtigkeitsurteil und den ihm zugrunde
liegenden Gutachten überhaupt keine Bedeutung zukomme, sondern sie durften bei
der Beurteilung der entscheidenden Frage, ob der Beschwerdeführer heute
urteilsunfähig und daher gemäss Art. 97 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 97 - 1 Die Ehe wird nach dem Vorbereitungsverfahren vor der Zivilstandsbeamtin oder dem Zivilstandsbeamten geschlossen.
1    Die Ehe wird nach dem Vorbereitungsverfahren vor der Zivilstandsbeamtin oder dem Zivilstandsbeamten geschlossen.
2    Die Verlobten können sich im Zivilstandskreis ihrer Wahl trauen lassen.
3    Eine religiöse Eheschliessung darf vor der Ziviltrauung nicht durchgeführt werden.
ZGB nicht ehefähig sei, als
Beweismittel verwendet werden (vgl. BGE 56 II 162, wo Entsprechendes zur Frage
des Nachweises der Testierunfähigkeit mit Hilfe eines gegen den Erblasser
ergangenen Entmündigungsentscheides ausgeführt worden ist). Aus den Erwägungen
der Vorinstanz ergibt sich, dass sie das erwähnte Urteil und die Gutachten im
Gegensatz zum Zivilstandsamte nur in diesem Sinne berücksichtigt hat.
Die Annahme der Vorinstanz, dass die beiden Gutachten den Mangel der nach Art.
97 Abs. 1
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 97 - 1 Die Ehe wird nach dem Vorbereitungsverfahren vor der Zivilstandsbeamtin oder dem Zivilstandsbeamten geschlossen.
1    Die Ehe wird nach dem Vorbereitungsverfahren vor der Zivilstandsbeamtin oder dem Zivilstandsbeamten geschlossen.
2    Die Verlobten können sich im Zivilstandskreis ihrer Wahl trauen lassen.
3    Eine religiöse Eheschliessung darf vor der Ziviltrauung nicht durchgeführt werden.
ZGB erforderlichen Urteilsfähigkeit schlüssig dartun, ist nicht
bundesrechtswidrig. Den Schlussfolgerungen des Experten liegt nicht etwa eine
unrichtige Auffassung vom Begriff der Urteilsfähigkeit zugrunde. Namentlich
aus dem

Seite: 238
Ergänzungsgutachten geht deutlich hervor, dass der Experte unter der
Urteilsfähigkeit im Sinne von Art. 97 Abs. 1 in zutreffender Weise die
Fähigkeit verstanden hat, das Wesen der Ehe in allgemeinen lind die daraus
sich ergebenden Pflichten zu erkennen und gemäss dieser Einsicht zu handeln.
Es ist aber auch nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz die vorliegenden
Gutachten als heute noch massgebend betrachtete. Der Beschwerdeführer
behauptet zwar, sie wäre verpflichtet gewesen, seinem Antrag auf Anordnung
einer neuen Expertise Folge zu geben, da das Hauptgutachten vor 5 und das
Ergänzungsgutachten vor 2 Jahren abgegeben worden sei und sein behandelnder
Arzt, ein Spezialarzt für Nerven- und Gemütskrankheiten, ihm am 17. November
1950 das Zeugnis ausgestellt habe, er lebe seit über einem Jahre
alkoholabstinent, arbeite regelmässig und habe sich auch sonst gesundheitlich
so gut erholt, dass seiner Verheiratung mit Fräulein Affolter ärztlicherseits
nichts im Wege stehe. Aus beiden Gutachten folgt jedoch, dass die beim
Beschwerdeführer festgestellte Beeinträchtigung der psychischen Fähigkeiten
dauernder Natur ist. Schon im ersten Gutachten sagte der Experte, eine
wesentliche Besserung sei nicht zu erwarten, und im zweiten erklärte er, die
im August 1948, also zwei Jahre später vorgenommene Untersuchung des
Beschwerdeführers habe nicht nur keine Besserung, sondern eine
Verschlechterung seines Zustandes erkennen lassen. Dafür, dass diese
Feststellungen überholt oder die darauf gegründete Prognose falsch wären,
fehlt jeder Anhaltspunkt. Dass der Beschwerdeführer entgegen der Empfehlung
des Experten nicht entmündigt worden ist, hat nichts zu besagen, da die
Eheunfähigkeit nicht notwendigerweise einen Zustand voraussetzt, der einer
Entmündigung ruft, ganz abgesehen davon, dass diese zu Unrecht unterblieben
sein kann. Das vom Beschwerdeführer beigebrachte ärztliche Zeugnis spricht
sich mit keinem Worte über seine Urteilsfähigkeit aus und ist schon darum
nicht geeignet, die Notwendigkeit einer neuen Begutachtung darzutun.

Seite: 239
Unter diesen Umständen lässt sich nicht mit Grund sagen, der angefochtene
Entscheid beruhe auf einer unrichtigen oder unvollständigen Feststellung des
Sachverhaltes (Art. 105
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 97 - 1 Die Ehe wird nach dem Vorbereitungsverfahren vor der Zivilstandsbeamtin oder dem Zivilstandsbeamten geschlossen.
1    Die Ehe wird nach dem Vorbereitungsverfahren vor der Zivilstandsbeamtin oder dem Zivilstandsbeamten geschlossen.
2    Die Verlobten können sich im Zivilstandskreis ihrer Wahl trauen lassen.
3    Eine religiöse Eheschliessung darf vor der Ziviltrauung nicht durchgeführt werden.
OG). Vielmehr durfte die Vorinstanz davon ausgehen,
dass die Eheunfähigkeit des Beschwerdeführers liquid sei.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 77 I 235
Datum : 01. Januar 1951
Publiziert : 25. Oktober 1951
Quelle : Bundesgericht
Status : 77 I 235
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : Verweigerung der Eheverkündung wegen Eheunfähigkeit (Art. 107 und 97 Abs. 1 ZGB). Voraussetzungen...


Gesetzesregister
OG: 105
ZGB: 97 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 97 - 1 Die Ehe wird nach dem Vorbereitungsverfahren vor der Zivilstandsbeamtin oder dem Zivilstandsbeamten geschlossen.
1    Die Ehe wird nach dem Vorbereitungsverfahren vor der Zivilstandsbeamtin oder dem Zivilstandsbeamten geschlossen.
2    Die Verlobten können sich im Zivilstandskreis ihrer Wahl trauen lassen.
3    Eine religiöse Eheschliessung darf vor der Ziviltrauung nicht durchgeführt werden.
107 
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 107 - Ein Ehegatte kann verlangen, dass die Ehe für ungültig erklärt wird, wenn er:
1  bei der Trauung aus einem vorübergehenden Grund nicht urteilsfähig war;
2  sich aus Irrtum hat trauen lassen, sei es, dass er die Ehe selbst oder die Trauung mit der betreffenden Person nicht gewollt hat;
3  die Ehe geschlossen hat, weil er über wesentliche persönliche Eigenschaften des anderen absichtlich getäuscht worden ist;
4  ...
120
SR 210 Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907
ZGB Art. 120 - 1 Für die güterrechtliche Auseinandersetzung gelten die Bestimmungen über das Güterrecht.
1    Für die güterrechtliche Auseinandersetzung gelten die Bestimmungen über das Güterrecht.
2    Geschiedene Ehegatten haben zueinander kein gesetzliches Erbrecht.198
3    Unter Vorbehalt einer abweichenden Anordnung können Ehegatten keine Ansprüche aus Verfügungen von Todes wegen erheben:
1  nach der Scheidung;
2  nach dem Tod eines Ehegatten während eines Scheidungsverfahrens, das den Verlust des Pflichtteilsanspruchs des überlebenden Ehegatten bewirkt.199
BGE Register
56-II-159 • 73-I-167 • 77-I-235
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
ehe • nichtigkeit • vorinstanz • entscheid • regierungsrat • frage • weiler • richtigkeit • urteilsfähigkeit • ehegatte • verlobung • solothurn • examinator • begründung des entscheids • sachverständiger • beweismittel • erblasser • prognose • leben • wille
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