S. 265 / Nr. 44 Bundesrechtliche Abgaben (d)
BGE 75 I 265
44. Auszug aus dem Urteil vom 15. Juli 1949 i. S. Charles Veillon Confection
S. A. gegen eidg. Steuerverwaltung.
Regeste:
Ausgleichsteuer: Lohnzahlungen für Ferienzeit, die die obligatorische oder die
vertraglich vereinbarte Mindestdauer übersteigt, fallen nicht unter die «
sozialen Leistungen » im Sinne von Art. 11, Abs. 4 AStB.
Impót compensatoire: Les salaires payés pour des périodes de vacances excédant
le minimum légal ou contractuel ne oonstituent pas des « prestations sociales
» au sens de l'art. 11 a1. 4 AIC.
Imposta compensativa: I salari pagati per dei periodi di vacanza che eccodono
la durata minima legale o contrattuale non costituiscono delle « prestazioni
sociali » a sensi dell art. 11 op. 4 DIC.
A. Nach Art. 11, Abs. 4 des Ausgleichsteuergesetzes (AStB) kann die
Ausgleichsteuer um höchstens einen Viertel herabgesetzt werden
« b) wenn die sozialen Leistungen des Steuerpflichtigen an das eigene Personal
in dem dem Steuerjahr vorausgegangenen Jahre 5 % der Lohnsumme überstiegen
haben. Die Steuer darf auf keinen Fall um mehr als den Betrag dieses
Überschusses ermässigt werden. »
B. Die Beschwerdeführerin möchte auf die Sozialleistungen nach Art. 11, Abs.
4, lit. b Beträge anrechnen lassen, die als freiwillige Ferienvergütungen
bezeichnet werden. Es sind Gehaltszahlungen für Ferienzeit, die über die durch
die regionale Arbeitsschutzgesetzgebung
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vorgeschriebene Mindestdauer hinaus gewährt wird, sowie Ferienvergütungen an
Arbeitskräfte, die nach ihren Arbeitsbedingungen keine Ferien zu beanspruchen
hätten. Die eidgenössische Steuerverwaltung hat die Anrechnung dieser
Ferienvergütungen abgelehnt und ihre Stellungnahme mit Einspracheentscheid vom
25. März 1949 bestätigt. Die Ausgleichsteuerkommission hatte sich mehrheitlich
für die Anrechnung ausgesprochen.
C. Die Beschwerdeführerin erhebt die Verwaltungsgerichtsbeschwerde und
beantragt, den Einspracheentscheid aufzuheben, festzustellen, dass die
freiwillige Ferienvergütung als soziale Leistung im Sinne von Art. 11, Abs. 4,
lit b AStB zu gelten habe, und die Rückerstattung des entsprechenden
Ausgleichsteuerbetrages anzuordnen.
Das Bundesgericht hat die Beschwerde abgewiesen
in Erwägung:
1. Gestützt auf die Äusserungen der Berichterstatter im Nationalrat, die
Anwendung der Bestimmungen in Absatz 4 von Art. 11 AStB sei weitgehend eine
ermessensweise, weil die besonderen Verhältnisse in jedem Falle gewürdigt
werden müssten, hat die Ausgleichssteuerkommission angenommen, dass die
Begriffe « soziale Leistung » und « Lohnsumme » in Art. 11, Abs. 4, lit. b
AStB nicht nach rechtlichen, sondern nach praktischen wirtschaftlichen
Gesichtspunkten auszulegen seien, wobei kasuistisch, von Fall zu Fall und
unter Berücksichtigung der besondern örtlichen Verhältnisse der verschiedenen
Landesgegenden zu entscheiden sei. Das Bundesgericht hat jedoch schon früher
(BGE 72 I S. 194 ff.) festgestellt, dass das « Ermessen », das bei der
Handhabung von Art. 11, Abs. 4, lit. b allenfalls in Frage kommen kann, sich
offensichtlich auf die Bemessung der Steuerherabsetzung innerhalb des
gesetzlichen Rahmens bezieht und nicht, wie schon die damalige Rekurrentin
geltend gemacht hatte, auf die Auslegung der Begriffe soziale Leistungen und
Lohnsumme. Die Auslegung der beiden genannten Begriffe hat
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einheitlich für das ganze Anwendungsgebiet des AStB nach juristischen
Gesichtspunkten zu erfolgen; daraus folgt, dass für das freie Ermessen kein
Raum bleibt und dass es unmöglich angeht, von Fall zu Fall unter
Berücksichtigung der besondern örtlichen Verhältnisse der verschiedenen
Landesgegenden zu entscheiden.
2. Ferien sind eine zum voraus bestimmte Anzahl aufeinanderfolgender freier
Tage, die der Erholung dienen und in denen der Dienstpflichtige den üblichen
Lohn weiterbezieht. Der Ferienanspruch ist ein einheitlicher Anspruch gegen
den Dienstherrn. Er richtet sich aber auf eine doppelte Leistung, nämlich die
Ferien an sich (die Freizeit) und die Lohnzahlung. (TSCHUDI, Die Ferien im
schweizerischen Arbeitsrecht S. 147; vgl. OSER - SCHÖNENBERGER,
Obligationenrecht, Bem. 4 und 6 zu Art. 341). Festzuhalten ist hier, dass als
Bestandteil des Ferienbegriffs die Weiterzahlung des Lohnes während der Ferien
gilt. Erst die Lohnzahlung ermöglicht es dem Arbeitnehmer, die Ferien
zweckentsprechend zu seiner Erholung zu verwenden. Diesen Grundsatz hat das
Bundesgericht in seinem Urteil betreffend das Basler Feriengesetz (BGE 58 I
31) ausdrücklich anerkannt.
Bezahlte Ferien sind, nach schweizerischem Recht, wie der Lohn, mit eine
Gegenleistung für die Hingabe von Arbeitszeit und Arbeitskraft im Dienste des
Dienstherrn. Es besteht kein Grund, die hiefür erbrachten Zahlungen des
Dienstherrn, für die Anwendung von Art. 11, Abs. 4, lit. b AStB, nicht als
Lohn zu behandeln.
3. Dies gilt auch für die Lohnzahlungen der Beschwerdeführerin, die auf die
Ferienzeit entfallen, die das im Arbeitsschutzreglement der Stadt Lausanne
(Art. 9) vorgeschriebene Mindestmass übersteigt. Denn auch diese Zahlungen
fallen offensichtlich im wesentlichen unter die Gegenleistungen für die im
Dienste der Firma geopferte Zeit und Arbeitskraft. Zwar ist es richtig, dass
die Beschwerdeführerin die Ferienleistungen im Jahre 1944 zum Teil wenigstens
individuell abstufte. Nach welchen
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Kriterien sie dabei vorging, geht aus den Akten nicht hervor. Man wird aber
kaum fehlgehen, wenn man annimmt, dass die persönliche Haltung des
Angestellten, vornehmlich seine Tüchtigkeit in der Arbeitsleistung
Veranlassung zu den Abweichungen von der Norm gegeben hat. Indessen sind die
Abweichungen (nach oben und nach unten) nicht bedeutend. Im allgemeinen hat
die Beschwerdeführerin bezahlte Ferien von 7 Tagen bei einer Dienstzeit bis zu
2½ - 3 Jahren, von 14 Tagen bei einer Dienstzeit bis zu 15 Jahren und von 21
Tagen bei einer Dienstzeit über 15 Jahre (in zwei Fällen) gewährt. Für die
Bemessung der Feriendauer wird im Betriebe der Beschwerdeführerin im
wesentlichen auf die Dauer des Dienstverhältnisses abgestellt, womit sich die
bezahlten Ferien als Bestandteil der Gegenleistung für die Überlassung von
Arbeitszeit und Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweisen.
Dass es sich bei der Gewährung bezahlter Ferien für das Personal der
Beschwerdeführerin um eine Gegenleistung für die Zurverfügungstellung der
Arbeit handelt, geht schlüssig auch aus der Feriendauer hervor. Sie hält sich
im Rahmen dessen, was neue Arbeitnehmerschutzgesetze, z. B. das Genfer und das
Basler Feriengesetz und der Entwurf zum Zürcher Feriengesetz, Gesamtarbeits-
und zahllose Einzeldienstverträge bestimmen. Demgegenüber sind die durch das
Arbeitsschutzreglement der Stadt Lausanne obligatorisch vorgeschriebenen
Ferien Mindestansätze, die unter Umständen nicht genügen, um dem Personal
eines Betriebes in der heutigen Zeit mit ihrer gesteigerten Arbeitsintensität
die Arbeitskraft zu erhalten (vgl. Urteil vom 25. September 1947 i. S.
Association suisse des maîtres-relieurs, Erw. 4, nicht publiziert,).
Darauf, ob die das Obligatorium übersteigenden Ferien auf Grund vertraglicher
Verpflichtung gewährt werden oder auf Freiwilligkeit beruhen, kommt es nicht
an. Auch die freiwillige Gewährung bezahlter Ferien kann ihrer Natur nach
Gegenleistung des Arbeitgebers für geleistete Arbeit des Arbeitnehmers, also
Lohn sein, genau so wie
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Gratifikationen, auf die der Arbeitnehmer keinen Rechtsanspruch hat, dem Lohn
gleichgestellt werden und niemals als soziale Leistungen angesehen werden
können (vgl. z. B. AHVG, Art. 5, Abs. 2). Es ist oben dargetan worden, dass
nach den Umständen angenommen werden muss, dass die Beschwerdeführerin ihrem
Personal die zusätzlichen bezahlten Ferientage als Entgelt für die geleistete
Arbeit gewährt hat.