S. 21 / Nr. 5 Strafgesetzbuch (d)

BGE 76 IV 21

5. Urteil des Kassationshofes vom 24. Februar 1950 i. S. Staatsanwaltschaft
des Kantons Zürich gegen Ebene und Soltermann.

Regeste:
Art. 69
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 69 - 1 Das Gericht verfügt ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person die Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung einer Straftat gedient haben oder bestimmt waren oder die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind, wenn diese Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden.
1    Das Gericht verfügt ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person die Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung einer Straftat gedient haben oder bestimmt waren oder die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind, wenn diese Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden.
2    Das Gericht kann anordnen, dass die eingezogenen Gegenstände unbrauchbar gemacht oder vernichtet werden.
StGB. Soweit der Verurteilte die Untersuchungshaft durch sein
Verhalten nach der Tat herbeigeführt oder verlängert hat, ist sie ihm selbst
dann nicht auf die Freiheitsstrafe anzurechnen, wenn das erwähnte Verhalten
nicht schuldhaft war.
Art. 69 CP. Lorsque, par sa conduite après l'infraction, le condamné a
provoqué sa détention préventive ou la prolongation de celle-ci, il n'y a pas
lieu à imputation, même si cette conduite n'était pas fautive.
Art. 69 CP. Quando, a causa della sua condotta dopo il reato, il condannato ha
provocato il carcero preventivo o il suo prolungamento, non si deve computarlo
nella pena, anche se questa condotta non è da ascrivere a colpa.

A. - Eberle und Soltermann begaben sieh im November 1948 nach Marseille in der
Absicht, nach Afrika auszuwandern. Da sie ihr Geld. vertaten, bevor sie die
Überfahrt antreten konnten, mussten sie wieder heimreisen. Auf der Rückreise
lernten sie den aus Australien heimkehrenden Schweizer Heussi kennen. Sie
entschlossen sich, ihn zu berauben, und führten den Plan aus, indem sie Heussi
nach der Ankunft in Zürich in eine abgelegene Gegend lockten, ihn
niederschlugen, ihm seine Barschaft wegnahmen, ihn in den benachbarten Wald
schleppten und ihn dort, nachdem Eberle ihn mit dem Messer Soltermanns in den
Rücken gestochen hatte, in kalter Winternacht liegen liessen. Hierauf reisten
sie mit dem nächsten Zug über Basel und Belfort wieder nach Marseille. Auf
Begehren

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der schweizerischen Behörden wurden sie verhaftet, Ebene am 1. Dezember 1948
in Marseille, Soltermann am 2. Dezember 1948 in Algier, und ausgeliefert,
Eberle am 7. April 1949, Soltermann am 15. April 1949.
B. - Am 14. Oktober 1949 verurteilte das Schwurgericht des Kantons Zürich
Eberle und Soltermann wegen Raubes und vollendeten Mordversuches zu je
sechzehn Jahren Zuchthaus. Entgegen dem Antrage der Staatsanwaltschaft
rechnete es den Verurteilten nicht nur die seit der Aus Lieferung an die
Schweiz in Haft verbrachte Zeit auf die Strafe an, sondern die volle ab 1.
bzw. 2. Dezember 1948 erlittene Haft, d. h. dem Eberle 317, dem Soltermann 316
Tage. Zur Begründung führte es aus, die Nichtanrechnung der Haft habe «pönalen
Charakter», deshalb müsse ein schuldhaftes Verhalten des Täters vorliegen,
damit er nicht «in den Genuss der für den Normalfall vorgesehenen Anrechnung
komme». Die Ausreise Eberles und Soltermanns nach der Tat sei nicht als
eigentliche Flucht, sondern als Ausführung eines zuvor und unabhängig vom
Verbrechen gefassten Planes gedacht gewesen. Darin liege kein schuldhaftes
Verhalten nach der Tat im Sinne des Art. 69
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 69 - 1 Das Gericht verfügt ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person die Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung einer Straftat gedient haben oder bestimmt waren oder die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind, wenn diese Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden.
1    Das Gericht verfügt ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person die Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung einer Straftat gedient haben oder bestimmt waren oder die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind, wenn diese Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden.
2    Das Gericht kann anordnen, dass die eingezogenen Gegenstände unbrauchbar gemacht oder vernichtet werden.
StGB.
C. - Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich führt gegen dieses Urteil
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrage, dem Verurteilten Eberle sei bloss die
Zeit vom 7. April bis 14. Oktober 1949, gleich 160 Tage, dem Soltermann bloss
die Zeit vom 15. April bis 14. Oktober 1949, gleich 152 Tage, auf die Strafe
anzurechnen. Die Beschwerdeführerin macht geltend, die Verurteilten hätten die
während des Aus Lieferungsverfahrens erlittene Haft durch Ihr Verhalten nach
der Tat herbeigeführt. In der Verhandlung hätten sie ausdrücklich zugegeben,
sich nach Frankreich geflüchtet zu haben, um sich der Strafverfolgung zu
entziehen. Die Annahme des Gerichts, Eberle und Soltermann hätten bloss ihre
Auswanderungspläne ausgeführt, sei weit fremd, ja aktenwidrig. Durch ihre
Flucht hätten sie die Aus Lieferungshaft verschuldet.

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D. - Eberle und Soltermann beantragen, die Beschwerde sei abzuweisen. Sie
machen geltend, durch die Rückreise nach Frankreich hätten sie nicht der
Strafverfolgung entgehen, sondern nur ihren ursprünglichen Auswanderungsplan
ausführen wollen. An der Dauer des Aus Lieferungsverfahrens treffe sie keine
Schuld, da sie sofort gestanden hätten.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.- Mit der Begründung, welche die Staatsanwaltschaft ihrer Beschwerde gibt,
kann diese nicht gutgeheissen werden. Mag auch die Feststellung des
Schwurgerichts, die Beschwerdegegner seien bloss in Ausführung ihres
unabhängig vom Verbrechen gefassten Auswanderungsplanes ausgereist, weltfremd
sein, so bindet sie doch den Kassationshof. Da sie tatsächlicher Natur und
nicht offensichtlich aus Versehen, sondern in Würdigung des Beweises bewusst
und gewollt getroffen worden ist, kann sie mit der Nichtigkeitsbeschwerde
nicht angefochten werden (Art. 273 Abs. 1 lit. b
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 69 - 1 Das Gericht verfügt ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person die Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung einer Straftat gedient haben oder bestimmt waren oder die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind, wenn diese Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden.
1    Das Gericht verfügt ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person die Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung einer Straftat gedient haben oder bestimmt waren oder die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind, wenn diese Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden.
2    Das Gericht kann anordnen, dass die eingezogenen Gegenstände unbrauchbar gemacht oder vernichtet werden.
, Art. 277bis
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 69 - 1 Das Gericht verfügt ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person die Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung einer Straftat gedient haben oder bestimmt waren oder die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind, wenn diese Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden.
1    Das Gericht verfügt ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person die Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung einer Straftat gedient haben oder bestimmt waren oder die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind, wenn diese Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden.
2    Das Gericht kann anordnen, dass die eingezogenen Gegenstände unbrauchbar gemacht oder vernichtet werden.
BStP).
2.- Die Untersuchungshaft ist dem Verurteilten auf die Freiheitsstrafe
anzurechnen, soweit er die Haft nicht «durch sein Verhalten nach der Tat
herbeigeführt oder verlängert hat» (Art. 69
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 69 - 1 Das Gericht verfügt ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person die Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung einer Straftat gedient haben oder bestimmt waren oder die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind, wenn diese Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden.
1    Das Gericht verfügt ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person die Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung einer Straftat gedient haben oder bestimmt waren oder die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind, wenn diese Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden.
2    Das Gericht kann anordnen, dass die eingezogenen Gegenstände unbrauchbar gemacht oder vernichtet werden.
StGB). Für die Nichtanrechnung
genügt danach, dass diese Haft objektiv auf das Verhalten des Täters nach der
Tat zurückzuführen ist. Das Verhalten braucht nicht ein schuldhaftes in dem
Sinne gewesen zu sein, dass er sich bei pflichtgemässer Überlegung hätte sagen
sollen, es gebe Anlass zu Untersuchungshaft oder verlängere sie, oder dass er
sich dessen sogar bewusst gewesen wäre und ihm deshalb zugemutet werden
konnte, sich anders zu verhalten, um diese Folge zu vermeiden. Gewiss
empfindet der Täter die Haft und ihre Nichtanrechnung auf die Strafe als Übel.
Daraus folgt indessen nicht, dass sie «pönalen Charakter» habe. Wie die
Untersuchungshaft selber nicht Strafe ist, hat auch ihre Nichtanrechnung auf
die Freiheitsstrafe nicht den Sinn einer

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Strafe oder Strafverschärfung. Das Gesetz will die Anrechnung, wenn die Haft
unabhängig vom Verhalten des Täters nach der Tat verhängt wurde oder
fortdauerte; es will sie dagegen nicht, wenn das Verhalten des Täters nach der
Tat dafür entscheidend war, dass die Behörde den Verfolgten in Haft setzte
oder in Haft behielt. Die Billigkeitsgründe, die im ersten Falle für die
Anrechnung sprechen, bestehen im zweiten Falle nicht, da der Täter für sein
Verhalten, auf welche Beweggründe es auch zurückgehen möge, einzustehen hat.
3.- Die Zeit, welche die Beschwerdegegner von ihrer Verhaftung in Frankreich
bis zu ihrer Aus Lieferung an die Schweiz (7. bzw. 15. April 1949) in Haft
verbracht haben, ist ihnen demnach nicht auf die Strafe anzurechnen. Denn
diese Haft ist einzig darauf zurückzuführen, dass sie nach der Tat die Schweiz
verlassen haben. Was sie zu diesem Schritt bewogen haben mag, und ob ihnen ein
Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass die Aus Lieferung so lange auf sich
warten liess, spielt keine Rolle.
Unter diesen Umständen kann dahingestellt bleiben, ob eine während des Aus
Lieferungsverfahrens im Auslande verbrachte Haft überhaupt Untersuchungshaft
im Sinne der Art. 69
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 69 - 1 Das Gericht verfügt ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person die Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung einer Straftat gedient haben oder bestimmt waren oder die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind, wenn diese Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden.
1    Das Gericht verfügt ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer bestimmten Person die Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung einer Straftat gedient haben oder bestimmt waren oder die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind, wenn diese Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit oder die öffentliche Ordnung gefährden.
2    Das Gericht kann anordnen, dass die eingezogenen Gegenstände unbrauchbar gemacht oder vernichtet werden.
und 110 Ziff. 7
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 110 - 1 Angehörige einer Person sind ihr Ehegatte, ihre eingetragene Partnerin oder ihr eingetragener Partner, ihre Verwandten gerader Linie, ihre vollbürtigen und halbbürtigen Geschwister, ihre Adoptiveltern, ihre Adoptivgeschwister und Adoptivkinder.154
1    Angehörige einer Person sind ihr Ehegatte, ihre eingetragene Partnerin oder ihr eingetragener Partner, ihre Verwandten gerader Linie, ihre vollbürtigen und halbbürtigen Geschwister, ihre Adoptiveltern, ihre Adoptivgeschwister und Adoptivkinder.154
2    Familiengenossen sind Personen, die in gemeinsamem Haushalt leben.
3    Als Beamte gelten die Beamten und Angestellten einer öffentlichen Verwaltung und der Rechtspflege sowie die Personen, die provisorisch ein Amt bekleiden oder provisorisch bei einer öffentlichen Verwaltung oder der Rechtspflege angestellt sind oder vorübergehend amtliche Funktionen ausüben.
3bis    Stellt eine Bestimmung auf den Begriff der Sache ab, so findet sie entsprechende Anwendung auf Tiere.155
4    Urkunden sind Schriften, die bestimmt und geeignet sind, oder Zeichen, die bestimmt sind, eine Tatsache von rechtlicher Bedeutung zu beweisen. Die Aufzeichnung auf Bild- und Datenträgern steht der Schriftform gleich, sofern sie demselben Zweck dient.
5    Öffentliche Urkunden sind Urkunden, die von Mitgliedern einer Behörde, Beamten und Personen öffentlichen Glaubens in Wahrnehmung hoheitlicher Funktionen ausgestellt werden. Nicht als öffentliche Urkunden gelten Urkunden, die von der Verwaltung der wirtschaftlichen Unternehmungen und Monopolbetriebe des Staates oder anderer öffentlich-rechtlicher Körperschaften und Anstalten in zivilrechtlichen Geschäften ausgestellt werden.
6    Der Tag hat 24 aufeinander folgende Stunden. Der Monat und das Jahr werden nach der Kalenderzeit berechnet.
7    Untersuchungshaft ist jede in einem Strafverfahren verhängte Haft, Untersuchungs-, Sicherheits- und Auslieferungshaft.
StGB ist.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Schwurgerichts
des Kantons Zürich vom 14. Oktober 1949 aufgehoben und die Sache zur
Neubeurteilung im Sinne der Nichtanrechnung der während des Aus
Lieferungsverfahrens ausgestandenen Haft an die Vorinstanz zurückgewiesen.
Decision information   •   DEFRITEN
Document : 76 IV 21
Date : 01. Januar 1949
Published : 24. Februar 1950
Source : Bundesgericht
Status : 76 IV 21
Subject area : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Subject : Art. 69 StGB. Soweit der Verurteilte die Untersuchungshaft durch sein Verhalten nach der Tat...


Legislation register
BStP: 273  277bis
StGB: 69  110
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76-IV-21
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