BGE 75 IV 83
18. Urteil des Kassationshofes vom 27. Mai 1949 i. S. Baumgartner gegen
Polizeirichteramt der Stadt Zürich.
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Regeste:
Art. 1 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1 MFG. Der Fahrzeugausweis verleiht nicht das
Recht, die Strasse mit dem Fahrzeug zu andern Zwecken als zum Verkehr zu
benützen.
Art. 1er al. 1 et 5 al. 1 LA. Un véhicule automobile pourvu d'ut' permis de
circulation n'est admis sur la voie publique que pour y circuler.
Art. 1 cp. 1 e 5 cp. 1 LA. La licenza di circolazione conferisce soltanto il
diritto di utilizzare la strada pubblica per circolare con l'autoveicolo e non
per altri scopi.
A. - Die Aktiengesellschaft Binelli & Ehrsam betreibt in den Häusern Nr. 48
und 52 an der Stampfenbachstrasse in Zürich eine Werkstatt, in welcher
Lastwagenchassis zusammengestellt und Motorfahrzeuge geflickt werden. Im
Sommer 1948 pflegte der Geschäftsführer der Gesellschaft, Hans Baumgartner,
zwei fertige Chassis mit Händlerschildern versehen tagsüber neben den Eingang
der Werkstatt auf die Strasse zu stellen, um in der Werkstatt Raum zum
Arbeiten freizumachen, die Chassis allfälligen Kaufsinteressenten zum
Vorzeigen und Vorführen bereitzuhalten und Dritten zu verunmöglichen, durch
Parkieren von Fahrzeugen die Zufahrt zur Werkstatt zu behindern. Als
Baumgartner am 8. Juli 1948 von 7.30 bis 10.30 Uhr die beiden Chassis wiederum
am gewohnten Orte stehen liess, obschon er keine Bewilligung hatte,
öffentlichen Grund zu gewerblichen Zwecken zu benützen, wurde er wegen
Übertretung von Art. 1 und 11 der Verordnung der Stadt Zürich vom 24. Juni
1911 über die Benützung des öffentlichen Grundes verzeigt.
B. - Während der Einzelrichter des Bezirksgerichtes
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Zürich Baumgartner freisprach, verurteilte das Obergericht des Kantons Zürich
auf Nichtigkeitsbeschwerde des Polizeirichteramtes der Stadt Zürich hin den
Beschuldigten am 24. März 1949 wegen Übertretung der erwähnten Bestimmungen zu
einer Busse von Fr. 10..
C. Baumgartner ficht das Urteil des Obergerichtes mit Nichtigkeitsbeschwerde
beim Kassationshof des Bundesgerichtes an. Er beantragt, es sei aufzuheben und
er sei freizusprechen. Zur Begründung macht er geltend, Art. 26 und 27 MFV
verböten den Kantonen und Gemeinden, mit Kollektivschildern versehene
Motorfahrzeuge einschränkenden Bestimmungen zu unterstellen. Diese Fahrzeuge
seien in Bezug auf das Parkieren gleich zu behandeln wie die Motorfahrzeuge
mit gewöhnlichen Kontrollschildern. Eine andere Auffassung würde gegen das
Gebot der Rechtsgleichheit verstossen. Wenn die Gemeinden für Fahrzeuge mit
Kollektivausweisen einschränkende Bestimmungen erlassen könnten, so dürften
sie das gemäss Art. 3 Abs. 3 MFG jedenfalls nur ausdrücklich und nur mit
Genehmigung des Kantons tun. Eine ausdrückliche Vorschrift der Stadt Zürich,
wonach Motorfahrzeuge mit Kollektivschildern auf öffentlichem Grunde nicht
parkieren dürften, fehle aber. Art. 11 der Verordnung der Stadt Zürich über
die Benützung des öffentlichen Grundes auf Motorfahrzeuge anzuwenden,
widerspreche dem zürcherischen Gesetz vom 18. Februar 1923 über den Verkehr
mit Motorfahrzeugen und Fahrrädern. Das angefochtene Urteil verletze auch die
Handels- und Gewerbefreiheit.
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.- Nach Art. 11 der Verordnung des Stadtrates von Zürich vom 24. Juni 1911
betreffend Benützung des öffentlichen Grundes darf öffentlicher Grund nur mit
Bewilligung der Polizei zu gewerblichen Zwecken benützt werden. Ob der Sinn
dieses Artikels oder Vorschriften des kantonalen Rechts seine Anwendung auf
Motorfahrzeuge
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verbieten, hat der Kassationshof nicht zu entscheiden; die
Nichtigkeitsbeschwerde kann nur damit begründet werden, dass das angefochtene
Urteil gegen eidgenössisches Recht verstosse (Art. 269 Abs. 1 , Art. 273 Abs. 1
lit. b BStP). Unzulässig ist auch der Einwand, das Urteil verletze die
verfassungsmässigen Grundsätze der Rechtsgleichheit und der Handels- und
Gewerbefreiheit. Solche Verstösse können nur mit staatsrechtlicher Beschwerde
gerügt werden (Art. 269 Abs. 2 BStP).
2.- Das Bundesgesetz über den Motorfahrzeug- und Fahrradverkehr stellt
Bestimmungen auf über die Verwendung von Motorfahrzeugen und Fahrrädern im
öffentlichen Verkehr, sowie Verkehrsvorschriften für die Benützer der dem
Motorfahrzeug oder dem Fahrrad geöffneten Strassen (Art. 1 Abs. 1 MFG). Es
ordnet den Verkehr. Nur soweit es dieser Zweck erfordert, erlässt es
Vorschriften über das Anhalten und Parkieren der Fahrzeuge auf öffentlichen
Strassen und Plätzen. Über die Benützung des öffentlichen Grundes zu anderen
Zwecken als zum Verkehr sagt es nichts. Wenn ein Motorfahrzeug nach den
Bestimmungen des Bundesgesetzes und der Vollziehungsverordnung zum Verkehr
zugelassen ist, sei es, dass dafür ein individueller Fahrzeugausweis besteht,
sei es, dass es mit einem kollektiven Ausweis (Händler- oder Versuchsschild)
verkehren darf, ist deshalb über die Berechtigung, mit dem Fahrzeug den
öffentlichen Grund zu anderen als zu Verkehrszwecken in Anspruch zu nehmen,
nichts gesagt. Inwieweit das geschehen darf, bestimmen die Kantone oder mit
deren Ermächtigung die Gemeinden. Solche Vorschriften sind nicht an die
Schranken von Art. 3 Abs. 2 und 3 MFG gebunden. Das Recht das dieser Artikel
zugunsten der Kantone vorbehält, ist Verkehrsrecht. Eines Vorbehaltes
zugunsten anderer als verkehrsrechtlicher Vorschriften, insbesondere solcher
gewerbepolizeilicher Natur, bedarf es nicht; die Befugnis, sie zu erlassen,
ergibt sich aus der Souveränität der Kantone (Art. 5
SR 101 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 BV Art. 5 Grundsätze rechtsstaatlichen Handelns - 1 Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht. |
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1 | Grundlage und Schranke staatlichen Handelns ist das Recht. |
2 | Staatliches Handeln muss im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sein. |
3 | Staatliche Organe und Private handeln nach Treu und Glauben. |
4 | Bund und Kantone beachten das Völkerrecht. |
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3.- Wie die Vorinstanz feststellt und der Beschwerdeführer selber ausführt,
hat er die beiden Lastwagenchassis auf die Strasse gestellt, weil ihm tagsüber
in der Werkstatt der Raum gefehlt hat, um sie aufzubewahren. Ferner hat er
damit Dritten verunmöglichen wollen, durch Parkieren von Fahrzeugen die
Zufahrt zur Werkstatt zu verstellen. Zugleich hat er die Chassis auf der
Strasse bereitgehalten, um sie allfälligen Interessenten zu zeigen und
vorzuführen. Er hat also die Strasse nicht als Verkehrsader oder als
Haltestelle oder Parkplatz für auf der Fahrt befindliche oder sich auf die
Fahrt begebende Fahrzeuge benützt, sondern im wesentlichen als Lager- und
Ausstellungsplatz für seine Fabrikate und hat damit gleichzeitig Fahrzeuge
Dritter am Parkieren vor der Werkstatt hindern wollen. Das waren gewerbliche
Zwecke. Hiezu den öffentlichen Grund in Anspruch zu nehmen, berechtigten ihn
die Händlerschilder nicht, sowenig sie ihm z. B. das Recht gaben, die Strasse
als Werkplatz zur Ausführung von Automobilreparaturen zu benützen. Der Einwand
des Beschwerdeführers, heutzutage werde die überwiegende Zahl der
Motorfahrzeuge auf öffentlichem Grund zu gewerblichen Zwecken verwendet, ist
trölerisch. In den Beispielen, die er anführt (Werkverkehr und entgeltliche
Transporte mit Lieferungs- und Lastwagen), besteht das Gewerbe in der
Ausführung von Fahrten, also im Verkehr, wie ihn das Bundesgesetz regelt.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden
kann.