S. 181 / Nr. 43 Strafgesetzbuch (d)

BGE 75 IV 181

43. Urteil des Kassationshofes vom 15. Juli 1949 i. S. Kamm gegen
Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau.


Seite: 181
Regeste:
Art. 397 StGB.
1. Urteil im Sinne dieser Bestimmung ist auch der Entscheid über die Anordnung
des Vollzuges einer bedingt aufgeschobenen Strafe.
2. Art. 397 gilt nicht für die Verbesserung eines auf falschen rechtlichen
Überlegungen beruhenden Urteils.
Art. 397 CP.
1. Est aussi un jugement au sens de cette disposition 1a décision relative à
l'exécution d'une peine conditionnelle.
2. L'art. 397 ne permet pas de corriger un jugement entaché d'une erreur de
droit.
Art. 397 CP.
1. E' pure una sentenza ai sensi di questo disposto la decisione in merito
all'esecuzione d'una pena condizionale.
2. L'àrt. 397 non permette di correggere una sentenza che si basa su un errore
di diritto.

A. - Das Bezirksgericht Steckborn verurteilte Felix Kamm am 30. August 1945 zu
acht Monaten Gefängnis, schob den Vollzug der Strafe bedingt auf und erteilte
dem Verurteilten die Weisung, den dem Samuel Menzi zugefügten Schaden binnen
drei Jahren zu decken. Kamm bezahlte dem Menzi kurz nach der Verurteilung Fr.
50.-, nachher nichts mehr. Am 6. September 1948 gab Menzi dem Bezirksgericht
von der Säumnis seines Schuldners Kenntnis. In der nachfolgenden Untersuchung
überwies das Bezirksamt Steckborn die Akten dem Polizeikommando « zwecks
Prüfung und Bericht » und mit dem Beifügen: « Ist Kamm ev. zu mahnen? » Am 13.
September 1948 antwortete das Polizeikommando dem Bezirksamt: « Gemäss
beiliegendem Schreiben des Samuel Menzi in Diessenhofen hat Kamm bis heute
erst Fr. 60.- bezahlt, weshalb wir Sie ersuchen, demselben eine Mahnung gemäss
Kreisschreiben des Justiz- und Polizeidepartementes des Kantons Thurgau vom
26. 1.1944 zukommen zu lassen. » Das Bezirksamt unterliess die Mahnung. Am 10.
Dezember 1948 ordnete das Bezirksgericht Steckborn den Vollzug der Strafe an.

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B. - Am 28. Februar 1949 stellte Kamm beim Obergericht des Kantons Thurgau in
einem gestützt auf § 208 lit. e GGG eingereichten Revisionsbegehren den
Antrag, dieser Entscheid sei aufzuheben. Er machte geltend, das Fehlen der
Mahnung im Sinne von Art. 41 Ziff. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB sei eine Tatsache, die erst seit der
Schlussnahme des Bezirksgerichts festgestellt worden sei und die, wäre sie dem
Richter bekannt gewesen, diesen mit Sicherheit von der Anordnung des
Strafvollzuges abgehalten hätte.
Am 12. April 1949 wies das Obergericht das Gesuch ab. Zur Begründung führte es
aus, wenn Tatsachen neu ans Tageslicht kämen, die bewiesen, dass die
materiellen Voraussetzungen des Widerrufs des bedingten Strafaufschubes zu
Unrecht als erfüllt bezeichnet worden seien, müsse § 208 lit. e GGG analog
angewendet werden. Die Missachtung einer blossen Verfahrensvorschrift, wie sie
die förmliche Mahnung darstelle, sei indessen keine neue « Tatsache », also
kein Revisionsgrund. Abgesehen davon sei die Unterlassung der Mahnung auch
nicht eine neue Entdeckung. Aus den dem Bezirksgericht bekannten
Untersuchungsakten habe sich nirgends ergeben, dass Kamm gemahnt worden sei;
niemand habe das behauptet, auch nicht die Staatsanwaltschaft. Das Gericht
habe übersehen, dass Art. 41 Ziff. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB die Mahnung vorschreibe. Es habe
eine Rechtsverletzung begangen und den Widerruf auf Grund eines ungenügenden
Verfahrens ausgesprochen. Mit der Revision könnten derartige rechtliche Fehler
nicht nachträglich beanstandet werden.
C. - Gegen den Entscheid des Obergerichts führt Kamm Nichtigkeitsbeschwerde
mit dem Antrage, er sei aufzuheben und die Sache zu weiterer Beurteilung an
das Obergericht zurückzuweisen. Er macht geltend, Art. 397 StGB sei verletzt.
Die Mahnung sei materielle Voraussetzung der Anordnung des Strafvollzuges. Das
Fehlen der Mahnung sei eine neue Tatsache. Das Obergericht übersehe, dass dem
Bezirksgericht trotz der Aktenlage das Fehlen der Mahnung nicht bekannt
gewesen sei.

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D. - Die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau teilt die Auffassung des
Beschwerdeführers und beantragt, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und
die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen
Der Kassationshof zieht in Erwägung:
1.- Nach Art. 397 StGB haben die Kantone gegenüber Urteilen, die auf Grund
eines Bundesgesetzes ergangen sind, wegen erheblicher Tatsachen oder
Beweismittel, die dem Gerichte zur Zeit des früheren Verfahrens nicht bekannt
waren, die Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten des Verurteilten zu
gestatten. Der Entscheid des Bezirksgerichts über die Anordnung des
Strafvollzuges gemäss Art. 41 Ziff. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB ist ein Urteil, auf das Art. 397
anzuwenden ist, obwohl der Entscheid nicht über das Recht und die Pflicht des
Staates, den Beschwerdeführer zu bestrafen, den sogenannten Strafanspruch,
erkennt, sondern lediglich darüber befindet, dass eine bereits ausgefällte
Strafe, deren Vollzug bedingt aufgeschoben worden ist, zu vollziehen sei. Es
besteht kein Grund, einen solchen Entscheid unter dem Gesichtspunkt des Art.
397 StGB nicht als Urteil zu behandeln, während ihn die Rechtsprechung als
Urteil im Sinne von Art. 268
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
BStP betrachtet und der Nichtigkeitsbeschwerde
unterstellt (BGE 68 IV 116).
2.- Die Nichtbefolgung einer mit dem bedingten Strafaufschub verbundenen
Weisung darf nur dann zur Anordnung des Strafvollzuges führen, wenn der
Verurteilte vom Richter förmlich gemahnt worden ist, der Weisung nachzuleben
(Art. 41 Ziff. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB). Das Fehlen der Mahnung ist somit eine für den
Entscheid über die Anordnung des Strafvollzuges erhebliche Tatsache im Sinne
des Art. 397 StGB. Sie könnte aber nur dann von Bundesrechts wegen zur
Wiederaufnahme des Verfahrens führen, wenn sie dem Gerichte zur Zeit des
früheren Verfahrens nicht bekannt gewesen wäre. Hiezu würde gehören, dass das
Bezirksgericht irrigerweise angenommen hätte, die Mahnung sei

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erfolgt. Nach der den Kassationshof bindenden Auslegung, die das Obergericht
dem Entscheide des Bezirksgerichtes gibt, ist das indessen nicht der Fall
gewesen, sondern hat das Bezirksgericht die Strafe vollziehen lassen, weil es
übersehen hat, dass Art. 41 Ziff. 3
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
StGB eine förmliche Mahnung durch den
Richter vorschreibt. Art. 397 StGB bietet nicht die Möglichkeit, ein auf
falschen rechtlichen Überlegungen beruhendes Urteil aufzuheben; das kann nur
auf ein kantonales Rechtsmittel oder - unter den Voraussetzungen der Art. 268
ff
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
. BStP - auf Nichtigkeitsbeschwerde hin geschehen. Die Wiederaufnahme des
Verfahrens nach Art. 397 StGB ist nur zulässig, wenn das Urteil von einem
Tatbestande ausgeht, der sich nachträglich als unrichtig erweist.
Ist die Nichtigkeitsbeschwerde schon aus diesem Grunde unbegründet, so kann
dahingestellt bleiben, ob sie nicht selbst dann abgewiesen werden müsste, wenn
das Bezirksgericht irrigerweise angenommen hätte, die Mahnung sei erfolgt. Ein
solcher Irrtum hätte nicht auf einem unrichtigen Beweisergebnis, sondern nur
auf einem Versehen beruhen können, da die Akten nicht den geringsten
Anhaltspunkt geboten haben, dass die Mahnung erfolgt sei. Das ist so wahr,
dass der Beschwerdeführer zur Begründung seines Revisionsgesuches keinerlei
neue Beweismittel vorgelegt oder angeführt, sondern sich einfach auf die Akten
berufen hat, die schon dem Bezirksgericht vorgelegen haben. Es ist aber
fraglich, ob Art. 397 StGB unter den « Tatsachen oder Beweismitteln, die dem
Gerichte zur Zeit des früheren Verfahrens nicht bekannt waren », auch solche
versteht, die sich bereits aus den Akten ergaben, die das Gericht aber
übersehen hat, oder bloss solche, die seit der Fällung des Urteils aufgedeckt
und aktenkundig gemacht worden Rind.
Demnach erkennt der Kassationshof:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 75 IV 181
Datum : 01. Januar 1948
Publiziert : 14. Juli 1949
Quelle : Bundesgericht
Status : 75 IV 181
Sachgebiet : BGE - Strafrecht und Strafvollzug
Gegenstand : Art. 397 StGB.1. Urteil im Sinne dieser Bestimmung ist auch der Entscheid über die Anordnung des...


Gesetzesregister
BStP: 268
StGB: 41 
SR 311.0 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937
StGB Art. 41 - 1 Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
1    Das Gericht kann statt auf eine Geldstrafe auf eine Freiheitsstrafe erkennen, wenn:
a  eine solche geboten erscheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen oder Vergehen abzuhalten; oder
b  eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann.
2    Es hat die Wahl der Freiheitsstrafe näher zu begründen.
3    Vorbehalten bleibt die Freiheitsstrafe anstelle einer nicht bezahlten Geldstrafe (Art. 36).
397
BGE Register
68-IV-116 • 75-IV-181
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
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