S. 282 / Nr. 48 Rechtsgleichheit (d)

BGE 76 I 282

48. Urteil der II. Zivilabteilung als staatsrechtlicher Kammer vom 17.
November 1950 i. S. Hassler gegen B. Vogel & Cie. und Obergericht des Kantons
Luzern.

Regeste:
Art. 293 II. SchKG: Die Konkursprivilegien sind im Nachlassverfahren so zu
berücksichtigen, wie sie bei Bewilligung der Nachlasstundung zu Recht
bestanden haben. Zu ihrer Wahrung bedarf es während der Nachlasstundung keiner
Betreibungsmassnahmen, auch dann nicht, wenn solche (nach Art. 297 Abs. 2
SchKG, in Kraft seit 1.2.50 Art. 41 der Vo. vom 24.1.41) zulässig sind. Für
die nach Art. 219 /146 SchKG von der Konkurseröffnung oder dem
Pfändungsbegehren an rückwärts zu berechnenden Fristen ist in allen Fällen der
Tag der Bewilligung der Nachlasstundung massgebend.
Art. 293 et suiv. LP: Les privilèges prévus en cas de faillite doivent être
respectés dans la procédure de concordat tels qu'ils existaient au moment de I
octroi du sursis concordataire. Pour les conserver il n'est besoin d'aucun
acte de poursuite durant le sursis, même si certains de ces actes étaient
licites d'après l'art. 297 al. 2 LP en vigueur depuis le 1 er février 1950 =
art. 41 OCF du 24 janvier 1941. En ce qui concerne les délais qui doivent se
calculer en remontant à partir de l'ouverture de la

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faillite ou de la réquisition de saisie, c'est dans tous les cas le jour de
l'octroi du sursis qui fait règle.
Art. 29.3 sgg. LEF: I privilegi previsti in caso di fallimento debbono essere
rispettati nella procedura di concordaria, così come esistevano quando fu
concessa la moratoria concordataria. Per conservare tali privilegi non occorre
procedere a degli atti d'esecuzione durante la moratoria, quand'anche essi
fossero leciti a norma dell'art. 297 cp. 2 LEF in vigore dal I febbraio 1950
art. 41 OCF 24 gennaio 1941. Per i termini, il cui computo dev'essere fatto
risalendo indietro a contare dal giorno della dichiarazione di fallimento o
dalla domanda di pignoramento (art. 219/146 LEF), è determinante in ogni caso
il giorno in cui fu concessa la moratoria.

A. - Paul Hassler war vom 20. September bis zum 26. November 1948
Provisionsreisender der Firma B. Vogel & Cie. Er hatte Lohn nachzufordern, den
ihm das Gewerbegericht Luzern am 29. März 1949 im Betrage von Fr.
1000.--zusprach. Der Arbeitgeberin war am 11. Januar 1949 eine Nachlasstundung
bewilligt worden, die später auf sechs Monate erstreckt wurde. Hassler meldete
seine Lohnforderung mit Privileg in I. Klasse an (Art. 219 I. Klasse lit. b).
Da das Privileg bestritten war, setzte ihm die Nachlassbehörde nach Art. 310
SchKG Frist zur Klage auf Anerkennung des Privilegs.
B. - Das Amtsgericht Sursee wies die Klage mit Urteil vom 2. März 1950 ab,
ebenso das Obergericht des Kantons Luzern die dagegen erhobene
Kassationsbeschwerde mit Urteil vom 5. Mai 1950. Beide kantonalen Gerichte
gehen davon aus, das Privileg der I. Klasse bestehe nach Art. 219 in
Verbindung mit Art. 146 SchKG nur für Lohnforderungen aus den letzten sechs
Monaten vor der Konkurseröffnung oder vor Stellung des Pfändungsbegehrens.
Gerade um diese Frist wahren zu können, habe ein solcher Lohngläubiger nach
Art. 41 der Verordnung vom 24. Januar 1941 (und ebenso nunmehr nach dem neuen
Absatz 2 von Art. 297 SchKG) das Recht, trotz der Nachlasstundung auf Pfändung
zu betreiben. Hassler habe dies versäumt.
C. - Mit vorliegender staatsrechtlicher Beschwerde ficht Hassler diese
Entscheidung als willkürlich und somit gegen Art. 4 BV verstossend an.

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Das Bundesgericht zieht in Erwägung
1.- Die von der Schuldnerin in der Vernehmlassung zur Beschwerde aufgeworfene
Eintretensfrage beschlägt die sachliche Begründetheit der Beschwerde. Die
Schuldnerin steht auf dein Standpunkt der kantonalen Entscheidungen, dass der
Beschwerdeführer das Privileg für seine Forderung versäumt habe, weil er es
unterliess, Betreibung anzuheben und binnen sechs Monaten seit dem 26.
November 1948 ein Pfändungsbegehren zit stellen. Sie hält dafür, wegen dieser
Versäumnis sei er auch nicht zur staatsrechtlichen Beschwerde befugt. Allein,
ob die kantonale Entscheidung auf haltbaren Gründen beruhe, ist eben
Gegenstand der Beschwerde.
2.- Aus der für Lohnforderungen der ersten Klasse in Art. 41 der Notverordnung
vom 24. Januar 1941 und ebenso nunmehr im neuen Abs. 2 von Art. 297 SchKG
vorgesehenen Betreibungsmöglichkeit ziehen die kantonalen Entscheidungen einen
unhaltbaren Rückschluss. Sie nehmen an, ohne Betreibung liesse sich die Frist,
an welche das Privileg für solche Forderungen nach Art. 219 bezw. 146 SchKG
gebunden ist, während der Nachlasstundung nicht wahren. Es bedürfe dazu auch
während der Nachlasstundung eines in die betreffende Frist fallenden
Pfändungsbegehrens, ansonst das Privileg untergehe. Wäre dies so, so wären die
der zweiten und der dritten Klasse angehörenden Forderungen mit ähnlicher
Befristung unvermeidlichem Verlust des Privilegs während der ja für sie nach
wie vor mit gänzlichem Betreibungsverbote verbundenen Nachlasstundung
ausgesetzt. Das kann nicht der Wille des Gesetzes sein. Einmal ist wie im
ursprünglichen Art. 297 so jetzt in dessen Abs. 1 vorgesehen, dass während der
Nachlasstundung jede Verjährungs- oder Verwirkungsfrist deren Lauf durch
Betreibung unterbrochen werden kann, gehemmt ist. Sodann (ganz abgesehen von
dieser Hemmungsvorschrift) geht das Nachlassvertragsrecht zwar
stillschweigend, aber unverkennbar davon aus dass

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jegliches Privileg durch blosse rechtzeitige Anmeldung beim Sachwalter für das
Nachlassverfahren wirksam gewahrt bleibe, so wie es bei Bewilligung der
Nachlasstundung zu Recht bestand. Privilegierte Forderungen jeder Art gleich
wie unprivilegierte sind beim Sachwalter anzumelden (Art. 300 SchKG), und es
ist alsdann den Privilegien ohne weiteres Rechnung zu tragen, indem die
privilegierten Forderungen bei Berechnung des Quorums nicht mit zuzählen sind
(Art. 305 Abs. 2) und für sie hinreichende Sicherstellung zu verlangen ist
(Art. 306 Ziff. 3, jetzt Ziff. 2). Das Nachlassverfahren ist eine Art
Vollstreckungsersatz, woraus sich nicht nur das (auch jetzt noch als Regel
nach Art. 297 Abs. 1 geltende) Betreibungsverbot, sondern auch das Gebot der
Berücksichtigung der bei Eröffnung des Verfahrens (durch
Nachlasstundungsbewilligung) bestehenden Privilegien erklärt. Zutreffend
formuliert JAEGER (zu Art. 306 N. 9 am Ende) dies dahin, es komme als
Zeitpunkt, von dem an die Dauer des Privilegiums rückwärts zu berechnen sei,
nur der Tag der Bewilligung der Nachlasstundung in Frage.
Bei dieser Sachlage kann den Lohngläubigern der ersten Klasse das Recht, auf
Pfändung zu betreiben, keineswegs zu dem Zwecke eingeräumt worden sein, ihnen
die Wahrung des Privilegs durch Stellung eines Pfändungsbegehrens zu
ermöglichen. Das Privileg war, wie dargetan, unter der frühern Ordnung ganz
allgemein, auch für die Lohnforderungen der ersten Klasse, ohnehin gewahrt.
Somit kann die neue Vorschrift nur den Zweck verfolgen, diesen Lohngläubigern
die Rechtsverwirklichung zu erleichtern, um sie nicht darben zu lassen.
Die angefochtene Entscheidung verweigert demnach dem Beschwerdeführer das
Lohnprivileg aus einem rechtlich unhaltbaren Grunde.
3.- Man könnte freilich angesichts der für die Notstundung geltenden
Vorschriften (Art. 317 g und k) versucht sein, eine Eventualbegründung der
angefochtenen Entscheidung in Frage zu ziehen. Das den Lohngläubigern

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der ersten Klasse eingeräumte Betreibungsrecht könnte, wenn dies auch nicht
der Zweck sei der Einführung war, als Nebenwirkung das Erfordernis eines
Pfändungsbegehrens als fristwahrenden Aktes hinsichtlich des Lohnprivileges
mit sich bringen. Dies ist aber in Art. 41 der Notverordnung von 1941 und nun
in Art. 297 Abs. 2 des Gesetzes in keiner Weise ausgesprochen. Es versteht
sich auch nicht von selbst. Sachlich wäre es gar nicht gerechtfertigt. als
Gegenstück zu der den betreffenden Lohngläubigern zugedachten Erleichterung
der Verwirklichung ihrer Ansprüche eine dem Nachlassvertragsrecht im übrigen
fremde Gefahr der Verwirkung des Privilegs durch Unterlassung von
Betreibungsmassnahmen während der Nachlasstundung anzunehmen. Es soll diesen
Gläubigern füglich freistehen, von ihrem Betreibungsrechte während der
Nachlasstundung keinen Gebrauch zu machen, ohne sich damit einem Verlust ihres
Privileges auszusetzen.
4.- Die kantonalen Gerichte hätten zweifellos diese soeben erörterte
Rechtslage nicht verkannt, wenn sie Veranlassung gehabt hätten, dazu Stellung
zu nehmen, und ihnen nicht der in Erw. 2 erörterte grundsätzliche Irrtum
unterlaufen wäre. Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob eine von Erw. 3
abweichen de Betrachtungsweise ebenfalls geradezu willkürlich gewesen wäre.
Demnach erkennt das Bundesgericht
Die Beschwerde wird gutgeheissen und der Entscheid des Obergerichts des
Kantons Luzern vom 5. Mai 1950 aufgehoben.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 76 I 282
Datum : 01. Januar 1949
Publiziert : 17. November 1950
Quelle : Bundesgericht
Status : 76 I 282
Sachgebiet : BGE - Verfassungsrecht
Gegenstand : Art. 293 II. SchKG: Die Konkursprivilegien sind im Nachlassverfahren so zu berücksichtigen, wie sie...


Gesetzesregister
BV: 4
SchKG: 41  146  219  297  300  310
BGE Register
76-I-282
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
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