BGE 76 IV 158
32. Urteil des Kassationshofes vom 11. Juli 1950 i. S. Treyer gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau.
Regeste:
Art. 148 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 148 - 1 Wer, obschon er zahlungsunfähig oder zahlungsunwillig ist, eine ihm vom Aussteller überlassene Check- oder Kreditkarte oder ein gleichartiges Zahlungsinstrument verwendet, um vermögenswerte Leistungen zu erlangen und den Aussteller dadurch am Vermögen schädigt, wird, sofern dieser und das Vertragsunternehmen die ihnen zumutbaren Massnahmen gegen den Missbrauch der Karte ergriffen haben, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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1 | Wer, obschon er zahlungsunfähig oder zahlungsunwillig ist, eine ihm vom Aussteller überlassene Check- oder Kreditkarte oder ein gleichartiges Zahlungsinstrument verwendet, um vermögenswerte Leistungen zu erlangen und den Aussteller dadurch am Vermögen schädigt, wird, sofern dieser und das Vertragsunternehmen die ihnen zumutbaren Massnahmen gegen den Missbrauch der Karte ergriffen haben, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
2 | Handelt der Täter gewerbsmässig, so wird er mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.207 |
darauf aufmerksam macht, dass dieser aus Irrtum zu wenig fordert?
Art. 148 al. 1 CP. Le débiteur qui ne signale pas à son créancier que, par
erreur, ce dernier réclame trop peu, commet-il une escroquerie?
Art. 148 cp. 1 CP. Si rende colpevole di truffa il debitore che omette di
richiamare l'attenzione del suo creditore sul fatto che costui, per errore, ha
chiesto troppo poco?
A. - Am 19. Mai 1943 wies die städtische Elektrizitätsverwaltung am Schalter
der Ersparniskasse Laufenburg
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die Stromrechnung für die Monate März und April 1943 vor. Sie lautete auf Fr.
79.-, da aus Versehen für Heizstrom nur Fr. 67.50 statt Fr. 675.- verlangt
wurden, denn der Verbrauch, bei dessen Feststellung die Ersparniskasse in
keiner Weise mitzuwirken gehabt hatte, war auf der Rechnung irrtümlicherweise
mit 2700 kWh statt mit 27 000 kWh angegeben. Der Kassier Kurt Rehmann bezahlte
die Rechnung und gab sie an den Hilfsbuchhalter Stephan Obrist weiter. Dieser
entdeckte den Irrtum der Elektrizitätsverwaltung und unterrichtete darüber
sowohl Relimann als auch den Verwalter der Ersparniskasse, Josef Treyer.
Dieser sah voraus, dass die Elektrizitätsverwaltung den Irrtum selber
entdecken werde, war aber auch für den Fall, dass das nicht zutreffen sollte,
zu schweigen bereit. Er liess durch Obrist den bezahlten Betrag von Fr. 79.-
verbuchen und die zu wenig bezahlten Fr. 607.50 auf ein transitorisches Konto
übertragen für den Fall, dass sie nachgefordert würden. Auch der Buchhalter
Gotthold Huber, der schon um jene Zeit von der Sache Kenntnis erhalten haben
will, schwieg.
Wieder die Elektrizitätsverwaltung noch der Stadtkassier bemerkten den Irrtum.
Der Stadtkassier überprüfte von den vielen Rechnungen stichprobeweise nur
einzelne, weil er nicht Zeit hatte, alle genau nachzusehen. Als die
Elektrizitätsverwaltung im Februar 1944 auf den Postcheckkonto der
Ersparniskasse den reglementarischen Stromrabatt bezahlte, den sie nach den
tatsächlich bezahlten Rechnungsbeträgen bemass, buchte Obrist am 14. Februar
1944 den Betrag von Fr. 607.50 vom transitorischen Konto auf das Konto «Ertrag
der Liegenschaften» um. Treyer, der davon Kenntnis erhielt, liess es dabei
bewenden in der Meinung, die Elektrizitätsverwaltung entdecke den Irrtum nun
nicht mehr.
Huber, der auf 31. Dezember 1945 bei der Ersparniskasse entlassen wurde,
meldete kurz darauf den Sachverhalt dem Stadtkassier. Dieser untersuchte die
Sache, stellte mühelos den Irrtum fest und gab davon dem Bankverwalter
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Kenntnis. Treyer versprach sofort, den Betrag von Fr. 607.50 bezahlen zu
lassen. Als die Ersparniskasse die Rechnung erhielt, beglich sie sie sogleich.
B. - Im Strafverfahren wegen Betruges, das gegen Treyer und Rehmann eröffnet
wurde, sprach das Bezirksgericht Laufenburg am 13. Oktober 1949 die beiden
Angeklagten frei.
Auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau bestätigte das
Obergericht am 10. März 1950 den Freispruch gegenüber Rehmann und verurteilte
Treyer wegen Betruges nach Art. 148 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 148 - 1 Wer, obschon er zahlungsunfähig oder zahlungsunwillig ist, eine ihm vom Aussteller überlassene Check- oder Kreditkarte oder ein gleichartiges Zahlungsinstrument verwendet, um vermögenswerte Leistungen zu erlangen und den Aussteller dadurch am Vermögen schädigt, wird, sofern dieser und das Vertragsunternehmen die ihnen zumutbaren Massnahmen gegen den Missbrauch der Karte ergriffen haben, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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1 | Wer, obschon er zahlungsunfähig oder zahlungsunwillig ist, eine ihm vom Aussteller überlassene Check- oder Kreditkarte oder ein gleichartiges Zahlungsinstrument verwendet, um vermögenswerte Leistungen zu erlangen und den Aussteller dadurch am Vermögen schädigt, wird, sofern dieser und das Vertragsunternehmen die ihnen zumutbaren Massnahmen gegen den Missbrauch der Karte ergriffen haben, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
2 | Handelt der Täter gewerbsmässig, so wird er mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.207 |
Gefängnisstrafe von zwei Monaten. Das Obergericht nahm an, Treyer habe die
Stadt Laufenburg durch arglistige Benutzung ihres Irrtums, indem er gegen Treu
und Glauben sie nicht auf diesen aufmerksam gemacht habe, dazu veranlasst, den
zu wenig verlangten Betrag nicht nachzufordern. Er habe das in der Absicht
getan, die Ersparniskasse unrechtmässig zu bereichern. Durch sein Verhalten
sei die Stadt geschädigt worden.
C. - Treyer führt Nichtigkeitsbeschwerde mit den Anträgen, das Urteil des
Obergerichts, soweit es ihn betrifft, sei aufzuheben und die Sache sei zu
seiner Freisprechung zurückzuweisen.
D. - Die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau beantragt, die
Nichtigkeitsbeschwerde sei abzuweisen.
Der Kassationshof zieht in Erwägung
1.- Des Betruges ist schuldig, wer in der Absicht, sich oder einen andern
unrechtmässig zu bereichern, jemanden durch Vorspiegelung oder Unterdrückung
von Tatsachen arglistig irreführt oder den Irrtum eines andern arglistig
benutzt und so den Irrenden zu einem Verhalten bestimmt, wodurch dieser sich
selbst oder einen andern am Vermögen schädigt (Art. 148 Abs. 1
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 StGB Art. 148 - 1 Wer, obschon er zahlungsunfähig oder zahlungsunwillig ist, eine ihm vom Aussteller überlassene Check- oder Kreditkarte oder ein gleichartiges Zahlungsinstrument verwendet, um vermögenswerte Leistungen zu erlangen und den Aussteller dadurch am Vermögen schädigt, wird, sofern dieser und das Vertragsunternehmen die ihnen zumutbaren Massnahmen gegen den Missbrauch der Karte ergriffen haben, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
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1 | Wer, obschon er zahlungsunfähig oder zahlungsunwillig ist, eine ihm vom Aussteller überlassene Check- oder Kreditkarte oder ein gleichartiges Zahlungsinstrument verwendet, um vermögenswerte Leistungen zu erlangen und den Aussteller dadurch am Vermögen schädigt, wird, sofern dieser und das Vertragsunternehmen die ihnen zumutbaren Massnahmen gegen den Missbrauch der Karte ergriffen haben, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft. |
2 | Handelt der Täter gewerbsmässig, so wird er mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.207 |
ist in allen Fällen nötig, dass der Täter durch sein Tun oder Unterlassen den
Irrenden zu einem Verhalten bestimmt, das diesen selbst oder einen andern am
Vermögen schädigt.
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Wollte man annehmen, die Stadt Laufenburg sei durch die Nichteinforderung von
Fr. 607.50 überhaupt geschädigt worden, so wäre der Schaden schon dadurch
entstanden, dass die Elektrizitätsverwaltung statt für Fr. 675.- nur für Fr.
67.60 Rechnung stellte. Er könnte also, weil er bereits eingetreten gewesen
wäre, als der Beschwerdeführer vom Irrtum Kenntnis erhielt, nicht auf dessen
Schweigen zurückgeführt werden. Dieses könnte höchstens Ursache für die
Nichtbeseitigung eines bereits vorliegenden Schadens sein. Damit wäre das
erwähnte Merkmal des Betruges nicht erfüllt. Art. 148 Abs. 1 verlangt nicht
nur bei arglistiger Irreführung, sondern auch bei arglistiger Benutzung eines
Irrtums, dass die Tat den andern zu einem Verhalten bestimmt, das schädigt,
also den Schaden herbeiführt ein Tun oder Unterlassen, das bloss dazu
beiträgt, dass ein bereits eingetretener Schaden nicht beseitigt wird, genügt
nicht.
In Wirklichkeit ist aber die Stadt Laufenburg überhaupt nicht geschädigt
worden, weder dadurch, dass sie eine zu niedrige Rechnung stellte, noch
dadurch, dass Treyer sie nicht auf das Versehen aufmerksam machte. Denn nach
wie vor stand ihr ihre Forderung für den von der Ersparniskasse verbrauchten
Heizstrom unverändert zu. Wieder die Stellung einer zu niedrigen Rechnung noch
die Nichteinforderung des Mehrbetrages hat am Bestande oder an der
Zusammensetzung des Vermögens der Stadt Laufenburg etwas geändert. Dem
Beschwerdeführer fällt bloss zur Last, dass er durch sein Schweigen die Stadt
nicht veranlasst hat, ihre Forderung gegen die Ersparniskasse in bares Geld
(oder in eine Forderung gegen die Post, wenn die Ersparniskasse auf das
Postcheckkonto der Stadt eingezahlt hätte) zu verwandeln, anders ausgedrückt,
die Forderung geltend zu machen. Das war kein Schaden. Anders würde es sich
verhalten, wenn der Beschwerdeführer der Stadt durch sein Schweigen einen
Verzicht auf die Forderung, z.B. eine Saldoquittung oder eine gleichbedeutende
mündliche Erklärung, abgelistet hätte. Das war nicht der Fall.
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Dass Obrist am 14. Februar 1944 die Ersparniskasse endgültig als bereichert
angesehen und daher den nicht bezahlten Betrag als Liegenschaftsertrag
verbucht und dass der Beschwerdeführer von diesem Vorgehen Kenntnis erhalten
und dagegen nichts unternommen hat, ist bedeutungslos, denn auch dadurch ist
an der Forderung der Stadt auf Nachbezahlen des Betrages nichts geändert
worden, solange mindestes die Forderung nicht verjährt war.
2. Muss der Beschwerdeführer schon aus diesem Grunde freigesprochen werden, so
kann dahingestellt bleiben, ob er überhaupt rechtlich verpflichtet war, die
Stadt auf ihr Versehen aufmerksam zu machen, und ob ihm deshalb Arglist zur
Last fällt.
Dein nach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des
Kantons Aargau vom 10. März 1950 aufgehoben und die Sache zur Freisprechung
des Beschwerdeführers an die Vorinstanz zurückgewiesen.