S. 97 / Nr. 24 Schuldbetreibungs- und Konkursrecht (d)
BGE 75 III 97
24. Entscheid vom 23. Dezember 1949 i. S. Hopf.
Regeste:
Lohnpfändung bei Handelsreisenden: a) feste Pfändung auf Grund des
tatsächlichen Nettoeinkommens (bei teilweise veränderlichem Entgelt
[Provision] Ueberschusspfändung mit Ausgleichung von Mehr- und Minderbeträgen
gemäss BGE 69 III 54); dabei sind nur die vom Dienstherrn wirklich geleisteten
Spesenvergütungen in Rechnung zu stellen a) allenfalls Pfändung bestrittener
Ansprüche auf Spesenvergütung (Art. 13 und 14 in Verbindung mit Art. 19 HRAG).
Saisie du salaire du voyageur de commerce: a) saisie fixe sur la base du
revenu net effectif (en cas de rémunération partiellement variable
[provision], saisie de la somme qui dépasse le minimum vital sous réserve de
la compensation prévue dans l'arrêt RO 69 III 54), n'entrent en ligne de
compte quo les frais de voyage effectivement payés par l'employeur; b)
éventuellement saisie des droits contestés du voyageur au remboursement des
frais de voyage (art. 13, 14 combinés avec l'art. 19 LEV).
Pignoramento del salario del viaggiatore di commercio: a) pignoramento fisso
in base al reddito netto effettivo (in caso di mercede parzialmente variabile
[provvigione], pignoramento della somma che eccede il minimo vitale, riservata
la compensazione che prevede la sentenza RU 69 III 54); entrano in linea di
conto soltanto le spese di viaggio effettivamente pagato dal padrone; b)
eventualmente pignoramento dei diritti contestati del viaggiatore al rimborso
delle sposo di viaggio (art. 13 o 14 combinati con l'art. 19 LEVC).
A. - Gegenüber dem Provisionsreisenden Balmer vollzog das Betreibungsamt Bern
am 4. Oktober 1949 eine Lohnpfändung. Nach den amtlichen Erhebungen bezog
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der Schuldner in den letzten Monaten an Provision durchschnittlich Fr. 741.-.
Dazu traten Nebenbezüge von durchschnittlich ca. Fr. 250.-, deren Rechtsgrund
und Bemessungsgrundlage nicht festgestellt sind. Es erwachsen ihm monatliche
Reisespesen (mit Einschluss der Automobilspesen) im Betrage von mindestens Fr.
400.-. Das übrige Existenzminimum der Familie (Ehepaar und drei Kinder)
beträgt Fr. 597.-. Das Betreibungsamt erklärte deshalb ein monatliches
Bruttoeinkommen von (aufgerundet) Fr. 1000.- als unpfändbar und pfändete
allfällige Einkommensüberschüsse über diesen Betrag hinaus auf die Dauer eines
Jahres.
B. - Der an dieser Pfändung beteiligte Gläubiger Hopf beschwerte sich über
diese Art der Bemessung und beantragte eine angemessene Erhöhung der
Lohnpfändung. Zur Begründung wies er auf die Vorschriften über das
Anstellungsverhältnis der Handelsreisenden hin (Bundesgesetz vom 13. Juni
1941), wonach die besondern Reise- und namentlich die Automobilspesen zu
Lasten des Dienstherrn fallen (Art. 13 und 14 HRAG). Da die Automobilspesen
nach den unangefochtenen Berechnungen des technischen Dienstes des
Automobilklubs der Schweiz mit monatlich Fr. 300.- zu veranschlagen seien,
müsse der unpfändbare Einkommensbetrag vorweg um diese vom Dienstherrn zu
tragenden Spesen vermindert werden.
C. - Die kantonalen Aufsichtsbehörden haben Beschwerde und Rekurs des
Gläubigers Hopf abgewiesen. Mit dem vorliegenden Rekurs an das Bundesgericht
hält Hopf an der Beschwerde fest.
Die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer zieht in Erwägung:
Die Reise-, zumal auch Automobilspesen stellen an und für sich einen Aufwand
des Reisenden dar. Soweit er dafür nicht durch Vorschüsse des Dienstherrn
gedeckt ist (vgl. Art. 13 Abs. 4 HRAG), muss er dafür vorderhand eigene Mittel
in Anspruch nehmen. Insoweit verringern
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sich die ihm für das eigentliche Existenzminimum verfügbaren Mittel. Der
Rekurrent möchte diesem Umstande keine Rechnung tragen, weil der Schuldner
einen gesetzlichen Ersatzanspruch gegen den Dienstherrn habe und es denn auch
Sache des Schuldners sei, den Ersatz zu verlangen. Das entspricht der
zürcherischen Lohnpfändungspraxis gegenüber Handelsreisenden (Blätter für
zürcherische Rechtsprechung 46 Nr. 23 d und e). Das Bundesgericht ist jedoch
dieser Betrachtungsweise im Rekursfalle Pfändler (Entscheidung vom 28. April
1949) nicht gefolgt. Es ist darauf Rücksicht zu nehmen, dass der Schuldner
sich den Ersatz für die in Frage stehenden Aufwendungen nicht ohne weiteres
beschaffen kann. Einmal muss er damit rechnen, dass der Dienstherr sich an die
vereinbarten Anstellungsbedingungen hält und sich nicht freiwillig zu
irgendwelchen Mehrleistungen herbeilässt. Ein Prozess aber kann monatelang
dauern, und der Schuldner mag davor zurückschrecken, diesen Weg zu
beschreiten, um sich mit dem Dienstherrn nicht zu überwerfen. Sodann ist gar
nicht von vornherein ausgemacht, dass man es mit liquiden, aus keinem
ernsthaften Grunde bestreitbaren Ansprüchen zu tun habe. Ist doch
möglicherweise der feste Lohn oder der Provisionssatz so hoch bemessen worden,
dass das betreffende Einkommen auch die Reisespesen oder einen Teil davon
decken solle. Ob und wie weit dies wirklich zutreffe oder dem Reisenden eine
(trotz der Vereinbarung bestehende) Nachforderung gegen den Dienstherrn
zustehe (nach Art. 19 HRAG in Verbindung mit dessen Art. 13 und 14), ist eben
gegebenenfalls vom Richter zu entscheiden (vgl. BGE 74 II 62).
Im Hinblick auf diese Ungewissheit der Ersatzansprüche des Schuldners gegen
den Dienstherrn hat sich die feste Lohnpfändung einfach auf die vereinbarten
Anstellungsbedingungen zu stützen, wie es hier geschehen ist.
Richtiger wäre es freilich gewesen, die notwendigen Reisespesen von Fr. 400.-
nicht zum Existenzminimum
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zu rechnen, sondern als vorweg aus dem Bruttoeinkommen zu deckenden, den
Nettolohn schmälernden Gewinnungsaufwand zu bezeichnen. Das kann jedoch hier
auf sich beruhen bleiben (während es bei Lohnpfändung für
Unterhaltsforderungen von Bedeutung wäre, da nur der nach vollem Abzug dieses
Aufwandes sich ergebende Nettolohn der verhältnismässigen Kürzung nach der
anerkannten Proportion, BGE 67 III 138, unterliegen könnte).
Die feste Lohnpfändung ist zutreffend als Pfändung eines Überschusses verfügt
worden, da eben schwankende Lohneinnahmen bestehen. Das Betreibungsamt wird
für Ausgleichung der Mehr- und Minderbeträge zu sorgen haben (BGE 69 III 54).
Allenfalls wird diese Pfändung durch eine solche bestrittener Ansprüche zu
ergänzen sein. Das Betreibungsamt hat vorerst den Dienstherrn zur Frage der
Beachtung der Vorschriften des HRAG anzuhören. Erkennt der Dienstherr dem
Schuldner ergänzende Ansprüche zu, so wird sich dies auf die Abwicklung der
festen Lohnpfändung auswirken. Andernfalls (oder ausserdem) kommt eine
Pfändung bestrittener Ansprüche aus dem HRAG in Frage. Das Betreibungsamt hat
sie von sich aus vorzunehmen, falls es solche Ansprüche ernstlich als gegeben
ansieht, sonst nur auf Verlangen des Schuldners oder eines der pfändenden
Gläubiger.
Demnach erkennt die Schuldbetr.- u. Konkurskammer: Der Rekurs wird abgewiesen.