S. 60 / Nr. 13 Strafgesetzbuch (d)

BGE 75 IV 60

13. Urteil des Kassationshofes vom 23. April 1943 i. S. Ammann gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich


Seite: 60
Regeste:
Art. 128
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 128 - Wer einem Menschen, den er verletzt hat, oder einem Menschen, der in unmittelbarer Lebensgefahr schwebt, nicht hilft, obwohl es ihm den Umständen nach zugemutet werden könnte,
StGB setzt weder voraus, dass die Tat die Gesundheit oder das Leben
des Verletzten gefährde (Erw. 1), noch dass dieser in hilfloser Lage sei (Erw.
2).
L'art. 128 OP ne suppose pas que l'abandon compromette la santé ou la vie du
blessé (consid. 1) ni que ce dernier soit privé de secours (consid. 2).
L'art. 128 CP non presuppone che l'abbandono comprometta la salute o la vita
del ferito (consid. 1) ne che questi sia privo di soccorso (consid. 2).

A. - Als Ammann am 5. Oktober 1947 um 20 Uhr am Steuer eines
Personenautomobils mit mindestens 70 km/h durch die Alte Landstrasse in
Rüschlikon gegen Thalwil fuhr, erfasste sein Fahrzeug mit voller Wucht den in
gleicher Richtung marschierenden Josef Schriber. Obschon Ammann den
Zusammenstoss wahrnahm und damit rechnete, wenn nicht sogar überzeugt war,
dass ein Mensch verletzt worden sei, hielt er nicht an und teilte den Unfall
auch nach Erreichung seiner Wohnung in Thalwil niemandem mit. Schriber blieb
schwer verletzt bewusstlos liegen, wurde auf Veranlassung Dritter in den
Spital geführt und starb dort um 23 Uhr.
B. - Mit Urteil vom 1. Dezember 1948 nahm das Obergericht des Kantons Zürich
an, Ammann habe den Verunfallten zum mindesten eventualvorsätzlich im Stiche
gelassen (Art. 128
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 128 - Wer einem Menschen, den er verletzt hat, oder einem Menschen, der in unmittelbarer Lebensgefahr schwebt, nicht hilft, obwohl es ihm den Umständen nach zugemutet werden könnte,
StGB) und ihn fahrlässig getötet (Art. 117
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 117 - Wer fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
StGB). Es
verurteilte Ammann zu einem Jahr und drei Monaten Gefängnis und zu Fr. 1000.­
Busse, wobei es ihm zugute hielt, dass seine Zurechnungsfähigkeit zur Zeit der
Tat etwas vermindert gewesen sei.
C. - Ammann führt Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil sei
aufzuheben und die Sache zur Freisprechung des Beschwerdeführers von der
Anklage des Imstichelassens eines Verletzten gemäss Art. 128
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 128 - Wer einem Menschen, den er verletzt hat, oder einem Menschen, der in unmittelbarer Lebensgefahr schwebt, nicht hilft, obwohl es ihm den Umständen nach zugemutet werden könnte,
StGB und zu neuer
Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

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Er macht geltend, seine Hilfe hätte den Verunfallten nicht mehr aus der Gefahr
retten können. Der Tod Schribers sei nicht darauf zurückzuführen, dass der
Beschwerdeführer den Verletzten im Stiche gelassen habe. Es liege nur ein
untauglicher Versuch des Vergehens des Art. 128
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 128 - Wer einem Menschen, den er verletzt hat, oder einem Menschen, der in unmittelbarer Lebensgefahr schwebt, nicht hilft, obwohl es ihm den Umständen nach zugemutet werden könnte,
StGB vor. Auch müsse der
Beschwerdeführer freigesprochen werden, weil Schriber nicht hilflos gewesen
sei, da sich andere Personen nach dem Unfalle hinreichend und ebenso rasch um
ihn gekümmert hätten, wie der Beschwerdeführer es hätte tun können
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.- Nach Art. 128
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 128 - Wer einem Menschen, den er verletzt hat, oder einem Menschen, der in unmittelbarer Lebensgefahr schwebt, nicht hilft, obwohl es ihm den Umständen nach zugemutet werden könnte,
StGB wird mit Gefängnis oder mit Busse bestraft, wer
jemanden, den er verletzt hat oder der durch ein vom Täter benutztes Fahrzeug,
Reittier oder Zugtier verletzt worden ist, im Stiche lässt. Im Gegensatz zu
Art. 127
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 127 - Wer einen Hilflosen, der unter seiner Obhut steht oder für den er zu sorgen hat, einer Gefahr für das Leben oder einer schweren unmittelbaren Gefahr für die Gesundheit aussetzt oder in einer solchen Gefahr im Stiche lässt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
StGB verlangt diese Bestimmung nicht, dass sich der im Stiche
Gelassene in einer Gefahr für das Leben oder einer schweren unmittelbaren
Gefahr für die Gesundheit befindet. Gewiss gehört auch Art. 128 zu den
Bestimmungen über die « Gefährdung des Lebens und der Gesundheit » (Randtitel
zu Art. 127 ff.). Diese Einordnung sagt jedoch nichts über den gesetzlichen
Tatbestand. Sie ist im Hinblick darauf erfolgt, dass der im Stiche gelassene
Verletzte im allgemeinen Gefahr läuft, an der Gesundheit geschädigt zu werden
oder das Leben zu verlieren. Es liegt ein abstraktes Gefährdungsdelikt vor.
Eine konkrete Gefahr braucht nicht nachgewiesen zu sein. Wo das Gesetz eine
solche verlangt, sagt es das, so in Art. 127, 129, 134, 135, 136. Im Falle des
Art. 128 kommt daher auch nichts darauf an, ob die Hilfe, die der Verletzende
leisten muss, den Verletzten aus einer Gefahr retten könnte, ob also die
Unterlassung der Hilfe für den Fortbestand der Gefahr, für die
Gesundheitsschädigung oder den Tod des Verletzten kausal ist. Auf BGE 73 IV
164
, der einen Fall des Art. 127
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 127 - Wer einen Hilflosen, der unter seiner Obhut steht oder für den er zu sorgen hat, einer Gefahr für das Leben oder einer schweren unmittelbaren Gefahr für die Gesundheit aussetzt oder in einer solchen Gefahr im Stiche lässt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
betrifft, kann der Beschwerdeführer seine
gegenteilige Auffassung nicht stützen.

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2.- Art. 128
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 128 - Wer einem Menschen, den er verletzt hat, oder einem Menschen, der in unmittelbarer Lebensgefahr schwebt, nicht hilft, obwohl es ihm den Umständen nach zugemutet werden könnte,
StGB verlangt auch nicht, dass sich der Verletzte infolge der
Unterlassung in hilfloser Lage befindet. Im Stiche lässt ihn der Täter, wenn
er ihm nicht hilft, wie es in seinen Kräften steht und nach den Umständen als
nötig erscheint. Er darf es nicht darauf ankommen lassen, dass andere Personen
sich um den Verletzten bemühen, sondern hat das selber zu tun. Der
Beschwerdeführer hat diese Hilfe unterlassen. Er hat sich nicht einmal
überzeugt, was nottat, geschweige denn Hilfe verschafft oder zu verschaffen
versucht; er hat den Verletzten im Stiche gelassen.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 75 IV 60
Datum : 01. Januar 1948
Publiziert : 22. April 1949
Quelle : Bundesgericht
Status : 75 IV 60
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : Art. 128 StGB setzt weder voraus, dass die Tat die Gesundheit oder das Leben des Verletzten...


Gesetzesregister
StGB: 117 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 117 - Wer fahrlässig den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
127 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 127 - Wer einen Hilflosen, der unter seiner Obhut steht oder für den er zu sorgen hat, einer Gefahr für das Leben oder einer schweren unmittelbaren Gefahr für die Gesundheit aussetzt oder in einer solchen Gefahr im Stiche lässt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.
128
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 128 - Wer einem Menschen, den er verletzt hat, oder einem Menschen, der in unmittelbarer Lebensgefahr schwebt, nicht hilft, obwohl es ihm den Umständen nach zugemutet werden könnte,
BGE Register
73-IV-164 • 75-IV-60
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leben • kassationshof • tod • busse • uhr • strafgesetzbuch • sachverhalt • entscheid • gefährdung des lebens und der gesundheit • gesundheitsschaden • gefährdungsdelikt • untauglicher versuch • monat • verurteilter • weiler • minderheit • anklage • vorinstanz