S. 49 / Nr. 8 Obligationenrecht (d)

BGE 75 II 49

8. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 1. Februar 1949 i. S.
Gebrüder Gondrand A.-G. gegen Schweiz. Genossenschaft für Getreide und
Futtermittel.


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Regeste:
Garantievertrag oder Bürgschaft? (Art. 111
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 111 - Wer einem andern die Leistung eines Dritten verspricht, ist, wenn sie nicht erfolgt, zum Ersatze des hieraus entstandenen Schadens verpflichtet.
, 492
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 492 - 1 Durch den Bürgschaftsvertrag verpflichtet sich der Bürge gegenüber dem Gläubiger des Hauptschuldners, für die Erfüllung der Schuld einzustehen.
1    Durch den Bürgschaftsvertrag verpflichtet sich der Bürge gegenüber dem Gläubiger des Hauptschuldners, für die Erfüllung der Schuld einzustehen.
2    Jede Bürgschaft setzt eine zu Recht bestehende Hauptschuld voraus. Für den Fall, dass die Hauptschuld wirksam werde, kann die Bürgschaft auch für eine künftige oder bedingte Schuld eingegangen werden.
3    Wer für die Schuld aus einem wegen Irrtums oder Vertragsunfähigkeit für den Hauptschuldner unverbindlichen Vertrag einzustehen erklärt, haftet unter den Voraussetzungen und nach den Grundsätzen des Bürgschaftsrechts, wenn er bei der Eingehung seiner Verpflichtung den Mangel gekannt hat. Dies gilt in gleicher Weise, wenn jemand sich verpflichtet, für die Erfüllung einer für den Hauptschuldner verjährten Schuld einzustehen.
4    Soweit sich aus dem Gesetz nicht etwas anderes ergibt, kann der Bürge auf die ihm in diesem Titel eingeräumten Rechte nicht zum voraus verzichten.
OR).
Contrat de garantie ou cautionnement? (art. 111, 492 CO).
Contratto di garanzia o fideiussione? (art. 111, 492 CO).

Aus dem Tatbestand:
A. ­ Am 27. Mai 1941 hatte die Schweizerische Genossenschaft für Getreide und
Futtermittel (GGF) bei der rumänischen Getreidehandelsfirma Cerderex S.A.R.
5000 t Kleie gekauft, lieferbar je nach Transportmöglichkeiten bis Ende Juni
1941. Vom Kaufpreis waren Fr. 21.50 (für 100 kg) zu bezahlen « gegen Dokumente
» und Fr. 7.50 (für 100 kg) « gegen Garantieerklärung einer erstklassigen
Speditionsfirma für fracht- und spesenfreie Auslieferung ». Die Lieferung
hatte franko Schweizergrenze zu erfolgen.
Nachdem rund 1600 t geliefert waren, vereinbarten die Vertragsparteien im
Oktober 1941, dass an Stelle der Cerderex S.A.R. die Firma Kündig und Cie,
Zürich, die weitere Abwicklung des Geschäftes übernehme. Diese teilte der GGF
am 10. April 1942 mit, eine weitere Teillieferung von 100 t Kleie sei,
verladen auf dem Donauschlepper NFR 10 002, unterwegs, und sie ersuchte um
Überweisung des vollen Kaufpreises von Fr. 29,000.­ gegen Vorlegung der «
Originaldokumente ». Darunter verstand sie das Original der Rechnung sowie
eine « Frankofrachterklärung », die von der Firma Gebrüder Gondrand A.-G.,
Internationale Transportgesellschaft, am gleichen

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Tage für die GGF ausgestellt worden war und wie folgt lautete:
« Betr. 100 To. Kleie ex Schlepp NFR 10002.
Im Auftrag der Firma « CERDEREX » in Bukarest und in Übereinstimmung mit den
Instruktionen der S.A.R. de Transporturi Eger & Co., Bukarest als Spediteure,
bestätigen wir Ihnen hiemit beauftragt worden zu sein, Ihnen eine
unwiderrufliche Garantie-Erklärung abzugeben, dass wir obige Partie FRANKO
FRACHT UND NEBENSPESEN ST. MARGRETHEN an Sie zur Auslieferung bringen können.
Konossement für diese Partie haben wir Ihrerseits nicht zu erwarten.... »
Die GGF bezahlte auf Grund dieser Dokumente der Firma Kündig und Cie zu Handen
der Verkäuferin den Betrag von Fr. 29,000.­. Die Ware hat sie indessen nie
erhalten.
B. ­ Gestützt auf die « Garantieerklärung » vom 10. April 1942 belangte die
GGF die Firma Gebrüder Gondrand A.-G. auf Bezahlung von Fr. 29,000.­nebst Fr.
4705.50 aufgelaufene Zinsen seit 14. April 1942. Die Beklagte bestritt ihre
Zahlungspflicht. Sie machte u.a. geltend, es handle sich bei ihrer «
Garantieerklärung » nicht um einen Garantievertrag, wie es die Klägerin
darstelle, sondern um eine Bürgschaft, die jedoch mangels Angabe des
Haftungsbetrages in der Verpflichtungsurkunde nichtig sei.
Gegen das die Klage gutheissende Urteil des Handelsgerichtes des Kantons
Zürich ergriff die Beklagte die Berufung.
Aus den Erwägungen:
1. ­ ......
2. ­ Streitig ist, ob die « Garantieerklärung » ein Garantievertrag (Art. 111
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 111 - Wer einem andern die Leistung eines Dritten verspricht, ist, wenn sie nicht erfolgt, zum Ersatze des hieraus entstandenen Schadens verpflichtet.

OR) oder eine Bürgschaftsverpflichtung darstellt.
Bürgschaft und Garantievertrag unterscheiden sich dadurch, dass jene rein
akzessorischen Charakter hat, während dieser eine selbständige, von den
versprochenen Leistungen des Dritten an sich unabhängige Verpflichtung
begründet (BGE 56 II 381, 72 II 22). Es führt daher

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nicht notwendig zur Annahme einer Bürgschaft, wenn bereits die Leistung des
Dritten ihrerseits auf einer vollstreckbaren Schuldverpflichtung gegenüber dem
Promissar beruht. Denn dessen ungeachtet kann die Verpflichtung des
Promittenten weiter oder auf anderes gehen als diejenige des Dritten, womit
ihr die den Garantievertrag kennzeichnende Selbständigkeit eignet, dergestalt
dass der Promittent selbst bei Wegfall der Hauptleistung, d. h. der Leistung
des Dritten, leisten will und muss. Auch hier werden demnach dem Promissar,
wie es das Ziel des Garantievertrages ist, Risiken gedeckt, für die ihm der
Dritte nicht einsteht.
Laut dem mit der Cerderex S.A.R. abgeschlossenen Vertrag hatte die Klägerin
den Kaufpreis zu bezahlen, bevor sie im Besitz der Ware war. Der Vertrag
brachte ihr mithin nicht nur das übliche Risiko, dass die Verkäuferin die in
der Versendung der Ware und zudienenden Dokumente liegende Erfüllungshandlung
nicht oder nicht richtig vornehme, sondern darüberhinaus die Ungewissheit, ob
der durch kriegsbetroffenes Gebiet führende Transport die Schweizergrenze je
erreichen werde. Dieses Risiko gedeckt zu wissen, hatte sie ein entscheidendes
Interesse, und das war denn auch offensichtlich der Grund, weshalb sie sich im
Vertrag ausbedang, den Kaufpreis nur gegen eine « Garantieerklärung einer
erstklassigen Speditionsfirma » zu entrichten. Ihr Bemühen, sich aufs
zuverlässigste zu sichern, lässt sich auch daraus erkennen, dass von einer «
erstklassigen » Firma die Rede ist; sie verlangte damit nicht nur einen
zahlungsfähigen Promittenten, sondern wollte sich gleichzeitig auch
unterrichten, wie eine erfahrene Speditionsfirma, die am ehesten die
obwaltenden Verkehrsverhältnisse überblickte, die Erfolgsaussichten des
Transportes beurteile.
Diese « Garantieerklärung » wurde ihr von der Beklagten gegeben, die unter
Berufung darauf, im Auftrag der Verkäuferin zu handeln, sich zur « Garantie »
verpflichtete, die Ware ausliefern zu können. Freilich konnte

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das nicht heissen, sie werde nötigenfalls die Ware selbst beschaffen, denn
hiezu war sie als Speditionsfirma von vorneherein nicht in der Lage. Wohl aber
muss darin zumindest die Verpflichtung erblickt werden, sie stehe dafür ein,
dass die Klägerin die Ware erhalte, andernfalls sie ihr den bezahlten
Kaufpreis zurückerstatte. Dieser Sinn ergibt sich zwangslos aus der Erklärung,
die als « Garantie » bezeichnet und offensichtlich als Sicherung bestimmt war
in Hinblick auf die herrschenden, der Abwicklung des Geschäftes und der
Belangung eines rumänischen Schuldners hinderlichen Verhältnisse. Es wäre denn
auch nicht ersichtlich, was anders die Beklagte bei der gegebenen Sachlage
hätte « garantieren » wollen, wenn nicht wenigstens ihr so umschriebenes
Einstehen.
War das der Inhalt der Erklärung, so deckte sich, wie daraus weiter folgt, die
Verpflichtung der Beklagten nicht mit derjenigen der Cerderex S.A.R. Hätte
nämlich die Beklagte nicht anders als diese, also bloss akzessorisch,
einstehen müssen, so wären ihr gegen die Klägerin sämtliche Einreden der
Verkäuferin zugestanden. Sie hätte beispielsweise Gegenansprüche der Cerderex
S.A.R. zur Verrechnung stellen oder bei Verlust der Ware auf dem Transport
gegebenenfalls den bereits erfolgten Übergang von Nutzen und Gefahr auf die
Käuferin vorschützen können; ebenso hätte die Klägerin die Einrede gewärtigen
müssen, sie sei nicht vom Vertrag zurückgetreten und infolgedessen auch nicht
berechtigt, gestützt auf Art. 109 Abs. 1
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 109 - 1 Wer vom Vertrage zurücktritt, kann die versprochene Gegenleistung verweigern und das Geleistete zurückfordern.
1    Wer vom Vertrage zurücktritt, kann die versprochene Gegenleistung verweigern und das Geleistete zurückfordern.
2    Überdies hat er Anspruch auf Ersatz des aus dem Dahinfallen des Vertrages erwachsenen Schadens, sofern der Schuldner nicht nachweist, dass ihm keinerlei Verschulden zur Last falle.
OR den Kaufpreis zurückzufordern.
Gerade das aber sollte durch die « Garantieerklärung » vermieden werden, deren
Zweck unverkennbar war, der Klägerin eine stärkere Stellung zu verschaffen und
ihr nicht nur die Durchsetzung ihrer Ansprüche in der Schweiz zu ermöglichen,
sondern sie hiebei auch des hemmenden Dazwischentretens von Einreden der
Verkäuferin zu befreien. Nur so erlangte die « Garantieerklärung » für die
Klägerin jene praktische Wirksamkeit, die ihr von den Parteien zugedacht war
und die sich übrigens

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angesichts der gegebenen Verhältnisse als selbstverständlich aufdrängen
musste. Bezeichnenderweise schrieb denn auch die Beklagte in der Erklärung
nicht, sie stehe dafür ein, dass die Verkäuferin und der Spediteur die Ware an
die Schweizergrenze brächten, sondern sie betonte ihre unabhängige
Verpflichtung mit der Wendung, «wir» können zur Auslieferung bringen. Die
Klägerin durfte deshalb in guten Treuen annehmen, die Beklagte leiste dafür
Gewähr, dass sie die bezahlte Ware erhalte, oder ­ sollte das nicht der Fall
sein ­ dass sie ohne jeden Vorbehalt berechtigt sei, das entrichtete Geld von
der Gewährspflichtigen zurückzufordern.
Die Verpflichtung der Beklagten lautete somit inhaltlich anders als diejenige
der Verkäuferin; sie stellte ein selbständiges Schuldversprechen dar und ist,
weil nicht akzessorischer Natur, als Garantievertrag zu qualifizieren. Was die
Parteien bezweckten, hätte sich mit einer Bürgschaft nicht erreichen lassen.
Daran ändert nichts, dass nicht näher abgeklärt ist, welches Interesse die
Beklagte hatte, eine derart weitgehende Verpflichtung einzugehen, und dass
insbesondere die Klägerin nicht behauptet, die Beklagte hätte eine
Risikoprämie bezogen, die ihrem Einsatz entspreche. Fehlen eines unmittelbar
eigenen Interesses an der Leistung des Dritten kann zwar ein gegen den
Garantievertrag sprechendes Indiz darstellen, vermöchte aber hier gegen die
zwingend auf diese Vertragsart weisenden Anhaltspunkte nicht aufzukommen.
Entscheidinformationen   •   DEFRITEN
Dokument : 75 II 49
Datum : 01. Januar 1948
Publiziert : 01. Februar 1949
Quelle : Bundesgericht
Status : 75 II 49
Sachgebiet : BGE - Zivilrecht
Gegenstand : Garantievertrag oder Bürgschaft? (Art. 111, 492 OR).Contrat de garantie ou cautionnement? (art...


Gesetzesregister
OR: 109 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 109 - 1 Wer vom Vertrage zurücktritt, kann die versprochene Gegenleistung verweigern und das Geleistete zurückfordern.
1    Wer vom Vertrage zurücktritt, kann die versprochene Gegenleistung verweigern und das Geleistete zurückfordern.
2    Überdies hat er Anspruch auf Ersatz des aus dem Dahinfallen des Vertrages erwachsenen Schadens, sofern der Schuldner nicht nachweist, dass ihm keinerlei Verschulden zur Last falle.
111 
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 111 - Wer einem andern die Leistung eines Dritten verspricht, ist, wenn sie nicht erfolgt, zum Ersatze des hieraus entstandenen Schadens verpflichtet.
492
SR 220 Erste Abteilung: Allgemeine Bestimmungen Erster Titel: Die Entstehung der Obligationen Erster Abschnitt: Die Entstehung durch Vertrag
OR Art. 492 - 1 Durch den Bürgschaftsvertrag verpflichtet sich der Bürge gegenüber dem Gläubiger des Hauptschuldners, für die Erfüllung der Schuld einzustehen.
1    Durch den Bürgschaftsvertrag verpflichtet sich der Bürge gegenüber dem Gläubiger des Hauptschuldners, für die Erfüllung der Schuld einzustehen.
2    Jede Bürgschaft setzt eine zu Recht bestehende Hauptschuld voraus. Für den Fall, dass die Hauptschuld wirksam werde, kann die Bürgschaft auch für eine künftige oder bedingte Schuld eingegangen werden.
3    Wer für die Schuld aus einem wegen Irrtums oder Vertragsunfähigkeit für den Hauptschuldner unverbindlichen Vertrag einzustehen erklärt, haftet unter den Voraussetzungen und nach den Grundsätzen des Bürgschaftsrechts, wenn er bei der Eingehung seiner Verpflichtung den Mangel gekannt hat. Dies gilt in gleicher Weise, wenn jemand sich verpflichtet, für die Erfüllung einer für den Hauptschuldner verjährten Schuld einzustehen.
4    Soweit sich aus dem Gesetz nicht etwas anderes ergibt, kann der Bürge auf die ihm in diesem Titel eingeräumten Rechte nicht zum voraus verzichten.
BGE Register
56-II-375 • 72-II-19 • 75-II-49
Stichwortregister
Sortiert nach Häufigkeit oder Alphabet
beklagter • kaufpreis • getreide • spediteur • stelle • genossenschaft • bewilligung oder genehmigung • lieferung • vertragspartei • beendigung • entscheid • unternehmung • annahme des antrags • berechnung • autonomie • zweck • planungsziel • nutzen und gefahr • weiler • wille
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