BGE 76 IV 25
6. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 20. Januar 1950 i. s.
Pianzola gegen W. und Konsorten.
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Regeste:
Art. 32
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 32 - Stellt eine antragsberechtigte Person gegen einen an der Tat Beteiligten Strafantrag, so sind alle Beteiligten zu verfolgen. |
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 173 - 1. Wer jemanden bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt, |
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1 | Wer jemanden bei einem andern eines unehrenhaften Verhaltens oder anderer Tatsachen, die geeignet sind, seinen Ruf zu schädigen, beschuldigt oder verdächtigt, |
2 | Beweist der Beschuldigte, dass die von ihm vorgebrachte oder weiterverbreitete Äusserung der Wahrheit entspricht, oder dass er ernsthafte Gründe hatte, sie in guten Treuen für wahr zu halten, so ist er nicht strafbar. |
3 | Der Beschuldigte wird zum Beweis nicht zugelassen und ist strafbar für Äusserungen, die ohne Wahrung öffentlicher Interessen oder sonst wie ohne begründete Veranlassung, vorwiegend in der Absicht vorgebracht oder verbreitet werden, jemandem Übles vorzuwerfen, insbesondere, wenn sich die Äusserungen auf das Privat- oder Familienleben beziehen. |
4 | Nimmt der Täter seine Äusserung als unwahr zurück, so kann er milder bestraft oder ganz von Strafe befreit werden. |
5 | Hat der Beschuldigte den Wahrheitsbeweis nicht erbracht oder sind seine Äusserungen unwahr oder nimmt der Beschuldigte sie zurück, so hat das Gericht dies im Urteil oder in einer andern Urkunde festzustellen. |
in einem Bericht an die vorgesetzte Behörde jemanden eines unehrenhaften
Verhaltens beschuldigt oder verdächtigt, auf die Amtspflicht berufen?
Art. 32 et 173 CP. Conditions aux quelles le policier qui, dans un rapport à
ses supérieurs, accuse ou soupçonne un tiers d'une conduite contraire à
l'honneur, peut se retrancher derrière un devoir de fonction.
Art. 32 e 173 CP. Condizioni, alle quali l'agente di polizia, che in un
rapporto ai suoi superiori accusa o sospetta un terzo d'una condotta contraria
all'onore, può invocare un dovere della sua funzione.
Aus dem Tatbestand:
Die Eheleute W., Inhaber eines Hotels, hatten für eine Sommersaison die
verheiratete Italienerin M. als Küchenmädchen angestellt. Ein Gesuch um
Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung für Frau M. veranlasste das kantonale
Fremdenbureau, durch den Landjäger Pianzola Erhebungen vornehmen zu lassen. In
seinen Berichten griff dieser Frau M. und die Eheleute W. in ihrer Ehre an.
Er warf den beiden Frauen unerlaubte Beziehungen mit Männern vor und meldete,
es sei von einem Bordellbetrieb die Rede. Das Kantonsgericht Wallis
verurteilte ihn deshalb am. 22. September 1949 wegen übler Nachrede zu einer
Busse von Fr. 20.-; auch verpflichtete es ihn, die Eheleute W. mit Fr. 30.-
und Frau M. mit Fr. 20.- zu entschädigen.
Der Kassationshof weist die Nichtigkeitsbeschwerde des Verurteilten ab.
Aus den Erwägungen:
4.- Der Polizist, von welchem die vorgesetzte Behörde in einem bestimmten
Falle einen Bericht verlangt, ist kraft seiner Amtspflicht gehalten, der
Behörde nach Möglichkeit alles zu melden, was er über den Gegenstand des
Auftrages in Erfahrung bringen kann. Seine Aufgabe kann unter
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Umständen auch Mitteilungen erfordern, welche dem Rufe einer Person abträglich
sind. Stellen sich solche Äusserungen nachträglich als unwahr heraus, so sind
sie dennoch nicht als üble Nachrede strafbar, sofern die Amtspflicht sie
geboten hat (Art. 32
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 32 - Stellt eine antragsberechtigte Person gegen einen an der Tat Beteiligten Strafantrag, so sind alle Beteiligten zu verfolgen. |
des Polizisten nicht jede ehrverletzende Beschuldigung oder Verdächtigung
deckt, die er in seinen Rapporten ausspricht. Der Polizist handelt
pflichtgemäss nur, wenn seine ehrenrührigen Behauptungen sich im Rahmen seines
Auftrages halten und wenn er sie nicht leichtfertig aufstellt. Wie derjenige,
welcher sich auf Wahrung berechtigter Interessen berufen will (BGE 73 IV 16
und Zitate), so muss auch der Polizist gewissenhaft alles ihm Zumutbare
unternommen haben, um sich von der Richtigkeit dessen, was er meldet, zu
überzeugen. Immerhin ist es im allgemeinen nicht seine Aufgabe, den
Sachverhalt wie ein Richter abzuklären; er hat sich gewöhnlich auf vorläufige
Ermittlungen zu beschränken. Seiner Tätigkeit sind daher nicht zu enge Grenzen
zu ziehen. Er darf in seinen Rapporten auch darauf hinweisen, dass jemand
etwas für einen Dritten Ehrenrühriges behauptet, wenn dies für die Oberbehörde
von Bedeutung sein kann; er macht sich dadurch auch dann nicht strafbar, wenn
die Behauptung sich in der Folge nicht bewahrheitet. Er darf auch Gerüchte
melden, wenn sie als wesentlich erscheinen; Sache der Vorgesetzten ist es
dann, darüber zu entscheiden, ob den Gerüchten weiter nachzugehen sei. Im
Rapport des Polizisten muss aber zum Ausdruck kommen, dass es sich bloss um
Gerüchte handelt.
Selbst wenn anzunehmen wäre, der Beschwerdeführer habe seine Aufgabe dahin
verstehen dürfen, dass er dem kantonalen Fremdenbureau auch über Benehmen und
Leumund der Frau M. und der Eheleute W. Bericht zu erstatten habe, so wäre er
doch jedenfalls in seinen Meldungen über das Zulässige weit hinausgegangen. Er
hat freilich zum Teil von blossen Gerüchten über ein unehrenhaftes Verhalten
der Kläger gesprochen, diese aber zum Teil auch positiv
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eines solchen Verhaltens bezichtigt. SO hat er Frau M. beschuldigt, sie sei
mehr Amüsierdame als Küchenmädchen, und auch der Frau W. hat er einen
unsittlichen Lebenswandel vorgeworfen. Für die Richtigkeit dieser seiner
eigenen Behauptungen hatte er jedoch nicht genügend Anhaltspunkte; stellt doch
die Vorinstanz fest, die von ihm angerufenen Zeugen hätten «eher das
Gegenteil» ausgesagt. Aber auch seine Darstellung über die umgehenden Gerüchte
hat sich als stark übertrieben herausgestellt. Seine Behauptungen, dass davon
die Rede gewesen sei, im 1. Stock des Hotels gehe es bunt zu, man habe es mit
einem Bordell zu tun, Frau M. gebe sich aus verwerflichen Motiven als ledig
aus, haben sich nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz nicht
bewahrheitet. Er hat das tatsächlich Vorgefallene und Gehörte in seinen
Berichten leichtfertig aufgebauscht. Diese Übertreibungen waren weder das
richtige Mittel zur Wahrung berechtigter Interessen, noch waren sie durch die
Amtspflicht des Beschwerdeführers geboten. Die Vorinstanz hat sie mit Recht
als üble Nachrede bestraft.